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Metamorphose

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21.01.2004
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Metamorphose

Schweigend stand er auf den Klippen Cornwalls und starrte auf die heranrollenden Fluten. Er wußte nicht, wann er hierhingekommen war. Zeit hatte keine Bedeutung mehr für ihn. Patrick mußte sich eingestehen, daß er Angst hatte. Angst vor dem, was er getan hatte und Angst vor dem, was er tun würde. Außerdem wußte er nicht, ob er es ein weiteres Mal durchstehen würde. Physisch und psychisch. Ja, seine Psyche machte ihm dabei am meisten Sorgen. War es den grauen Herren in ihren Nadelstreifenanzügen denn egal, wie er sich fühlte? Anscheinend war es so. Er schloß die Augen und seufzte. Es war so einfach, so einfach, seinem Leben ein Ende zu bereiten. Ein Sprung - und alles andere wäre bedeutungslos. Das ganze Leben würde zu einem Nichts zusammenschrumpfen. Alle seine positiven wie negativen Erlebnisse in Nichts zerfallen. Ein verlorenes Leben. War es das alles wert? Patrick seufzte und drehte sich um. Langsam ging er auf die zerfallene und efeuüberwucherte Kapelle zu, die vor Jahren für ihn zur Heimstatt geworden war. Dort machte er das Beste aus seinem Leben, oder besser gesagt aus dem, was von seinem Leben übriggeblieben war. Er war ein Monstrum, zur ewigen Einsamkeit verdammt. Geboren aus einem verantwortungslosen genetischen Experiment, das man euphemistisch 'genetisches Engineering' nannte... Ein so schöner Ausdruck für eine Sache, die so furchtbare Risiken in sich barg. Doch sinnlos, sich darüber Gedanken zu machen. Es war nun einmal wie es war... Schicksal war vermutlich das Wort, das seine Lage am besten umschrieb.
Ein Glänzen am Horizont, das verführerisch aufflackerte und der staubigen Straße hinunter zur Kapelle folgte, unterbrach seinen Gedankengang. Sein Herz stolperte, setzte ein, zwei Schläge aus, fing sich wieder und schlug regelmäßig. Er verspürte einen leichten Stich hinter der linken Schläfe: das war die Hoffnung; die Hoffnung, endlich mal wieder, nach Monaten der Isolation, dieses Leben für einige Momente hinter sich lassen zu können. Gleichzeitig war da aber auch Aufregung und Angst vor dem, was die Zukunft bringen sollte, denn er konnte sich dessen nie sicher sein. Sein Leben glich einer großen Warteschleife. Einer Warteschleife, die nur ab und zu von den Herren in den grauen Nadelstreifenanzügen unterbrochen wurde. Und für diese Unterbrechung war er durchaus dankbar. Schließlich stellten diese eine Möglichkeit dar, mit realen Menschen in Kontakt treten zu können, um einmal diesen billig hergestellten Hologrammen zu entkommen, die ihn tagein, tagaus umgaben und doch nichts zu seiner Entspannung beitragen konnten.
Gelangweilt kratzte er sich die Handrücken. An einigen Stellen, dort wo die Haut brüchig geworden und schließlich eingerissen war, war grüne Schuppenhaut hervorgetreten. Es war ein Prozeß, der langwierig und schleppend verlief. Wenn seine körperliche Metamorphose zu einem Ende gekommen war, würde sein Geist ohnehin in sich zusammenfallen, sich auflösen wie Asche im Wind. Und dann... Ja - was dann? Eine gute Frage, auf die er eine mehr als unbefriedigende Antwort hatte. Er wußte es nicht. Niemand wußte es so genau, wenn er den Grauen Herren Glauben schenken konnte. Das war etwas, was sie - ewige Euphemismen - als 'Restrisiko' bezeichneten. --
Ach wie gut, daß niemand weiß...
Als das Glänzen auf der Landstraße sich als schwarze Limousine entpuppte, verspürte Patrick eine schier unstillbare Lust, sich in der Luft zu zerreißen. Doch er bezwang diese Lust, indem er konzentriert an etwas Anderes dachte. Die schwarze Limousine raste mit atemberaubender Geschwindigkeit auf ihn zu und kam Augenblicke später wenige Zentimeter vor Patrick zum Stehen. Staubfontänen schossen auf ihn zu, und er hielt die Hände hoch, um seine Augen zu schützen. Ein guter Auftritt, dachte Patrick und verzog verächtlich das Gesicht. Geradezu filmreif. Ein Mann, der mit seiner dunklen Sonnenbrille und seinem grauen Anzug ein Hauptdarsteller eines alten Gangsterfilms hätte sein können, stieg aus und nickte zum Gruß.

Idiot, dachte Patrick und stieg durch die Tür in den Wagen ein, die Mr. Dunkle Sonnenbrille ihm geöffnet hatte. Der Luxus, der sich seinen Augen bot, beeindruckte ihn längst nicht mehr: mit hochwertigem Leder ausgeschlagene Sessel, verdunkelte Glasscheiben - vermutlich gepanzert; diese Kerle hatten alles Geld darauf verwandt, das Auto so protzig wie möglich aussehen zu lassen; wohl um potentielle Passagiere zu beeindrucken und einzuschüchtern; aber nicht mit mir, dachte Patrick grimmig -, vor den Fenstern sogar noch Vorhänge, falls es denen, die im Wagen saßen, nicht dunkel genug sein konnte; Video, Fernsehen, Laptop, Minibar und andere Kleinigkeiten. Alles, was ein Herz begehrte, solange es nicht in Patricks Brust schlug. In der Tat fühlte sich Patrick durch den Luxus und das anonymisierte Dunkel eher belästigt als erfreut. Deshalb wollte Patrick diese Limousine auch so schnell wie möglich verlassen, sobald er es sich auf dem kalten Leder bequem gemacht hatte. Die Fahrt dürfte sowieso nicht allzulange dauern, dachte er, denn er spürte, daß seine Anwesenheit den Grauen Herren ebenfalls nicht sonderlich angenehm war. Nun, je schneller das hier vorbei war, desto besser.
Die Straße durchpflügte die Hügellandschaft, es ging vorbei an kristallklaren, tiefen Seen, von denen Patrick nicht mehr wahrnahm als dreckig braune Schmutzlachen. Als der Llewellyn vorbeirauschte, wußte Patrick, daß sie die Hälfte des Weges geschafft hatten. Bald würde die Limousine in einen Privatweg einbiegen, der von mehreren Videokameras rund um die Uhr überwacht wurde. Wer sich hinter diesen Kameras verbarg, war Patrick nach wie vor ein Rätsel, doch er wagte nicht, Fragen zu stellen. Manchmal war es besser, sich zurückzuhalten - um so möglichen Konflikten aus dem Weg zu gehen. Big brother is watching you! Es war ein furchtbarer Gedanke, der urplötzlich in seinem Kopf auftauchte, als er die Videokameras wahrnahm, die jeder Bewegung gierig folgten. Niemals war das, was er hier erlebte, auch nur im Ansatz mit den Geschehnissen in Orwells Roman vergleichbar - schließlich war '1984' eng verknüpft mit den Ängsten der Nachkriegsgeneration, der Angst vor totalitären Überwachungsstaaten, die mit der fortschreitenden Demokratisierung der Welt mehr und mehr geschwunden war -, doch er fühlte sich, seit sie die Landstraße verlassen hatten, wie das Untersuchungsobjekt im Okular eines übereifrigen Biologen. Oder war dies alles nur Einbildung? Ein Traum?
Lächerlich.
Sie durchfuhren einen Tunnel, der kein Ende zu haben schien. Überall nur nackter, grauer Fels. Genauso fühlte er sich jetzt: nackt und grau. Er wußte, gleich würden sie ihn in einen kalten Raum zerren - klein und eng, daß man Angst haben mußte, von den Wänden erdrückt zu werden - und ihn an nackte, graue Apparaturen anschließen, um jeden Winkel seines Gehirns zu durchforsten. Es war ein Vorgang, an den Patrick sich mittlerweile gewöhnt hatte; business as usual, suzusagen. Doch an die Menschen, die hier verkehrten - die in ihren steingrauen Nadelstreifenanzügen auf ihn wirkten, als kämen sie aus einer anderen Dimension - würde er sich nie gewöhnen können, dessen war er sich sicher. Selbst wenn er hundert Jahre leben würde. Wenn... Bis dahin würde seine bevorstehende Metamorphose ihm einen Strich durch die Rechnung machen.
Metamorphose - da war es wieder, dieses Wort, das unweigerlich ein Jucken auf seinem Handrücken nach sich zog. Er senkte seinen Blick - mußte sich zwingen, die Augen dahin zu führen, wo er sie haben wollte - und registrierte wie aus weiter Ferne die Haut, die sich abpellte wie nach einem bösen Sonnenbrand... und die Schuppen, die zwischen den Hautfetzen zum Vorschein kamen. Sie leuchteten inzwischen in einem intensiven, gefährlichen Grün. Er war keineswegs überrascht, daß die Metamorphose so schnell fortschritt. Weit mehr überrascht war er, daß er es kaum wahrgenommen hatte, als der Wagen hielt. Eine Stimme, die ihn anherrschte, aus dem Wagen zu kommen, unterbrach seinen Gedankenfluß. Oh, natürlich - es war Mr. Dunkle Sonnenbrille. Wie hätte es auch anders sein können.
Sie standen in einer großen Halle, die etwas von einem Flugzeughangar hatte. Viele, sehr viele Menschen - dutzende, hunderte - wuselten eifrig herum und gingen ihren undefinierbaren Geschäften nach. Einige bewegten sich zu Fuß, aber viele benutzten auch mechanische Fortbewegungsmittel wie Kleinlaster oder Fahrzeuge, die auf Patrick wie überdimensionierte Seifenkisten wirkten. Patrick blickte hin und her, versuchte mit den Augen einen Menschen einzufangen, der in seiner Hektik innehielt, um mit Kollegen zu sprechen oder einfach nur eine Pause einzulegen. Es gelang ihm nicht. Jede der hier anwesenden Personen schien krampfhaft versucht, auf dem schnellstmöglichen Weg von A nach B zu kommen. Und das ohne größere Ablenkungen. Sie gingen sich aus dem Weg, sie grüßten einander kurz und distanziert - aber das war auch schon alle Aufmerksamkeit, die sie einander schenkten. Wie in einem Insektenstaat schien hier jeder seiner vorbestimmten Aufgabe nachzugehen. Unfaßbar, fand Patrick, daß sie hiermit etwas geschaffen hatten, was jahrelang, jahrzehntelang neben der einen, der äußeren Welt - die doch nur wenige Kilometer entfernt war - existiert hatte, ohne von ihr auch nur im Ansatz bemerkt zu werden. Wieviel Mühe es machen mußte, diesen Ort, der sich wenige Meter unter der schützenden Erddecke befand, geheimzuhalten, so daß nicht einmal die Politiker etwas davon wußten. Die Männer in den grauen Nadelstreifenanzügen nahmen Patrick in ihre Mitte - Mr. Dunkle Sonnenbrille, den er aufgrund eines Namensschildchens, das er vorhin nicht regiestriert hatte, als Special Agent Fox identifizieren konnte, war zu seiner Rechten - und setzten sich mit gemäßigter Geschwindigkeit in Bewegung. Seine beiden Freunde hier wirkten wie zwei graue Kleckse in einer bunten, wabernden Farbmasse, denn grau trug hier - obwohl alles so einen offiziellen und geordneten Eindruck machte - kaum jemand. Sie wirkten in der Tat, als würden sie nicht hierhergehören, nicht nur, was ihre Schrittgeschwindigkeit und ihre Gesten betraf. Sie wurden, was Patrick erst spät wahrnahm, als eine Autorität wahrgenommen, denn die hier Anwesenden machten ihnen mit einem ehrfürchtigen Gesichtsausdruck Platz, warfen sich sogar, was Patrick gelinde gesagt erstaunte, ängstliche und bedeutungsschwangere Blicke zu, hielten für einige Momente in ihrer Hektik inne.
Dummkopf, schalt Patrick sich später, als sie den Hangar verlassen und sich auf den Weg in eine der höheren Etagen gemacht hatten. Denn die Blicke galten nicht seinen beiden grauen Freunden hier - obwohl ihr Auftreten in der Tat aufsehenerregend war - sondern ihm. Er führte seine Hände auf seinem Gesicht spazieren, seinen Hals hinunter und in den Nacken, auf der Suche nach spürbaren Anzeichen, daß die Metamorphose seine höheren Körperregionen erreicht haben könnte. Und er fand sie; in einem viel höherem Maße als erwartet. Tatsächlich war sein Hals bis zum Kinnansatz verunstaltet und von einer harten Kruste überzogen, die er sich lieber nicht im Spiegel anschauen wollte, der sich im Aufzug befand. Ein leichter Ruck, als der Aufzug sich in Bewegung setzte, ein leises Surren, das die Fahrt in höhere Regionen dieses unterirdischen Gebäudetraktes begleitete; die Welt um ihn herum war voller Bewegung, voller Geräusche, und nie war es ihm so bewußt aufgefallen wie in diesem Moment. Als sich die Türen mit einem Zischen öffneten, wurde er so geblendet, daß er wie erstarrt stehenblieb. Ungeduldig trieben ihn seine beiden Begleiter weiter. Nicht zum ersten Mal an diesem Tag fühlte Patrick sich wie ein Hund, der an viel zu kurzer Leine geführt wird.
Sie durchquerten ein Gängelabyrinth, eine Weggabelung folgte der nächsten, doch Patrick nahm das alles kaum zur Kenntnis, zu sehr schmerzte das pulsierende Licht der Neonröhren in seinen Augen. Widerstandslos ließ er sich von seinen Begleitern dahin treiben, wohin sie wollten, als wäre er ein Tier in einer Büffelherde. War das die Metamorphose des Geistes, von der sie immer gesprochen hatten, die der Metamorphose des Körpers folgen sollte? Dunkel tauchte die Frage in seinem Geist auf, blieb unbeantwortet. Selbst wenn er eine Antwort hätte, was würde sie ihm nützen? Würde die Antwort irgendeinen positiven Einfluß auf sein weiteres Leben haben? Wahrscheinlich nicht. Er kämpfte gegen die Erschöpfung an.

- Ich wünsche Ihnen einen schönen guten Morgen.
Eine Stimme, die ihm bekannt vorkam, drang an seine Ohren; dumpf, wie wenn man durch feuchte Handtücher hindurch spricht.
Dr. Christopher, dachte er emotionslos, ist einer von ihnen. Sollen sie doch mein Gehirn anzapfen - doch ich werde mit Sicherheit derjenige sein, der zuletzt lachen wird. Ich garantiere nicht für die Konsequenzen... Seine Gedanken verhallten in der Dunkelheit des Geistes.
Schon war es wieder da - das leichte Stechen hinter der linken Schläfe: Hoffnung; die einzige, die große Hoffnung, die geistige Metamorphose - wenn nicht die körperliche - hinauszögern oder gar aufhalten zu können. Die ersten klaren Gedanken, die er seit Minuten des Schweigens zu fassen in der Lage war. Minuten, die nicht verrinnen wollten. Doch alle Hoffnung, das wußte er im gleichen Moment, war vergebens: einmal in Gang gesetzt würde nichts und niemand die Metamorphose stoppen können. Die Natur führte Krieg gegen seinen Körper, in seinem Körper - und seine Gene waren das Schlachtfeld.
Er hörte schwach, wie sich Dr. Christopher - jener Mann, der das aus ihm gemacht hatte, was er jetzt war: eine Perversion der Natur - mit jemandem unterhielt, doch er verstand den Sinn ihrer Worte nicht mehr.


Ach wie gut daß niemand weiß...

Jetzt, ja: jetzt, endlich, hatte er die Kraft, sich in der Luft zu zerreißen, die wächsernen Flügel auszuspannen, in die Glut der Sonne zu fliegen; seine bisherigen Existenzen zu verleugnen.
Das Warten hatte ein Ende.

Er war frei.

 

Hallo benedam,

wie auch bei Deinen anderen Geschichten läßt sich über Deinen Sprachstil gutes sagen. Leider kommt auch hier die Handlung wieder viel zu kurz. Bis auf die Autofahrt von der einsamen Kapelle (würde man das Kernobjekt eines streng geheimen Experiments in diesem Zustand tatsächlich so unterbringen?) zu dem Labor und die Verwandlung, mit der vermutlich der Abschluß der Metamorphose gemeint ist, passiert im Grunde gar nichts. Daß Du dieses Fehlen einer Handlung durch weitschweifige Erklärungen zum Seelenzustand des Protagonisten ergänzt, macht die Sache sehr zäh.
Ich freue mich aber schon auf eine Geschichte von Dir, in der tatsächlich etwas passiert!

Gruß

SilentSoul

 

Hi benedam
wiesilentsoul schon gesagt hat, ist deine Geschichte sprachlich Spitze - ich konnte nicht einen Rechtschreibfehler finden - aber es pasiert wirklich nichts!
Du machst andeutungen von der Metamorphose, von der aber der Leser nicht weiß, worum es sich handelt, und von einer anscheinend recht mächtigen Organisation, von der man aber ebenfalls nichts erfährt.
Das ganze kombiniert mit einem unbefriedigenden offenen Schluß hat mich etwas frustriert.
Schade eigentlichn, denn mit deinem Stil könnte man viel mehr machen.

glg Hunter

 

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