- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 9
Mensch & Vampir
Nur einmal im Leben passierte mir etwas wirklich Seltsames. Lehnen sie sich zurück, lassen Sie mich davon erzählen.
Zeitgeschichte ist mein Beruf, ich bin Historikerin. Zu der Zeit als jenes Eigenartige geschah, hatte ich eine gut bezahlte Stelle als Dozentin an der Fakultät für Geschichtswissenschaften und da ich sehr ehrgeizig war, beschloss ich mich an einem populärwissenschaftlichen Buch mit historischem Hintergrund zu versuchen. Mir schwebte ein Content vor, der nicht für so genannte Fachidioten bestimmt war, sondern für die breite Masse, gut lesbar und interessant aufbereitet.
Schließlich kam ich zu dem Entschluss, mich mit dem Aberglauben im Wandel der Zeit unter besonderer Berücksichtigung religiöser Aspekte auseinander zu setzen und nahm Kontakt mit einem Priester auf, der im nahegelegenen Kloster predigte und mit dem ich schon jahrelang befreundet war. Ich bekam die Erlaubnis, im Archiv des Klosters nach den für mich erforderlichen Unterlagen zu suchen und diese auszuwerten. Mit Feuereifer stürzte ich mich auf meine neue Aufgabe. Stunde für Stunde, Tag für Tag. Geduldig und sorgfältig machte ich mich auf die Suche nach Manuskripten zum Thema, schrieb Notizen, erstellte das Grundgerüst. Ich vertiefte mich immer mehr in die Materie, die Welt hätte untergehen können ohne das ich es bemerkt hätte.
Ich genoss die Atmosphäre des Archivs, Regale, gefüllt bis an die Decke, ein Ort der Ruhe und des Wissens. Manchmal schlenderte ich durch die Reihen, nichts Bestimmtes suchend. Genießerisch sog ich den Duft von Jahrzehnte alten, verstaubtem Papier ein, meine Augen streiften die massiven aus Metall gefertigten Regale. Kehrte ich dann an meinen Schreibtisch zurück, war ich von einer Energie erfüllt, die ich zielstrebig für meine Arbeit einsetzte.
Die meiste Zeit verbrachte ich alleine, nur ab und zu kam eine von den freundlichen Nonnen zu Besuch, die mir kurz plaudernd ein Sandwich oder eine Tasse Tee brachte.
Bis zu jenem Tag Ende November. Ich saß an meinem Arbeitstisch, die Brille auf der Nase, eifrig vor mich hinkritzelnd, als mich etwas beunruhigte, ablenkte, ja störte. Ich sah irritiert auf und automatisch lenkte ich meinen Blick auf die antike Wanduhr, an deren lautes Ticken ich mich längst gewöhnt hatte. Die Uhr stand still, das von mir als angenehm empfundene monotone Geräusch hatte aufgehört.
Und da – in dieser absoluten Stille – sah ich das Ding, das lautlos aus dem Schatten eines Bücherregals hervorglitt.
Das Wesen war alt, uralt, die Haut brüchig und ausgetrocknet, als würde sie auf der Stelle abfallen.
Schlurfend kam es näher und gelb stichige Augen funkelten mich listig und verschlagen an. Das war das Schlimmste, diese lebenden Augen in dem verschrumpelten, toten Gesicht. Das Ding zog die Mundwinkel hoch, fletschte die Zähne, drohte mir mit dieser Geste. Sagte ich Zähne? Es waren schwarze verfaulte Zahnstummeln und mir schoss mir durch den Kopf, wie dieses Wesen wohl seine Beute zu fangen pflegte, denn das es sich nicht um einen Vegetarier handelte, schien offensichtlich für mich. Dann sah ich die grotesk baumelnden Hände, die schmutzigen langen Fingernägel, nein Krallen an, und wusste, dass sich diese Frage erübrigt hatte.
Und dann – ich kann bis heute nicht sagen warum – wich meine Furcht einem anderen Gefühl, nämlich Mitleid mit diesem hässlichen Geschöpf. Das Wesen schien die Veränderung der Aura um mich herum zu spüren, denn es verharrte still. Ich nahm wahr, dass es seine Schultern nach vorne sacken ließ. Der gehässige, listige Ausdruck verschwand, ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass dieser nur aufgesetzt gewesen war.
„Wer bist du?“ sprach ich es leise an. Die Frage „Was bist du“ hätte ich mir beim besten Willen nicht zu stellen getraut. Es fuhr zusammen, schnaufte, ich sah das Zucken der ausgetrockneten Lippen. Ich erwartete eigentlich keine Antwort, glaubte nicht, dass es mich verstanden hatte. Aber ich irrte mich in diesem Punkt gewaltig.
„Was kümmert`s dich, wer ich bin?“ brachte es mit ungeübten Stimmbändern heraus und fixierte mich mit seinen beunruhigenden Augen. Ich gelangte zu der Erkenntnis, dass das Wesen vor mir jahrelang kein Wort mehr gesprochen hatte.
Jetzt schlurfte es an mir vorbei – eine Wolke von Modergestank verbreitend – griff sich einen Sessel und platzierte seinen verkrüppelten Körper. „Ich hab dich beobachtet“ sagte es, mich fixierend, „du bist ständig hier, störst mich in meiner Ruhe.“ „Aber ich tu doch gar nichts“ antwortete ich perplex, „ich lese und schreibe die ganze Zeit die ich hier unten verbringe, meistens bewege ich mich ja nicht mal von meinem Schreibtisch weg!“ „Das tut nichts zur Sache“, grollte es verstimmt, „ich spüre deine Anwesenheit und das macht mich unruhig. Ich hab mir Ruhe und Frieden verdient, nach all den Jahren.“
Darauf wusste ich nichts zu sagen und so schwiegen wir beide. „Also gut“ sagte das deformierte Monster vor mir resigniert, „dann stelle ich mich mal vor: Philipe Vance, Vampir, stets zu Diensten.“ Ich zog scharf den Atem ein. Dieses Ding vor mir sollte ein Vampir sein? Ich hatte mich um Zuge meiner Recherchearbeiten über Aberglaube natürlich auch mit Vampiren beschäftigt, aber in keinen der vorhandenen Vorlagen fand sich eine Beschreibung, die auf den Vampir vor mir passte. Im Gegenteil, in den Überlieferungen wurden diese Geschöpfe der Nacht als unnatürlich schön beschrieben, ob Mann oder Frau. Mein Gegenüber dagegen war ein hässliches, zerknittertes Etwas, einfach nur grausig anzusehen.
Dann stellte ich die Frage, die mir brennend auf den Lippen lag, egal wie die Konsequenzen aussehen würden. „Wenn ich dich so störe, warum hast du mich dann nicht schon längst getötet?“ Ich brachte es fertig, dem Vampir fest in die Augen zu sehen. Philipe hob einen seiner langen Arme und zeigte mit seinen Krallen auf den Schreibtisch, wo etliche meiner Manuskriptseiten auf Vollendung warteten. „Deshalb“ schnarrte er. „Ich hab`s gelesen. Das meiste ist zwar ausgesprochener Schwachsinn, aber es hat mich auch amüsiert. Ich habe nicht mehr viel, über das ich Lachen kann. Selbst all die Bücher hier können mir nur mehr ein müdes Schmunzeln abringen. Ich kenn sie auswendig. Du hast mich zum Lachen gebracht. Aber jetzt ist es genug, ich brauche wieder meine Ruhe. Abgesehen davon, wenn ich dich hier abmurkse, wird die Polizei alles durchschnüffeln, und ich habe wieder nur Stress. So, genug geredet, mach einen Abgang!“
„Aber was wäre, wenn ich jemanden von deiner Existenz hier erzählen würde?“ fragte ich hartnäckig. „Dann komme ich dich holen“ kicherte Philipe, jetzt boshaft. Seine gelben Augen funkelten mich an. „Vampire können Gedanken lesen, meine Liebe. Ich würde sofort wissen, wenn du jemanden mein Geheimnis erzählst.“ Das ließ mich verstummen, fieberhaft dachte ich nach, um unsere Konversation in andere Bahnen zu lenken. „Wieso verkriechst du dich eigentlich hier unten?“ fragte ich ihn schließlich, „ich könnte mir denken, dass es auf Dauer ziemlich langweilig ist.“ „Wir haben wohl heute große Fragestunde“, erwiderte Philipe, aber aus seinem Tonfall konnte ich heraushören, dass er – obwohl er das wahrscheinlich nie zugegeben hätte – sich jetzt gerne mit mir unterhielt. Auch seine Stimmbänder schienen besser in Form zu kommen. „Ich mag die Welt draußen nicht“ begann er schließlich nach einer kleinen Pause, „besser gesagt nicht mehr. Ich habe alles erlebt was es zu erleben gibt. Zurück bleibt nur tödliche Langeweile, die andauert und andauert bis in alle Ewigkeit. Ob ich draußen existiere oder hier unten ist gehupft wie gesprungen. Völlig bedeutungslos, für mich jedenfalls.“
„Aber hier schaut es doch sicher schlecht mit Verpflegung aus?“ setzte ich dem entgegen und schauderte bei dem Gedanken an die Ernährungsgewohnheiten von Vampiren. „Sind genug Ratten und Mäuse da“ belehrte mich Philipe, „in der Nacht streift hier eine ganze Kolonie herum. Na, schöner wird man von dem Getier ja nicht gerade, wie du an mir siehst, aber ich hab`s weder mit der Schönheit noch mit dem Genuss. Würde ich mich über einen Menschen hermachen, wäre ich wieder der schöne junge Mann von einst, aber das bedeutet mir nichts, also lasse ich es bleiben.“
Ich dachte daran, dass sich die Nonnen oft darüber beklagten, dass die Kammerjäger mit dem Ungeziefer hier unten einfach nicht fertig wurden. Schlecht für die Manuskripte und Bücher, gut für Philipe.
„Wie und wann ist es passiert?“ fragte ich unvermittelt und hoffte, dass ihn meine endlose Ausfragerei nicht verdrießlich stimmte. „Gib mir eine Zigarette, dann erzähle ich es dir“, sagte Philipe und schnappte sich Gewünschtes aus dem Etui, das ich ihm hinhielt. Ich erwartete, dass sich seine Geschichte vor Jahrhunderten zugetragen hatte, aber was ich zu hören bekam, versetzte mir kurzfristig einen derben Schock.
„Neunzehnhundertsieben“ begann er, „da ist es passiert. In dem Jahr, als Roosevelt den Friedensnobelpreis erhielt, Rasputin Einfluss auf den Zaren am russischen Hof gewann und der britische Physiker Lord Kelvin verstarb.“
Ich holte tief Luft, Philipe war demnach ein erst sechsundsechzig Jahre alter Vampir. Ich konnte es kaum glauben. Er sah aus wie aus dem Grabe entstiegen, ein Zombie, eine Mumie. Verkrampft versuchte ich mein Entsetzen zu verbergen. „Kelvin definierte doch den absoluten Nullpunkt ...“ murmelte ich ablenkend.
Philipe musterte mich. Seine Augen funkelten belustigt. „Du hast wohl geglaubt, ich wäre dreihundert Jahre alt, was? Nun, so fühle ich mich auch. Für Vampire vergeht die Zeit viel langsamer als für Menschen. Wir sind zu intelligent. Schau, ich nenn dir ein Beispiel. Wenn du ein Buch liest, kannst du es genießen, du brauchst Zeit dafür, Zeile für Zeile zu lesen und es geistig zu verarbeiten. Ich hingegen erfasse, sobald ich meinen Blick auf eine Buchseite werfe, im Bruchteil einer Sekunde den Inhalt. Und so ist es mit allem. Reichlich öde, das kann ich dir versichern.“ Trübsinnig starrte er vor sich hin und sprach dann weiter.
Ich war zwanzig Jahre jung, stammte aus einer reichen Industriellenfamilie und war wie man so schön sagt, ein richtiger Gentleman. Nach der neuesten Mode gekleidet – denn das war für die bessere Gesellschaft der ich angehörte, ein wichtiger Teil des Selbstverständnisses, ja des Standesdünkels - nahm ich am gesellschaftlichen Leben teil. Im frackähnlichen Rock, den zylinderförmigen steifen Hut am Haupt, gab ich einen – wie ich behaupte – recht passablen jungen Mann ab.
Meine Freunde waren vom selben Schlag wie ich, allesamt ausreichend mit Geld versehen und dementsprechend sorglos. Wir genossen das Leben und alle Freuden, die es zu bieten hatte. Mehrmals die Woche besuchten wir das Theater, das nicht nur den Genuss der jeweiligen Vorstellung versprach, sondern auch ein wichtiger Treffpunkt war, um Konversation zu machen und den neuesten Tratsch zu hören.
Entspannung suchten wir auch im Kartenspiel, Brandy trinkend und zigarrenrauchend beschäftigten wir uns nächtelang damit.
Eines Abends – wir saßen in unserer Stammwirtschaft – rauschte eine junge Dame herein und setzte sich an einen der leeren Tische. Das Geplauder im Lokal verstummte mit ihrem Eintreten schlagartig. Frauen, die etwas auf sich hielten, gingen nicht aus, und wenn, dann nur im Kreis der Familie. Es war also kein Wunder, dass uns vor Überraschung der Mund offen stand, denn dass es sich um eine Dame handelte, war an der Art wie sie gekleidet war ersichtlich. Die junge Frau trug ein taubenblaues Seidenkleid, ausgestattet mit Rüschen, Volants und Draperien. Ihr Gesicht war edel geschnitten und hatte etwas dramatisches an sich, ein Maler wäre davon sicher begeistert gewesen. Ihr dichtes schwarzes Haar war mit einer Unmenge von Haarnadeln, Spangen und Kämmen sorgfältig aufgesteckt. Der Schmuck den sie trug war sichtlich wertvoll und schien sehr alt zu sein.
Als der Kellner an die Lady herantrat und höflich nach ihren Wünschen fragte, bestellte sie Whisky und als ich ihre sinnliche rauchige Stimme hörte, war es um mich geschehen. Ich verliebte mich rasend in sie. Sie schien meinen glühenden Blick zu merken, denn sie schenkte mir ein Lächeln und machte mich damit zum glücklichsten Mann auf Erden.
Das Balzverhalten der anderen Gäste ignorierte die junge Dame. Es war interessant zu beobachten, wie die Gentlemen versuchten, so attraktiv wie möglich zu wirken. Bäuche wurden eingezogen, Schultern gerafft und so manche heftige Diskussion verstummte. Die Lady sah all das, aber ihre Blicke galten mir, nur mir.
Schließlich nahm ich all meinen Mut zusammen, entschuldigte mich bei meinen Freunden, stand auf und ging an ihren Tisch. Mit einer angemessenen Verbeugung und ausgesprochener Höflichkeit stellte ich mich vor und fragte sie, ob ich ihr Gesellschaft leisten dürfe. Sie bejahte mit einem kleinen Nicken, deutete mit einer Handbewegung auf den leeren Stuhl neben ihr. Ich spürte die neidischen Blicke der anderen Gäste in meinem Nacken und war ob meines Mutes unglaublich stolz auf mich.
„Ich bin erst vor kurzem in diese Stadt gekommen“ sagte sie, mich freundlich anlächelnd, „darum bin ich froh, etwas Gesellschaft zu haben. Ich kenne hier niemanden. Mein Name ist übrigens Vianne.“
„Haben sie denn keine Familie, keine Freunde?“ fragte ich sie spontan und bereute sofort meine indiskrete Frage. Aber es schien sie nicht weiter zu stören, denn sie erwiderte „Nein. Nicht hier und auch nicht sonst wo“, und ein düsterer Schatten fiel über ihr Gesicht. „Das ist traurig“ gab ich zu und wieder quollen unüberlegte Worte aus meinem Mund: „Ich wäre gern ein Freund von Ihnen, Vianne, wenn sie es gestatten.“ Sie warf mir einen intensiven Blick zu. „Glauben sie mir, das wären sie sicher nicht. Sie kennen mich doch nicht einmal, wissen nichts von mir“ sagte sie heftig. „Das ist mir egal!“ rief ich feurig aus und setzte dann leiser dazu „Ich habe sie gesehen und fühlte mich sofort zu Ihnen hingezogen, als wäre ein unsichtbares Band zwischen uns. Sie haben es doch auch gespürt.“ Vianne`s große dunkle Augen musterten mich. „Machen wir einen Spaziergang an der frischen Luft“ sagte sie und wie in Trance winkte ich dem Kellner, beglich die Rechnung und gemeinsam verließen wir das Lokal, verfolgt von vorwurfsvollen stummen Blicken.
Es war eine klare Nacht. Ich bot Vianne meinen Arm und gemeinsam spazierten wir über die menschenleeren Straßen. Ich war glücklich, mein Herz übervoll vor Liebe zu ihr. Schließlich überwog mein jugendlicher Übermut und ich sank vor ihr auf die Knie und gestand ihr meine Liebe. Heutzutage klingt das lächerlich, ich weiß, aber das waren andere Zeiten damals. „Meinst du das wirklich und wahrhaftig?“ fragte Vianne mit ihrer rauchigen Stimme und ich konnte nur stammelnd wiederholen, was ich ihr bereits gesagt hatte, drückte ihre Hände und musste mich zusammennehmen, um nicht den Saum ihres Kleides zu küssen.
„Ich habe es auch gespürt. Schon vor dem Lokal, darum bin ich hineingegangen. Ich konnte nicht anders“ gestand sie, „Ich wusste, ich würde dich treffen, Philipe.“
Ich zog sie an mich und umarmte sie, küsste sie leidenschaftlich. Ihre Lippen wanderten über meinen Hals und saugten sich daran fest, ich glaubte noch nie etwas Erotischeres erlebt zu haben. Bedauerlicherweise veränderte sich das Szenario, und zwar zu meinem Nachteil. Das verlogene kleine Biest verbiss sich in meine Halsschlagader und begann gierig mein Blut zu trinken. Von wegen Liebe und Leidenschaft! Die Schlampe war nur darauf ausgewesen, mich auszubluten. Aus Liebe wurde Angst und Hass, aus Leidenschaft wurde Schmerz. Natürlich versuchte ich mich zu wehren, aber dieses falsche Luder war einfach zu stark für mich. Eine Vampirlady wie aus einem schlechten Bilderbuch. Und so hielt sie mich eisern umklammert, ich wurde schwächer und schwächer und kam zu dem Entschluss, dass ich meinen Anti-Vampirglauben gründlich überdenken musste.
Als sie endlich mit mir fertig war, ließ sie meinen halbtoten Körper einfach in einer Seitengasse liegen. Sie beugte sich über mich – die Lippen von dunklem Blut verschmiert – und grinste mich an. „Dummer kleiner Junge!“ sagte sie, und das waren die letzten Worte die ich von ihr hörte, sie verschwand in der Dunkelheit. Ich weiß nicht, warum Vianne mich am Leben ließ – das wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben.
Die nächsten Jahre streifte ich in der Welt umher, lernte damit umzugehen ein Vampir zu sein. So vergingen die Jahre. Ich bekam schließlich alles gründlich satt und zog mich hierher zurück. Das war es. Mehr gibt es nicht zu sagen.
Philipe lehnte sich bequem zurück und schnappte sich noch eine Zigarette aus meinem Etui. „Hast du denn nie einen anderen deiner Gattung getroffen?“ fragte ich ihn. „Nein“ erwiderte er, „aber ich habe auch nie nach Anderen gesucht. Auch Vianne habe ich nie mehr gesehen. Gut für sie.“
Dann sah mich Philipe aufmerksam an und sagte „Ich finde dich gar nicht übel. Du fragst mir zwar Löcher in den Bauch, aber du bist nett und kannst gut zuhören.“
Darüber musste ich lachen, schließlich hatte noch nie ein Kompliment von einem Vampir bekommen.
„Nein ich meine es ernst. Tut mir leid, dass ich vorher so schroff zu dir war“ sagte Philipe, „Ich nehme meine Worte zurück. Du kannst gerne hier bleiben und weiterarbeiten, wenn du möchtest, helfe ich dir bei deinen Recherchearbeiten.“
„Ich fühle mich geehrt“ sagte ich und meinte es wirklich so. Es würde Spaß machen, mit Philipe zusammen zu arbeiten, außerdem war er einen kluger Kopf. Und so geschah es, er wurde mein Co-Autor.
Das war der Beginn einer Freundschaft, die bis heute besteht und weiterbestehen wird, bis meine Lebensuhr abgelaufen ist.
Mein Buch – an dem Philipe maßgeblich beteiligt war – wurde ein durchschlagender Erfolg, meine Widmung darin galt alleine ihm. Später behauptete ich der Klosterleitung gegenüber, dass ich an einer Fortsetzung arbeiten würde und konnte so Philipe regelmäßig besuchen, ohne dass meine Anwesenheit im Archiv auffiel oder zu Misstrauen Anlass gab.
Wir verbrachten eine Menge Abende miteinander, diskutierend, manchmal auch streitend. Ich mochte seine witzige intelligente Art und gewöhnte mich an sein Aussehen. Heute finde ich ihn überhaupt nicht mehr hässlich, weil er eine innere Schönheit besitzt, die vielen Menschen abgeht. Er wurde mein bester Freund. Oft saßen wir schweigend beisammen, die Anwesenheit des anderen genießend, Vampir und Mensch, durch enge Vertrautheit aneinander gebunden.
Als der Krebs diagnostiziert wurde und die Ärzte mir mitteilten, dass es keine Heilung geben würde, die Metastasen waren schon zu weit fortgeschritten, hielt mich Philipe in den Armen und tröstete mich. Er nahm mir etwas von meiner Angst und linderte die Last auf meinen Schultern. Ich flehte ihn an mich doch zu einem Vampir zu machen, mir so den kommenden Tod zu ersparen, aber er schüttelte ernst den Kopf. „Das werde ich nicht machen“ sagte er, „glaub mir, der Tod ist besser. Hätte ich die Wahl, was glaubst du wohl, für was ich mich entscheiden würde?“ Ich schrie ihn an, warf ihm gemeine Sachen an den Kopf, bettelte um das ewige Leben, aber er blieb ruhig und ließ mich austoben.
Und als es so schlimm wurde, dass ich mein Haus nicht mehr verlassen konnte – das Krankenhaus verweigerte ich, ich wollte daheim sterben – kam er zu mir, um mir die restliche Zeit beizustehen. Ich weiß, was für eine Überwindung es ihn gekostet hat, das Archiv, in dem er sich so geborgen fühlte, zu verlassen, aber er tat es für mich.
Philipe kümmert sich so liebevoll um mich. Wenn es soweit ist, wird er auf meinem Bett sitzen und meine Hand halten, das hat er mir versprochen.
Ich muss Medikamente einnehmen, die mich müde machen, so müde. Aber ich habe alles berichtet, was ich berichten wollte. Ich werde jetzt Philipe rufen, damit er mir hilft, mich hinzulegen.
Danke, Sie waren ein aufmerksamer Zuhörer. Gute Nacht.