TheBuffyFan
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Menschlichkeit
Menschlichkeit
Die Knochen des Dons schmerzten. Seine Hände zitterten unwillkürlich und sein Atem war schwach. Erst vor einigen Tagen hatte der Mafiaboss von seinem Arzt erfahren, dass er todkrank ist und nicht mehr lange zu leben hatte. Doch er reagierte nicht überrascht auf die Diagnose des Arztes. Vielmehr beunruhigte ihn der Gedanke an sein Leben als skrupelloser Mafioso und er sah merkwürdigerweise ein, dass etwas in seinem Leben falsch verlaufen war. Doch was konnte dies sein? Er hatte eine wunderschöne Frau geheiratet, zwei raffinierte Söhne groß gezogen, die perfekt in die Fußstapfen ihres Vaters treten konnten und besaß mehrere, riesige Villen in den verschiedensten Teilen der Welt, denn an Geld mangelte es dem großen Don wirklich nicht. Die Antwort auf seine schwerwiegende Frage sollte ihm noch nicht beantwortet werden, denn jetzt musste er sich zuerst mit einem kleinen aber feinen Problem rumschlagen, dass für ihn eigentlich hätte bedeutungslos sein müssen. Eigentlich.
Es klopfte leise an der Holztür des großen und mit vielen prunkvollen Möbeln ausgestatteten Zimmers, in dem der alte Don weiter müde und erschöpft in seinem alten, gemütlichen Sessel kauerte. Die Tür öffnete sich mit einem leisen Knarren und ein schlanker, schwarz gekleideter Mann trat in die Mitte des Raumes. „Pate, ich muss unbedingt mit ihnen sprechen. Einer unserer Leute ist ein Fehler unterlaufen, der auf keinen Fall ignoriert werden darf.“, sagte der Neffe des Don mit klarer und durchdringender Stimme, ohne auch nur einmal mit der Wimper zu zucken. Der kranke Mafiaboss schwieg für einen kurzen Moment, gab ein leises Räuspern von sich und blickte nun angestrengt in das noch immer unveränderte Gesicht seines Verwandten: „Wir machen alle Fehler. Manche große“, der Pate hielt kurz inne, „manche kleine. Noch ehe ich weiß was geschehen ist, bitte ich dich, dem Mitglied unserer Familie Gnade zu schenken.“ Der Neffe des Dons erschrak durch die Worte seines Onkels und blankes Entsetzen machte sich im Gesicht des jungen Mafioso breit. Solche Worte aus dem Mund des Dons, der schon hunderte von Menschen auf dem Gewissen hatte? Jetzt sprach er von Gnade? Nein, das war unmöglich. „Aber Signore, was ist mit Ihnen los? Durch das Versagen dieses Mannes ist wahrscheinlich unsere ganze Existenz gefährdet, nur weil er das Attentat auf die Bedoni-Brüder nicht vorsichtig genug ausgeführt hat. Ein uns unbekannter Passant hat dann aus unerklärlichen Gründen seine Verfolgung aufgenommen und dieser vermaledeite, unfähige Trampel von Mafioso hat ihn genau zu unserem Aufenthaltsort geführt. Eigentlich wollte ja ich diesen Auftrag übernehmen, aber Ihr jüngster Sohn musste unbedingt darauf beharren, dass sich ein anderer darum kümmert.“. „Sprich nicht so von meinem Jungen!“, donnerte der Don los, doch es war ihm anzusehen, wie erschöpft er dabei wirkte. „Er ist noch zu jung und unwissend, als das er jetzt schon verstehen würde, worum es wirklich geht!“. Sein Neffe schwieg einen kurzen Moment, und ehe sich dieser für seine unangebrachte Wortwahl entschuldigen konnte, klopfte es ein zweites Mal an der Tür. Wenig später lugte ein etwas korpulenterer Mann mit einem weniger akkurat ausgewählten Anzug aus dem veralteten Türrahmen. Es war kein anderer als ein verachteter Mafioso, der nur Dank seines verstorbenen Großvaters in die „Familie“ aufgenommen wurde. „Signori, entschuldigen Sie bitte die Störung. Wir haben jetzt alle nur erdenklichen Informationen über den Passanten in Erfahrung bringen können, der einige Dinge herausgefunden hat, die äußerst fatale Folgen für uns haben könnten. Es handelt sich um einen unbedeutenden Italiano, der schon seit einigen Jahren als Pizzabote bei Luigis arbeitet. Die Pizzeria liegt am Rand des Strandes und ganz in der Nähe Ihrer Lagerhäuser, großer Don.“ Der korpulente Mafioso schien sehr zufrieden mit seinem Vortrag zu sein, denn es war das erste Mal, dass er dem Mafiaboss persönlich gegenüber stand. „Danke, “, ergriff nun der Neffe des Dons das Wort, „wir wissen Ihre Bemühungen zu schätzen. Jetzt brauchen wir nur noch einen zuverlässigen Mafioso, der die Sache in die Hand nimmt und sich darum kümmert, dass dieser Pizzabäcker bald ausgesorgt hat.“ „Das ist schon geschehen, Signore“, unterbrach ihn nun wieder der Informant, “Ihr jüngster Sohn, großer Don, hat sich bereits auf den Weg gemacht, um die Angelegenheiten zu klären. Ich ...“ Doch weiter kam er nicht. Wut stieg in dem Neffen des Mafiaboss auf, denn wie gerne hätte er derjenige sein wollen, der sich um das Problem kümmert? Nur weil sein Cousin der Sohn des Dons war, hieß das noch lange nicht, dass er mit seinen 22 Jahren diesen Auftrag besser ausführen könnte. „Gehen Sie, wir haben nun genug gehört!“, rief der verärgerte Neffe mit erregter Stimme. Ohne auch nur einen Laut von sich zugeben verließ der eingeschüchterte Mafioso das verdunkelte Zimmer und schloss die Tür schnell hinter sich. „Lass es gut sein. Ich weiß ganz genau, dass du eigentlich vorgesehen hast, diese Arbeit zu übernehmen. Auch ich kann nicht zulassen, dass sich mein Sohn weiter ins Verderben stürzt. Es ist die Zeit gekommen, in der sich einiges ändern muss und ich hoffe, dass du mir dabei behilflich sein wirst.“ sprach der Don mit zitternder Stimme, während er sich langsam aufrichtete. „Fahr schon mal die Limousine vor, wir haben einiges zu erledigen“.
Währenddessen stand in der Nähe der Pizzeria ein auffallend edler Wagen, der nicht zu den üblichen Gästen Luigis gehören konnte. Lässig lehnte sich ein sehr gut gekleideter Mann gegen die Fahrertür und zündete mit einem teuren Feuerzeug seine letzte Zigarrette an. Nach einigen Zügen warf er diese jedoch in den nächsten Straßengraben und stieg schleunigst in sein Auto ein. „Jetzt kann die Party beginnen.“ murmelte der junge Mann mit einem hämischen Grinsen, während er einen Pizzaboten im Rückspiegel beobachtete.
Dieser lud langsam einige Pizzen in den Koffer seines Rollers und blickte
in Richtung Himmel. Viele dunkle Wolken taten sich auf, die die Sonne bedeckten und für einen baldigen Sturm sorgen sollten. Doch jetzt war davon noch nichts zu bemerken, und der Pizzabote hoffte, trocken seine Arbeit beenden zu können. Arbeit. Durch genau diese geriet er erst in dieses Schlammassel, denn am gestrigen Abend wurde er Zeuge eines Attentats, das er sich nicht mal hätte zu träumen gewagt. Ein dunkel gekleideter Mann mit schwarzer Sonnenbrille feuerte einige Schüsse auf einen vorbeifahrenden Wagen ab und flüchtete sofort, nachdem er gemerkt hatte, dass sein Anschlag fehlgeschlagen war. Der Pizzabote konnte aus einem für ihn unerklärlichen Grund die Sache nicht auf sich beruhen lassen und verfolgte den Attentäter mit seinem Roller bis zu dessen Unterschlupf: Eine große, prächtige Villa die sich versteckt und ein ganzes Stück außerhalb der Stadt befand. Erst da dämmerte es dem Rollerfahrer, wohin es ihn geführt hatte. Das berühmt-berüchtigte Anwesen des größten Mafiabosses aller Zeiten befand sich nun direkt vor seiner Nase und ehe er sich weiter darüber Gedanken machen konnte, verließ er wie ferngesteuert das Geschehen, das ihm noch zum Verhängnis werden sollte.
Der junge Mann in Anzug beobachtete den Pizzaboten noch eine ganze Weile, wie er sich langsam auf den Roller setzte und einige Meter den Strandweg entlang fuhr. Kurze Zeit später nahm der Mann die Verfolgung des Rollerfahrers auf und wollte ihn an einer verlassenen Stelle des Strandes abdrängen, so dass er den Pizzaboten mühelos erledigen konnte. Der Himmel verdunkelte nun immer mehr und plötzlich setzte auch ein starker Regenschauer ein, bevor es einige Male blitzte und donnerte. Die beiden Männer waren nun schon einige Zeit gefahren und wurden stetig langsamer, da die Sicht auf der engen Straße immer trüber wurde. Erst jetzt bemerkte der Rollerfahrer irritiert, dass der Man in dem Wagen hinter ihm etwas von ihm wollte. Der Pizzabote beging nun seinen größten Fehler, den er schon Minuten später bereuen sollte.
Langsam und tiefdurchnässt stieg der Bote von seinem Roller und wartete darauf das der Autofahrer hinter ihm stoppte und sein Auto verließ. Die Fahrertür öffnete sich langsam und heraus trat der in Anzug gekleidete Mann mit einem Grinsen, dass der Pizzabote nicht einschätzen konnte. Nur ein einziges Wort brachte er über seine wie versteinerten Lippen hervor: „Mafia.“ Es donnerte ein zweites Mal und wenige Sekunden später löste sich der Pizzabote aus seiner Starre. Er sprang erneut auf seinen Roller und war diesmal voller Elan, da er inständig hoffte, dem gefährlichen Mafioso hinter ihm zu entkommen. Doch hatte weit gefehlt, denn der unberechenbare Mann hinter ihm zog einen Revolver aus der linken Seitentasche seines Jacketts und feuerte auf den Hinterreifen des Rollers. Dessen Vorderreifen drehten sich einige Male, bevor er durch die Näße auf der Straße ins unvermeidbare Schleudern geriet. Der Pizzabote, der nun Todesängste ausstand, konnte sich von seinem Gefährt nicht mehr retten und raste einen steilen Abhang hinunter, ehe er auf den harten Sandboden des Strandes aufkam und dort schwerverletzt liegen blieb. „Es war zu einfach“, kommentierte der junge Mafioso sein erfolgreiches Attentat auf den Pizzaboten und wischte die naßen Haare aus seinem Gesicht. „Aber noch gibt es ja etwas zu erledigen.“ Er folgte den Spuren des herabgestürzten Rollers und stieg vorsichtig die Böschung hinunter, doch war dies ein schwieriges Unterfangen, da der Schlamm ihm ein Vorankommen fast unmöglich machte. Als er endlich die Stelle des Aufpralls erreicht hatte, war es kein leichtes, die schwere Atmung des verwundeten Pizzaboten und das Rauschen der Wellen zu unterscheiden. „Hilfe...“, keuchte der Verletzte, “so hilf mir doch!“ Der Mafioso grinste nur ein weiteres Mal. „Und ob du Hilfe bekommen wirst! Meinst du etwa, ich kann dich hier so liegen lassen, wenn die Hoffnung besteht, dass du überleben wirst? So dumm kann wirklich kein Mafioso sein! Das hier ist das Schicksal jeder, die sich mit der Mafia angelegt haben. Ob dir das passt oder nicht spielt für mich keine Rolle!“ erklärte der junge Mafioso seinem Opfer, während er seinen Revolver erneut aus dem Jackett zog und ihn nach lud. Nun richtete er die Waffe auf den bereits verwundeten Kopf des Pizzaboten und gerade als er abdrücken wollte, packte ihm jemand auf die Schulter und zog ihn zurück. „Kleiner, dein Vater muß mit dir sprechen, obwohl ich selber nicht ganz verstehe, was er von dir will. Du machst ja nur deine Arbeit, die du mir nicht gegönnt hast.“ sprach der Neffe des Don zu seinem Cousin, obwohl er sich darauf konzentrierte, das der Mafiaboss an seiner Seite genug Platz zum Abstützen hatte. Der Don versuchte sich jetzt allerdings zu lösen, da er für das Gespräch mit seinem Sohn mehr als eine Autoritätsperson anstatt eines Krüppels wirken wollte. „Du weißt, schon seit vielen Jahrzehnten ist unsere Familie eine der mächtigsten.“, begann der erschöpfte Don und schaute dabei seinem Sohn väterlich in die Augen, „Es ist für uns natürlich reiner Alltag, den Menschen den Gar aus zu machen, die nicht so handeln, wie wir es von ihnen verlangen. Doch im Laufe der Zeit wird dir
immer mehr bewußt werden, dass etwas in deinem Leben fehlt. Auch ich habe dies jahrelang gespürt und erst jetzt herausgefunden, worum es wirklich geht. Unserer Familie fehlt eindeutig Menschlichkeit. Und da ich nicht zulassen kann, dass der winzige Kern in dir, der dies noch in sich trägt vernichtet wird, bitte ich... bitte ich dich...“ Der Don atmete plötzlich immer schneller und presste dabei seine Hand fester gegen die Brust, bevor er kniend zu Boden sank. „Vater!“, schrie sein Sohn entsetzt und auch sein Neffe wurde kreidebleich. „Versprich... mir“, stammelte der große Don schweratmend weiter „Versprich mir... dass du... Menschlichkeit zeigst...“ Dies waren die letzten Worte des großen Mafiabosses und langsam sank der nun leblose Körper endgültig in den nassen Sand, obwohl sich das Unwetter längst verzogen hatte und die Sonne schon wieder etwas schien. Der junge Mafioso stürzte zu Boden, nahm seinen toten Vater in die Arme und sprach schluchzend: „Vergib mir, vergib mir Vater. Es tut mir alles so leid, aber was hätte ich denn tun können?“ Er hielt kurz inne und schaute zu dem schwer verletzten Pizzaboten, der sich immer noch rührte. „Menschlichkeit“, wiederholte der junge Mann, während er sich langsam die Tränen aus dem Gesicht wischte.