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Melanie
Melanie war ein fröhliches, lebensfrohes und neugieriges Mädchen. Sie steckte voller Energie, tanzte oft umher, und kam mit jeder Art von Mensch zurecht. Ein kleines Energiebündel, das jeder mochte. Ihre Launen waren sehr ansteckend. Egal, wie schwermütig man sich fühlte, oder wie niedergeschlagen man war, sie zauberte jedem mit schrulligem Auftreten ein Lächeln auf die Lippen.
Als sie jedoch ins Teenageralter kam, verstarben ihre Eltern bei einem schweren Autounfall. Sie saß auf dem Rücksitz, als es passierte und wurde schwer verletzt, konnte jedoch rechtzeitig in ein Krankenhaus gebracht und gerettet werden.
Sie erholte sich mit der Zeit durch etliche Therapiestunden. Es war ein langer und steiniger Weg. Vom Verlust ihrer Eltern erholte sie sich jedoch nie. Sie zog sich zurück, wollte mit niemandem sprechen. Auch ihren Pflegeeltern öffnete sie sich nicht, trotz ihrer Bemühungen, für sie zu sorgen.
Melanie hatte auch keinen einzigen Freund. Niemand wollte sich mit so einem Mädchen abgeben. Daher hatte sie es schwer in der Schule, wurde gemobbt und allein gelassen.
Aus Furcht blieb sie oft daheim. Ihre Pflegeeltern wussten nicht mehr weiter und schenkten ihr einen Computer, in der Hoffnung, sie zumindest damit etwas glücklicher zu machen. Und das taten sie. Es lenkte sie von der traurigen Realität ab, und nach langer Zeit nahm sie schließlich wieder Kontakt mit anderen Menschen über das Internet auf. Dort lernte sie eines Tages einen jungen Mann kennen. Erst schrieben sie nur wenige kurze Zeilen. Doch dann wurde dieser Mann zu ihrem ganzen Lebensinhalt. Es verging nur ein Jahr, da heirateten die beiden.
Mit der Zeit gelang es ihr, vor allem durch ihren Mann, der sie liebevoll umsorgte, ins normale Leben zurückzufinden. Sie konnte wieder richtig glücklich sein.
Allerdings hielt dieses Glück nicht lange an. Zunächst störte sie sich nicht daran, dass er oft spät von der Arbeit kam. Doch dann wurde sie misstrauisch und spionierte ihm nach. Schließlich erwischte sie ihn, wie er sie betrog. Das konnte sie nicht verkraften und war von da an nie wieder mehr dieselbe.
Erst führte sie vermehrt Selbstgespräche und schloss sich immer wieder Stundenlang im Badezimmer ein. Dann kaute sie sogar ihre Nägel blutig. Der Gedanke, wie Ihr Mann sie betrog, war nach all der schönen Zeit einfach unerträglich.
Er scherte sich jedoch nicht mehr um sie und war von ihrem Anblick angewidert. Nun zeigte er sein wahres Gesicht und vergnügte sich weiterhin mit anderen Frauen, ohne ein großes Geheimnis daraus zu machen. Er lud sogar welche ein, während Melanie eingeschlossen im Bad saß. Es schien so, als würde es ihm Spaß machen, sie zu quälen, seine Macht über sie zu demonstrieren. Mit der Zeit machte sie diese Tortur völlig wahnsinnig, wippte zusammengekauert hin und her, biss sich die Lippen wund und kratzte sich die Kopfhaut auf.
Schließlich, zerfressen von Trauer, Hass und Eifersucht, schlich sie eines Nachts in die Küche, nahm ein großes Messer, und schnitt ihrem schlafenden Mann kaltblütig die Kehle durch. Sie lachte fürchterlich. Es verschaffte ihr die größte Befriedigung, die sie jemals verspürte, als sie ihn jämmerlich nach Luft ringend verbluten sah. Doch schnell überkam sie wieder die tiefe Traurigkeit, und ihr Lachen wandelte sich in ein bitteres, verzweifeltes, elendiges Heulen. Sie konnte nicht mehr aufhören. Es sprudelte all das Leid aus ihr heraus, das sie jemals in ihrem Leben empfand. Doch nach einer gewissen Zeit wurde sie wieder ganz still.
Ohne jeglichen Lebensfunken, leer wie eine Hülle, sah sie keinen Sinn mehr in ihrem Leben. So brachte sie sich schließlich selbst um, indem sie sich von einem hohen Gebäude in die Tiefe stürzte, ohne dabei auch nur einen einzigen Schrei auszustoßen.
Mit zusammengekniffenen Augen schaue ich auf das leere Blatt Papier, während ich meine Zähne in den Bleistift versinke und das bittere Holz schmecke.
„Das wird heute nichts mehr …“, denke ich mir und blicke auf die Uhr an der Wand. Schon fast Mitternacht. Ich war so vertieft in meine Arbeit, dass mein Kopf schon das Ticken der Wanduhr ausgeblendet hatte. Beim Aufstehen und Strecken knacksen etliche meiner versteiften Gelenke. Ich muss dringend auf mehr Bewegung achten. Etwas entsetzt blicke ich auf meinen Schreibtisch. Er sieht aus wie eine Müllhalde, bestehend aus Plastikverpackungen von Snacks und anderen Essensresten. Trotz der Riesenmenge an Nervennahrung habe ich es nicht vollbracht, den Aufsatz für die Uni fertigzustellen.
Betrübt und erschöpft begebe ich mich in die Küche und fülle noch den Fressnapf meiner Katze Momo. Sie neigt dazu, mich sonst mitten in der Nacht zu wecken. Ein ganz schön gefräßiges Tier. Sie ist mir sehr ans Herz gewachsen, da sie mein einziger Mitbewohner und einer meiner wenigen sozialen Kontakte ist.
Nach getaner Arbeit gehe ich zurück in mein Arbeitszimmer, wo auch mein Bett steht. Die Schreibtischlampe lasse ich brennen. Ich mag das warme, goldene, gedimmte Licht kurz vorm Schlafengehen.
Endlich im Bett angekommen und mit dem Smartphone in meiner Hand checke ich noch mein Facebook-Profil. Eine private Nachricht? Ich öffne sie gespannt, mein Atem wird etwas hektischer und ich verspüre eine leichte Aufregung. Schließlich bin es nicht gewohnt, dass mich fremde Leute anschreiben.
„Hi, ich bin Melanie.“
Mit zusammengezogenen Augenbrauen schnaufe ich kurz auf und frage mich, wer sie ist und was sie von mir will. Ist sie vielleicht jemand aus der Uni? Normalerweise halten Frauen nicht viel von mir, da ich nicht so der „Aufreißer“-Typ bin. Ich rede auch nicht viel und halte mich eher im Hintergrund bedeckt. Ein ganz unauffälliger und ruhiger Stubenhocker. Leider kann ich nicht viel über sie erfahren, da ihr Profil nur für Freunde sichtbar ist. Vermutlich ist das ein Scherzbold, der mir nur einen Streich spielen will. Aber was wäre, wenn sie echt ist und doch auf mich steht? Wenn wir uns treffen und uns verlieben. „Oh man, bin ich bedürftig geworden.“, denke ich mir beschämt.
Die Zeit vergeht und langsam merke ich, wie beim Fantasieren meine Augenlider immer schwerer werden.
Plötzlich höre ich einen lauten Knall und schrecke auf. Was war das? Verwirrt blicke ich mich um, doch es ist dunkel. Bin ich eingeschlafen? Etwas trunken versuche ich, einen klaren Gedanken zu fassen. Vielleicht hat Momo etwas umgeworfen. Am besten schaue ich schnell nach, hoffentlich ist alles okay. Wo habe ich eigentlich mein Smartphone hingelegt? Ich taste die Matratze um mich herum ab, kann es jedoch nicht ausfindig machen. Da kommt mir der Geistesblitz. Es ist sicher heruntergefallen, was den Knall erklären würde. Angestrengt und vornüber gebeugt versuche ich am Bettrand zu erkennen, wo es liegt. Es ist jedoch viel zu dunkel. Nur das schwache Straßenlicht sorgt dafür, dass ich die schwarzen Umrisse meines Zimmers erkennen kann. Ich blicke in Richtung meines Schreibtisches und frage mich, warum das Licht eigentlich nicht mehr brennt. Dabei fällt mir in der Ecke des Zimmers ein Umriss auf, den ich nicht zuordnen kann. Ein kleiner, beinahe menschlicher Schatten. Ich kneife meine Augen zusammen, während sich ein flaues Gefühl in mir breit macht. Mein Atem stockt. Ein schwerer Kloß bildet sich in meinem Hals. Völlig erstarrt wie eine Marmorfigur blicke ich auf diese Gestalt, die ebenfalls regungslos dazustehen und mich zu beobachten scheint. Ich rede mir ein, dass das nicht sein kann. Geistesgegenwärtig wende ich meinen Blick ab und versuche, das Smartphone am Boden zu ertasten und falle dabei fast aus dem Bett. Ich brauche unbedingt eine Lichtquelle. Mein Herz rast. Da ist es! Ich entsperre es und richte den hellen Bildschirm auf die Gestalt, doch nichts zu sehen.
Plötzlich springt ein schwarzes Wesen auf meinen Schoß und starrt mich mit seinen raubtierhaften, gelb leuchtenden Augen an. Mein Herz bleibt fast stehen. Es ist … Momo.
Sie leckt sich das Maul und schnurrt zufrieden, während sie sich an mich schmiegt und ihren Kopf gegen meine Hand drückt. „Hast du mich erschrocken!“, schimpfe ich und meine Atmung setzt wieder ein. Dabei rieche ich das Katzenfutter in ihrem Atem. Sie hat wohl gerade gefressen und nutzt nun schamlos die Gelegenheit aus, ein paar Streicheleinheiten abzugreifen, wo ich schon mal praktischerweise wach bin. Vermutlich hat sie auch den Knall gehört und wollte die Lage checken. Nach einigen kurzen Streicheleinheiten packe ich Momo mit beiden Händen und werfe ihren Körper über meine Schulter. „So das reicht, ich bring dich jetzt in deinen Korb!“
Beim Vorbeigehen am Schreibtisch untersuche ich noch die Lampe. Sie lässt sich ganz normal einschalten. „Das ist echt komisch.“ Ich mache mir jedoch nichts draus und setze Momo in ihren Korb ab. Anschließend gehe ich noch leicht aufgebracht wieder ins Bett und versuche zu schlafen.
Am nächsten Tag komme ich etwas spät von der Uni. Mein Schädel brummt von den vielen Vorlesungen. Ich schließe die Wohnungstür und bemerke, dass mich Momo gar nicht grüßen kommt. „Momo? Wo bist du, du kleines gefräßiges Biest?“, rufe ich.
Doch keine Spur von ihr. Spätestens jetzt würde sie zu mir huschen und ihren Körper voller Freude um meine Wade schlingen. Ich schaue in der Küche nach und nehme einen unangenehmen Geruch wahr. „Hätte heute Morgen wohl den Müll mit rausnehmen müssen“, denke ich mir. Doch als ich zum Fressnapf blicke, sehe ich sie. „Momo!“ Sie liegt am Boden und rührt sich nicht. Voller Sorge eile ich zu ihr und taste sofort ihren Körper ab. Sie fühlt sich ganz kalt und steif an. Ihr Fell ist völlig zerzaust. „Was ist passiert?“
Fassungslos und mit meinen Emotionen ringend überlege ich, was ich tun kann. Da höre ich ein kurzes Klingeln. Mein Smartphone. Doch das ist gerade egal. Mit Blick auf meine tote Katze spüre ich, wie alles ein wenig verschwimmt. Ich kann meine Tränen kaum zurückhalten. Schließlich gehe ich ins Bad und wasche mir mit kaltem Wasser das Gesicht ab. Im Spiegel erblicke ich mein trauriges, fassungsloses Gesicht.
Kurze Zeit später klingelt erneut mein Smartphone. Es hört nicht auf, irgendwer spammt mich zu. „Wer ist das denn immer wieder?“, frage ich mich nun etwas erzürnt. Ich schaue nach und sehe etliche neue Nachrichten von Melanie:
„Sei nicht traurig.“
„Ich weiß, wie sich das anfühlt.“
„Lass uns zusammenziehen.“
„Ich freue mich schon so sehr auf unserer Hochzeit.“
„Warum kommst du immer später von der Arbeit?“
Ich erstarre innerlich. Ihre Nachrichten verstören mich zusätzlich, da sie überhaupt keinen Sinn ergeben und völlig abgedreht sind. „Was ist das für eine Irre?“, denke ich mir. Doch schnell verwerfe ich die Gedanken an sie, da ich mich um Momo kümmern muss. Am besten lege ich sie in einen Karton, um sie darin zu begraben. Ich begebe mich wieder zu ihr und nehme vorsichtig mit beiden Händen ihren Körper, fast so wie gestern Abend, als ich sie in ihren Korb zurückbrachte. Ihren Anblick kann ich kaum ertragen und möchte die Sache schnell hinter mich bringen.
Am späten Abend liege ich in meinem Bett und reflektiere nochmal über das Geschehene. Momo habe ich im Stadtpark an einer abgelegenen Stelle begraben. Sie wird mir wirklich fehlen. Ihr Tod nimmt mich sehr mit. Wie konnte das nur passieren? Sie war noch jung, und Krankheiten hatte sie auch keine, soweit ich weiß. Vielleicht hatte sie sich am Futter verschluckt und ist erstickt. Ich will gar nicht darüber nachdenken und fahre mit meinen Handinnenflächen über das Gesicht. Da kommen mir erneut Melanies Nachrichten in den Sinn. Am besten blockiere ich sie. Ich kann solche Spielchen gerade überhaupt nicht vertragen.
Noch bevor ich dies in die Tat umsetzen kann, höre ich ein lautes Poltern und zucke vor Schreck zusammen. Was war das? Ist jemand in meiner Wohnung?
Ich bin verunsichert und weiß nicht, ob ich es wagen und nachsehen, oder besser gleich die Polizei rufen sollte. Das wäre echt peinlich, wenn nur etwas umgestürzt ist und ich gleich die Kavallerie hole. Nach kurzem Zögern schleiche ich so leise wie möglich im Dunkeln in Richtung der Küche. Vielleicht verrät sich der Einbrecher durch weitere Geräusche. Doch ich kann nichts vernehmen. Angekommen schalte ich das Licht ein und blicke mit aufgerissenen Augen auf den Boden. Es liegen überall Töpfe und zerbrochene Teller und Gläser herum. Die Schranktüren und Schubladen sind alle geöffnet. Mir wird klar, dass jemand in der Wohnung sein muss. Da Klingelt mein Smartphone mehrmals hintereinander. Drei neue Nachrichten von Melanie:
„Ich habe euch doch zusammen gesehen!!“
„Du bist so ein verdammter Heuchler!!“
„Nein nein NEIN!!“
Plötzlich höre ich, wie die Badezimmertür zuknallt. Das Ganze wird mir viel zu unheimlich.
Ich muss hier schleunigst raus, doch mir wird ganz schwarz vor Augen.
Ich spüre, wie ich auf etwas Weichem liege. Meine Augen kann ich nicht öffnen und mein Körper ist wie gelähmt. Als würde ich schlafen. Ich kann meinen langsamen, kräftigen Herzschlag wahrnehmen, welcher fast mit dem Ticken einer Uhr einhergeht. Da höre ich plötzlich Schritte. Sie sind ganz schwach. Dann ein metallisches Schleifen. Mein Herz schlägt immer schneller. Schweißperlen bilden sich auf meiner Stirn. Jemand betritt das Zimmer. Die Schritte werden deutlicher. Mein Herz rast. Es springt mir fast aus der Brust. Jemand steht direkt neben mir. Ich kann kaum Atmen. Ein heißes, unerträglich schmerzhaftes Stechen durchfährt meine Kehle. Ich reiße meine Augen voller Todesangst auf und da sehe sie ganz deutlich vor mir …
Ende