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Meine tote Braut

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30.12.2015
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Meine tote Braut

Ich spürte ihre Präsenz noch bevor ich das Geräusch hörte. Ich glaube wahre Gefühle überdauern alles und selbst der konstante Austausch von Körperflüssigkeiten ist nur das Vorspiel für das, was wahre Liebende auf ewig verbindet: ein unauslöschliches Band gegenseitigen Verlangens gültig über den Tod hinaus.
An der Tür: ein leises Kratzen. War ich überrascht? Wirklich überrascht? Nein, ich glaube nicht, aber eigentlich hat es für mich auch keinerlei Bedeutung. Ich konnte gar nicht anders als die Tür zu öffnen und da stand sie also.
Meine wunderschöne Braut.
Meine wunderschöne, tote, verweste Braut.
Man durfte ihr das nicht verübeln. Nach mehreren Monaten in ihrem dunklen Grab konnte man nun wirklich nicht erwarten, eine strahlende Göttin in schimmernder Wehr könne der erdigen Wurmbehausung entsteigen.

Wenn man es sich solange unter der Erde gemütlich gemacht hat, kommt man selten alleine zurück.
Mit der Zeit entstehen lang andauernde Freundschaften. Im Falle meiner Verflossenen hatte sich eine Kolonie hyperaktiver Grabwürmer in ihren Augenhöhlen eingenistet.

Die vertrockneten Augäpfel meiner Liebsten starrten mich durch das sie umgebende Wuseln
fordernd an, während ich nicht umhin konnte, ihre nach wie vor anziehende Figur zu bewundern. Sie versuchte, mir ein Lächeln zu schenken. Leider hing das, was von ihrer Unterlippe noch übrig war, in einem ziemlichen schiefen Winkel gen Boden und noch während wir uns gegenseitig taxierten, fiel ein Stück ihres Lippenfleisches auf den Teppich des Flures.
Galant trat ich zur Seite und lies sie ein. Mit einem kehligen Stöhnen zog sie ihre lädierten Glieder über die Schwelle. Ihr Grabkleid blieb an einer Kante des Türrahmens hängen. Unwirsch zog sie daran und betrat mit einem heiseren Fauchen den Raum. Ich schloss die Tür und eilte zur Bar, um dieses erfreuliche Wiedersehen mit einem guten Glas Rotwein zu feiern. Während ich noch über die geeignete Sorte sinnierte – sie hatte schon immer ein Faible für Cabernet Sauvignon gehabt – spürte ich ihre knochige Hand auf meiner Schulter. Worte formten sich in meinem Kopf. Ich wollte so vieles wissen: wie es wohl gewesen sein mochte, so allein in dieser Kiste, in ihrer dunklen Behausung, umgeben von all diesen Erinnerungen. Dann erhob sich ihre Stimme zu einem leisen Krächzen. Krampfhaft versuchte sie Worte zu formen, eine Erklärung – vielleicht ein Gruß. Oder war es etwa gar der Auftakt zu einer – vielleicht nicht ganz ungerechtfertigten – Schimpftirade. Ich beschloss, sie nicht zu unterbrechen. Wenn jemand das Recht hatte, sich frei und unbehelligt zu äußern, dann sie: meine Braut.

Der Druck ihrer Finger verstärkte sich plötzlich auf meiner Schulter. Ich schauderte ein wenig. Wo war ihre ursprüngliche Zärtlichkeit geblieben? Ich sah mich gezwungen, mich freundlich, aber dennoch bestimmt, aus ihrem Griff zu lösen. Hierbei muss ich wohl etwas unaufmerksam gewesen sein, denn mit einem spröden Knacken zerbröselten drei ihrer Finger augenblicklich zu Staub. Ich ärgerte mich augenblicklich über meine Ungeschicklichkeit. Tröstend hob ich meine Hand an ihr Gesicht. Ich wollte, ich musste sie einfach berühren, aber ich war wohl wirklich ziemlich ungeschickt. Jedenfalls brach ihr Wangenknochen bereits bei der kleinsten Berührung meiner Finger und ich musste mit Bedauern feststellen, dass der sich lösende Teil des Gesichtes nun durch den oberen Bereich der Stirn kompensiert wurde: ihr Gesicht fiel aufgrund der nun fehlenden Absicherungen komplett in sich zusammen.

Unschlüssig stand ich nun vor ihr und musste tatenlos zusehen, wie ein Zittern ihren ganzen Körper durchlief. Hier ein Wirbel, dort ein Beckenknochen, da mehrere Rippen: das fragile Kartenhaus ihrer einst so anmutigen Gestalt ging den Weg allen Irdischens und mit einem garstigen Fauchen fiel das Kartenhaus in sich zusammen. Meine tote Braut war nur noch ein Häufchen knöchrigen Staubes.

Ich kehrte die sterblichen Überreste meiner Braut in eine Tüte. Auf meinem Abendspaziergang würde ich noch einen kleinen Schlenker zu den Mülltonnen machen müssen.

 
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Die Idee und die Ausführung haben mir recht gut gefallen: Zombiebraut entsteigt ihrem Grab, um ihrem Exmann einen Besuch abzustatten. Was sie genau vorhat, bleibt dabei natürlich im Unklaren, schließlich haben wandelnde Leichen den Nachteil, dass man sie nicht richtig versteht. An der Kommunikation zwischen dem Reich der Toten und der Welt der Lebenden muss man also nach wie vor feilen.

Nur ein paar Kleinigkeiten:

Ihre wuselnden Augenhöhlen

Ich weiß, wo du damit hinmöchtest, aber es klingt falsch. Da fehlt ein Bezug. Wenn man es genau nimmt, könnte man meinen, ihre Augenhöhlen sind auf einem Ausflug. Da würde ich den Kontext zu den Krabbeltierchen einbauen, die in den Augenhöhlen herumwuseln.

Sie versuchte, mir ein Lächeln zu schenken, leider hing das, was von ihrer Unterlippe noch übrig war, in einem ziemlich schiefen Winkel gen Boden und noch während wir uns gegenseitig taxierten, fiel ein Stück ihres Lippenfleisches auf den Teppich des Flures.

Nach schenken kannst du einen Punkt setzen. Mit der härteren Trennung liest sich das schöner. Sonst hast du zu rasche Wechsel zwischen verschiedenen Informationsblocks.

Schlurfend zog sie ihre lädierten Glieder über die Schwelle

Meh. Den könntest du anders aufbauen.

"Sie schlurfte über die Schwelle und zog ihre lädierten Glieder nach ..."

"Schlurfend" klingt für den Erzähler so ... unpassend.

und nachdem ich dezent die Tür geschlossen hatte,

Auch hier: Das "und" weg und mit Punkt ersetzen. Dein Satzmonster vermittelt unterschiedliche Informationen, die in unterschiedliche Sätze gehören. Und warum schließt er die Tür "dezent?" Springt er üblicherweise mit einem Dropkick dagegen? Sprengt er sie sonst zu? Das Wort kann raus. Es macht den Text weder lustiger, noch erfüllt es einen Charakterisierungszweck.

Worte formten sich in meinem Kopf, ich wollte so vieles wissen:

Komma weg, Punkt hin. Das sind zwei unterschiedliche Informationen.

Oder war es etwa gar der Auftakt zu einer – vielleicht nicht ganz ungerechtfertigten – Schimpftirade.

Nichts zu meckern, das hat mir gefallen. Wir erfahren nicht, was sie zu sagen hatte und woran sie eigentlich gestorben ist. Da kann sich der Leser seine ganz eigenen Theorien zusammenbasteln. Hier schubst du ihn in die Richtung, dass der Protagonist irgendetwas damit zu tun haben könnte. Schick.

Ich beschloss, sie nicht zu unterbrechen, wenn

Das Übliche: Nach unterbrechen Punkt. Der Satz ist an dieser Stelle fertig.

und da mir dies ein wenig unangenehm zu werden begann, löste ich – ganz vorsichtig – die selbigen von meinem Körper

Das finde ich ein wenig umständlich formuliert. Hier merkt man regelrecht, wie der Autor der Wortwiederholung ausweichen möchte. Da fehlt die lockere Flockigkeit von vorher.

aber ich muss wohl etwas unaufmerksam gewesen sein,

Auch hier gibt es keinen Grund, den Satz mit einem ", aber" in die Länge zu ziehen. Das nimmt mMn sogar etwas die Trockenheit aus der Situation.

"... löste ich - ganz vorsichtig - die selbigen von meinem Körper. (Harte Pause. Als Leser stoppe ich und kann mir vorstellen, wie der Erzähler sich am Kinn kratzt, als würde er über sein Vorgehen sinnieren) Ich muss wohl etwas unaufmerksam gewesen sein ..."

Entschuldigend hob ich meine Hand an ihr Gesicht,

Das ist keine entschuldigende Geste, das ist Angrapschen um des Witzes Willen. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal jemanden zur Entschuldigung ins Gesicht gefasst habe. Das hätte es vermutlich nur schlimmer gemacht. Ja, er will sie streicheln, sie kennen sich schließlich von früher ... Das kommt leider nicht so natürlich bei mir rüber.

Still öffnete ich die Tür meines Wandschrankes.

Warum still? Entweder stimmt meine Theorie, dass er seine Tür sonst wie einen Wrestler im Ring behandelt, oder er schreit dabei herum. Wenn ich neben, unter oder über ihm wohnen würde, hätte ich mich längst beim Vermieter beschwert.


Ja, geschriebener Humor ist schwierig. Man muss wissen, wann ein Satz aufhört, um einen Gag richtig zur Geltung zu bringen. Timing ist sehr wichtig. Wenn du einen Satz nach einer Pointe zu weit in die Länge ziehst, geht sie verloren. Dann kann der Leser sie gar nicht richtig schätzen, weils einfach weiterfließt. Damit redest du dir die eigenen Witze kaputt, weil der Erzähler geschwätziger ist, als er sein müsste!

 

Hallo ueberbuecher,

auch mir hat Dein Debüt hier gut gefallen. (Bei dieser Gelegenheit: Herzlich willkommen!) Trockener. morbider Humor, eine ironische Abwandlung des bekannten Motivs der wiederkehrenden Braut - schönes Teil!

Die Hinweise von NWZed würde ich komplett unterschreiben. Für zwei seiner Anmerkungen hätte ich Vorschläge:

Entschuldigend hob ich meine Hand an ihr Gesicht,

Wie wäre es mit "tröstend"?

Still öffnete ich die Tür meines Wandschrankes.

Vielleicht meinst Du sowas wie "betreten"?

Ansonsten noch ein kleiner Fehler:

Galant trat ich zur Seite und ließ sie ein.

Als Logikfanatiker könnte man noch einwenden, dass Knochen nach einigen Monaten wohl noch nicht so bröselig werden, dass sie mal eben zu Staub zerfallen. Aber wer will da pingelig sein, wenn hier doch offensichtlich schwarzmagische Kräfte am Werk sind?

Gern gelesen!

Grüße vom Holg ...

 
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Hallo NWZed,

vielen Dank für Deine konstruktive Kritik! Ich werde mir das alles nochmal in Ruhe zu Gemüte führen, aber schon beim ersten Lesen habe ich mich beim wiederholten Kopfnicken erwischt. Danke nochmals und ich verspreche, dass ich in Kürze auch gerne selber als (wohlmeinender) Kritiker auftreten werde;)

Hallo Holg,

auch an Dich exakt der gleiche Dank wie an Deinen Vorredner (-schreiber). Diese (sehr kurze) Kurzgeschichte habe ich im Rahmen meines Projektes "Litpunk" verfasst. Hierbei handelt es sich um Texte, die quasi ein literarisches Äquivalent zu Punkrocksongs darstellen sollen. Punksongs sind in der Regel kurz und knackig und so stelle ich mir dann auch diese Texte vor. "Meine sterbende Braut" ist ein Beispiel hierfür. So, genug gesabbelt, als nächstes werde ich mal selber hier was kommentieren:)

 

Hallo ueberbuecher,

ich muss sagen, dass mir deine Kurzgeschichte gut gefallen hat, vor allem das Ende hat mich zum Lachen gebracht. Ich finde deinen Schreibstil ziemlich gut, weil du die Protagonisten in deiner Geschichte umschreibst, als wäre es normal, dass (in diesem Fall) die (Ex-)Frau aussieht, als wäre sie dem Cast von The Walking Dead entsprungen und ihn das kalt lässt.:lol:

In diesem Sinne einen guten Rutsch und ein schönes Jahr wünsche ich dir
OriginKnight

 

Hallo OriginKnight,

ich hoffe, Du bist gut ins neue Jahr gekommen! Freut mich, dass Dir die Geschichte gefallen hat. Natürlich ist das Ganze völlig überzogen, aber bei einem solchen Thema erwartet ja natürlich auch niemand irgendeine Art von Realismus. Es hat Spass gemacht, den Text zu schreiben.

 

Hallo ueberbuecher,

die Geschichte hat mir sehr viel Spaß bereitet und das Ende ist grandios!

Viele Grüße,
Ann

 

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