Meine erste Kurzgeschichte: Die alte Schreibmaschine
Ich spannte einen neuen Bogen Papier in die alte Schreibmaschine,
die mir mein Vater vermacht hatte. Die Maschine hat schon viel
erlebt und könnte eine Menge Geschichten erzählen. Schon mein
Großvater war Buchautor und verdiente mir ihr sein Geld. Später
schenkte er sie meinem Vater. Auch der schrieb auf ihr recht
erfolgreich. Beide waren früher angesehene Schriftsteller.
Offenbar zauberte die abgegriffene Maschine gute Geschichten auf
das Papier, die beim Leser Beifall fanden. Es war einer dieser
großen schwarzen Maschinen, noch ohne Kugelkopf und Strom. Sie war
bestimmt 50 Jahre alt und hatte einen feinen aber eigenen Geruch
nach Reinigungsöl und alter Zeit. Dabei waren in all den Jahren
die Tasten so stark beansprucht worden, dass die meisten
Buchstaben nicht mehr sichtbar waren. Sie musste regelmäßig
gereinigt und gepflegt werden und trotzdem klemmten die Buchstaben
gerne mal, wenn man schneller tippte. Aber dass war leider nicht
mein einziges Problem. Ich hatte noch ein anderes. Ich hatte einen
gähnend leeren Kopf. Seit Tagen saß ich immer wieder auf meinem
alten Schreibtischstuhl am Nussbaumschreibtisch vor der betagten
Olympia. Und ich starrte auf ein leeres Blatt. Jeden Tag spannte
ich ein neues ein, allein in der Hoffnung, dass mir endlich etwas
einfallen würde. Nichts. Ich blickte auf und sah durch das Fenster
in den Park. Es wurde langsam dunkel und die Schatten der
Kastanienbäume am kleinen See wurden immer länger. Also klappte es
auch heute wieder nicht. Ich brauchte so dringend eine Geschichte.
In zwei Tagen war der letzte Abgabetermin. Am Wochenende sollte
meine Geschichte im Kurier erscheinen, wie jede Woche. Der Kurier
ist unser örtliches Käseblatt und die Geschichten brachten
immerhin ein bisschen Geld. Leider reichte es bei mir nicht zum
Bestseller*Autor. Bisher ignorierten die Verlage meine Manuskripte
und mein Hauptberuf ist deshalb im Moment Taxifahrer. Ich seufzte
und steckte mir eine Zigarette an.
Es klopfte an der Zimmertür und kurz darauf blinzelte meine Frau
durch einen kleinen Türspalt. Verena lächelte freundlich und warm,
kam herein und stellte mir ein Glas Rotwein neben die Maschine.
"Es wird schon, mein Herz. Wenn heute nicht, dann Morgen. Entspann
dich ein bisschen." Sie bückte sich und sah mir tief in die Augen.
Ihr Blick war fast schon traurig.
"Danke mein Schatz", entgegnete ich mit gedrückter Stimme. "Es ist
zum Mäuse melken. Ich habe schon wieder diese Kopfschmerzen."
Ich trank einen Schluck und sah wieder auf das leere Blatt Papier.
Sie trat hinter mich und massierte mit ihren sanften Händen meine
Schläfen. Ich setzte noch einmal das Glas an den Mund und trank
den Wein in einem Zug aus. Das tat gut. Verena lächelte mich
erneut an und verließ dann schweigend das Zimmer. Ihr Besuch
bedeutete, dass ich langsam aufhören und zu ihr kommen sollte. Sie
wusste aber ganz genau, dass ich erst dann aus dem Zimmer kam,
wenn ich wirklich fertig war. Oder wenn ich an einem Tag wie diesem
aufgegeben hatte. Sie hätte mich nicht überreden können,
früher Schluss zu machen. Und heute war ich noch nicht so weit.
Aus lauter Verzweiflung zündete ich eine neue Kippe an. Ich riss
das leere Papier aus der Schreibmaschine, knüllte es zusammen und
warf es wütend in den Papierkorb. Im Magen wirkte der Wein wohlig
warm. Wenigstens das tat gut. Ich blickte ein weiteres Mal in den
Park. Es waren fast nur noch Schatten zu erkennen. Stand da ein
Mann neben dem großen Baum? Der Baum ganz rechts am Fenster war
riesig und hatte einen Stamm, den ich kaum umfassend konnte. Ein
Mann, der scheinbar einen langen Mantel trug, schien zu mir
herüber zu sehen. Zumindest fühlte ich mich beobachtet. Er war
viel zu weit weg, um das mit Bestimmtheit sagen zu können.
Paranoia hätte mir jetzt auch noch gefehlt. Ich wischte diesen
Gedanke weg. Unsinn.
Ich startete einen allerletzten Versuch für heute und spannte eine
weitere Seite in die Maschine. Im Bauch wurde der Wein immer
wärmer. Tick, tick tick. Die Schreibmaschine brachte langsam neue
Buchstaben auf das Papier. Mir war, als hätte ich Watte im Kopf.
Auf dem Papier stand: "Der Mann mit dem Mantel steht am Baum." Ein
jämmerlicher Anfang, aber immerhin ein ganzer Satz.
Tick, tick, tick, tick, tick. Ich las weiter: "Du schreibst Müll."
Wieso schrieb ich so einen Unsinn? Ich tippte weiter die Tastatur
für die Buchstaben: "U n n s i n n". Doch stattdessen stand auf
dem Papier: „M ü l l!" Was sollte dieser Quatsch? Wieso schrieb
die alte Maschine etwas anderes? Tick, tick tick klang es aus der
Maschine. Aber ich drückte gar keine Tasten, meine Finger
versteiften sich und lagen nur oben auf der Tastatur. Die alte
Olympia schrieb ganz allein. Kalter Schweiß lief mir die Stirn
hinunter. Ich bekam Angst. "Schreibe nie wieder auf mir.", las ich
nun entsetzt. Das Ding sprach mit mir. Mein Magen brannte und die
Wärme stieg bis zur Brust hinauf. Das Atmen fiel mir schwerer.
Tick, tick, tick. "Sieh mal in den Park." Ich blickte auf. Der
Park war jetzt ganz in Dunkelheit getaucht. Nur am Baum stand ein
Mann unter einer Laterne. Ich war mir jetzt sicher, dass er mich
ansah. Ich begann zu zittern. Tick, tick, tick. "Sieh hin!"
Ich starrte aus dem Fenster. Erst jetzt bemerkte ich, dass die
Tapete sich auflöste. Die Wand und das Fenster waren plötzlich
weg. Ich saß wie auf einem großen Balkon, die gesamte Zimmerwand
war verschwunden. Der kalte Novemberwind blies mir ins Gesicht und
ich schauderte umgehend. Tick, tick, tick. Ich starrte gebannt auf
das Papier. "Du bist es nicht wert, auf mir zu schreiben." Als ich
wieder aufsah, flimmerten die anderen drei Wände in seltsamem
gelblichen Licht. Die Tür formte sich zu einem nassen
Wurzelgeflecht. Es roch modrig und faulig. Kleine gelbe Augenpaare
starrten mich direkt aus den Wurzeln an. Eine Wurzel löste sich
und schlängelte auf mich zu. Gelbe Augen waren vorne am Kopf. Es
war der Kopf einer Schlange, einer hölzernen Schlange. Sie hielt
direkt vor mir an, stellte sich auf und zischte. Eine Zunge ragte aus
ihrem Maul heraus und bewegte sich ganz weich und locker. Und
dann biss das Vieh auch schon in mein linkes Knie. Ich schrie vor
Schmerz laut auf. Blut quoll durch die Jeanshose, als die Schlange
von mir ab lies. Und unmittelbar darauf kam der zweite Biss. Ich
jaulte und hielt mich verkrampft an der Armlehne des Stuhls fest.
Ich spürte und sah, wie sie das Blut aus meinem Knie saugte. Sie
schmatzte dabei, als wäre ich eine Delikatesse. Tick, tick, tick.
"Einsteigen, Zusteigen, Dabei sein."
Meine Gedanken überschlugen sich. Aber ich konnte vor Schmerzen
nicht mehr klar denken. Alles war so surreal und doch so echt. Die
Schmerzen in meinem Knie, aus dem die Schlange immer noch saugte,
waren echt. Und irre stark. Ich zitterte am ganzen Körper. Ein
Donnerknall jagte in meine Ohren. Die Wand hinter mir füllte sich
mit dunklen Wolken. Ein Blitz schoss heraus und verbrannte an der
Stelle, wo er auf den Boden traf, den Teppich. Mein Bauch fühlte
sich an, als würde er jeden Moment verbrennen. Ich konnte kaum
noch atmen. Mein Kopf glühte, als hätte ich weit über 40°C Fieber.
Ich ächzte laut. Was geschah hier, was passierte mit mir? Donner
hallte aus der Wand heraus. Tick, tick, tick.
"Jippijeijeh! Noch eine Runde gefällig? Heute ist alles umsonst!"
Die anderen beiden Wände wurde rot und gelb. Ein Vulkan
explodierte vor meinen Augen. Leuchtendes Magma wurde auf den
Teppich geschleudert. Ein zäher Fetzen landete auf dem
Schreibtisch und dieser fing unmittelbar an zu brennen. Das
nächste Stück Magma schleuderte auf meinen rechten Oberschenkel
und ich brüllte wieder vor Schmerz auf. Ich wischte es schnell vom
Bein herunter und verbrannte mir auch gleich noch meine rechte
Hand. Ich war dem Wahnsinn nahe. Ich schrie und schrie. Ich
gurgelte wirres und unverständliches Zeug. Dann rief ich aus
voller Kehle: "Aufhören! Hör bitte auf! Bitte!" Das Bitte war nur
noch ein gequälter Seufzer. TICK! Laut stanzte die Maschine nur
ein Wort: "NEIN!"
Der Schreibtisch brannte, nur die Schreibmaschine schien irgendwie
geschützt zu sein. Sie war vollkommen in Ordnung. Der Teppich
stand auch bereits in Flammen. Dichter Qualm machte sich breit.
Ich wusste es nicht genau, aber ich glaubte der Mann stand immer
noch am Baum. Sah ich sein Lächeln? Das war bei der Entfernung
ausgeschlossen.
Tick, tick, tick. "Soll ich jetzt aufhören?" "Ja!", brüllte ich,
so laut ich konnte. "Ja, ja, ja!"
Tick, tick, tick. „Wirst du jemals wieder auf mir schreiben?“
„Nein, nie. Ich schwöre es. Ich schreibe niemals wieder auf dir.
Aber hör' jetzt bitte auf!“
Tick, tick, tick. "Zieh die Seite heraus. Dann ist es sofort
vorbei."
Ich streckte meine Arm aus und hielt die Seite mit der linken Hand
fest. Dabei zerknüllte ich den oberen Rand und meine Handknöchel
traten weiß hervor. Mit einem Aufschrei riss ich die Seite heraus.
Blitze zuckten durch meinen Kopf und ich verlor das Bewusstsein.
"Schatz, was ist los mit dir? Mach die Augen auf." Ich hörte
Verenas besorgte Stimme, zitterte aber vor Angst am ganzen Körper.
Ich fühlte ihre warme und zarte Hand auf meiner Wange und öffnete
vorsichtig die Augen. Ich blickt direkt in ihr so vertrautes
Gesicht und sah mich dann im Zimmer um. Ich lag auf dem Teppich,
der überhaupt nicht verbrannt war. Die Wände hatten wieder ihre
altbekannte Raufasertapete und das Fenster war auch wieder da.
"Was ist passiert?", fragte ich leise.
"Ich hörte ein Poltern aus dem Zimmer. Als ich rein kam, lagst du
auf dem Teppich. Du bist wohl mit dem Stuhl umgekippt. Geht es dir
gut?"
Ich sah an mir herunter. Alles war an seinem Platz. Offenbar hatte
ich nur geträumt. Ich rappelte mich mühsam auf und sah
angsterfüllt zur Schreibmaschine. Sie stand wie immer am gleichen
Platz und wartete auf eine neue Seite Papier.
„Ich bin fertig für heute, absolut fertig. Und ich glaube, ich
kaufe mir so einen Laptop zum Schreiben. Die alte Schreibmaschine
werde ich verkaufen. Sie ist einfach zu alt.“
Ich sah, wie eine Seite Papier vom Schreibtisch auf den Fußboden
fiel. Das obere Ende war zerknüllt.
Ich sah aus dem Augenwinkel den Mann im Park, wie er sich vom Baum
entfernte und verschwand.
„Ganz wie du meinst Schatz.“ Verena küsste mich.
Tick, tick, tick.