Was ist neu

Mikrokosmos

Mitglied
Beitritt
25.05.2006
Beiträge
11
Zuletzt bearbeitet:

Mikrokosmos

Mikrokosmos

So blicke ich mit flachsender Begeisterung der Sache an sich beim Niedergang zu. Ich sage mal so und mal so, ab und an wiege ich verdächtig den Kopf hin und her und blicke lächelnd drein. Ja lächelnd, nicht zornig, denn um zu zürnen bräuchte es etwas oder jemand, dem mein Zorn gilt. Zornig sein gilt nicht! Fröhlich sei der Mensch, qualvoll, naiv. Was tun? Es sonnt sich die Welt und das jetzt zunehmend auch oben ohne, da es ohnehin keinen mehr berührt, was oder wer da so in der Gegend rumhängt. Die Dünnhäutigen sollen mal bloß die Fresse dicht- und die Augen zuhalten, ohne dabei Zuhälter der Moral zu spielen. „Augen zu und durch“, so fasst es der Volksmund treffend zusammen oder „Wer nicht hören will muss fühlen“. Ich sitze also mal wieder in dem Cafe und freue mich am glücklichen Elend, das vorüber flaniert, stolziert und paradiert, frage mich, ob stolzieren nun wirklich von Stolz kommt und flanieren von Flennen?

Sieh nur, schon wieder so ein junges Glück...und dabei zwei Bälger an der Hand und eins in der Karre. Das liegende schnullernde, fast zweijährige Kind wird Heinrich, die Gehenden Calvin und Luiselotte gerufen, wobei die Mama bei Töchterchen wert darauf legt, dass man es so spricht, wie sie es schreibt: Lu-i-se-lotte. Der Mann an ihrer Seite - Achim Spunkel könnte sein Name sein - ist das der Vater dieser Kinder? Wer weiß das schon. Achim Spunkel wird Angestellter im Einzelhandel sein oder Beamter. Nein, ich bin mir da ziemlich sicher: Er ist Verkäufer für Herrenoberbekleidung und das seit circa siebzehn Jahren. Ein Fachmann und Experte, sofern es nach seinem Vorgesetzten geht. Der ist ein zehn Jahre jüngerer Karrierehecht und lobt Achim Spunkel, wo er nur kann. Holger Hansen heißt der – so denke ich es mir- und ist eine durchaus sportliche Erscheinung, trainiert und weitgehend knallhart, aber dabei absolut Mensch geblieben. Das ist wichtig, dass seine Leute das von ihm sagen: „Ein knallharter Hund, aber immer Mensch geblieben, dabei!“. Das rotblonde Haar Holger Hansens ist immer etwas verwegen und verstrubbelt gegelt, so wie man es heute trägt. Dazu die grünen, irgendwie bestechenden Augen und diese leicht abstehenden Ohren, die Frau Spunkel so niedlich fand, denkt Achim Spunkel ein wenig verstimmt zurück.

Das war, als sie vor zweieinhalb Jahren mit auf der firmeninternen Weihnachtsfeier im Restaurant des Warenhauses war: Mit Anhang! stand auf der Einladung und so hatte er sie mitgenommen. Dann war sie später auch wirklich etwas anhänglich geworden, aber nicht bei ihm. Hatte zuviel getrunken. Das übliche und ermüdend alte Thema. „Diese Öhrchen!“ hat sie ständig gelallt und tatsächlich versucht, seinem Chef das „DU“ anzubieten, ihn sogar „Holgi“ genannt und ihm ständig am linken Ohr herumgefummelt. Der „Holgi“ hat das, denkt Achim achtungsvoll zurück, mit vollendeter Fassung ertragen, so getan, als sei da links nichts los und sein rechtes Ohr voll und ganz seiner damaligen Freundin gewidmet. Das war diese unendlich blonde junge Frau, die heute gar nicht mehr im Betrieb ist. Ihres Zeichens Auszubildende aus den Haushaltswaren, Knöpfe, Zwirnröllchen, Stricknadeln und dabei selber keine Ahnung vom Handarbeiten. Sie wusste das, er wusste das. Ihr war es egal, er billigte diesen Umstand nur ungern. Denn als aufstrebender Abteilungsleiter und zukünftiger Geschäftsführer, so meinte er, hätte er sie gerne bei Fortbildungen für holländisches Hemdblusenhäkeln oder kroatisches Kappenklöppeln gesehen. In Vorbereitung sozusagen auf spätere, qualitativ hochwertige und dadurch doch erst erfüllende Hausarbeit. Da sie sich aber hartnäckig weigert und zudem noch das Wort Fortbildung unnachgiebig mit „V“ schrieb und sicherlich noch schreibt, nahm Holger Hansen zunehmend Abstand von seinem Wunsch und damit auch von ihr.

Zuende war das Ganze bereits drei Wochen nach der besagten Weihnachtsfeier. Alle im Haus gingen davon aus, dass Holger Hansen noch an dem Abend der Feierlichkeit nähere Verbindungen mit Dörte Drölling, einer drallen badischen Brünetten mit starkem Dialekt und in der »Lebensmittel« beheimatet, aufnahm. Achim vermutete, dass es mit Holger Hansen und Dörte Drölling da auf der Feier angefangen haben könnte, als es seiner Frau recht übel wurde und sie die Tafel verlassen musste. Er erinnerte sich nachträglich sehr genau, dass auch Holger Hansen zu dieser Zeit am Tisch fehlte, dessen blonde Freundin jedoch an ihrem Platz war. Ob nun auch Dörte Drölling zu exakt dieser Zeit..., das konnte niemand mit Bestimmtheit sagen. Es ging das Gerücht, sie hätte Holger Hansen beim Sektempfang in anzüglicher Weise vorgeschwärmt, wie faszinierend sie generell und im Besonderen die technische Errungenschaft der Standheizung fände und Hansen hätte ihr daraufhin im Laufe des Abends - sogar mehrfach - die seines Mercedes Coupe vorgeführt, der einsam und verlassen in der dunklen und winterlich kalten Mitarbeitergarage geparkt war. Doch das waren reine Spekulationen, an denen sich Achim Spunkel nicht beteiligte und auch mir, wenn mir diese Bemerkung an dieser Stelle erlaubt ist, liegen solche vagen Annahmen nicht. Nein, eine solche beliebige und rein spekulative Konstruktion von Ereignissen bereitet mir regelrecht Magenschmerzen.

Stattdessen betrachte ich lieber neugierig und mit einem gönnerhaften Lächeln, das allein in den Mundwinkeln leicht angewiderte Züge annimmt, die junge Familie, das junge Glück, welches da vor mir die Straße entlangflaniert. Luiselotte hat sich inzwischen mit ihrem Eis vollgekleckert und Mama schimpft. Ob das sein müsse, fragt sie zornig. Schon die Frage ist dumm, da kann man es wenden und drehen, wie man will. Als Folge dessen gibt Luiselotte nun auch keine Antwort, sondern heult. Papa guckt ein wenig in die Luft und träumt sich vielleicht zu seinen Herrenoberhemden und Krawatten und denkt, dass er eigentlich lieber in der Damenwäsche tätig wäre. Dann wirft er einen liebevollen Blick in die Karre. Dort liegt er, der kleine Heinrich. Sein rotblondes Strubbelhaar, das grünliche, bestechende Funkeln in den großen Kinderaugen und diese niedlichen, leicht abstehenden Öhrchen. Ein kraftvolles, sattes und sehr zufriedenes Kinderlachen dringt aus der Stoffhöhle dem entgegen, der es so hören will.

 

hello Schreibwerker,

sehr dicht geschrieben, der kleine Mikrokosmos. Für eine Satire allerdings zu wenig überzeichnet, denn eigentlich könnte der Text ohne weiteres die Realität abbilden.

Für meinen Geschmack allerdings fehlt dem überheblichen Protagonisten jegliches Augenzwinkern, aus den Zeilen trieft eigentlich nur eines: Pure Verachtung. Und ich bin mir nicht sicher, inwieweit diese Verachtung nicht nur von Neid auf das vermeintliche oder tatsächliche Leben anderer gespeist wird - was die Geschichte nicht unbedingt zu einem Lesevergnügen macht.

Dies fand ich witzig:
'...trainiert und weitgehend knallhart, aber dabei absolut Mensch geblieben. Das ist wichtig, dass seine Leute das von ihm sagen: „Ein knallharter Hund, aber immer Mensch geblieben, dabei!“...' ;-)

Viele Grüße vom gox

 

Hallo Schreibwerker,

ein interessanter Titel, leben wir doch selbst in einem Mikrokosmos und alle kleinen Welten zusammengenommen bilden die Gesellschaft.
Eigentlich zeigt der Text die Realität: Unser Leben, mehr oder weniger erfolgreich, idyllisch, aufregend - letztlich für die meisten Menschen durchschnittlich.


Treffend lakonisch bis zynisch finde ich Formulierungen wie:

„Fröhlich sei der Mensch, qualvoll, naiv.“


„dass man es so spricht, wie sie es schreibt: Lu-i-se-lotte“

(wirkt wie ein krampfhafter Versuch, Individualität zu generieren)

„Ein knallharter Hund, aber immer Mensch geblieben, dabei!“.

(So wird manche Karriere verklärt - obwohl ein `Hund´ schon definitionsgemäß nichts Menschliches hat …)


„Ob das sein müsse, fragt sie zornig. Schon die Frage ist dumm“

(Genau, wie so vieles im Alltag gefragte, gesagte und gemachte)


L G,

tschüß Woltochinon

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom