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Melken
Der Berg fordert meine Lungen.
So früh am Morgen.
Späte Nachtkatzen schleichen dem Dorf entgegen.
Langsam fließt der Nebel in das Tal. Wie Watte, vermischt mit dem ersten Rauch der Schornsteine.
Gerne mag der Hund das.
Laufen.
Und Schnüffeln, den Mäusen nach. Riechen an den vergessenen Spuren der Katzen.
Je höher ich steige, desto weiter kann ich sehen. Logisch eigentlich.
Unter mir schlängelt sich der Weg zurück ins Tal.
Der Morgen zaubert einen rosa Hauch auf die Konturen des Horizontes.
Hinter den Fichten erscheinen die ersten Berge des Westerwaldes.
In allen Tälern bis dorthin steht Nebel. Wie Schüsseln mit Milch, randvoll eingegossen. Wie groß müssen die Kannen gewesen sein.
Ich weiß nicht genau den Namen des Sängers, der die Sonne begrüßt. Zumindest kann ich ihn sehen. Klein und braun sitzt er in den Zweigen der Haselnuss. Ein wenig von den Blättern verdeckt. Sein Lied schmettert er weit hinaus, über die Felder und Wiesen. Bis es ankommt. Nicht nur in meinen Ohren.
Auf das Klappern des Eimers antworten die Kühe mit leisem Muhen.
Noch liegen sie bequem im hohem Gras. Die Butterblumen nicken mit den Köpfen, wenn ihr Atem sie streift. Als sie aufstehen, ganz langsam, zwei Kühe eben, bleiben Kuhlen zurück in den Halmen. Warme, gemütliche Schlafkuhlen.
Behäbig trotten sie am Zaun entlang mit. Bis an das Tor, wo der Schemel steht. Und die Melkfettdose und die Schüssel für die Hundemilch.
Platz muss er machen. Aber ungern. Der Kopf steht ihm mehr nach Bellen und Jagen. Die jüngere der beiden Braunen darf ja auch laufen, sie wird nicht gemolken. Das können Hundeköpfe nicht verstehen.
Meine Alte steht am Zaun und wartet. Bis ich endlich neben ihr sitze.
Erst mal Anrüsten. Die Zitzen werden prall zwischen meinen Fingern. So prall, dass der dünne weiße Strahl von ganz alleine weiterläuft als ich ihm was zum Schlecken bringe.
Dann Melken. Schnell habe ich meinen Rhythmus.
Noch klingt es blechern, als die ersten Strahlen den Eimerboden treffen.
Doch jeder Liter lässt den weißen Schaum höher steigen.
„Am Schaum erkennt man ob es der Kuh gefällt.“, sagte meine Oma immer.
Wenn ich meinen Kopf an ihre warme, braune Flanke lege blickt sie mich zuweilen an. Groß und glänzend, von langen Wimpern umrahmt.
Wie ein schwarzer Weiher liegt ihr Auge auf mir. Ich tauche ab, genau in den Grund des Strudels hinein. Auf den Boden meines Ichs hinunter bis zu den Klängen unseres Ursprungs.
Melken.
@ Merlinwolf 2003