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Meine Welt

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21.06.2003
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Meine Welt

Meine Welt ist eigentlich nicht anders als deine Welt.
Ich bin nicht anders als du. Ich bin nicht einmal behindert, im eigentlichen Sinne. Ich kann laufen, sehen, sprechen. Ich sehe auch ganz normal aus. Niemand merkt, dass ich in meiner eigenen Welt lebe, die sich doch so sehr von deiner unterscheidet.
In meiner Welt gibt es viele Dinge nicht, die andere Leute als normal erachten. Wundervolle Dinge, an die ich mich nur noch vage erinnere. Käse, frisches Brot, gebratenes Fleisch. Natürlich gibt es diese Dinge noch, ich kann sie sehen, ich kann sie anfassen, ich kann sie essen; nichts hat sich wirklich geändert.
Und doch sind jetzt alle diese Dinge irgendwie eindimensional, langweilig. Vieles ist nicht mehr so schön wie früher. Der Unterschied ist nicht so groß, wie ich befürchtet hatte, und doch viel größer, als wohl die Meisten ahnen.
Der Kaffee am Morgen schmeckt immer noch so gut wie früher, und doch... Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich meine Nase in die Kaffeedose halte. Und fast ist es wieder wie früher. Ein wundervoller Duft, stark und herb, aber dennoch so schön. Ich kann es kaum beschreiben.
Eine Sekunde später ist der Augenblick vorbei, und ich frage mich, ob alles nur Einbildung war. Noch einmal nehme ich einen tiefen Zug, doch da ist nichts mehr.
Wieder einmal stellt sich diese tiefe Enttäuschung ein.

Doch natürlich gibt es auch gute Seiten. Neulich, zum Beispiel, war ich wieder einmal beim Babysitten. Und wieder einmal die kategorische Frage: "Das Windelwechseln stört dich doch nicht, oder? Wenn er großes Geschäft macht, riechst du das schon." Und dazu dieser mitleidige Blick, auf den ich nur mit einem Schulterzucken antworte. Ich habe meine eigene Methode, zu merken, wann die Windel voll ist.
Als es dann soweit war, machte ich alles wie immer. Der Junge hatte tatsächlich großes Geschäft gemacht, doch was sollte einen daran stören?
Ich weiß es nicht. Als ich noch riechen konnte, habe ich keine Windeln gewechselt. Plötzlich werde ich neugierig. Ich halte mir die schmutzige Windel an die Nase, doch da ist nichts. Und ich weiß nicht, sollte ich jetzt enttäuscht sein, oder doch eher erleichtert?
Nach dem Gesichtsausdruck der Mutter zu urteilen, die kurz darauf zurückkommt und erstmal alle Fenster aufreisst, wäre wohl Erleichterung angebracht.
Nun ja, manchmal lebt es sich in meiner Welt eben doch nicht so schlecht.

 

Hallo Barrash!

Ich finde die Geschichte lebt davon, hinter das Geheimnis des Protagonisten zu kommen, welches rätselhafte leiden oder Behinderung er hat. Das erzeugt die Spannung. Eine exotische, seltene Nervenkrankheit? Keinen Geschmackssinn? Und früher war alles anders, was dramatisches muß also passiert sein, womöglich ein Unfall. Auf jeden Fall so schlimm, dass der Charakter wohl nur deswegen so niedergeschlagen, fast apathisch ist.

Am Ende kommt aber heraus, daß er "nur" keinen Geruchssinn hat. Denke diese Lösung enttäuscht etwas, da ich als Leser mehr erwartet habe, bzw. eine größere Erwartungshaltung aufgebaut wurde. Ich habe selber eine sehr schlechte Nase: oft rieche ich, das irgendwas da ist, aber nicht was. Und wenn ich was rieche, dann stinkt es für die anderen meist schon. Eine Art "Sehbehinderter" unter "Blinden", halt nur für Nasen. Aus dieser Sicht finde ich es halt etwas übertrieben, gleich von einer "eigenen Welt" zu sprechen, was ja schon soziale Isolation oder Ausgrenzung anklingen läßt. Aber vielleicht ist gar nichts riechen doch was anderes.

Auf jeden Fall empfinde ich die Begründung subjektiv für nicht ausreichend. Es könnte auch daran liegen, dass man nicht erfährt, wie der "Unfall" oder was entsprechendes passiert ist. Der Prot. scheint mir generell etwas pessimistisch zu sein, unabhängig von seiner Nase, es wird aber implizit allein darauf zurückgeführt.

Trotzdem eine interessante Idee, baue sie doch weiter aus!

 

Hallo Udo!
Erstmal danke für deine ausführliche Kritik.

Aber es gibt da einige Punkte, die ich doch anders sehe bzw. beim Schreiben gesehen habe.

Zuerst einmal: Das Suchen nach der Krankheit war natürlich beabsichtigt, allerdings nicht die Enttäuschung bei der Erkenntnis.
"Nur" nicht riechen können? In unserer Welt ist so vieles auf den Geruch ausgerichtet, dass sieht man schon an Sprichwörtern: Jemanden nicht riechen können, Sich beschnuppern, Der Duft der Liebe uvm.
Außerdem ist da natürlich immer noch der Aspekt der sozialen Augrenzung, mit der du ja völlig Recht hast, aber stell dir mal folgendes Szenario vor:

Die Protagonistin, die nicht Riechen kann, hat ein wichtiges Vorstellungsgespräch, bei welchen man ja bekanntlich sehr ins Schwitzen geraten kann, ist aber morgens so nervös, dass sie vergisst, ihr, für sie ja unwichtiges, Deo aufzulegen. Glaub mir, je nachdem welche Arbeitsstelle es sein soll, die wenigsten Chefs werden tolerant genug sein, den Gestank einfach zu ignorieren (ist mir passiert, also durchaus der Realität entsprechend). Soviel zu "meiner Welt".
Ähnliches gilt natürlich auch für Verabredungen, Kinobesuche etc.

Es ist vielleicht ein Sinn, den Riechende eher vernachlässigen, weil er ja da ist, aber es ist doch sehr schwierig, ohne ihn auszukommen. Mindestens einmal täglich wird man aus irgendeinem Anlass gefragt: "Riechst du das?" Und dann immer wieder sagen zu müssen: "Nein, ich rieche grundsätzlich nichts." kann schon ganz schön frustrierend sein.
Soviel zur "sozialen Isolation", bzw. zum Pessimismus der Figur (den ich übrigens nicht wirklich sehe, schließlich heisst es ja im Schlusssatz, dass es sich in der eigenen Welt manchmal doch nicht so schlecht lebt).

Und was die Ursache der "Riechlosigkeit" angeht: Wenn der Text um Jemanden gehen würde, der Blind oder Taub oder Stumm ist, wäre da die Ursache dann wichtig? Es ging mir ja nur darum, aufzuzeigen, dass der Verlust von diesen drei Sinnen bereits als Behinderung gewertet wird (was natürlich auch richtig ist, da dieser Verlust wesentlich schlimmer ist), dass aber auch der Verlust eines anderen Sinnes für einen Menschen reichweitige Folgen haben kann, von denen ich hier nur recht wenige aufgezählt habe, die Liste läßt sich beliebig verlängern.

Also, ich hoffe du fühlst dich jetzt nicht überrumpelt von meinem Plädoyer für die "Riechlosen", sondern siehst es so wie ich (und so wie ich auch die Geschichte gesehen habe): Mit einem Augenzwinkern und einem lachenden und einem ganz leise weinenden Auge.

Viele Grüße,
Barrash

 

Hallo Barrash!

Es ist schon ein paar Monate her, dass du diese Geschichte gepostet hast, aber sie ist einfach zu interessant, um sie mit nur einem Kommentar stehen zu lassen.

Zunächst einmal: Ich fand es gut, dass du dich mit diesem Thema auseinandergesetzt hast. Keinen Geruchssinn (mehr) zu besitzen ist schließlich eine Vorstellung, die sich einem selten in den Kopf schleicht - diese Art von Einschränkung ist schließlich ziemlich unauffällig.
Aber die Auswirkungen sind wahrscheinlich nicht unerheblich - man merkt nicht, ob die Milch sauer oder die Butter ranzig ist, das von dir angesprochene Problem mit dem Deo ...

Mir war deine Geschichte viel zu kurz, man hätte da viel mehr reinpacken können. Ich war über die Kürze enttäuscht, weil mich die Thematik sehr interessiert hat.

Einen kleinen Einwand habe ich:
Du schreibst:
Der Kaffee am Morgen schmeckt immer noch so gut wie früher
Meines Wissens ist der Geruchssinn untrennbar verbunden mit dem Geschmackssinn, d.h. man besitzt entweder beide Sinne oder keinen.
Du beschreibst aber nur den Verlust des Geruchssinns und übergehst den Geschmackssinn völlig. Das hat mich irritiert, denn der Verlust desselben bedeutet doch einen großen Verlust an Lebensfreude, kann ich mir vorstellen.

dayvs GE-ve
Stefanie

 

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