Was ist neu

Serie Mikesch - Long John Silver (3)

Seniors
Beitritt
20.10.2002
Beiträge
2.639
Zuletzt bearbeitet:

Mikesch - Long John Silver (3)

Im Geiste hab ich ihn Long John Silver getauft – nach dem einbeinigen Schiffskoch aus der Schatzinsel. Er kommt jeden Morgen als Erster ans Vogelhäuschen, vertreibt die anderen Amseln und die Tauben, wenn sie auch etwas von den Haferflocken und Rosinen abhaben wollen. Egoistisch verteidigt er sein Essen, selbst wenn er längst satt ist. Ein bisschen kümmerlich schaut er aus, wenn er auf seinem Beinchen im Schnee herumhopst, aber nicht einmal die Tauben wagen sich an die Futterstelle heran.

Auf der anderen Seite der Glastüre liegt Mikesch auf der Lauer. Platt wie eine Flunder und mit sichelschmalen Augen beobachtet er den schwarzen Vogel. Nur sein rot gekringelter Schwanz zuckt nervös.

Wenn er doch nur einmal durch die Türe flitzen könnte, er würde dem Federvieh schon zeigen, wer in diesem Garten das Sagen hat!

Manchmal ist es anstrengend, eine Wohnung im Erdgeschoß zu haben – ich weiß, wie sehr ich aufpassen muss, wenn ich in der Früh das Vogelfutter auslege. Meistens werde ich dabei misstrauisch beobachtet – gleichermaßen von Long John, der im Gipfel des Apfelbaumes schon auf sein Frühstück wartet, und von Mikesch, der erfolglos versucht, seinen dicken Kopf durch den Türspalt zu schieben, um aus der Wohnung zu stürmen. Im Sommer stand die Glastür immer offen. Damals genügte es Mikesch, in den Glockenblumen zu liegen, sich von der Sonne anscheinen zu lassen und zu dösen. Aber jetzt, im Winter, sticht ihn der Hafer.

Wenn ich dann zurück ins Warme komme und ihm seine Dose aufmache, gibt er nach einigen Minuten den Beobachtungsposten auf. Dem Duft von Kaninchen in Gelee oder Lachs & Thunfisch kann er nicht lange widerstehen. Er ist in diesen kalten Monaten ganz schön rund geworden, das ist nicht alles Winterfell, mein Lieber!

Als ich noch über Katzendiät nachdenke, schießt ein rotweißer Pfeil an mir vorbei, platt und mit angelegten Ohren. Krallt sich den Stamm empor, immer höher, die Amsel als ultimatives Ziel. „Mikesch!“ Meinen Ruf ignoriert er natürlich. Wie kann ich auch hoffen, dass er in so einer Situation auf mich hören würde? Er kann verschmust sein wie kein Zweiter, wenn er abends mit mir fernsieht oder in mein Bett will – aber er ist mindestens genau so stur. John Silver, der Einbeinige, sitzt immer noch auf dem höchsten Ast, schaut aber meinem Kater höflich interessiert bei seiner Kletterpartie zu. Ich hoffe, er überschätzt sich nicht, denn Mikesch ist keine Taube, die vor seinem Gezeter flieht.

Mein Roter hat sich das wohl einfacher vorgestellt: Jetzt balanciert er unsicher auf einem dünnen Zweig, der sich unter seinem Gewicht deutlich biegt. Ziemlich verwirrt schaut er nach oben, wo die Amsel immer noch in der Krone sitzt, und dann nach unten, wo ich nach ihm rufe. Schließlich verzieht er sein Gesicht und miaut kläglich. Es ist ein Wunder, wie dünn und hoch seine Stimme ist – während sein Körper zu dem eines starken Katers herangewachsen ist, klingt sein Maunzen immer noch nach dem kleinen Kätzchen, das ich in der Abfalltonne gefunden habe.

Von der Entschlossenheit, mit der er täglich hinter der Scheibe gelauert hat und mit der er den Stamm hinaufgerast ist, ist nicht mehr viel übrig. Vorsichtig locke ich Mikesch, verspreche ihm seine Lieblingsdose, wenn er nur da runter kommt – Lamm & Rind mit Soße (igitt) – aber er kann sich nicht entscheiden. Wenn ihm die Flucht aus der Wohnung schon einmal gelungen ist, kann er doch nicht einfach so aufgeben – der Gedanke ist ihm deutlich anzusehen.

Während Mikesch also da oben langsam recht nachdenklich herumschwankt, geht Long Johns Geduld dem Ende zu. Auf jeden Fall fängt er plötzlich an mit den Flügeln zu schlagen, hüpft in der Baumkrone herum und zetert, als würde ihm gerade eine Taube sämtliche Rosinen klauen.

Ich habe meinen Kater noch nie so schnell flitzen sehen! Vor Schreck klettert er rückwärts die Äste hinunter, springt die letzten zwei Meter, rennt wie von der Tarantel gestochen ins Haus zurück. Ich laufe hinterher – nicht dass ihm gleich wieder eine Dummheit einfällt …

Aber das ist unnötig. Als ich nachkomme, sitzt er auf seiner Fellburg in der Zimmerecke beim Sofa und putzt sich mit Hingabe den Schnee vom linken Hinterbein. Er schaut kurz auf, dehnt und streckt sich, als ob er eben erst aus dem Schlaf aufgewacht wäre, springt auf den Boden und kommt zu mir. Mit freudig zitterndem Schwanz streift er um meine Jeans und maunzt mich fordernd an. So, als hätte es Long John Silver, den Einbeinigen, nie gegeben. Als wäre nichts gewesen. Und er hätte jetzt gerne seine Frühstücksdose, bitteschön. Aber mit Lamm & Rind, wie versprochen ...

 

Hallo Maus!

Bei dieser schönen Geschichte wurden Erinnerungen an meinen roten Kater, der Mikesch ausgesprochen ähnlich war, hochgespült. Lange her, aber unvergessen. Irgendwann werde ich wieder eine Katze bei mir wohnen lassen ...

Du hast das katzentypische Verhalten sehr gut beobachtet und beschrieben. Auch den einbeinigen Vogel und sein Gehabe konnte ich mir lebhaft vorstellen. :thumbsup:

Hier noch zwei Anmerkungen:

Wenn er doch nur einmal durch die Türe flitzen könnte, er würde dem Federvieh schon zeigen, wer in diesem Garten das Sagen hat!
und:
Er ist in diesen kalten Monaten ganz schön rund geworden, das ist nicht alles Winterfell, mein Lieber!
Soll mit mein Lieber der Kater oder der Leser angesprochen werden? Zweifelhafter Bezug.

Gerne gelesen!


Lieben Gruß
Antonia

 

Hallo Toni,

Dank fürs Lesen und die Anmerkungen. Ist halt mal was leichtes, kleines Zwischendurch. :) Mein Lieber war an die Katze gerichtet. ;) Mal sehen, vielleicht formulier ich noch dran rum ...

Liebe Grüße
Anne

 

Hallo, Maus

Mir hat die Geschichte ziemlich gut gefallen. Ich finde auch, dass du das Verhalten des Katers gut geschildert hast, denn ich musste zwischendurch wirklich stark an meine Katze denken. Ansonsten finde ich die Athmoshäre dieser Geschichte sehr gut, aber wie du schon gesagt hast, ist sie wirklich nur was für zwischendurch, aber das weißt du ja selbst.

Textkram
Ich verstehe diese Passage nicht so richtig!

Und er hätte jetzt gerne seine Frühstücksdose bitteschön.
Fehlen da nicht ein paar Satzzeichen??! Ein Komma?

Liebe Grüße,
Zangan86

 

Hallo Zangan!

Danke fürs Lesen und das Lob! Ein Komma kann ich da noch reinmachen, ja. Wo würdest Du sonst noch welche Satzzeichen setzen? Der Satz soll den Blick des Katers widergeben, der eben jetzt das Versprechen auf seine besondere Dose einfordern will ...

liebe Grüße
Anne :)

 

Hallo, Maus!

Wo würdest Du sonst noch welche Satzzeichen setzen?

Ich dachte, man hätte da vielleicht auch noch mehr als nur ein Komma in den Satz einbauen können, also ihn noch etwas umschreiben können, das ist alles. Aber das ist jetzt nicht mehr nötig.

Liebe Grüße,
Zangan86

 

Hallo Maus,
eine sehr schöne Geschichte, die ohne großem Drama auskommt! ;) Meine Katze benimmt sich oft sehr, sehr ähnlich, das hast du schön beschrieben, die Gefühle und Wünsche der Tiere kommen deutlich rüber.
Nur eine Kleinigkeit:
"Im Sommer stand die Glastür immer offen. Damals reichte es Mikesch aus, in meinen Tulpen zu liegen,": Tulpen blühen jetzt bald, im Frühling, nicht im Sommer!
frühlingshafte Grüße
tamara

 

hallo tamara!

Ja, mit den Tulpen hast Du natürlich ganz klar recht. Die werd ich ausreißen udn etwas anderes pflanzen, wenn ich wieder etwas mehr Zeit am Rechner habe, versprochen! Freut mich, wenn Dir die kleine Beschreibung gefallen hat.

Liebe Grüße und Frohe Ostern,
Anne :)

 

Liebe Anne!

Erst einmal alles Gute zum Geburtstag! Ein viertel Jahrhundert ist ein verdammt schönes Alter – genieß es. :)

Na sowas, da hab ich zwei Teile Deiner Serie gelesen, und der dritte ist völlig unbeachtet an mir vorübergegangen. Aber ich glaube, die anderen waren damals noch keine Serie, oder?

Wie schon in den anderen beiden Teilen, hast Du Deine Liebe zu den Tieren auch hier zu einer schönen Geschichte verarbeitet, die ich sehr gern gelesen hab. :)

Groß was zu kritisieren finde ich da gar nicht.

dem kleinen Kätzchen, das ich in der Abfalltonne gefunden habe.
Sowas ist ja ganz gemein. Ein Freund von mir hat auch mal eine Katze aus dem Mistkübel heulen gehört (das war kein Maunzen mehr) und sie rausgeholt und mitgenommen. Aber die hatte einen schweren Schaden davongetragen, sie stand immer nur herum und schaute dumm. Auch, als er sich eine zweite, ganz junge, zugelegt hat, hat sich das nicht geändert. Ist aber schon lange her und die Katze längst im Katzenhimmel, wo es keine bösen Menschen gibt, die Tiere in Mistkübel stecken.

Ein paar Kleinigkeiten hab ich aber noch gefunden:

»Damals reichte es Mikesch aus, in den Glockenblumen zu liegen, sich von der Sonne anscheinen zu lassen und zu dösen.«
– schöner fände ich »Damals genügte es Mikesch, … und von der Sonne beschienen zu dösen.«

»Und als ich noch über Katzendiät nachdenke, schießt ein rot-weißer Pfeil an mir vorbei,«
– das »Und« würde ich streichen
– ohne Bindestrich: rotweißer

»Er kann verschmust sein wie kein zweiter, wenn er Abends mit mir fernsieht oder in mein Bett will«
– kein Zweiter, wenn er abends

»Allerdings hat sich mein Roter das wohl einfacher vorgestellt:«
– fände ich schöner ohne »Allerdings«, z. B.: »Mein Roter hat sich das wohl einfacher vorgestellt«

»wo die Amsel immer noch in der Krone sitzt, und dann nach unten, wo ich immer noch nach ihm rufe. Schließlich verzieht er sein Gesicht und miaut kläglich. Es ist ein Wunder, wie dünn und hoch seine Stimme ist – während sein Körper zu dem eines starken Katers herangewachsen ist, klingt sein Maunzen immer noch nach dem kleinen Kätzchen,«
– dreimal »immer noch«

»Während Mikesch also da oben langsam recht nachdenklich herumschwankt geht Long Johns Geduld offenbar dem Ende zu.«
– herumschwankt, geht
– »offenbar« würde ich auch eher vermeiden, klingt doch viel besser, wenn Du schreibst: geht Long Johns Geduld dem Ende zu.

»springt die letzten zwei Meter, rennt wie von der Tarantel gestochen«
– würde »von einer« statt »von der Tarantel« schreiben

Das wars auch schon. :)
Eigentlich fast zu kurz für eine Geburtstagskritik :hmm:, aber als ich Deine Geschichte geöffnet hab, hat Mikesch den Moment genutzt … ;)

Alles Liebe,
Susi :)

 

Hallo liebe Susi,

endlich komme ich dazu, auf Deine Kritik einzugehen. Es freut mich sehr, dass Du die Geschichte gelesen hast und dass sie Dir gefallen hat. :) Deine Verbesserungsvorschläge habe ich fast alle umgesetzt, die Fehler selbstverständlich ausgebessert. Es ist lange her, dass ich diese Geschichte selbst das letzte Mal gelesen habe - schön, dass Du sie wieder hervorgeholt hast. Und ich finde die Kritik keineswegs zu lang - die Geschichte selbst ist doch nur eine kleine Episode. ... :)

liebe Grüße
Anne

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom