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Mickey Maus fährt nicht mit dem Zug
Mickey Maus nimmt nie den Zug
Oktober. Ferien. Reisezeit.
Habe beschlossen mit dem Kind in einen der größten Freizeitparks der Welt zu fahren.
Nicht nach Florida. Vielleicht habe ich ja, dank des Entdecker-Gens in unserer Familie, Vorfahren bei den Inkas. Und wenn dem lustig toupierten Präsidenten das nicht gefällt, müssten wir wieder umkehren.
Also geht es nach Paris. Schön in der EU bleiben. Das macht ja vieles einfacher. Dachte ich jedenfalls.
Da ich nun auch schon im fortgeschrittenen Erwachsenenalter bin und meine ganze Kraft für die Attraktionen benötige, fällt eine lange Autofahrt aus. Mich erwarten dort schließlich Geräte, in denen sowohl das Hirn als auch die Innenausstattung und der tragende Umbau meines massigen aber doch fragilen Körpers, in unmenschlichen Weise durchgeschüttelt werden.
Schön entspannt über alle Staus und Widrigkeiten der staubigen Straßen hinwegfliegen. Das klingt doch gut. Von jedem halbwegs befestigten Flugplatz in Deutschland kommt man heute problemlos nach Paris. Wer mehr von der Welt sehen möchte, kann auch Routen wählen, die ein Umsteigen erfordern. Man überlege sich das. Bei eigentlich 1 ½ Stunden Flugzeit, vorher noch ein zweistündiger Umweg über Amsterdam. Schön, hat man das auch mal gesehen.
Während ein normaler Flug Berlin-Paris relativ kostengünstig zu bekommen ist (solange man zwischen 04:00 und 06:00 Uhr morgens fliegt), wird es beim Rückflug schon wesentlich kostenintensiver. Ein Flug von Frankreich nach Deutschland kostet gern mal das Dreifache wie der Hinweg. Der Verschwörungstheoretiker in mir fragt sich jetzt natürlich, was das soll. Vielleicht versuchen die Franzosen ja, ihren ehemaligen Kriegsfeind zu entvölkern. Wenn alle deutschen Fluggäste aus Mangel an Geld für den Rückflug, in Frankreich bleiben und irgendwann eingebürgert werden, wird es hier bei uns ganz schön leer. Wir verlieren unseren Platz als Wirtschaftsmacht und stellen für kein Land der Welt mehr eine eventuelle Bedrohung dar. Dann sind Biertrinker und Camemberthasser unter sich. Die Franzosen machen kein Minus dabei. Der Verkauf von Wein, Käse und klitzekleinen Autos bricht ja nicht ein. Die Umsätze bleiben gleich im Heimatland.
Nun gut, versuchen wir es einmal mit der Bahn. Heißt es nun „Die Bahn“ oder doch noch "Deutsche Bahn" oder "Bundesbahn"? „Die Bahn“ so wie „Der Stuhl“ oder „Das Schiff“? Auf der Homepage lese ich "Meine Bahn". Um Gottes Willen. Ich bin doch schon Besitzer einer Krankenkasse, eines Kinos und einer Schnellimbisskette.
Nach etlichen erfolglosen Anläufen gebe ich den Versuch eine Onlinebuchung zu tätigen auf. Ich drucke mir die am besten passenden Verbindungen aus und besuche das Reise Service Center im Bahnhof.
Da ich hier erstmalig zu Gast bin, entgeht mir natürlich der Ticketschalter, welcher hinter einer Säule verborgen ist. Ich reihe mich in die Schlange ein und gehe im Kopf die Fahrzeiten durch. Nach „nur“ 15 Minuten bin ich endlich an der Reihe. Die nette Dame hinter dem Schalter weißt mich aber darauf hin, dass ich vergessen hätte mir ein Ticket zu ziehen. Ich muss dies nachholen und mich wieder hinten anstellen. Glücklich stelle ich fest, dass ich nicht der einzige Ignorant bin, der sich hier mit den Gepflogenheiten nicht auskennt. Immer wieder werden servicesuchende Fahrgäste von den netten Damen zurückverwiesen, um sich ein Ticket zu ziehen und erneut in die Schlange einzureihen. Somit dreht sich unsere Schlange eigentlich im Kreis. Nur hin und wieder springt ein höchstwahrscheinlich Intellektueller oder ehemaliger Mitarbeiter von „Die Bahn“ aus der Schlange ab, weil er sich vorher ein Ticket gezogen hat. Schwächeopfer die einfach umgefallen sind, werden liegen gelassen. Die Reinigungskräfte fegen diese zur Nacht vor die Tür. Nach weiteren 15 Minuten, die mir jetzt allerdings viel kürzer erscheinen weil es sozusagen ein Entertainment gratis dazu gibt, bin ich nun doch endlich an der Reihe. Mit Vollgas aus der Pole Position. Stolz lege ich mein Ticket auf den Tresen und hole meine Notizen hervor. Begeistert schaut mir die Servicedame entgegen und wir beide hoffen, dass ich in 10 Minuten glücklich den Raum verlassen werde. Weit gefehlt. Die Computer sind mal wieder extrem langsam, die Serviceline ist besetzt und der einzige kompetente Wissensträger im Urlaub. Nach über einer Stunde müssen wir frustriert abbrechen. Der Mensch ist fast schon so weit wie die Technik. Aber eben nur fast. Ich hinterlasse eine Notiz mit meinen gewünschten Fahrzeiten und meinen Kontaktdaten in der Hoffnung, dass ich in zwei Wochen, wenn ich wieder vorsprechen darf, eine ausreichende Auskunft erhalten werde. Es hat sich nämlich als überaus schwierig herausgestellt, die Verbindung von Berlin nach Paris zu buchen. Zwei der größten Hauptstädte in der Europäischen Union und es ist nicht möglich eine durchgehende Bahnfahrt zu organisieren. Die vielen kleinen Fragezeichen auf dem Bildschirm kann auch die Servicedame nicht deuten und so kann sie mir keine hilfreichen Dienste erweisen. Da ich den restlichen Nachmittag dann doch nicht in diesen Räumlichkeiten verbringen möchte sondern lieber noch ein bisschen Sonne erhaschen wollte, verlasse ich die heiligen Hallen und verspreche in 14 Tagen wieder zu erscheinen. Vorbei an den aschfahlen Gestalten in der Warteschlange trete ich wieder ins Freie.
Bei meinem nächsten Besuch bin ich schon viel schlauer. Ich ziehe mir ein Ticket. Leicht belehrend weise ich Neuankömmlinge darauf hin, dass sie sich nicht einfach ohne Ebenjenes anstellen können. Ja wo leben wir denn. Soll hier alles im Chaos versinken?
Wunderbar. Diesmal warte ich nur 5 Minuten. Drei Chaoten, die nicht auf meinen wohlgemeinten Ratschlag eingegangen sind, müssen wieder neu ans Ende der Schlange. Richtig so. Erziehung endet nicht in der Schule.
Ich trete voller Elan an den „Desk“ und mache Bekanntschaft mit einer anderen Servicemitarbeiterin, die natürlich keine Ahnung von meinem Anliegen hat und sich noch wünschen wird, nicht eben mal eine Zigarette rauchen gegangen zu sein. Sie bewaffnet sich mit Ihrem Telefon und bekommt Unterstützung von einer zweiten Kollegin. Ich bin nicht eingeschüchtert sondernn optimal vorbereitet. Alle Verbindungen sind feinsäuberlich recherchiert und notiert.
Die kleinen Fragezeichen und roten Ausrufungszeichen lösen sich auch diesmal nicht in Wohlgefallen auf. Problem 1: Einige Teilstrecken werden nur von der französischen Bahn befahren. Was mir jetzt auch logisch erscheint, da ein großer Teil der Strecke in Frankreich, durch Frankreich führt.
Diverse Züge der französischen Bahn kann man aber nicht in Deutschland buchen. „Vielleicht können Sie das dort im Zug machen.“ Aha. Man lernt doch immer dazu. Hat der Schaffner dann auch eine Übersetzungs-App und ein EC-Lesegerät? Ich frage lieber nicht laut. Und was genau bedeutet, vielleicht? Problem 2: Da „Die Bahn“ in ihrer wirtschaftlichen Weitsicht Auto- und Nachtzüge abgeschafft hat, kommen diese nun aus unserem schönen Nachbarland Österreich. Um nachbarschaftliche Hilfe zu leisten ist die ÖBB mutig in die Bresche gesprungen und macht munter Kohle mit übermüdeten deutschen Fahrgästen. Sie hat den Markt für sich entdeckt und just fahren seit einigen Jahren Züge der ÖBB des Nachts durch Deutschland, um vereinsamte schlaftrunkene Gäste aufzunehmen und gut gebettet durch die Nacht zu bringen. Allerdings macht die Buchung natürlich auch wieder Schwierigkeiten. Galant bekomme ich einen ICC bis zur Grenze angeboten. Ich lehne dankend ab. Am Schalter neben mir steht eine süße Brünette. Ich möchte ihr in die Wade beißen. Bin ich etwa unterzuckert?
Nach zwei Telefonaten mit der Zentrale stellt sich leider heraus, dass ich den avisierten Nachtzug nicht nehmen kann. Der Einzige für mich in Frage kommende Bahnhof, kann just in dieser einen Nacht nicht angefahren werden. Wegen einer Baustelle. Gut sage ich, dann verschiebe ich meine Fahrt um einen Tag. Die Dame lächelt schon seit einigen Minuten nicht mehr. Das ganze Spiel beginnt von vorn. Zwischenzeitlich bringt die zweite Kollegin von hinten einen Zettel, der sich als meine zwei Wochen alte Notiz für eine interne Bearbeitung durch das Servicecenter herausstellt. „Das ist doch dann bestimmt von Ihnen. Konnten wir nämlich nichts mit anfangen“.
Eine cirka 90jährige Dame mit Rollator bietet mir ihren Sitzplatz im Wartebereich an. Offensichtlich erscheine ich dehydriert und durch das lange Stehen auch etwas blass. Ich will jetzt aber nicht aufgeben. Nach einem nächsten Telefonat mit der Zentrale werde ich belehrt, dass ich einen Nachtzug erst nach 6 Uhr morgens wieder verlassen darf. Meine Aussteigezeit ist aber 5:55 Uhr. Nein, ich könnte zwar den Nachtzug buchen, wenn ich aber vor 6 Uhr aussteige, muss ich einen Sitzplatz nehmen. Mein Einwand, dass diese 5 Minuten ja wohl sowieso durch Verspätung entstehen werden, stößt auf keinerlei Gegenliebe. So gesehen müsste ich also noch ein paar Meter weiter mit dem Zug fahren und könnte pünktlich 06:01 Uhr abspringen. An dieser Stelle bin ich froh nicht das Gleichgewicht oder gar die Besinnung verloren zu haben. Weder ich, noch die Servicedamen haben noch die Kraft weiter zu machen. Ich schäme mich den Schalter so lange blockiert zu haben und gehe gebeugt in Richtung Ausgang. Applaus aus der Warteschlange. Ich denke, so eine Fahrt mit dem Auto könnte doch ganz entspannt werden.