Menschen im Kino
Menschen im Kino
Heute ging sie zum ersten Mal in ihrem Leben alleine ins Kino.
Sie war jetzt eine Single-Frau. Noch dazu eine, deren Freundinnen alle etwas besseres vor hatten. Trotzdem – raus aus dieser leeren Wohnung. Sie brauchte an diesem Abend nichts so sehr, wie das Wissen darum, dass Sie nicht der einzigste und einsamste Mensch auf dieser Welt war.
Die Schlange vor der Kasse war so lang wie eine überdimensionale Boa Constricta. Scheinbar gab es hier außer ihr nur Menschen im Doppelpack. Der größte Teil dieser Doppelpacks war zudem noch verschieden geschlechtlich. Eine Tatsache, die nicht unbedingt dazu beitrug, ihr das erwünschte Wohlgefühl zu schenken. Gut! Dann eben keine Geschenke, sondern einfach nur ein schöner Kinofilm mit klassischer Popcornbegleitung. Natürlich nur die mittlere Tüte. Die große ist ja nur etwas, wenn man zu zweit ... Mist! Schon wieder dran gedacht! Jetzt reichts – als anständige Single-Frau genießt man seinen Kinoabend. Also los!
Sie klappte ihren Sitz herunter und ließ sich auf das burgunderfarbenen Ding fallen, das die nächsten zwei Stunden ihren Hintern beherbergen sollte. Den zusammengerollten Mantel, den sie auf dem Arm trug, drapierte sie liebevoll auf dem Platz zur Linken. Als sie aufschaute, blickte sie direkt in zwei grüne Augen, die sie höchst interessiert musterten.
Dieser Kerl saß zwei Sitze neben ihr. Er lächelte anzüglich. Seine Augen funkelten ihr entgegen, als ob er es mit ihr in genau diesem Moment gerne tun würde. Auf dem dazwischenliegenden Kinosessel ohne Rücksicht auf ihren Mantel und sonstige Anwesende. Was denkt der sich eigentlich? Der Mantel war neu und hatte ein Schweinegeld gekostet. Dies war nur einer der Gründe, die dagegen sprachen.
Schnell drehte sie sich nach vorn zur Leinwand. Sie schlug die Beine übereinander.
Ihre Beine waren ziemlich wenig angezogen zwischen dem kurzen Rock und den langen schwarzen Stiefeln. Die Strümpfe glänzten aufreizend im schummrigen Eiswerbungsvorspannlicht. Sie wusste genau, dass seine Augen sich gerade nicht auf Cornetto & Co konzentrierten. Sie spürte die Wärme ihrer Oberschenkel. Dieser Typ erhitzte sie ungefragt mit seinen Feuer speienden Funkelaugen. Frechheit! Der Wärmestrahl seines Blickes wanderte ein kleines Stückchen höher.
Sie schluckte und rutschte ein wenig in ihrem unbequemen Sessel hin und her.
„Darf ich? Gewähren Sie mir den Zugang .... eeehm .... zum Eisverkäufer?“ Plötzlich stand er dicht neben ihr.
Sie merkte, dass sie ohne zu denken aufgestanden war. Jetzt war er so dicht vor ihr, dass sein Duft ihre Nase und damit auch ihren Mund zu seinem Hals zog.
Dieses willenlos machende Zeug sollte man sofort vom Markt nehmen. Außerdem wird einem schwindelig davon. Obendrein muss frau unweigerlich die Augen schließen und würde verdammt gerne leidenschaftlich geküsst werden.
Oder hatte er sich etwa doch von der Eiswerbung gefangen nehmen lassen, und sie war einfach nur eine verstörte Single-Frau, die es ziemlich nötig hatte. So teuer war der Mantel nun auch nicht gewesen, und Geld ist schließlich nicht alles im Leben.
Aber er wählte dieses eigenartige Wort – Zugang. Wahrscheinlich wollte er Zugang zu etwas ganz anderem. Etwas, das nur ihr gehörte. Etwas, das er in diesem Moment mehr begehrte als alles andere in diesem Universum.
Keine Sekunde länger würde sie es aushalten. Es platzte einfach aus ihr heraus: „Lass uns gehen. Jetzt sofort.“
Er genoss seinen Triumph sichtlich. Seine Hand streifte genussvoll ihre Hüfte, um sie noch ein bisschen mehr anzuheizen. Er beugte sich zu ihr hinunter und flüsterte in ihr Ohr: „Diesmal hast Du es aber nicht lange ausgehalten. Aber mir geht es nicht anders. Ich will dich jetzt auch.“
Sie liebten dieses Spiel. Sie liebten die Leidenschaft. Sie liebten die Liebe. Sie liebten sich.