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Meine tote Braut
Ich spürte ihre Präsenz noch bevor ich das Geräusch hörte. Ich glaube wahre Gefühle überdauern alles und selbst der konstante Austausch von Körperflüssigkeiten ist nur das Vorspiel für das, was wahre Liebende auf ewig verbindet: ein unauslöschliches Band gegenseitigen Verlangens gültig über den Tod hinaus.
An der Tür: ein leises Kratzen. War ich überrascht? Wirklich überrascht? Nein, ich glaube nicht, aber eigentlich hat es für mich auch keinerlei Bedeutung. Ich konnte gar nicht anders als die Tür zu öffnen und da stand sie also.
Meine wunderschöne Braut.
Meine wunderschöne, tote, verweste Braut.
Man durfte ihr das nicht verübeln. Nach mehreren Monaten in ihrem dunklen Grab konnte man nun wirklich nicht erwarten, eine strahlende Göttin in schimmernder Wehr könne der erdigen Wurmbehausung entsteigen.
Wenn man es sich solange unter der Erde gemütlich gemacht hat, kommt man selten alleine zurück.
Mit der Zeit entstehen lang andauernde Freundschaften. Im Falle meiner Verflossenen hatte sich eine Kolonie hyperaktiver Grabwürmer in ihren Augenhöhlen eingenistet.
Die vertrockneten Augäpfel meiner Liebsten starrten mich durch das sie umgebende Wuseln
fordernd an, während ich nicht umhin konnte, ihre nach wie vor anziehende Figur zu bewundern. Sie versuchte, mir ein Lächeln zu schenken. Leider hing das, was von ihrer Unterlippe noch übrig war, in einem ziemlichen schiefen Winkel gen Boden und noch während wir uns gegenseitig taxierten, fiel ein Stück ihres Lippenfleisches auf den Teppich des Flures.
Galant trat ich zur Seite und lies sie ein. Mit einem kehligen Stöhnen zog sie ihre lädierten Glieder über die Schwelle. Ihr Grabkleid blieb an einer Kante des Türrahmens hängen. Unwirsch zog sie daran und betrat mit einem heiseren Fauchen den Raum. Ich schloss die Tür und eilte zur Bar, um dieses erfreuliche Wiedersehen mit einem guten Glas Rotwein zu feiern. Während ich noch über die geeignete Sorte sinnierte – sie hatte schon immer ein Faible für Cabernet Sauvignon gehabt – spürte ich ihre knochige Hand auf meiner Schulter. Worte formten sich in meinem Kopf. Ich wollte so vieles wissen: wie es wohl gewesen sein mochte, so allein in dieser Kiste, in ihrer dunklen Behausung, umgeben von all diesen Erinnerungen. Dann erhob sich ihre Stimme zu einem leisen Krächzen. Krampfhaft versuchte sie Worte zu formen, eine Erklärung – vielleicht ein Gruß. Oder war es etwa gar der Auftakt zu einer – vielleicht nicht ganz ungerechtfertigten – Schimpftirade. Ich beschloss, sie nicht zu unterbrechen. Wenn jemand das Recht hatte, sich frei und unbehelligt zu äußern, dann sie: meine Braut.
Der Druck ihrer Finger verstärkte sich plötzlich auf meiner Schulter. Ich schauderte ein wenig. Wo war ihre ursprüngliche Zärtlichkeit geblieben? Ich sah mich gezwungen, mich freundlich, aber dennoch bestimmt, aus ihrem Griff zu lösen. Hierbei muss ich wohl etwas unaufmerksam gewesen sein, denn mit einem spröden Knacken zerbröselten drei ihrer Finger augenblicklich zu Staub. Ich ärgerte mich augenblicklich über meine Ungeschicklichkeit. Tröstend hob ich meine Hand an ihr Gesicht. Ich wollte, ich musste sie einfach berühren, aber ich war wohl wirklich ziemlich ungeschickt. Jedenfalls brach ihr Wangenknochen bereits bei der kleinsten Berührung meiner Finger und ich musste mit Bedauern feststellen, dass der sich lösende Teil des Gesichtes nun durch den oberen Bereich der Stirn kompensiert wurde: ihr Gesicht fiel aufgrund der nun fehlenden Absicherungen komplett in sich zusammen.
Unschlüssig stand ich nun vor ihr und musste tatenlos zusehen, wie ein Zittern ihren ganzen Körper durchlief. Hier ein Wirbel, dort ein Beckenknochen, da mehrere Rippen: das fragile Kartenhaus ihrer einst so anmutigen Gestalt ging den Weg allen Irdischens und mit einem garstigen Fauchen fiel das Kartenhaus in sich zusammen. Meine tote Braut war nur noch ein Häufchen knöchrigen Staubes.
Ich kehrte die sterblichen Überreste meiner Braut in eine Tüte. Auf meinem Abendspaziergang würde ich noch einen kleinen Schlenker zu den Mülltonnen machen müssen.