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Meuchel-Morchel

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17.04.2007
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Meuchel-Morchel

Flinkie war vor einigen Tagen verschwunden. Das war für sich nichts Ungewöhnliches, war sie doch einst Lenas Großmutter zugelaufen und streifte oft herum. Doch vor ihrem Verschwinden verhielt sie sich merkwürdig, fauchte das Mädchen an und ließ sich nicht mehr streicheln. Dann rieb sie sich den Kopf an einer Hausecke auf und kratzte sich das Fell blutig. Jetzt war die getigerte Katze verschwunden. Lena weinte vor Angst um das Tier. Die Mutter tröstete das Mädchen und versprach, dass sie sich umhören werde, wer die Katze gesehen hatte. Vielleicht war sie im Nachbardorf jemandem zugelaufen.
Der freundliche Nachbar wollte Lena beruhigen und schlug vor, ihn auf den Spaziergang durch den Wald mit seinem Hund Sendi zu begleiten.
"Vielleicht hat sich Flinkie verlaufen, dann kann Sendi ihre Spur aufnehmen. Wenn wir nichts finden, dann ist die Katze wahrscheinlich ins Nachbardorf gelaufen und taucht bald wieder auf. Okay?"
Lena schniefte und ließ sich von dem Schäferhund tröstend die Hand lecken. Die Luft im Wald tat dem Mädchen gut und sein Hals brannte kaum noch. Es spielte mit Stöcken, suchte Pilze und hatte fast die Trauer vergessen. Sendi streifte ziellos schnuppernd herum und markierte ein paar Bäume. Plötzlich hob er den Kopf, schnupperte wieder und lief auf ein Tannenwäldchen zu, in dem er verschwand.
"Bestimmt hat er wieder einen toten Vogel oder einen Dachsbau gefunden", erklärte der Nachbar und sie folgten dem Hund.
Hinter dem Tannenwäldchen setzte sich der Laubwald in einer Senke fort, an deren tiefsten Stelle sich Wasser zu einem Tümpel angesammelt hatte. Im Schilf an seinem Rand leuchtete grau-gestreiftes Fell hervor, an welchem Sendi schnupperte und dann erwartungsvoll zu Herrchen schaute. Erschrocken lief Lena darauf zu - und heulte sirenengleich los. Flinkie lag reglos da.
"Wir müssen sie zu einem Arzt bringen", jammerte Lena und machte sich daran, den toten Körper aufzuheben.
"Nein!"
Lena sah den Nachbarn mit großen Augen an.
"Lass sie liegen, sie könnte krank sein. Ich komme nachher mit einem Beutel zurück und hole sie, okay? Jetzt hör auf zu weinen, deine Eltern schenken dir bestimmt eine neue Katze. Sendi, weg da!"
Der Hund hörte augenblicklich auf, unter dem Kadaver herumzuscharren und schaute Herrchen fragend an. Lena war kaum zu beruhigen, der Nachbar musste sie nach Hause tragen. Kurz erzählte er ihrer Mutter, was geschehen war, bevor er in seinem Garten verschwand. Heute hatte er keine Lust mehr, die tote Katze zu holen und nahm es sich fest für morgen vor.
"Wir kaufen ihr keine Katze, schlimm genug, dass Oma ständig welche anfüttert", entschieden Lenas Eltern und ärgerten sich über den Nachbarn, der dem Mädchen dieses leere Versprechen gegeben hatte. Doch Lena wollte ohnehin keine andere Katze und weinte sich in den Schlaf.
Am Morgen betrat die Mutter das Kinderzimmer, um Lena für den Kindergarten fertig zu machen, doch das Mädchen maulte, dass es sich schlecht fühlte und stopfte den Kopf unter das Kissen. Vorsichtig fühlte die Mutter dem Mädchen die fiebrige Stirn, entschied das Mädchen zu Hause zu behalten und sagte der Oma telefonisch Bescheid, bevor die Mutter zur Arbeit fuhr. Der Vater war nachts zur Arbeit gefahren.
Daraufhin brachte die alte Frau Kamillentee und Kekse herüber und erzählte Lena die Geschichte vom Katzenhimmel, wo Flinkie den ganzen Tag auf Steinen in der Sonne lag und nach Herzenslust Sahne und gegrillte Mäusespieße naschte. Lena maulte immer noch, hörte aber halbwegs interessiert zu und stürzte sich durstig auf den Kamillentee. Dann entschied die Oma, dass das Mädchen ausruhen und schlafen sollte und setzte sich in die Wohnstube vor den Fernseher, weil sie zur Sicherheit in der Nähe des Mädchens bleiben wollte.

Unterdessen stand der Nachbar auf, nahm sich einen gelben Sack und ging mit Sendi in den Wald. Kaum hatte er den Tümpel erreicht, trat er ungläubig näher. Es sah aus, als wäre der Kopf der Katze mit Reif überzogen, obwohl es zu warm dafür war. Beim näheren Hinsehen erinnerte es an Schimmel. Er packte den Kadaver in den Sack und beschloss, ihn sicherheitshalber zu verbrennen.

Die Oma hörte einen Schlag und lief sofort zu Lena, die anscheinend aus dem Bett gefallen war und sich die Nase aufgeschlagen hatte. Die alte Frau griff sich ans Herz, als sie das Blut sah, erbleichte und schickte das Mädchen mit abgewandtem Gesicht ins Bad zum Waschen.
Als die Nase sauber war, blieb Lena am Waschbecken stehen und hielt die Hände ins fließende Wasser.
"Jetzt ist aber genug", bestimmte die Oma angesichts dieser Verschwendung und schlug auf den Hebel.
Das Mädchen gab einen wütenden Laut von sich und öffnete den Hahn wieder.
"Das müssen deine Eltern alles bezahlen", erklärte die Oma, "und wenn du es so lange laufen lässt, werden sie arm und können dir keine schönen Sachen mehr kaufen und ihr müsst umziehen. Willst du das?"
"Mir egal", antwortete Lena, die die Drohungen der alten Frau nicht ernst nahm, seit sie wusste, dass diese nie eintrafen.
"Komm, es ist genug", bestimmte die Oma und zog das schreiende und zappelnde Kind vom Waschbecken weg. "Sei lieb, oder ich erzähl das deiner Mutter, die schimpft dann mit dir."
"Blöde Oma, lass mich los!"
Da kam der alten Frau ein Einfall. Sie ließ das Kind los, das zurück zum Waschbecken lief und sagte: "Ich stell dir eine Schale Wasser ans Bett und geb dir einen feuchten Lappen für die Stirn, okay?"
Das Mädchen nickte und beruhigte sich. Kaum lag es mit seinem Lappen im Bett, schlief es ein.
Am Nachmittag kam die Mutter von der Arbeit zurück. Die Oma sagte ihr, sie solle mit dem Kind zum Arzt gehen und verließ das Haus noch rechtzeitig für ihr Kaffeekränzchen. Im Kinderzimmer sah die Mutter nach dem Rechten, die Schale war leer und Lena klagte über Schlechtsein und Nasenbluten. Die Mutter dachte an eine Erkältung und meldete das Kind für die nächsten Tage vom Kindergarten ab. Am Abend rief sie die Oma an und fragte, ob diese auch die nächsten Tage auf Lena aufpassen konnte.
"Selbstverständlich", sagte die Oma mit leichter Abneigung in der Stimme, traute sich aber nicht, abzulehnen. "Übrigens war Sven im Kindergarten heute auch krank", tratschte die Oma. "Er war ganz gnatschig, wie Lena, und hat die anderen Kinder gehauen und getreten. Fieber hatte er auch und musste abgeholt werden. Bestimmt geht eine Grippewelle um, es ist jedes Jahr das Gleiche, sage ich dir ..."
Die Mutter dankte ihr und legte auf. Sie gab dem Mädchen Hühnersuppe und ging bald darauf zu Bett.

Nebenan schlief der Nachbar noch lange nicht. Vom Fernseher schaute er beunruhigt auf Sendi, der ihn traurig anschaute und vor sich hin schmatzte, obwohl er nichts aß. Alle paar Sekunden öffnete der Schäferhund sein Maul und leckte sich die Lippen - ein Zeichen, dass er still Schmerzen erduldete. Der Nachbar setzte sich daneben, bewegte dem Hund nacheinander die Gliedmaßen und streichelte sein Fell, wobei er darauf achtete, ob sich das Schmatzen verstärkte. Doch er konnte nicht feststellen, was dem Tier fehlte. Draußen neben dem Komposthaufen lag der Sack mit der Katze, denn der Nachbar hatte nicht gewagt, um diese Zeit ein offenes Feuer zu entzünden. Die Folie beschlug von innen, während die Katze schnell zuwucherte.

In der Morgendämmerung erwachte die Mutter, weil sie Wasser plätschern hörte. Fröstelnd verließ sie das Bett und tappte zum Bad, aus dem das Geräusch kam. Reglos lag das Mädchen in der Badewanne, in die ununterbrochen Wasser lief. Lena atmete nicht und ihr Kopf war mit zartem, weißen Flaum bedeckt. Die Mutter übergab sich in die Toilette und brach in Tränen aus.
Eine halbe Stunde später betrat der Notarzt mit Mundschutz das Bad, untersuchte den Körper vorsichtig und fragte die Mutter, mit wem das Kind zuvor Kontakt hatte.
Diese zählte auf: "Meinem Mann, Oma, dem Nachbarn, der Katze ..." Sie stockte. "Ich dachte, sie wäre durcheinander, weil sie ihre geliebte Katze gestern tot im Wald gefunden hat. Vielleicht ..."
Der Arzt entschuldigte sich kurz und telefonierte. Dann kam er zurück und riet der Frau, ihn ins Krankenhaus zu begleiten, denn sie könnte sich bei dem Mädchen angesteckt haben. Die Frau schluchzte und willigte ein. Im Krankenhaus kam sie in ein Einzelzimmer und die Ärzte besuchten sie nur mit Schutzanzügen. Sie fühlte sich verlassen.

Sendi hatte in der Nacht angefangen zu winseln, biss sich in den Schwanz und kratzte Kerben in die Haustür. Der Nachbar nahm ihn an die Leine und band ihn im Bad an, wo er die Kloschüssel leertrank. Dann begann er wieder zu winseln und zu knurren und zerrte an der Leine, dass ihm das Halsband fast die Luft abschnitt. Der Nachbar musste den Tierarzt aus dem Bett klingeln und schilderte ihm am Telefon besorgt das Verhalten des Vierbeiners.
Zuerst meinte der Tierarzt, draußen würde sich eine läufige Hündin herumtreiben, doch der Nachbar ließ sich nicht abspeisen und beharrte darauf, dass der Hund krank sei. Murrend stimmte der Tierarzt zu, dass der Mann den Hund vorbeibringen könne. Der Nachbar steckte Hundekuchen ein, füllte den Wasserspender, weil er gesehen hatte, dass der Hund beim Trinken ruhig war und brachte alles zum Auto. Dann holte er Sendi, der erwartungsvoll im Bad saß und leicht mit dem Schwanz wedelte. Fast glaubte der Nachbar, er hätte überreagiert und ihm tat der Tierarzt leid. Artig kam Sendi mit. Doch draußen riss er sich mit einem Ruck los, sprang über den Gartenzaun und verschwand Richtung Wald.
"Oh, scheiße."
Er würde den Hund nicht einholen und war sich nicht sicher, ob dieser auf Rufe hören würde. Fairerweise meldete er erstmal dem Tierarzt, dass er doch nicht kommen würde. Dann sah er nebenan den Notarztwagen stehen. Bevor sich der Nachbar einen Reim darauf bildete, ging er zum Komposthaufen. Der Sack mit der Katze war aufgebläht und beschlagen, sodass er nichts erkennen konnte und riss ihn auf. Eine weiße Sporenwolke platzte hervor und enthüllte gelbe, runde Pilze voller warzenartiger Beulen, die der Katze auf Kopf und Nacken wuchsen.
Hastig stapelte der Nachbar Holz auf einen Grill, zündete es an, warf den Sack samt Katze ins Feuer und hoffte, dass niemand die Feuerwehr rief. Dann ging er duschen, wusch sich die Sporen vom Körper und betete, dass es half. Er sah die Verbindung zwischen dem Verhalten der Katze und seines Hundes und fürchtete, ihm könnte das Gleiche passieren.
Als er überlegte, was er tun sollte, sah er Lenas Großmutter nach nebenan gehen. Der Notarztwagen war fort. Die Oma besaß einen eigenen Schlüssel zu dem Haus und trat hinein. Kurz darauf kam sie wieder heraus und ging. Kurzerhand eilte der Nachbar ihr nach.
"Warte, ist Lena da?"
"Nein, es ist keiner zu Hause", sagte sie besorgt. "Lena war gestern erkältet und ist zu Hause geblieben. Ich hab auf sie aufgepasst. Heute sollte ich wieder aufpassen, aber es ist keiner da, vielleicht hat ihre Mutter sie zum Arzt gefahren. Mir sagt ja keiner was. Bin ich halt umsonst gekommen. Kann man nichts machen."
Er überging ihre Beschwerde. "Hat Lena sich komisch benommen? Hat sie sich gekratzt und Unmengen getrunken oder so?"
"Sie hatte Nasenbluten und war ziemlich zickig, aber das ist nichts Neues. Und ja, sie hat ganz viel Kamillentee getrunken, den ich ihr gebracht hab. Na und? Stimmt irgendwas nicht?"
Der Nachbar brauchte einen Moment, das zu verdauen. Er rieb sich die Nasenwurzel und dachte angestrengt darüber nach, ob er der alten Frau von seinem Verdacht erzählen sollte. "Nein ... alles okay. Wenigstens konnte sie zu Hause niemanden anstecken. Hoffentlich kuriert sie das bald aus."
"Oh, jetzt wo du es sagst", erwiderte die Frau lächelnd, da sie etwas wusste, "im Kindergarten hat sich der kleine Sven auch merkwürdig verhalten. Hatte auch Fieber wie Lena und die anderen Kinder geschlagen und getreten. Da geht bestimmt so eine Grippewelle um, hab ich zu ihrer Mutter schon gesagt ..."
Er bedankte sich knapp, ging ins Haus und rief die Handynummer von Lenas Mutter an. Es läutete, bis die Mailbox ansprang, dann legte er enttäuscht auf. Auch Svens Familie war nicht zu erreichen. Da holte sich der Nachbar sein altes Luftgewehr aus der Garage und ging in den Wald, Sendi suchen, bevor der Hund jemanden anstecken konnte. Er musste nicht lange suchen und fand das Tier tot am Tümpel, wo die Katze zuvor gelegen hatte. Zu dumm, er hatte den Sack vergessen und wagte nicht, den Kadaver mit bloßen Händen nach Hause zu tragen. Er ging zurück.
Als er wieder kam, sah er zwei Jugendliche, die an dem Kadaver mit Stöcken herumpieksten. "Hey, hey! Was macht ihr da? Haut ab!"
Sie schauten sich an, ließen die Stöcke fallen und trotteten gemächlich davon. Dabei zeigten sie ihm Stinkefinger. Der Nachbar fluchte, trug Sendi nach Hause und feuerte den Grill wieder an.

Auch die Oma vesuchte bald, Lenas Mutter anzurufen, ohne Erfolg. Leicht verärgert machte sie sich im Garten zu schaffen, wobei sie Geschrei hörte. Es klang nach einem Ehestreit. Sofort ließ sie die Gartenkralle fallen und ging unauffällig in die Richtung. Die Eltern von Sven waren vor deren Haus getreten und schrien sich an. Anscheinend wollte die Frau fortgehen, denn der Mann hielt sie am Arm zurück. Da schlug sie zu, woraufhin er sie losließ und ihr etwas hinterherbrüllte. Sowas hatte die Oma noch nie erlebt, sonst begegneten sie einander mit gepflegter Ignoranz. Ihr war das unheimlich und sie zog sich in ihren Garten zurück.
"Huch!", erschrak sie, als plötzlich der Nachbar von Lenas Familie vor ihm stand. "Hast du mich erschreckt. Was willst du mit dem Gewehr?" Sie erbleichte.
"Ich hab den Streit gehört und wollte nachsehen gehen", erklärte er. "Alles okay, geh ruhig nach Hause."
Svens Vater war unterdessen wieder reingegangen und Lenas Nachbar klopfte, wobei er das Gewehr dezent hinter sich verbarg. Der Vater öffnete und erstarrte.
"Alles okay", beruhigte der Nachbar. "Ich hab mir Sorgen gemacht und wollte nach dem Rechten schauen. Was ist passiert?"
"Nichts. Das Weib hat Sven in den Keller gesperrt und den Schlüssel vermölt. Jetzt ist sie ausgetickt und davon, aber die kommt wieder. Wie krieg ich nur die scheiß Tür auf? Sven macht keinen Mucks, ich mach mir Sorgen."
Der Nachbar überlegte. Auch ob es klug war, die Tür zu öffnen. "Darf ich mir das ansehen?"
"Na gut ..." Der Vater warf einen misstrauischen Blick auf das Gewehr und führte den Nachbarn zur Kellertür. Dahinter war es dunkel, man sah nichts durchs Schlüsselloch und muffige Luft drang durch den Türspalt. Der Nachbar rief den Namen des Jungen und bekam keine Antwort.
"Hast du eine Bohrmaschine?"
"Im Keller ..."
"Okay, ich hole meine und wir bohren das Schloss auf."
Der Nachbar lief nach Hause und kam kurz darauf mit einem Akkuschrauber zurück. Mit leeren Händen zeigte Svens Vater, dass er den Schlüssel inzwischen nicht gefunden hatte. Der Nachbar spürte ein Stechen hinter dem Augapfel, nieste in der Kellerluft und massierte sich die Nasenwurzel bis der Schmerz nachließ. Dann bohrten sie das Schloss auf.
Die Tür schwang nach innen und Schimmelluft wehte ihnen entgegen. Der Vater legte den Lichtschalter um. Auf dem Boden lag Sven auf dem Rücken, sein Gesicht war mit diesem weißen, schimmelartigen Gewächs überzogen, während ihm etwas dickere, gelbliche Stränge aus der Nase wuchsen und vielleicht auch aus dem Mund, wenn die Oberlippe nicht aufgrund eines schiefen Zahns leicht offenstand.
"Ach du heilige Scheiße", entfuhr es dem Vater, wobei bei letzten Wort seine Stimme erstickte und er mit den Tränen rang.
"Das Gleiche ist mit Flinkie und Sendi passiert und ich glaube, es hat auch Lena und deine Frau befallen", erklärte der Nachbar und stellte sich vor, es läge kein Toter im Raum, sondern nur der Pilz. "Wir sollten ihn verbrennen, damit es sich nicht ausbreitet."
"Bist du verrückt? Das ist mein Sohn!"
"Ich weiß nicht, wie man es sonst aufhalten kann. Vielleicht tötet es uns alle."
Schweigend standen die beiden Männer da und betrachteten den Leichnam. Dem Nachbar kam es vor, als stünde der Mund nun weiter offen und zeigte den Spross darin.
"Und wenn wir einfach die Tür schließen? Und alle Rillen abdecken, damit sich die Sporen nicht ausbreiten können?"
Das war leicht gesagt, aber das Schloss war zerstört und die Tür konnte nicht mehr geschlossen werden. Daher banden sie die Türklinke mit einer Schnur am Treppengeländer fest und verstopften Schlüsselloch und Türspalten mit Knete. Dem Nachbar fiel es schwer, vermutlich wegen des Bückens und fühlte wieder das Stechen hinter dem Auge. Er fragte sich, ob er infiziert war und wie sich das anfühlen würde. Außerdem schien seine Kehle trocken zu sein und er musste sich räuspern. "Deine Frau ist vermutlich ..." Er wagte nicht, den Satz zu beenden.
"Scheiße", entfuhr es Svens Vater und rieb sich die Schläfen.
Der Nachbar dachte an seinen Hund und verstand, was in dem anderen vorging. "Wir sollten uns um sie kümmern, bevor sie jemanden ansteckt."
"Wie sollen wir sie finden?"
"Ich glaube, ich weiß, wo sie ist."
Da der Vater von Sven auch seinen Spaten im Keller hatte und sie die Tür nicht öffnen wollten, gingen sie den des Nachbarn holen. Er zögerte, fragte sich, ob es richtig war, denn auch die Pilze wollten nur leben. Stattdessen wollte er seinen Durst stillen mit einem Glas klaren Wassers ...
Er schüttelte den Kopf und riss sich zusammen. Dann holte er den Spaten und führte den Vater zum Tümpel. Wie erwartet fanden sie die Frau dort, doch sie lebte! Reglos stand sie am Tümpel und schaute hinein, als beobachtete sie etwas an seinem Grund. Svens Vater rannte zu ihr und legte eine Hand auf ihre Schulter.
"Nicht", sagte der Nachbar und hob sein Gewehr.
Die Frau sah zu ihrem Mann auf. "Der Teich ist unser, doch für uns kein Platz. Komm, wachse mit mir."
"Was ist mit dir? Was meinst du?"
Das Gewehr zitterte.
Die Frau deutete zur Antwort ins Schilf und sie entdeckten einen Fuchs, auf dem hoch die gelben Pilze wuchsen. "Wir gehören wieder zusammen. Ich bin dir nicht böse. Doch es gibt nicht genug Wasser. Wasser bringt Ruhe und Leben."
"Verdammt, was redest du da, hast du Rost im Kopf? Komm mal klar. Und du, nimm das Gewehr runter."
Der Nachbar schluckte, bewegte sich aber nicht. "Ich kann sie nicht erschießen."
"Sollst du auch nicht, hab ich gesagt."
Dem Nachbarn rann eine Träne aus dem Auge. Pochende Kopfschmerzen setzten ein und er dachte, wenn sie nur ein wenig stärker würden, würde er sich selbst erschießen. "Sie ist krank und wird sterben wie dein Sohn und andere anstecken, wenn die Pilze aus ihr wachsen. Wir sollten sie beseitigen, aber ... aber ich kann nicht."
Der Vater, der den Spaten trug, dachte kurz nach und sah seine Frau an, die ihn reglos ansah ohne zu blinzeln und dabei dreinschaute wie hirntot. Nicht mal die Pupillen zeigten eine Regung, als sich der Mann bewegte. Er schlug ihr mit dem Spaten gegen den Kopf und sie fiel steif nach hinten. Immer noch bewegten sich ihre Augen nicht, doch sie machte kaum sichtbare Anstalten aufzustehen.
"So, da hast du, das ist es doch, was du wolltest?", brüllte der Mann den Nachbarn an. "Ich hab sie umgehauen, was machst du jetzt? Mich erschießen? Mich anzeigen?" Er ließ den Spaten fallen und lachte. Dann griff er sich an den Kopf. "Scheiße, Mann, ich hab meine Frau erschlagen. Was soll ich jetzt machen?"
Der Nachbar bemerkte, dass er noch immer das Gewehr in der Hand hielt und ließ es sinken. Er löste eine Hand, um sich Schweiß von der Stirn zu wischen, eine Folge der Kopfschmerzen. Er brachte die Worte kaum über die Lippen. "Begrab sie. Hier. Sofort. Den Fuchs auch und was du sonst findest. Ich ... kann nicht."
Svens Vater hob den Spaten auf und begann langsam zu graben.
Der Nachbar hielt es kaum aus und hatte Mühe, ihm nicht den Spaten aus der Hand zu reißen. Ob er dann selbst weitergraben würde oder ihm damit eins überziehen, konnte der Nachbar nicht sagen und wandte den Blick ab. "Mit mir geht es zu Ende. Wenn du fertig bist, musst du mich erschießen. Zwei Kinder aus dem Dorf haben sich vielleicht auch angesteckt und ich weiß nicht, wo Lenas Mutter ist. Vielleicht hast du eine Chance ..."
Da hielt er es nicht mehr aus und stürzte in den Tümpel. Mit großen Händen schaufelte er das schlammige Wasser in sich hinein, als könnte sein Mund alleine nicht genug fassen. Nun entdeckte oder erspürte er ein unsichtbares Pilzgeflecht, das vom Fuchs, der Katze, dem Hund ausging als würden sie noch hier liegen und die Wurzeln tranken und die Fruchtkörper wuchsen und er nahm die Sporen wahr und sie schwebten durch den Wald und wenn der Tümpel leer war musste sie sich neue Nahrung suchen und bis dahin brauchten sie den Tümpel und er solle aufhören zu trinken und sich einen eigenen Tümpel suchen solange er noch laufen konnte und sollte hier keine Wurzeln schlagen, haha, nein, das sollte er nicht ... Oh bitte, lass mich leben, ich esse auch nie wieder Pilze, nur noch Fleisch, jaja, Fleisch ist gut, Fleisch läuft und sucht, Fleisch denkt und weiß, Fleisch kennt Wasser, geh, Fleisch, geh und such Wasser!
Der Nachbar erhob sich nass aus dem Tümpel und schaute zu Svens Vater, der mechanisch an seinem Loch grub und dabei so wenig Erde bewegte, dass er mit den Händen schneller gewesen wäre.
"Erschieß mich", flüsterte der Nachbar.
"Fick dich."
"Ich meine es ernst. Sonst nehme ich dir den Spaten weg und kipp das Loch zu."
"Mach doch!", schrie der Vater. "Ich helfe dir sogar, siehst du!?" Er schob den Erdhaufen mit dem Fuß in das Loch zurück. "Jetzt kannst du es nicht mehr zumachen. Was machst du jetzt, sag, was machst du jetzt?"
Er ließ sich zu Boden sinken und verbarg das Gesicht in den Händen. "Scheiße, Mann, meine Frau und mein Sohn sind tot. Und ich grab nur dieses beschissene Loch."
Steif drehte der Nachbar den Kopf und roch das Wasser. "Ich sag dir, was ich mache. Ich geh zum See. Und ertränke mich darin. Vielleicht brennts dann im Kopf nicht mehr. Willst du mitkommen?"
Der Vater nickte hinter den Händen.
In der Nähe erhob sich die Frau vom Boden. "Leben ruft. Zeig uns wo. Gehorch dem Stamm. Stamm ruft. Stamm belohnt. Fürchte nicht, Fleisch, du wirst Nahrung und verwandelt, Fleisch wird zu Stamm und neuem Leben, Stamm ist Leben, Stamm ist Welt, alles ist Stamm. Führe uns zum Wasser."
Gehorsam setzte sich der Nachbar in Bewegung.

 

Was ich mir dabei gedacht hab:

- Die Geschichte hat sich selbst geschrieben, ich hab nur den Anfang gemacht. Das ist bei mir eine Besonderheit. (Nur bei der Szene am Waschbecken hab ich "eingegriffen", weil die Oma sonst nicht klargekommen wäre.)
- Ich hab mich nur auf das Wesentliche beschränkt. Wenn eine Person nach draußen geht, dann zieht sie auch Schuhe und Jacke an, obwohl ich das nicht sage, usw.
-> Die Knappheit passt zur Kurzgeschichte, aber passt es zum Genre oder geht damit Spannung verloren?

Inspirationsquelle:
http://science.orf.at/stories/1657736/

 
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Moikka Jellyfisch,

Anmerkungen, die zur Ebene des Autors, nicht zur Geschichte gehören, bitte immer in ein Extraposting. Lieben Dank. ;)

Jellyfisch schrieb:

(Wörter: 3682)
(geschrieben: 7.3.2011 - 8.3.2011)

Ich ueberlege dazu, ob der Text nicht in Seltsam oder Sonstige besser aufgehoben wäre. Mein Eindruck macht sich mehr am naiv-kindlichen Erzählstil, als am plot / an den Motiven fest. Fuer mich hat das mit dem Horrorgenre in dieser Form nicht viel zu tun; und satirisch scheint es mir auch nicht gemeint zu sein.

Geh doch nochmal in Dich (oder frag die Stimme, die den Text geschrieben hat :-), ob Du hierbleiben oder verschieben lassen möchtest. Und sag mir dann bitte, wohin am liebsten.

Herzlichst,
Katla

 

Hallo Katla,
die Wortangabe steht bei all meinen Geschichten jetzt dabei. Da ich lange Texte schreibe soll sie als Anhaltspunkt dienen, damit die Länge nicht abschreckt. Über die Wortanzahl hat sich noch keiner beschwert, was soll die denn untendrunter?

Seltsam ist der Text sicher nicht. Wie weit hast du gelesen? Ich fand es erschreckend, als ich gelesen habe, dass Pilze Ameisen zu Zombies machen und dass es auch Parasiten gibt, die möglicherweise das Verhalten des Menschen beeinflussen ...

Es ist ein Versuch, sollte aber definitiv Horror werden.

Grüße von Jellyfish

 
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Moi Jellyfisch,

dann lassen wir ihn hier stehen. :)

Ich hab ja nicht gesagt, Du darfst keine Angaben zu Deiner Geschichte machen, sondern, dass sie in den Erstkomm und nicht ins Textfeld gehören. ;);)

Ich denke, es ist manchmal schwer zu unterscheiden, ob ein Text als literarisches Genre Horror verfasst wurde, oder im Sinne von "boa, is ja voll der Horror" - und letzteres gehört eben nicht in diese Rubrik. Ich sehe es eher als die zweite Variante, daher die Frage an Dich.

Liebe Gruesse,
Katla

 
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Hallo Jellyfisch,

Senta streifte ziellos schnuppernd herum und markierte ein paar Bäume. Plötzlich hob er den Kopf,
Senta klingt für mich weiblich.

Der Hund hörte augenblicklich auf, unter dem Kadaver herumzuscharen und schaute Herrchen fragend an.
herumzuscharren

Heute hatte er keine Lust mehr, die tote Katze zu holen und nahm es sich fest für morgen vor.
Die ist tot? Er meinte da doch was von krank? Wie kann was Totes krank sein?

und schickte das Mädchen mit abgewandten Gesicht ins Bad zum Waschen.
abgewandtem

"Selbstverständlich", sagte die Oma mit leichtem Unterton, weil sie sich nicht traute abzulehnen.
"leichter Unterton" sagt nichts aus. Anschließend erklärst du, dass sie sich nicht traute, abzulehnen. Beides ist doppelt gemoppelt. Entweder mit leicht unbehaglichem Unterton, oder Unterton raus und die Erklärung danach stattdessen.

und fand das Tier tot am Tümpel, wo die Katze zuvor lag.
gelegen hatte

"Wir sollten ihn verbrennen, damit es sich nicht ausbreitet."
"Bist du verrückt? Das ist mein Sohn!"
"Ich weiß nicht, wie man es sonst aufhalten kann.
Sind ja hier voll die Emotionen. Stell dir vor, jemand will deinen gerade gestorbenen Sohn verbrennen. Wie reagierst du? Ich hätte dem eine geballert! Mindestens.


Leider gefällt mir die Geschichte nicht, weder inhaltlich noch formal. Will mal versuchen zu erklären, warum:
Du schreibst, die Geschichte hätte sich "von selbst" geschrieben. Das merkt man. Und zwar nicht im positiven Sinne. Auf mich wirkt das wie eine ausgeschmückte aber im Grunde stichpunktartige Skizze. Dem passiert das, dann dem das, und dann dem das. Aber die Szenen und Charaktere verbindet nichts, da sind keine Beziehungen, die (meisten) Charaktere haben ja nicht mal Namen! Das Mädchen, die Mutter, der Vater, der Nachbar, die Oma, usw. blablabla. Das nervt. Und es schafft Distanz zu den Figuren, von der es eh schon zuviel gibt. Warum duzen die sich da eigentlich alle? Warum hat der Nachbar einer Familie die Nummer einer anderen Familie, deren Sohn in dieselbe klasse wie Lena geht?? ... Skizzenhaft.

Die Frau sah zu ihrem Mann auf. "Der Teich ist unser, doch für uns kein Platz. Komm, wachse mit mir."
Ungefähr ab hier ging es dann ganz rapide bergab. Die Charaktere verhalten sich total künstlich, unemotional und einfach bekloppt. Ich hatte ein paar Mal das Gefühl, dass du selber nicht weißt, was der Grundton deines Textes ist, ob ernst gemeint oder Trash oder Slapstick oder sonstwas. Z.B. hier:
"Verdammt, was redest du da, hast du Rost im Kopf? Komm mal klar.
Oder hier:
"Mit mir geht es zu Ende. Wenn du fertig bist, musst du mich erschießen.
Total emotionslos, das alles. Hm, es geht zu Ende, erschieß mich mal, bringt ja nix...

Keine Ahnung, was ich davon halten soll. Und dann, dass die Leute solchen Stuss von sich geben von wegen wachs mit mir und Wasser rockt und so, ich meine, selbst wenn man sich darauf einlässt, dass dieses Zeug einen halt zu so nem Zombie oder was weiß ich macht, dann muss es ja nicht gleich so ein Überzeug sein, was einen sektenmäßig daherpalavern lässt. Wäre wieder Trash oder so.

Nee, sorry, aber war überhaupt nicht mein Ding. Ich denke, da solltest du dich mal für eine Richtung entscheiden und das Ganze dann gründlich dahingehend generalüberarbeiten.

Und selbst dann ist der Plot halt immer noch sehr simpel und gängig.

Viele Grüße,
Maeuser

 

Hallo Maeuser.

Senta streifte ziellos schnuppernd herum und markierte ein paar Bäume. Plötzlich hob er den Kopf,

Senta klingt für mich weiblich.
Stimmt, dann heißt er jetzt Sendi.

Heute hatte er keine Lust mehr, die tote Katze zu holen und nahm es sich fest für morgen vor.

Die ist tot? Er meinte da doch was von krank? Wie kann was Totes krank sein?
Indem es an einer Krankheit gestorben ist und noch voller Bakterien/Viren o.Ä., an denen man sich anstecken kann.

"Selbstverständlich", sagte die Oma mit leichtem Unterton, weil sie sich nicht traute abzulehnen.

"leichter Unterton" sagt nichts aus. Anschließend erklärst du, dass sie sich nicht traute, abzulehnen. Beides ist doppelt gemoppelt. Entweder mit leicht unbehaglichem Unterton, oder Unterton raus und die Erklärung danach stattdessen.
Okay, das sehe ich ein und hab "sagte die Oma mit leichter Abneigung in der Stimme, traute sich aber nicht, abzulehnen" draus gemacht.


"Wir sollten ihn verbrennen, damit es sich nicht ausbreitet."
"Bist du verrückt? Das ist mein Sohn!"
"Ich weiß nicht, wie man es sonst aufhalten kann.

Sind ja hier voll die Emotionen. Stell dir vor, jemand will deinen gerade gestorbenen Sohn verbrennen. Wie reagierst du? Ich hätte dem eine geballert! Mindestens.
Hm, also ich glaube nicht, dass du jemanden mit einem Gewehr hauen würdest. Und auch nicht, wenn der Satz so plötzlich kommt.

In einem Dorf (auch wenn nirgendwo steht, dass es das ist, aber die Nähe zu einem Wald legt es nahe) duzen sich halt die Leute, weil sie sich kennen. Und für Telefonnummern gibt es Telefonbücher, da sehe ich kein Problem.

Danke auf jeden Fall vielmals für deine Anmerkungen. Dann weiß ich jetzt, dass die Idee nicht funktioniert hat. :)

Grüße von Jellyfish

 

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