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Meine letzten Tage im Jahr 2030

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30.12.2008
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Meine letzten Tage im Jahr 2030

Man schreibt das Jahr 2030 mitte August. Ich bin zu Fuß unterwegs zu meinem Verleger und unter dem Arm habe ich das in einer Plastiktüte eingewickelte Manuskript geklemmt. Viele Lektorate hatten mein Manuskript abgelehnt oder erst gar nicht gelesen und manche sogar ungeöffnet und kommentarlos wieder an mich zurückgeschickt. „Es bestünde kein Interesse für dieses Thema“, oder: „der Markt wäre gesättigt“, hatte es jedesmal geheißen. Doch dieses mal hatte ich Glück. Mit einigen leichten Korrekturen, mit denen ich gut leben kann, hatte dieses Lektorat mein Manuskript dem Verleger zum Druck empfohlen.
Nicht dass ich darauf angewiesen wäre, ein Buch zu veröffentlichen. Nein, aber mir läuft die Zeit wie Sand zwischen den Fingern davon. Immerhin war ich schon seit April überfällig und die Behörden hatten mir ausnahmsweise sechs Monate Lebensaufschub gewährt. Vielleicht, weil ich einmal Beamter gewesen war.
Äh… Sie wissen nicht, was ich damit meine? Entschuldigen Sie diese Peinlichkeit. Also, damit meinte ich lediglich, dass ich ausnahmsweise sechs Monate länger leben durfte. Meine Pension lief zu meinem 80sten Geburtstag im April aus, was bedeutet, dass ich verpflichtet war, das „Humanistische Haus der sozialen Verantwortung“ zu besuchen. Was eigentlich nichts anderes bedeutet, als dass die Menschen in diesem Land ab dem 80sten Geburtstag laut Gesetz die Pflicht hatten, dort ihr Leben beenden zu müssen. Die finale Behandlung in diesem Haus, das es übrigens in jeder Stadt ab fünfzigtausend Einwohner gibt, wird wenigstens von den Krankenkassen übernommen, ohne dass diese lästige Zuzahlung nötig gewesen wäre. Vor gut 28 Jahren hatte ein gescheiter Parlamentarier im deutschen Bundestag diesen Gedanken einmal aufgefasst und ihn als „sozialverträgliches Ableben“ bezeichnet. Damals ging es um die Frage der sicheren Renten, die zu dieser Überlegung und zu diesem Ausspruch geführt hatte.
Tja, und nun habe ich sechs Monate länger als erwartet zu leben und von diesen sechs Monaten bleiben mir jetzt noch zwei. Was für eine Freude. Das Blöde daran ist allerdings, dass ich für dieses halbe Jahr keine Pension erhalte, also ich alleine auf mich gestellt war. Und dass ich von meinem Verleger keine Tantiemen mehr zu erwarten habe, war auch klar. Vielleicht war auch das ein Grund, warum er mein Buch veröffentlichen will. Ein paar Mark ließen sich bestimmt dazu verdienen.
Mark?... Sorry, ich vergaß. Meine Güte, bin ich tüttelig geworden. Mit 80 wird man eben etwas vergesslich. Also, den Euro hatten sie 2026 wegen einer extremen und über Jahre hinweg anhaltenden Inflation wieder abgeschafft und die meisten europäischen Staaten zum Teil ihre alte Währung wieder eingeführt. Die daraus entstehenden Umtauschgebühren zwischen den Währungen, die damals stets als Aufhänger für die Einführung des Euros herhalten mussten, kamen für die Reisenden sowieso nicht mehr besonders zum tragen. Das Reisen, wie es vor 20 Jahren für den Bürger noch üblich war, war fast auf Null zurückgegangen: es konnte sich einfach niemand mehr leisten. Der damals sehr schwache US-Dollar hatte sich Anfang der Zwanziger wieder erholt und stärker als jemals zuvor die globale Wirtschaft beeinflusst und den Euro bis zu seiner Abschaffung als amtliches Spielgeld dahin dümpeln lassen.
Trotzdem wollte ich unter allen Umständen dieses Buch veröffentlichen. Mir ist es eben ein Anliegen, Ihnen das mitzuteilen, was in den vergangenen drei Jahrzehnten alles passiert ist, oder was Sie erwarten wird. Und ich merke jetzt schon: Sie sind doch leicht verwundert und etwas irritiert, was Euro, Reisen und soziales Ableben betrifft. Und natürlich hoffe ich, dass Sie jetzt doch etwas neugierig geworden sind. Alles was sich bis heute verändert hatte, können Sie auch gar nicht wissen. Woher auch. Wundern Sie sich nicht über den schier unglaublichen politischen Wildwuchs, der momentan zu einer Hochblüte stilisiert ist und was ich versuche, ihnen wertneutral zu schildern – er ist in diesen Zeiten normal, dieser Wildwuchs. Sie werden selbst noch in die Situation kommen und sich darüber wundern, wie dieses Land zu einer politischen, kulturellen und wirtschaftlichen hohlen Ruine verfallen wird.

Ich sehe im Geiste schon, wie viele von Ihnen jetzt den Kopf schütteln werden und mich zu einen Spinner degradieren. Aber ich bin Ihnen überhaupt nicht böse. Warum auch. Ich wollte lediglich mein Buch veröffentlichen, das vielleicht doch nicht gedruckt wird. Und vielleicht wären unter den Lesern einige, die sich darüber Gedanken machen und vielleicht werden sogar Sie unter diesen Lesern sein, die jetzt sagen: „Also, so möchte ich meinen Kindern und mir nicht die Zukunft bereiten.“
Aber die Uhr ist eben weiter gelaufen und die Zeit kann niemand zurückdrehen, es kommt, wie es kommt. Es sei denn…
So, mein Manuskript ist abgegeben und mehr kann ich nicht dazu tun oder beeinflussen. Mich wird in den kommenden Stunden ein gemütlicher kleiner Raum erwarten. Ich werde meiner leisen Wunschmusik lauschen. Ich habe Paul Potts’ „Nessum Dorma“ gewählt. Diese Kraft in seiner Stimme und diesen unendlichen Ausdruck der Gefühle darin lässt mir nach dessen Erscheinen vor 22 Jahren heute noch einen recht dicken Klos im Hals entstehen. Na ja, auch er hat nicht mehr all zu viel Zeit, immerhin ist er auch schon über Sechzig. Und wer weiß, ob die da „Oben“ das erreichte Soziallebensalter nicht doch noch weiter herunter schrauben.
Am Empfang des ‚humanistischen Hauses der sozialen Verantwortung‘ ist man etwas überrascht. Ich komme ja zwei Monate früher als man mir von der Behörde zugestanden hatte. Aber was soll’s, ich komme nicht umhin. Ob jetzt, oder in zwei Monaten, was macht das schon. Ich ziehe mich aus und streife das bereitgelegte tadellos geplättete, taschenlose weiße OP-Hemd über und mache es mir auf dem eher etwas harten Lager so weit als möglich gemütlich. Bitte lachen Sie jetzt nicht über die geschilderte Szene. Auch im Jahr 2030 zählt das einsame Sterben eher noch zu den traurigen Abläufen.
Eben kommt eine Aushilfskraft mit einer mittelgroßen Injektion, die in der Nierenschale auf einem Gazeteppich liegt, herein. Sie ist bestimmt Rumänin und arbeitet auf 1550 Mark Basis. Entschuldigen Sie, dass ich lache, aber das hätte ich fast vergessen: Die 1550 Mark Basis ist heute, also im Jahr 2030 ein vollkommen steuerfreier Job, so wie es früher einmal diesen 400 Euro Job gegeben hat. Und das ärgert mich dann doch etwas. Wenn ich schon mein Leben für Andere, für diesen Staat, aufgebe, dann soll mir wenigstens eine gelernte Kraft das Ende vorbereiten. Nun ja, man kann eben nicht alles haben als Pflichtversicherter.
Ich spüre den Einstich der dünnen Nadel auf meinem Handrücken. Das Gift wird sich in meinem Körper ausbreiten und in einer Stunde werde ich ohne Schmerzen einfach einschlafen. Das einzige was mir bleibt, ist die Gewissheit, dass ich ein pflichtbewusster Bürger und Steuerzahler war. Das Wissen, dass ich dem Gesetz verpflichtet gewesen war, macht mir das hinübergehen in eine dunkle unbekannte Welt doch um einiges leichter. Und vielleicht gibt es doch noch Menschen mit Courage, die frühzeitig etwas zu unternehmen versuchen, für ihre Zukunft und der Zukunft ihrer Kinder. So wie ich die Freiheit in meiner Jugend erleben durfte, damals, als ich vor 80 Jahren in diese Welt trat. Vielleicht. Nur - ich kenne niemanden mit Courage. Es sei denn…

 
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Hallo Ferdinand,
willkommen auf kg.de :)

Das Thema der Geschichte gefällt mir gut und ich finde durchaus, dass man eine ziemlich unterhaltsame, oder auch sozialkritische Kurzgeschichte daraus machen kann. Deine Umsetzung finde ich mittelmäßig. Lieber wäre es mir gewesen, wäre der Inhalt "wie ein Film" vor dem geistigen Auge abgelaufen, mit Dialogen, etc. Aber das ist sicherlich subjektiv bedingt. Stattdessen berichtet dein Protagonist im Erzählstil. Worum es geht, wird dabei relativ schnell deutlich. Spannung kam für mich insofern auf, da ich wissen wollte, um was es in dem Buch des Beamten geht.

Zum Thema an sich .. Nun ja, das Rentenproblem ist damit zumindest gelöst. ;) In der Realität kann ich mir nicht vorstellen, dass solche drastischen, ethisch mehr als bedenkliche Maßnahmen tatsächlich eines Tage getroffen werden könnte. In einer Science-Fiction-Geschichte mit glaubwürdigem Hintergrund hingegen schon.

Zur inhaltlichen Umsetzung ... Dein Protagonist spricht mit dem Buch die Leser der heutigen Zeit an, um ihnen mitzuteilen, was sich in den nächsten dreißig Jahren so alles entwickeln wird, und in der Hoffnung, jemand bringt den Mut auf, diese Entwicklung aufzuhalten, die Zukunft sozusagen zu beeinflussen. Daher bringt er das Manuskript vor seinem Ableben zu dem Verlag.
Was mir jedoch nicht klar ist: Wie soll das Buch die Leser der heutigen Zeit erreichen? Da müsste das Buch schon eine Zeitreise unternehmen. Und ich glaube nicht, dass in dreißig Jahren so etwas (bereits) möglich ist. Doch wenn es so ist, so fehlen mir die Hintergrundinformationen, dass das Buch tatsächlich eine Zeitreise unternimmt, und evtl. ein paar Sätze, wie sowas funktioniert.

Zur Währungsänderung ... Dass es anstatt dem EUR wieder die DM geben soll, erscheint mir unglaubwürdig. Zwar hast du mit Argumenten erläutert, wie es dazu kam, trotzdem konnte ich persönlich mir das nicht so richtig vorstellen.

Fazit: Ein spannendes Thema, das man jedoch noch packender und glaubwürdiger in einer Geschichte verpacken könnte.

Viele Grüße
Michael

PS: Rubrikmäßig hätte ich eher zu SF tendiert. "Seltsam" erscheint sie mir nur insofern, da ich als Leser nicht nachvollziehen kann, wie mich die Geschichte bzw. das Buch aus der Zukunft in der Gegenwart erreichen soll.

 

Also ich fand die Geschichte gar nicht mal schlecht. Wie Michael schon schrieb ist mir nicht ganz klar wie das Buch das dein Prot geschrieben hat in die Vergangenheit gelangen soll, aber im großen ganzen finde ich die Geschichte gut geschrieben. Ganz gut fand ich die Währungsänderung und deione Erklärung dafür.

 
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Hi Ferdinand,


Zunächst ein paar Kleinigkeiten:

Man schreibt das Jahr 2030 mitte August.

Mitte

dieses mal

dieses Mal

die Pflicht hatten, dort ihr Leben beenden zu müssen.

das ist doppelt - Pflicht, dort ihr Leben zu beenden.

Das Blöde daran ist allerdings, dass ich für dieses halbe Jahr keine Pension erhalte, also ich alleine auf mich gestellt war.

komischer Zeitwenwechsel -das blöde daran war, dass ich erhielt,..

das hast Du dann noch öfter, immer wieder Zeitenwechsel, grundlose, das minderte mein Lesevergnügen sehr.

macht mir das hinübergehen in eine dunkle unbekannte
Hinübergehen


Man schreibt das Jahr 2030 mitte August. Ich bin zu Fuß unterwegs zu meinem Verleger und unter dem Arm habe ich das in einer Plastiktüte eingewickelte Manuskript geklemmt. Viele Lektorate hatten mein Manuskript abgelehnt oder erst gar nicht gelesen und manche sogar ungeöffnet und kommentarlos wieder an mich zurückgeschickt. „Es bestünde kein Interesse für dieses Thema“, oder: „der Markt wäre gesättigt“, hatte es jedesmal geheißen. Doch dieses mal hatte ich Glück. Mit einigen leichten Korrekturen, mit denen ich gut leben kann, hatte dieses Lektorat mein Manuskript dem Verleger zum Druck empfohlen.

Den Anfang mochte ich… Es gibt ja viele Zukunftsszenarien, aber ich kenne keines, bei dem es darum geht, ein Manuskript an den Mann zu bringen. Gute Idee! Diese Story zu lesen hätte mir gefallen.
Was aber stattdessen kam, war altbekannt. Und die Herren Huxley, Houellebecq etc. können det nu ma besser.

Viele Grüße, T.

P.S. Du solltest auf Kommentare zu Deiner Geschichte antworten und Du solltest selbst Geschichten von anderen kommentieren. Sonst wirst Du hier nicht allzuviel Resonanz bekommen, das Forum lebt vom gegenseitigen Lesen und Besprechen...

 

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