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Metamorphosen

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01.04.2013
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Metamorphosen

Metamorphosen

Endlich bist du wieder da. Ich habe dich vermisst. Ich stelle mir vor, du hättest mich auch vermisst und würdest mich zur Begrüßung in die Arme nehmen.
Die Vorstellung gefällt mir. Lange halten wir uns fest. Als du mir sagst, ich hätte dir gefehlt, spüre ich deine zarten Hände unter meinem T-Shirt. Als Erwiderung streichle ich dir übers Haar. Ich liebe deine Haare.
Ich liebe es, wenn du neben mir liegst und sie meine Haut kitzeln. Dann spiele ich mit ihnen. Lasse sie durch meine Finger gleiten. Dabei sehe ich dich an; wie du in meinen Armen liegst. Deine Augen sind geschlossen, als würdest du schlafen. Aber ich weiß, dass du wach bist. Du atmest anders, wenn du schläfst. Ruhiger. Jetzt geht dein Atem schnell, wenn ich über deine Haut streichle.
Auch ich genieße die Situation.
Ich bitte dich, mich anzusehen, damit ich in deine Augen sehen kann. Du tust es. Immer vergesse ich ihre Farbe. Auch diesmal werde ich mich nicht erinnern. Aber es spielt keine Rolle. Wichtig ist nur, dass du mich ansiehst. Ich sehe so viel mehr in deinen Augen, dass ihre Farbe zu einem bunten tiefen Teich verschwimmt. Wie ein Regenbogen über dem Meer.
Ich sehe deine und meine Geschichte, die zu unserer Geschichte wird. All die früheren Kapitel gehen im Regenbogen-Teich unter. Die Buchstaben werden im Wasser erst undeutlich und verschwinden dann ganz. Wir schreiben die Geschichte neu. Sie wird immer spannender – jeder Absatz aufregender, verwirrender und schöner als der vorherige. Meine unruhige Handschrift vermischt sich mit den klaren Linien der deinen. Wir schaffen etwas völlig Neues. Nie zuvor habe ich ein solches Buch auch nur gelesen. Jetzt bin ich selbst der Autor.
Die Reaktion unserer Leser wird sehr verschieden ausfallen: begeisterte Fans, knallharte Kritiker und verbitterte Neider. Es kümmert mich nicht. Ich habe jetzt schon den Literatur-Nobelpreis dafür bekommen. Und niemand wird ihn mir je wieder weg nehmen können.
Anschließend werden wir ein Musikstück kreieren. Voller weicher Klänge, ruhiger Töne und Disharmonien. Wir werden die Leadstimme singen. Jeder eine Strophe und den Refrain gemeinsam. Das Publikum wird jubeln und uns dann vergessen. Wie jedes One-Hit-Wonder. Auch das ist mir egal. Ich werde unser Lied immer wieder hören und mich daran erinnern, wie wir es uns am Lagerfeuer gegenseitig leise vorgesungen haben.
Wenn die Welt unser Buch und unser Lied vergessen hat, malen wir ein Bild. Bunt wird es sein, wie der Regenbogen aus den vielen Farben deiner Augen. Wir werden einige dunkle Linien darin verstecken, weil unser Leben nicht immer einfach ist. Wer sie findet, wird das wissen. Er wird uns verstehen. Und nicht verurteilen. Er wird unser Bild kaufen und in sein Wohnzimmer hängen. Vielleicht werden wir ihn eines Tages besuchen und unser Bild wieder finden. Vielleicht werden wir dann ein paar dunkle Linien dazu fügen oder ein paar vorhandene mit unseren bunten Farben übermalen. Auch das ist mir egal. Mit dir male ich bunte Kreise und schwarze Linien. Hauptsache, du bist da. In guten wie in schlechten Zeiten.
Zuletzt bauen wir ein Denkmal. Es zeigt uns beide. Eng umschlungen so wie jetzt. Von Weitem wird man kaum erkennen können, wo ich ende und du beginnst. Wir sind eins geworden. Die Menschen werden unser Denkmal erst anstarren und dann achtlos daran vorbei gehen. Irgendwann wird es einstürzen. Es spielt ebenso wenig eine Rolle wie all unsere anderen Werke. Es sind nur Abbilder unserer selbst.
Sie erzählen unsere Geschichte, aber wir kennen sie auswendig. Jedes Wort. Ich muss sie nicht mehr lesen, hören oder sehen. Wir sind die Geschichte.
Noch immer streichle ich dein Haar. Das Leitmotiv des aktuellen Kapitels. Es geht gut voran. Bereits viele Zeilen schmücken mein vorher leeres Blatt. Dort steht schwarz auf weiß, dass du mir gehörst. Du nimmst die Feder und malst einen Schmetterling neben meinen letzten Satz. Du weisst, dass auch ich dir gehöre, deshalb hast du keine Einwände. Wir sind dennoch frei wie der Schmetterling, zu dem wir beide geworden sind, seit unser erstes Treffen die Metamorphose eingeleitet hat. Nichts erinnern mehr an die Raupen, als die wir unser Leben begonnen haben. Auf dem Boden kriechend. Heute können wir fliegen.
Vom Himmel sehen wir auf die Menschen herab, die uns noch auf dem Boden suchen. Sie verstehen nicht, was wir einander bedeuten. Das wir uns gegenseitig das Fliegen schenken. Sie sehen auf unseren Flügeln nur die schönen Muster. Sie bedeuten uns so wenig wie unser Buch, unser Lied, unser Bild und unser Denkmal. Wichtig ist nur das Fliegen. Auch die Disharmonien und dunklen Linien fliegen mit. Sie ertönen beim Schwingen der Flügel und zeichnen sich auf ihnen ab. Auch sie bilden das Muster. Der Rest ist ein Spiegelbild unseres Regenbogens. Zusammen entsteht Grau. Wir mögen Grau. Es fliegt so gut wie jede andere Farbe. Immer höher kreisen wir um die Sonne. Irgendwann werden wir verbrennen. Unsere Asche grau wie die Farbe unserer Flügel. Sie fällt wieder zur Erde. Wir werden daraus auferstehen. Aus Schmetterlingen werden Phönixe. Niemand kann uns aufhalten, wenn wir diesmal direkt in die Sonne hinein fliegen.

© 2012

 
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Hallo myisrael,

Danke für deine konstruktive Kritik. Genau deshalb habe ich mir auch angemeldet, denn natürlich schreibt oft man erst mal für sich selbst. Irgendwo muss man ja irgendwie anfangen. Und da ich keine Ahnung habe, wie das auf andere wirkt, hoffe ich, es hier heraus zu finden. Denn natürlich hoffe ich trotzdem, dass sich auch andere von meinen Geschichten angesprochen fühlen. Da ich selber sehr gerne Kurzgeschichten lese (auch ein Grund, warum ich hier bin, ich bin nur noch nicht dazu gekommen, viele zu lesen und zu kommentieren), wäre es natürlich auch für mich schön, wenn ich dazu beitragen könnte, anderen die ebenfalls Freude daran habe selbst etwas "bieten" zu können. Es ist also gut, dass mir dadurch bewusst wird, dass ich wohl das ein oder andere nicht zu bildlich ausdrücken darf, weil es den Zugang dazu erschwert. Ich persönlich liebe solche Ausdrucksweisen (sonst würde ich sie ja nicht verwendet); ich verwender sehr gerne Symbole, das fällt mir oft leichter als "klare Worte". Ich lese auch gerne solche Geschichten, da sie gerade dadurch für mich erst interessant werden - wenn man eben eine Weile braucht, sich einzufinden.

Viele sehen das sicher anders. Leider hatte ich bisher nie die Möglichkeit, mit anderen darüber zu reden, da sich in meinem Umfeld niemand dafür interessiert. Das wird sich ja jetzt hoffentlich ändern. So kann ich meine eigenen Geschichten endlich mal aus einem anderen Blickfeld sehen, was mir sicher viele Möglichkeiten eröffnet.

Eine Geschichte ist für mich immer zu einem gewissen Grad auch Interpretationssache. Sicher "sieht" nicht jeder Leser darin das Gleiche und auch nicht jeder Leser das Gleiche wie der Autor.
Für mich geht es in dieser Geschichte um folgendes: man lernt einen Menschen kennen und auch lieben und sieht dadurch vieles anders als vorher. Sowohl sich selbst als auch diesen Menschen ebenso wie vieles aus seinem Umfeld. Man neigt dann (vor allem am Anfang) auch dazu, diesen Menschen ein bisschen zu idealisieren, was dazu führt, dass man vieles andere nicht mehr so wichtig nimmt. Auch die Meinung andere zu diesem Menschen oder der Beziehung zu ihm, ist irrelevant und wird vielleicht auch einfach ausgeblendet.

Ich beschreibe sowas gerne in der Ich- bzw. Du-Form, weil ich ja nicht beurteilen kann, wie andere Menschen solche Situationen empfinden. Vielleicht sollte oder muss ich aber lernen mich beim Schreiben auch mehr in andere rein zu versetzen. Das würde es bestimmt auch anderen einfacher machen, genau das zu tun ...

 

Hi Ranny,

du hast mir eine sehr nette Kritik geschrieben und mit deiner Aussage "voraussehbares Ende" geholfen. Ich werde es ändern und habe auch schon eine Idee... ;)

Natürlich wollte ich auch wissen, wie eine Geschichte von dir aussieht. Ich habe deinen Text zu ende gelesen und das ist ein klares Zeichen, dass er mich interessiert hat. Der Kritik von myisrael kann ich mich nicht ganz anschließen. Nur habe ich mich am Ende gefragt, was ich da eigentlich gelesen habe. Ich habe ziemlich klar verstanden, dass es um Liebe geht und irgendwie fühlte es sich auch neu an. Nur eine Geschichte konnte ich nicht finden. Es wirkt auf mich eher wie ein Stück Lyrik.

Das bedeutet ganz sicher nicht, dass ich es schlecht finde, im Gegenteil. Mit solchen Texten habe ich auch angefangen mir das von der Seele zu schreiben was niemand in meinem Umfeld hören wollte. Es ist ein einfacher Weg loszuwerden was man sonst nirgends unter bringt. Fraglich ist für mich nur, ob kg.de der richtige Platz für deine Lyrik ist.

Das klingt jetzt vielleicht hart. Sicher sollte sich einer der erfahrenen Moderatoren dazu äußern. Ich habe vor einigen Wochen auch gesagt bekommen, dass meine "blogartigen" Texte hier nicht hin gehören. Zwei wurden sogar gelöscht... Und was soll ich sagen? Die Kritiker hatten recht. Ich habe Texte aus meinem Blog genommen etwas daran rum gewerkelt und es als Geschichte verkaufen wollen. Hat nicht geklappt:)

Man hat mir geraten mich mal damit auseinanderzusetzen, was eine Geschichte ist. Ich habe nur erzählt und man riet mir "show, don't tell". Also jede Menge guter Ratschläge gab es und wenn man die Sache einmal verstanden hat, geht es mit dem Geschichten schreiben dann auch besser.

Ich bin zwar nicht ganz sicher ob meine Kritik richtig ist. Bin halt kein Experte im kritisieren und auch die Literaturkenntnisse einiger anderer Members hier im Forum gehen mir ab, aber ich kann ganz gut fühlen. Und das was ich hier schreibe fühlt sich für mich logisch an. Würde mich echt mal interessieren, ob noch andere Leser deinen Text für lyrisch halten.

Mach einfach weiter und irgendwann triffst du auf den, der dir das alles perfekt erklären kann. Ich konnte es leider nicht, hoffe aber, dass du ein wenig mit meinem Geschreibsel anfangen kannst.

Liebe Grüße
Gnuelpft

 
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Hallo gnuelpft,

danke für deinen Beitrag. Ich bin jetzt schon begeistert von diesem Forum, da ich dadurch tatsächlich so viele neue Möglichkeiten bekommen, meine eigenen Geschichten aus einem anderen Perspektive zu sehen. Ich habe diese Geschichte nie als etwas anderes gesehene, als eben eine Kurzgeschichte. Und nach dem, was ich bisher über Kurzgeschichten weiß, fällt es auch darunter - sonst hätte ich sie hier auch nicht veröffentlicht, das geschah natürlich nach bestem Wissen und Gewissen ;-) Aber der Hinweis mit der Lyrik ist sehr hilfreich. So habe ich meine Geschichten nämlich noch nie gesehen. Vermutlich ist meine Definition von beiden Begriffen aber noch etwas eingeschränkt. Ich lerne aber natürlich immer gerne dazu. Und du hast ja direkt auch erste Tipps mitgeliefert. Vor allem das "Show, don't tell" war hilfreich. Mit dieser neuen Information werde ich diese (und meine anderen Geschichten) jetzt auf jeden Fall nochmal neu lesen. Und vielleicht finde ich dadurch ja auch eine Möglichkeit sie noch zu verbessern. Oder das zumindest in die Zukunft mitzunehmen und dort in neuen Geschichten umzusetzen.

Aber es freut mich natürlich, dass es dir trotzdem gefallen hat.

 

„Ich und Du wir waren ein Paar
Jeder ein seliger Singular“

„Waren so selig wie Wolke und Wind
Weil zwei Singulare kein Plural sind.“

Mascha Kaléko: Ich und Du​


Ich sehe so viel mehr in deinen Augen, …

Hallo Ranny,

ja, das ist ein raffinierter Titel – Metamorphose der Liebenden, Ich und der/die/das Andere, die eins werden, und die Verwandlung in Schmetterlinge, die ebenfalls eine (zoologische) Umwandlung durchmachen (hier sogar käme die Verbrennung und gleichzeitige Wiederauferstehung wie im Osiris-Mythos = Phönix und der olle Ikarus noch hinzu a.s Metamorphose). Eindeutig vieldeutige Bezüge. Und in der Tat ist ja die Selbsterkenntnis

Es sind nur Abbilder unserer selbst
von mir und dem/der Andern durchs widerspiegelnde Auge gegeben – sogar ruhiger als eine reflektierende Wasseroberfläche dem Narziss. Ich als ein/e Andre/r und umgekehrt – sofern beide darauf achten. “Face to face“ – und “face“ bedeutet mehr als nur [An-]Gesicht, sondern u. a. auch den Anschein und als Verb “to face“ auch ein „ins Auge sehen“.

Und wo wir schon im Englischen gelandet sind der direkte Vorschlag, im Konjunktiv die „würde“-Konstruktionen so weit als möglich zu umgehen (das engl. would hat viel mehr Bedeutungen als der Konj. II des dt. werden).

Wäre statt

Ich stelle mir vor, du hättest mich auch vermisst und würdest mich zur Begrüßung in die Arme nehmen.
nicht schöner ein
Ich stelle mir vor, du hättest mich auch vermisst und [nähm(e)st] mich zur Begrüßung in die Arme […].
Oder auch statt
Deine Augen sind geschlossen, als würdest du schlafen.
besser, weil feiner
Deine Augen sind geschlossen, als [schlief(e)st] du […]
Das klingt nicht nur durch die Umlautung schöner, sondern auch poetischer. Stell Dir einmal „wenn ich ein Vöglein wär …“ als würde-Konstrukt vor.

Hin wäre die Poesie!

Nun ja, Liebe ist ein seltsam Ding, und in den Bedeutungen gernhaben, begehren liefert es auch einige Varianten, die auch anderes zulassen als die Liebe, die eigentlich bedingungslos und radikal ist und selbst wenn sie den Andern geradezu bedingungslos annimmt paradoxerweise kompromisslos ist.

Ich liebe deine Haare.
Ich liebe es, wenn du neben mir liegst und sie meine Haut kitzeln.
Ist das Liebe? Ist die zu Ende, wenn’s Haar ausfällt? Wenn der/die/das Andre nicht mehr neben einem selbst liegt … weil er auf Dienstreise oder sonstwo ist? Weiter unten hastu doch einen vollwertigen Ersatz getroffen
Auch ich genieße die Situation.

Und ob Schmetterlinge sonderlich frei sind, bezweifel ich (auch bei Vögeln, denn Vogelfreiheit ist genau das Gegenteil der Wortzusammenfügung) und die
Phönixe
erscheinen mir in der Nähe von Phö-nixen.

Ähnlich wegen des Gleichklangs zur Liedstimme, pardon,

Wir werden die Leadstimme singen.

Alles bis hier nur Vorschläge, aber hier bei der von mir vermuteten Flüchtigkeit kommt's zur Verwechselung von wissen und weisen - das musstu korrigieren
Du weist, dass auch ich dir gehöre, …

Gern gelesen vom

Friedel,
der neugierig auf ein Zweitwerk ist!

 

@Frierichard: Vielen Dank fürs Lesen, für dein Lob, deine Kritik und vor allem deine Verbesserungsvorschläge. Hier kann man wirklich noch viel lernen und genau das habe ich gehofft :-)

 

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