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Meyer's Motel
Jerry Smith stand mit geschulterter Pumpgun vor Meyer‘s Motel und genehmigte sich einen Drink. Der goldene Stoff bahnte sich einen Weg durch seine raue Kehle, befreite seine Gedanken angenehm vom verhassten Kupfergeschmack des Blutes und breitete sich mit der typisch rauchigen Freiheit eines guten Whiskey in seinem ganzen Körper aus. Smith grinste dreckig. Er ließ den Flachmann in seiner Gesäßtasche verschwinden und griff sich seine Pumpgun. Mit einem lauten Krachen lud er durch, ließ seinen Nacken zwei Mal knacken und nahm Anlauf. Die Tür zerbarst in einer einzigen Staubwolke. Als sie sich gelichtet hatte, sah er die Augenpaare von mindestens zwanzig wandelnden Leichen auf sich gerichtet.
»Sorry, aber die Tür klemmt...«
»Verfluchte Groschenromanscheiße.«
Ich lachte leise auf, teils aufgrund des witzigen Spruchs der Romanfigur, teils wegen meiner überzogenen Reaktion auf die Schundliteratur in meinen Händen. Ich schloss das Heft und betrachtete das billig aufgemachte Cover. Metzelei in Meyer's Motel. Wie das schon klang.
»Meyer. Jim Meyer.« So hatte er sich vorgestellt, der sympathische, aber etwas grobschlächtige Besitzer von Meyer's Motel.
»Tom Willman, angenehm.« Über dem Tresen reichten wir uns die Hände. »Ich hätte gerne ein Zimmer für heute Nacht.«
Der Schnauzbart meines Gegenübers zuckte kurz. Er musste ein Relikt aus den Achtzigern sein, das nun Meyers raues Gesicht dominierte. »Natürlich wollen Sie ein Zimmer. Wegen der schönen Natur ist noch niemand hier vorbeigekommen.« Er ließ ein kränkliches Röcheln hören, das ich als Lachen interpretierte. »Wir haben auch noch was frei, aber ich bin noch nicht dazu gekommen, sauberzumachen. Wenn Sie noch ‘ne halbe Stunde warten, können Sie gleich hierbleiben.«
Ich war einverstanden und ließ mich auf ein abgewetztes Sofa gegenüber der Rezeption fallen. Wenn ich so an die vergangenen anderthalb Tage zurückdachte, kamen sie mir merkwürdig ziellos vor, als ob die Reise, zu der ich so entschlossen aufgebrochen war, sich vor ihrem Ende drückte. Doch bevor ich ins Grübeln verfallen konnte, stand Jim Meyer vor mir und hielt mir etwas unter die Nase.
»Ein kleines Begrüßungsgeschenk zum Zeitvertreib«, sagte er. »Hat zwar nichts mit unserm Motel hier zu tun, aber vielleicht haben Sie trotzdem Spaß dran.«
Dankend nahm ich das Heftchen an. 40 graue Seiten auf flattrigem Zeitungspapier. Es zeugte nicht gerade vom Literaturgeschmack des Schenkers, aber zumindest von seinem angenehm schwarzen Humorverständnis.
Sofort wandten sich die Horden der Untoten Smith zu und wankten los, die Arme ausgestreckt und grauenhaft stöhnend.
»Ihr wollt Hirne? Ihr bekommt Hirne!«
Ein ohrenbetäubender Knall durchschnitt die Luft, als eine unzählbare Masse an Projektilen begann, sich ihren Weg aus dem abgesägten Lauf von Smith‘ Waffe zu bahnen. Nur Bruchteile von Augenblicken später schlugen sie im Brustkorb eines Zombies ein. Der Wiedergänger wurde in mehreren Stücken nach hinten geschleudert, seine stinkenden Innereien flogen durch den ganzen Raum, bis sie schließlich mit einem ekelhaften Klatschen gegen die Wände prallten.
»Rest in Pieces«, grinste Smith.
»Mister Willman.« Die Stimme riss mich aus meiner Lektüre. Offensichtlich war meine Überraschung nicht zu übersehen, denn als ich Meyer anschaute, hatte er ein schiefes Grinsen auf dem Gesicht. »Ihr Zimmer ist fertig.«
Ich schloss den Groschenroman und hielt ihm meinem Gegenüber hin.
»Ach, das können Sie behalten. Es scheint Ihnen ja zu gefallen.«
Ich nahm meinen Koffer und folgte Meyer durch die Eingangstür nach draußen und um das Haus herum. Es hatte inzwischen zu schneien begonnen, doch obwohl es bitterkalt war, schienen die Flocken einfach zu verdunsten, sobald sie den Boden berührten. Schließlich standen wir in einem kleinen Hof, der an drei Seiten von insgesamt zwölf aneinander anschließenden Appartements umgeben war. Der Motelbesitzer hielt kurz inne, um mir einen kleinen Rundblick zu ermöglichen, ging schließlich in Richtung des Appartements mit der Nummer Drei. Er schloss meine Tür auf und überreichte mir den Schlüssel, dann wünschte er mir einen angenehmen Aufenthalt und verabschiedete sich.
Nachdem ich mein Gepäck abgestellt hatte, atmete ich kräftig durch. Ein stockiger, grauenvoller Geruch drang mir in die Nase, fraß sich direkt in meine Eingeweide und löste eine spontane Übelkeit aus. Die Tür knallte lautstark gegen die Fliesen, als ich ins Badezimmer stürmte. Ich riss den Toilettendeckel auf und kniete mich vor die Schüssel, doch als ich mich nach einigen Minuten noch nicht übergeben hatte, stand ich wieder auf und ging zurück ins Zimmer. Mit vier Schritten durchmaß ich den Raum, bis ich beim einzigen Fenster angelangt war. Mit großer Kraft zog ich am Fenstergriff, um frische Luft hereinzulassen, doch der Hebel bewegte sich keinen Inch. Das verdammte Ding klemmte.
Resigniert wandte ich mich vom Fenster ab und ließ meinen Blick durch den Raum schweifen. Er kam mir seltsam bekannt vor. Merkwürdig. Mir war fast, als wäre ich hier schon einmal gewesen.
Mein Blick fiel auf den Groschenroman, den ich zuvor achtlos auf ein kleines Sideboard in der Nähe der Tür geworfen hatte. Wenige Augenblicke später hielt ich das Heftchen wieder in meinen Händen und durchblätterte es aufgeregt. Schließlich hatte ich die Textstelle gefunden. Das war es. Ohne Zweifel.
Jerry Smith betrat das Zimmer. Sofort stieg ihm ein merkwürdig vertrauter Geruch in die Nase, der ihm aus irgendeinem Grund einen kurzen Schauer über den Rücken jagte. Er schaute sich um. Er konnte nicht sagen, wie oft er schon in Appartements wie diesem übernachtet hatte. Ein abgewetzter, senfgelber Teppich tauchte den ganzen Schlafraum in einen antiken Sepiaton, der in einem unschönen Kontrast zu den mintgrünen Vorhängen stand. Das weiße Doppelbett war mit einer ehemals bunten, nun völlig ausgeblichenen Tagesdecke bezogen, neben dem Kopfende standen an beiden Seiten kleine Nachttische, auf denen zwei stark angestaubte Leselampen platziert waren. An der Decke drehte ein Ventilator stoisch seine Runden, war im Kampf gegen die stickige Luft jedoch hoffnungslos unterlegen.
»God bless this mess«, murmelte Smith und durchquerte in langsamen Schritten den Raum. Er ließ sich auf das Bett fallen und war gerade an der Schwelle zum wohlverdienten Schlaf, als
Es klopfte.
Ein unsagbarer Schock durchfuhr meinen Körper bis ins letzte Glied, meine Schultern zuckten unwillkürlich an meine Ohren, mein Herz setzte für einige Schläge aus, mein Atem stockte. Dann wurde mir allmählich wieder klar, wo ich mich befand. Ich wandte mich zur Tür und riss sie etwas hektischer auf, als es angebracht war. Dunkelheit.
Einen Schritt nach draußen setzend schaute ich mich um, doch nirgendwo im Hof war eine Menschenseele zu sehen, die für das Klopfen hätte verantwortlich sein können. Verwirrt trat ich wieder in mein Zimmer und ließ die Tür zurück ins Schloss fallen.
Kein Grund zur Beunruhigung. Wahrscheinlich wollte Meyer noch irgendetwas von mir und ich hatte sein Klopfen ein paar Mal überhört.
Der Groschenroman musste mir in meinem Schreck auf den Boden gefallen sein. Ich betrachtete ihn lange, als erwartete ich von ihm eine Erklärung. Eine beängstigende Gewissheit breitete sich in mir aus. Das Motel in der Geschichte war genau das, in dem ich heute übernachten wollte. Schlimmer noch: Auf irgendeine unheilvolle Weise schienen sich die Ereignisse im Roman mit meinem eigenen Leben verbunden zu haben.
Ich schüttelte meinen Kopf, um diesen albernen Gedanken zu vertreiben. Wahrscheinlich hatte Meyer das Ding selbst geschrieben und einfach Spaß daran, seinen Gästen einen kleinen Schrecken einzujagen. Ich musste zugeben, dass ihm das gelungen war. Mir war immer noch ein wenig unwohl.
Es war schon spät. Nachdem ich meine Kultursachen aus meinem Koffer geholt hatte, ging ich ins Badezimmer und griff mir mein Zahnputzzeug. Das Zahnputzglas des Motels stellte ich ins Waschbecken und drehte den rostigen Wasserhahn auf. Entgegen meiner Erwartung trat jedoch kein Wasser hervor, sondern lediglich das unangenehm glucksende Geräusch einer luftigen Leitung...
Das grauenerregende Röcheln des dahinsiechenden Zombies nagte sich auf abscheuliche Weise in Jerry Smiths Gehörgänge und jagte selbst ihm einen Ekelschauer über den Rücken.
Plötzlich schoss das Wasser mit großem Druck aus dem Hahn, bespritzte mich und holte mich wieder in das echte Meyer's Motel zurück. Ich schüttelte mich kräftig durch. Hör auf damit. Der Minzgeschmack der Zahnpasta brannte auf meinem Zahnfleisch und lenkte mich von diesem grauenhaften Roman ab, der mir wieder und wieder durch den Kopf spukte. Ich verfluchte Meyer und sein beschissenes Begrüßungsgeschenk.
Mit der rechten Hand griff ich nach dem Zahnputzglas. Ich ließ mir das Wasser in den Mund laufen, als es mit einem nervenzerfetzenden Klirren in meiner Hand zerplatzte. Ein brennender Schmerz an meinen Lippen ließ mich qualvoll aufschreien, von meiner vollkommen zerschnittenen Hand tropfte Blut ins Waschbecken. Im Reflex hatte ich mich verschluckt und musste nun husten, das Blut spritzte in einer Fontäne aus meinem geschundenen Mund und besudelte den ganzen Spiegel. In verschmierten Bahnen liefen die einzelnen Tropfen die Glasfläche herunter und hinterließen rote Schlieren. Der Hustenreiz wurde immer stärker, gleichzeitig schlug mir der widerliche Kupfergeschmack auf den Magen. Ich musste mich auf der Stelle übergeben. Mein kompletter Mageninhalt klatschte in einem widerlichen Schwall in das Waschbecken, wo das Erbrochene mit dem Blut eine abscheuliche Melange ergab.
Ein letzter Untoter war noch übrig. Smith, nunmehr ohne Munition, griff den Lauf seiner Pumpgun und schwang sie mit voller Wucht in Richtung Zombie. Der Kopf seines Widersachers flog im hohen Bogen durch die Luft, dann war endlich Ruhe. Knöcheltief stand Smith nun in den Gedärmen und dem schwarzen Blut der Wiedergänger.
Er keuchte heftig und verzog seinen Mund zu einem dreckigen Grinsen. »Zimmerservice bitte.«
Es klopfte erneut.
Ohne auch nur einen einzigen Gedanken an mein schauderhaftes Aussehen zu verschwenden, rannte ich zur Tür, den Boden mit Blut besprenkelnd. Erneut riss ich an der Klinke... Doch die Tür bewegte sich nicht. Ich war eingesperrt! Kalter Angstschweiß trat auf meine Stirn und perlte mein Gesicht hinab, als ich erneut mit aller Kraft an der Klinke riss. Nichts zu machen. Mein Puls beschleunigte sich immer stärker, ein unermessliches Grausen erfüllte meinen ganzen Körper.
Da wurde ich eines leichten Luftzugs gewahr, der das Zimmer erfüllte. Hektisch suchte ich dessen Ursprung, als mir schlagartig bewusst wurde, dass das Fenster offen stand. Das war meine Fluchtmöglichkeit.
Ohne mich wirklich dazu zu entscheiden, sprintete ich los, doch als ich schon zum Sprung angesetzt hatte, schlug das Fenster zu. Mit voller Wucht knallte ich gegen die Glasscheibe und federte zurück. In einem schmerzhaften Sturz schlug ich am Boden auf. Eine nie gekannte Panik fuhr mir in alle Glieder, als ich sah, dass die Schnittwunden an meiner rechten Hand blutige Schleifspuren auf dem Glas hinterlassen hatten.
Mit wahnsinnigen Schmerzen kämpfte ich mich wieder auf die Beine. Ich nahm etwas Anlauf und stürmte in großer Verzweiflung erneut auf das Fenster zu, dieses Mal mit dem Fuß voran. Ein dumpfes Geräusch ertönte, als ich gegen das Glas trat, aber die Scheibe blieb ganz. Erneut ging ich auf einige Distanz zum Fenster, um es ein weiteres Mal mit größerer Wucht zu probieren. Da klopfte es schon wieder, jetzt mit großem Nachdruck. Jemand rüttelte kräftig an der Tür und mir war, als könnte ich eine Stimme von draußen vernehmen. Da war jemand.
Meine unermesslich große Furcht machte mich entschlossen. Blitzschnell spähte ich durch das Zimmer, um irgendetwas zu finden, was auch nur entfernt an eine Waffe erinnerte. Das einzige, was mir ins Auge fiel, war ein Kugelschreiber von Meyer‘s Motel. Besser als nichts. Ich griff den Stift mit meiner blutverschmierten rechten Hand und hielt ihn wie ein Messer nach oben, als ich mit entgeisterter Geradlinigkeit auf die Tür zumarschierte.
Mein letzter klarer Gedanke gilt meiner Frau.
Mit einem gewaltigen Ruck reiße ich die Tür auf. Wie in Zeitlupe nehme ich das Gesicht meines Peinigers wahr, die freundliche Maske des Menschen, der für mein Martyrium verantwortlich ist, die Visage von Jim Meyer, mit seinem albernen Schnurrbart und den ungepflegten, grauen Haaren. Sein penetranter Moschusduft sticht in meine Nase. Ich werde nie den Blick in seinen Augen vergessen. Sie weiten sich in plötzlicher Todesangst, füllen sich in Bruchteilen von Sekunden mit einem Ausdruck unaussprechlicher Panik, reißen blitzartig auf, als würden sie kreischen wollen. Das alles passiert noch, bevor ich meinen Kugelschreiber mit aller Kraft in seine Kehle steche. Blut quillt in erquicklichen Strömen aus seinem Hals und fließt lebenswarm über meine eiskalte Hand, injiziert überschwänglichen Mut in meine Adern, erfüllt mich mit einer mysteriösen Anwandlung von Glück. Er kann nicht mehr als ein erbärmliches Röcheln von sich geben, das unverkennbare Geräusch eines Sterbenden im erbitterten Todeskampf, von dem jeder weiß, dass er aussichtslos ist. Er öffnet seinen Mund zu einem letzten, ewig stummen Schrei, als ich den stumpfen Gegenstand immer und immer wieder in seine Hauptschlagader ramme. Ich bin wie im Rausch. Sein Gesicht verzieht sich zur gequälten Fratze, er sinkt in enervierender Langsamkeit auf seine Knie, stöhnt ein letztes, jämmerliches Mal. Gemächlich und fast genussvoll schließe ich meine Augen. Erneut schlage ich zu, lege alle Gewalt in diesen Stich, grabe den Stift tief in seine Augenhöhlen, stecke ihn schließlich, als mein Opfer endlich am Boden liegt, so weit ich kann in seine Brust, treibe ihn wie einen Pflock in sein kaltes Herz, das schon lange zu schlagen aufgehört hat.
aus dem Chicago Tribune vom 16.04.1999, S. 3, Randspalte:
Motel-Mörder lebenslänglich hinter Gittern
(AP) Dowell. Der als 'Motel-Mörder' bekannt gewordene Tom W. ist am Mittwoch zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. W. hatte im Januar vergangenen Jahres den Motelbesitzer Jim Meyer brutal ermordet. Als Motiv stellten die Richter Eifersucht fest: Wie sich im Laufe der Ermittlungen herausstellte, hatte Meyer eine langjährige Affäre mit W's Frau. Die Anwälte des Verurteilten hatten zuvor auf Unzurechnungsfähigkeit plädiert.