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Mein Zwilling
Ich habe in meinem Zimmer einen großen Spiegel an der Wand hängen. Wie eine Tür sieht er aus, natürlich, weil er ja auch eine ist. Denn immer wenn ich durch diese Tür schaue, sehe ich eine andere Welt, verkehrt und merkwürdig entstellt. In mitten dieser Welt er - ein Fremder, aber doch vertraut. Sein neugieriger, aufmerksamer Blick schaut mich an. Er wandert über das Gesicht, über die Lippen, die Augen, die Nase, den Hals. Alles schaut er an, kennt er schon, so oft er auch hinschaut, etwas neues entdeckt er nicht. Jeden Tag sehe ich ihn, meinen Zwilling der verkehrten Welt. Manchmal mag ich ihn, manchmal nicht. Manchmal sieht er sehr müde aus, manchmal ist er aber auch voller Energie und Tatendrang.
Wenn ich andere Menschen sehe, dann lächele ich sie an, nur wenn ich ihn sehe, lächle ich nicht. Ich schaue ihn ernst an, erforsche seine Augen. Suche Ähnlichkeiten zwischen ihm und mir in seinem Blick, der auf mir ruht.
Warum ich meinem Zwilling nicht zulächel? Er hat es nicht nötig finde ich, ich kenne ihn. Er verlangt es nicht. Außerdem, hat er mir denn je zugelächelt?
Manchmal tut mir mein Zwilling auch ein wenig leid, wenn er mich so traurig anschaut. Wahrscheinlich hat er dann einen schlechten Tag gehabt. Wenn ich ihn frage weswegen er denn so traurig schauen würde, macht er große Augen, aber erzählen tut er mir ja doch nichts.
Er ist immer da, wenn ich alleine bin. Zum Teil sitze ich Stunden vor dem Tor, das in seine Welt führt und leiste ihm Gesellschaft. Ich gebe zu, ich spiele gerne mit ihm, mache mich über ihn lustig. Auch er mag es mich zu necken, bis es mir zu bunt wird und ihn alleine lasse.
Trotz allem, es gab einen Moment, da hatte ich das Gefühl er versteht mich.
In diesem Moment lächelte er mir zu.