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Melken

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26.07.2002
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Melken

Der Berg fordert meine Lungen.
So früh am Morgen.
Späte Nachtkatzen schleichen dem Dorf entgegen.
Langsam fließt der Nebel in das Tal. Wie Watte, vermischt mit dem ersten Rauch der Schornsteine.
Gerne mag der Hund das.
Laufen.
Und Schnüffeln, den Mäusen nach. Riechen an den vergessenen Spuren der Katzen.
Je höher ich steige, desto weiter kann ich sehen. Logisch eigentlich.
Unter mir schlängelt sich der Weg zurück ins Tal.
Der Morgen zaubert einen rosa Hauch auf die Konturen des Horizontes.
Hinter den Fichten erscheinen die ersten Berge des Westerwaldes.
In allen Tälern bis dorthin steht Nebel. Wie Schüsseln mit Milch, randvoll eingegossen. Wie groß müssen die Kannen gewesen sein.
Ich weiß nicht genau den Namen des Sängers, der die Sonne begrüßt. Zumindest kann ich ihn sehen. Klein und braun sitzt er in den Zweigen der Haselnuss. Ein wenig von den Blättern verdeckt. Sein Lied schmettert er weit hinaus, über die Felder und Wiesen. Bis es ankommt. Nicht nur in meinen Ohren.
Auf das Klappern des Eimers antworten die Kühe mit leisem Muhen.
Noch liegen sie bequem im hohem Gras. Die Butterblumen nicken mit den Köpfen, wenn ihr Atem sie streift. Als sie aufstehen, ganz langsam, zwei Kühe eben, bleiben Kuhlen zurück in den Halmen. Warme, gemütliche Schlafkuhlen.
Behäbig trotten sie am Zaun entlang mit. Bis an das Tor, wo der Schemel steht. Und die Melkfettdose und die Schüssel für die Hundemilch.
Platz muss er machen. Aber ungern. Der Kopf steht ihm mehr nach Bellen und Jagen. Die jüngere der beiden Braunen darf ja auch laufen, sie wird nicht gemolken. Das können Hundeköpfe nicht verstehen.
Meine Alte steht am Zaun und wartet. Bis ich endlich neben ihr sitze.
Erst mal Anrüsten. Die Zitzen werden prall zwischen meinen Fingern. So prall, dass der dünne weiße Strahl von ganz alleine weiterläuft als ich ihm was zum Schlecken bringe.
Dann Melken. Schnell habe ich meinen Rhythmus.
Noch klingt es blechern, als die ersten Strahlen den Eimerboden treffen.
Doch jeder Liter lässt den weißen Schaum höher steigen.
„Am Schaum erkennt man ob es der Kuh gefällt.“, sagte meine Oma immer.
Wenn ich meinen Kopf an ihre warme, braune Flanke lege blickt sie mich zuweilen an. Groß und glänzend, von langen Wimpern umrahmt.
Wie ein schwarzer Weiher liegt ihr Auge auf mir. Ich tauche ab, genau in den Grund des Strudels hinein. Auf den Boden meines Ichs hinunter bis zu den Klängen unseres Ursprungs.
Melken.
@ Merlinwolf 2003

 

Servus Merlinwolf!

Ich hab mich wunderbar wohlgefühlt in deiner Geschichte. Das Heu konnte ich riechen, die Milchkannen die sich in die Täler entleeren sah ich, und das Gefühl, wenn sich mein Gesicht gegen das warme Fell der Kuh lehnt empfand ich als einen Splitter Geborgenheit, deine Gedanken an unseren Ursprung ließen zu, dass ich einen Moment einfach "sein" konnte. Dieses Hervorholen von Empfindungen, alle Sinne mit wenigen Zeilen anzusprechen, gelingt nur wenigen - alle Achtung, großartig.

Lieben Gruß an dich - Eva

 

Danke, liebe schnee.eule!
Gerade weil die Welt sicher nicht so ist, wie sie mir aus dem Stift fließt, sind mir diese Worte so wichtig.
Es freut mich, wenn du einen Splitter von Geborgenheit gefühlt hast. Und wenn du den gemeinsamen Ursprung daraus lesen konntest habe ich es wohl richtig geschrieben.
*********merlinwolf************

 

WUNDERSCHÖN!

Deine Geschichten sind für mich Deja vü - Erlebnisse, jede davon ein großes stilles ,in concert'.
Mehr dazu braucht es hier nicht.

Liebe Grüße - Aqua

 

Lieber Merlinwolf!

Ein paar Deiner einfachen Sätze geben den Rahmen vor. Eine einfache Beziehung zu Natur und Lebewesen. ICh finde es wunderbar geschrieben.

Anne

 
Zuletzt bearbeitet:

hi merlin,

eindrucksschilderungen verbinde ich immer mit langeweile. aber das sind persönliche neigungen, sie spiegeln nicht die qualität der geschichte wieder.

du verwendest hier eine wunderschöne sprache.

Die Butterblumen nicken mit den Köpfen, wenn ihr Atem sie streift.

herrlich

und

Warme, gemütliche Schlafkuhlen.

wirklich schön!

diese sprache ist aber auch alleiniger träger dieser geschichte. für eine wirklich gute eindrucksschilderung fehlen ein paar sinne, das, was schneeeule schreibt:

Das Heu konnte ich riechen,
genau das fehlt! du hast dich nämlich hauptsächlich auf den visuellen eindruck beschränkt. zwei mal hast du das ohr auch etwas hören lassen. fühlen .. nein, das ist gar nicht dabei. wo ist der wind, der kühl aber sanft meine backen streichelt? gerade das fühlen ist des menschen stärkstes sinnesorgan. nur sehen ist einfach zu wenig
wo ist der duft des heus? ja, riechen kann man seine welt auch. hier ist es einfach zu wenig, gerade weil du eine wirklich schöne sprache wählst.

zwei stilfragen habe ich noch:

Behäbig trotten sie am Zaun entlang mit.

ich stolpere über diesen satz in meinen harmonischen lesefluss. auch wenn er grammatikalisch richtig und auch sinnig ist, stolpere ich darüber. ich muss nachlesen, mit wem die am zaun mitgehen.

und

Meine Alte steht am Zaun und wartet. Bis ich endlich neben ihr sitze.

steht da wirklich "alte"? du kannst doch nicht den ganzen text lang schöne malerische sätze bilden .. und dann kommt eine "alte" ins spiel! das beisst sich. :)

Ich hab mich wunderbar wohlgefühlt in deiner Geschichte.
ich auch!

bis dann
barde

 

Lieber Merlinwolf,

mit diesem Text hast du mich zum Träumen gebracht. Hab mich auf eine grüne Almwiese versetzt gefühlt, auf der die Zeit langsam dahinplätschert und alles ruhig seinen Gang geht. Konnte das Glockenläuten der Kühe hören. Würde jetzt gerne an einem Waldweiher (mit Wasserlinsen) im warmen Sonnenschein mit einem guten Buch liegen. So schöne Sätze hast du da kreiert!

Bitte mehr davon und ruhig ausführlicher,

lg
liz

 

Ihr Lieben
danke für die Worte, ehrlich
und extra @ Barde, ja, du hast recht, ein wenig Riechen und Fühlen in gefütterten Wörtern hätte noch besser geschmeckt. Ich überlege mal.
Sie trotten mit mir und dem Hund am Zaun entlang, meine "Alte", die einfach schon alt ist ohne Wertung und die Junge, die nicht gemolken wird. Ich verwirre mich zuweilen, aber vielleicht facht es auch nur die Phantasie der Leser an.
"Meine Alte" schrieb ich eher als "zärtlichen Realismus", ich weiß nicht wie ich das sonst erklären könnte.
Danke auf jeden Fall für die Tipps
************Merlinwolf****************

 

Hei Merlinwolf, du setzt äußerst geschickt Worte und Sätze. Teilweise ein- bis zwei-wort-sätze. Genial. Ich überlege immer wie sie es macht. Ich meine nach welcher Struktur, auch nach Gefühl ist irgendwie Strukturiert. Ich werde wohl noch weiter überlegen,wie das geht und wie du es machst.

Liebe grüsse stefan

 

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