Miles, Wolf und ich
Die Allee. Das Gold der Felder darin. Die Straße war flüssiges Gold. Die Pappeln entlang dieser Straße brachen auseinander. Die Hitze splitterte das Holz und trocken rann der Staub in den Gräben nach nirgendwo, vergrub das letzte Feucht, klebte am ausgewaschenen Wurzelwerk der Bäume, an der Hauthülle gewesener Eidechsen. Ein Irrspiel, so schien es.
Dieser Sommer knechtet, zwingt zur Atemlosigkeit. Alles flutet. Früher Nachmittag.
Die Faust der Hitze des Tages raste, legte ihr Gewicht in diese Allee. In der Allee schwappte es über davon. Dicke Mücken, Tagfalter, Käfer platzten auf am Glas der Scheibe unseres Cabrios. Tausend und mehr tanzende Lichter hingen über den Weihern. Die Glut der Sonne machte das alles. Es war unerträglich. Aber wir fuhren. Wir fuhren. Ja, endlich. Es hatte den Anschein gehabt, als ob wir nie wegkommen würden aus der verhangenen Kühle des Hauses. Wir hatten uns angeschrieen, uns in die endlosen Zimmer verkrochen. Jetzt fuhren wir. Jetzt. Ja.
Wir hatten Streit gehabt. Die letzten Tage waren furchtbar. Eine Anhäufung sinnloser Gebärden und all diese Hitze rundum. Claire hatte wieder begonnen, davon zu sprechen. Die Wahrheit jedoch ist einfach. Wir hatten geschuftet wie die Hunde, Claire und ich. Dafür. Jetzt haben wir alles. Wir haben unsere Ziele erreicht. Wir haben das Haus, das Architekturatelier und endlich bekommen wir auch Aufträge. Trotzdem begann Claire wieder davon. Wenn sie davon beginnt, dann ist es nach dem immer gleichen Schema. Diesmal, also heute, war es nicht anders als sonst auch. Ihre Attacken sind nicht zu ertragen. Vincent, warum nicht? Worauf warten wir? Ihre Verbissenheit schockiert mich jedes Mal aufs Neue. Claire, wir haben noch Zeit, sage ich zu ihr. Lass uns das Haus genießen. Lass uns atmen, Claire, sage ich. Lass uns Wein trinken.
So sprach ich auch heute zu ihr. Ich verliere das Gefühl für unser Jetzt, Claire, sagte ich. Sie stand in der Küche, hielt das Glas mit dem weißen Wein darin gegen dasselbe Licht, das sich an der Oberfläche des Pools brach und auch den Küchenboden flutete. Sie hatte ihre Augen dunkel geschminkt und als sie so dastand, meinte ich in ihrem Blick eine Art von beschwichtigendem Tod zu erkennen.
Claire, bitte komm’, sagte ich, Curt wartet.
Der Brechreiz stand mir im Hals. Bisweilen hatte sie Andeutungen gemacht. Ich liebe sie trotz allem. Ihre Augen sind dunkelgrün. Wenn ein Bach anschwillt zur Zeit der Schneeschmelze, dann bleibt nach dem Getöse und wenn sich seine weißen Wasser beruhigt haben, dieses Dunkelgrün an seinen Uferrändern zurück. Nur dann. So sind Claires Augen.
Ich liebe Claire.
Der Tag begann schon am Morgen als Monstrosität, legte sich schwer auf die ächzende Bühne der Landschaft. Schwarze Wolkentürme standen senkrecht über den Hügeln. Das reife Korn auf diesen war das gelbe Meer, in welches man, wenn es sich in Wellen bis zum Horizont ausbreitet, eintauchen möchte, darin verschwinden möchte. Es lag hinter den Hecken, den Alleen, dem Küchenfenster. Hitzesäulen stiegen daraus auf und trübten die Wahrnehmung des Auges, legten die Sinne lahm. Die Luft stand still und der Himmel hatte seine Vögel weggewischt. Und das Pappelholz splitterte.
Auf dem Kleid von Claire zeichneten sich unter dem Brustansatz dunkle Flecken ab. Ich sah es aus den Augenwinkeln. Manchmal, so wie auch im Wagen geschehen, starre ich auf ihre Brüste. Sie trägt nichts unter dem Kleid. Ihre Brüste sind klein und fest. Wenn ich mit der Zunge über ihre Brustspitzen fahre, entlocke ich ihrem Mund schwache Seufzer und das beginnende Beben ihres Körpers entlädt sich im Schrei des Höhepunkts. Und reißt auch mich mit.
Ich versuchte, den offenen Wagen mit hoher Geschwindigkeit entlang der Pappelreihen zu steuern, doch der Fahrtwind verschaffte nicht die erhoffte Abkühlung. Ich hatte Claire zu beruhigen versucht. Ich sagte, dass Curt diese Party herbeigesehnt hatte und wir uns nicht zu denen zählen dürften, die ihr fernbleiben. Curt ist mein Freund. Schon viele Jahre ist er das. Im nächsten Monat übernimmt er die Geschäftsleitung einer Supermarktkette. Er hat es geschafft, Claire, sagte ich. Verstehst du das? Ist schon gut. Ich komm’ mit, hatte Claire geantwortet.
Liebst du mich, fragte ich Claire, als ich mir die Krawatte band, und sie meinte zu mir, offen fahren zu wollen.
Ich raffte das Verdeck runter und die Hitze drosch ins Innere des Wagens, grub sich tief in das dunkle Leder der Sitze. Ihr Parfüm. Kein Wind. Das Licht über den Weihern.
Curt hielt eine schwungvolle Rede. Curt konnte das. Niemand hier konnte es besser als mein Freund Curt. Die Partyzelte leuchteten weiß und darunter fuhr mit einem Male ein Wind, der nichts Gutes ahnen ließ. Die Wolkentürme schoben sich ineinander, verkrallten, verbrüderten sich wie Wegelagerer. Der Himmel begann, seine Farben abzustoßen. Es blieb eine Schwärze, noch tiefer und endgültiger als jene, die Claire und ich schon während der Fahrt hierher beobachtet hatten. Claire. Wo war Claire? Ich hatte sie aus den Augen verloren. Es war dies das eine Zeichen. Das andere kam mit dem Blitz, der donnernd hinter den Eichen unweit der Zelte einschlug. Curts Hund, Wolf, schoss mit eingezogenem Schwanz an mir vorbei. Sein Jaulen ging im jähen Prasseln des Regens unter. Claire hatte gesagt, sie wolle mit Curt plaudern, fiel mir ein.
Im Wagen hatte ich sie gefragt, ob sie so wie ich daran glaube, dass wir es nach allem auch mit uns schaffen würden. Sie hatte gelächelt und kaum hörbar ,Klar, Vincent, klar’ gesagt.
Ich schob mich in Richtung der Küche des Hauses. Ich floh vor der Nässe und meiner Unruhe. Ich wollte ein kaltes Bier. Ich dachte an den Kühlschrank. Nein. Ich dachte an Claire. Es war falsch von mir, dieses eine Bier zu wollen. Gerade jetzt, wo alles ins Haus drängte. Mittlerweile goss der Regen schräg gegen alles, das ihm davonlief. Blitze zuckten um den Teich vor dem Haus und fuhren polternd in das Geäst der Eichen. Der Tag spie wie verrückt seine Hitze gegen den Abend. Dazwischen dann und wann das hohe Jaulen von Wolf, das Gelächter der Partygäste. Einen Augenblick lang sah ich Curt unter dem Vordach der Terrasse, mit vollen Gläsern jonglierend. Curt, rief ich. Curt. Er hatte mich nicht gehört.
Ich fand die Küche. Ich roch von dem, das daraus hervorkroch.
Die Tür lehnte offen in den Angeln. Die Beleuchtung oberhalb der Arbeitsplatten war an. Hinter den Fenstern tobte das Unwetter. Claire hatte ihr klitschnasses Kleid hochgezogen, weit über ihre Knie, bis hoch zu den Hüften. Sie lag auf dem Küchentisch, hatte die Augen geschlossen, schwenkte ein leeres Glas in der linken Hand. Ich starrte auf die helle Haut ihrer Achselhöhlen. Sie hatte ihre Schuhe nicht abgestreift. Claire sagte ,Gib’s mir, Curt’, und dabei schwang ihre Stimme in einer tiefen Zärtlichkeit. Draußen griffen die Blitze wie blind durch den Regen.
Ich wollte nicht stören. Es sah gut aus.
Ich liebe Claire. Doch......
Ihre schönen Stunden sind nicht immer auch die meinen. So ist Claire.
Der Regen spülte die Zelte weg und das Buffet und die Schminke. Vieles knickte dabei, verwässerte, zerrann. Ich denke, dass man vieles dem Regen überlassen kann. Ich fand den Hund von Curt. Wolf lag winselnd unter dem Bretterboden des Laubenganges. Sein Fell war völlig zerzaust und von seiner Schnauze troff Blut. Er musste in seiner Angst gegen etwas Schweres gerannt sein. Gegen das Gatter, die Mauer oder auch gegen einen Fußtritt.
Mit einem Mal ist es vorbei. Ich versuche nicht, mit Claire zu reden.
Der Donner ist mit seinen Blitzen und dem Regen im Gepäck weitergewandert. Ich sitze mit Wolf unter den Eichen. Ich habe eine Flasche Wodka bei mir. Das Geäst über uns trieft. Nebel steigen aus den Wiesen, es ist nicht kalt, nur angenehm nach alldem. Die Fenster des Hauses sind geöffnet. Gelächter und Musik fallen daraus wie Spielzeug für große Kinder. Dort, wo es hinfällt, dort ist Claire. Dort war sie immer. Sie ist wie ein Kind. Sie spielt gerne.
Ich höre den Klang einer Trompete. Er kommt nach draußen zu Wolf und mir. Er schwebt über dem Anderen, das vom Haus aufbricht. Jetzt sind wir zu dritt.
Jericho? Nein. Miles Davis spielt den Blues.
Sag, Wolf, liebt dich Curt?
Die Ohren des Hundes stehen senkrecht. Sein Zittern ist weg.
Ich frage noch einmal.
Liebt er dich, Hund?
Er muss den Bruch in meiner Stimme erkannt haben, das Schwarz, das mir von den Lippen fällt. Hat ihn Curt getreten während des Donners? So wie mich? Sein Fell dampft. Wir genießen uns. Wir sind uns ähnlich. Wir spüren es in unserer ahnungslosen Vertrautheit. Der Wodka schmeckt warm und scharf. Die Zunge des Hundes auf meinem Handrücken ist wie alle heißen Sommerregen dieser Welt. Ich habe Blut von seiner Schnauze auf meinem Hemd. So nahe sind wir uns. Ist gut, Wolf. Ich habe mich mit allem geirrt. Mit dem Haus und dem Wagen und der Schneeschmelze.
Schau, Wolf.
Ich zeige nach oben, nach dem, das über den Eichen wartet.
Sterne brechen dort durchs schwarze Eis am Himmel und die Nacht fällt auf uns drei.