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Mein Zweifel und Ich

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09.05.2016
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Mein Zweifel und Ich

Ich fühle mich noch so unvollendet.

Doch trotzdem rede ich vom Frieden. Nun nehme ich mir vor, mich selbst zu lieben und die Verantwortung für mein Glück zu tragen.

Und die unvollendete Stimme in mir spricht und sagt: „Das sind alles nur Ausreden. Du musst gerade für deine Fehler stehen und Buße tun, du musst leiden.“

Und alles in mir reißt sich zusammen und entgegnet: „Ich will mich nicht für den Weg des Schmerzes entscheiden. Es ist so einfach zu leiden. Ich will die Herausforderung annehmen und meine dunklen Schatten als meine akzeptieren, jeden Schritt in Achtsamkeit mit ihnen pflegen. Sollen sie doch da sein, so laut schreien wie sie wollen. Ich werde all meinen Mut zusammen bringen und sie durch Selbstliebe erleuchten lassen.“

„Völliger Mist. Ihr Hippies glaubt wohl dass ihr alles durch Selbstliebe wieder gerade bringen könnt. Ihr lebt in einer Welt voller Gier, Neid und Zorn. Was nützt euch die Akzeptanz eures Selbst wenn die Welt dort draußen euch verflucht?“ Die Stimme nimmt langsam ein grübelndes und strafendes Gesicht an.

Und ich bemerke wie der Zweifel über mich hineinfällt und sich in meine schwachen Nerven beißt.
„Ja“, entgegne ich, „Die Welt ist voller Zorn. Und wer weiß wie viele Menschen mich verurteilen. Und ja, ich gebe mir Recht, ich habe oft enttäuscht, gelogen und schwerwiegende Fehler gemacht. Ich habe Menschen wegen meines Verhaltens weinen sehen, wahnsinnig werden. Und oft schäme ich mich, sobald ich die tiefen Räume meiner Erinnerung betrete.“

„Ha, habe ich es doch gesagt. Wie willst du dich selber lieben können wenn du ehrlich in den Spiegel – „

„Diese Konfrontation ist unfair!“

„Ach was, habe ich deinen wunden Punkt getroffen? Ehrlichkeit, Liebchen. Schau dich an, schau dir deine Geschichte an. Du hast es selbst gesagt. Wie vielen Menschen hast du schon ein Herz gebrochen und Vertrauen geraubt? Diese Welt ist grau und deine Pinselstriche hinterlassen nur schwarze Pfützen in diesem tristen Gemälde voller Leid.“ Der Zweifel räkelt sich genüsslich über meine Schultern und kitzelt mich dabei verlockend am Kinn.

Und tatsächlich trifft er meinen wunden Punkt. Mein aus Holz gebautes Fundament bricht leicht in sich zusammen. Ich starre in die Ferne und die Erinnerungen werden wach. Werde ich immer derselbe Mensch bleiben? Immer wieder dieselben Fehler machen? Bin ich wirklich liebenswert und darf ich mich selbst überhaupt lieben mit all den Macken und Kanten?

Mittlerweile hat es sich die raue Stimme auf meinen Schultern sehr gemütlich gemacht und zieht mich runter. Es wird allmählich dunkel und während ich mich umschaue meldet sich auch mein Kurzzeitgedächtnis: „Moment, wohin wollte mich mein erster Gedanke führen? Ach ja, es ist so einfach zu leiden. Du Zweifel in mir, du bist wie eine Sucht, eine kurzfristige und einfache Lösung. Ich habe mich lang genug gehasst, meinen Blick in den Spiegel vermieden und mich von dir verführen lassen. Ich könnte dir Recht geben und sagen: ‚Verdammt Ja! Ich bin ein Haufen Dreck. ‘ Aber so leicht bekommst du mich nicht. Wenn ich zurück schaue, dann sehe ich wohin du mich geführt hast, in noch tiefere und leerere Orte meines Herzen, die gefüllt waren mit deinen Worten. Und aus zu wenig Selbstachtung und zu viel Selbstkritik habe ich immer nur die falschen Wege eingeschlagen. Sag mir, wie fing ich meinen Gedanken an? Genau, Selbstliebe. Ich nehme auch dich, kleines, kritisches Monster als menschliche Macke im Kopf mit auf meine Reise.“

Nun sitzt der Zweifel nicht mehr auf meiner Schulter sondern starrt mich mit weit aufgerissenen Augen an. „So leicht machst du es dir?“

Ich unterbreche ihn: „So schwer mach ich es dir?“

„Jetzt hör auf mir meine Sätze im Mund herum zu drehen.“

„Nun fängt der Zweifel an zu zweifeln? Kann das sein? Hör mal, kleiner Kritiker. Du hast Recht, ich habe viel verpatzt in meinem Leben aber soll ich deshalb nun, damit meine ich jetzt und hier, in diesem Moment, dir verfallen? Ich möchte ein Fundament für mein Leben errichten und dabei soll mir meine Erfahrung die Stütze sein. Vor allem die Misserfolge sollen mich lehren was ich beim Bau beachten musst und auch du erinnerst mich daran, dass ich unbedingt Fenster in meinen dunklen Keller des Fundaments einsetzten muss, damit du immer mal wieder Sonnenschein abbekommst. Nun sind die Dinge so geschehen und wer weiß wie viele Menschen dort draußen sind denen ich Schaden zugefügt habe genauso wie Menschen die mich enttäuscht haben. Sollen sie dort draußen sein. Was für mich zählt ist dieser Augenblick, in dem ich entscheide ob ich mein Leben nun in Licht wandeln möchte oder in den alten Mustern des Selbstmitleides hängen bleiben will.“

„Und was ist, wenn du dieselben Fehler wieder machst?“ Die unvollendete Stimme ist nun nicht mehr böse oder zornig sondern eher ängstlich, verwundert.

„Ich muss es ausprobieren, Ich muss es wagen. Ich muss in mich vertrauen und ich werde einen Samen pflanzen. Jetzt, Hier, heute!“

„Jetzt wirst du aber ganz schön übermutig.“

„Ja, ein bisschen zu viel Mut ist besser als ein bisschen zu wenig.“, erwider ich mit strahlendem Gesicht.

Ich fühle mich so unvollendet perfekt.

 

Hej mirmirträumer,

das ist schön geworden, um all denen Mut zu machen, die so hart mit sich ins Gericht ziehen.

Der Zweifel räkelt sich genüsslich über meine Schultern und kitzelt mich dabei verlockend am Kinn.

Warum er so charmant daher kommt, der alte Sack ? :lol:

Es ist jetzt ja keine Geschichte, der ich folgen muss, die mich unterhält, meine Spannung hält und am Ende etwas dabei herauskommt, dennoch war es mir ein (wenn auch kein neues) Vergnügen, dich bei deiner Erkenntnis zu begleiten. Du hast eine sanfte Sprache gewählt, die nicht insistierend daherkommt, sondern Raum lässt und ohne Zeigefinger bleibt.

Es ist sogar belustigend, wie der Dialog am Ende mit dem Zweifel.

Jetzt muss man nur noch seine Feinde lieben und alles ist rund ;)

Danke, dass ich teilhaben durfte, Kanji

 

Vielen Dank Kanji! Heute war mein Tag an dem ich mich entschied meine Wörter irgendwo zu veröffentlichen und mit eine unvoreingenommene Meinung zu holen.
Danke dir :)

 

Der Zweifel räkelt sich genüsslich über meine Schultern und kitzelt mich dabei verlockend am Kinn.
Es ist keine Schande, sich „unvollendet“ zu fühlen,

liebe mitmirtraeumer -

und damit erst einmal herzlich willkommen hierorts!

Und sind wir es nicht alle, unvollkommen wie unvollendet. Und tatsächlich vollendet sich das Leben erst mit dem Tod, mag es da immer noch so unvollkommen gewesen sein, wie's nur geht. Und jetzt kommt auch noch einer, der nie was mit Hippies anfangen konnte – sehn wir mal von Grateful Dead ab, aber der Dir aus dem Wort erklären kann, warum und wo es Zweifel - der aus dem Zahlwort zwei und dem Verb falten zusammengesetzt ist (im ahd. noch deutlich zu erkennen „zwifal“) - wo also nicht nur eine Möglichkeit besteht, da sind Zweifel vorgegeben. Es ist also das Gegenteil der Einfalt - und wer wollte schon freiwillig zugeben, dass er einfältig wäre?

Ich fühle mich noch so unvollendet.
„So“ (= [als Adverb:] in dieser Weise / derartig; folgendermaßen usw. [als Konjunktion] dann/deshalb, die wenig sinnvoll in dem Bezug im Saz sind) ist eigentlich entbehrlich. Füllsel halt.

Doch trotzdem rede ich vom Frieden. Nun nehme ich mir vor, mich selbst zu lieben und die Verantwortung für mein Glück zu tragen.
Ist das nicht die Auffassung, jeder sei seines Glückes Schmied, inzwischen fester Bestandteil von ökonomischen Wörterbüchern und unserer Sozialpolitik ...

Und die unvollendete Stimme in mir spricht und sagt:
Was ist eine vollendete Stimme, sind Stimmen von Sängern vollendet? Schwankt sie nie, formt druckreife und/oder gefällige Sätze? Keine Ahnung, selbst wenn ich eine Vorstellung vom vollendeten Ton hab.

Du musst gerade für deine Fehler stehen und Buße tun, du musst leiden.“
Besser, die Klammer „gerade … stehen“ auflösen, etwa „Du musst für deine Fehler geradestehen ...“, den „gerade stehen bedeutet, mit geradem Rücken vor einem/etwas stehen, geradestehen aber einstehen/Verantwortung übernehmen.

Die Stimme nimmt langsam ein grübelndes und strafendes Gesicht an.
Klingt sehr nach Stilblüte, Stimme und Gesichtssinn zu verbrüdern, ohne dass es tatsächlich eine wäre. Einen Ton, den Laut sowieso sollte man ihr zugestehn ...

Mit der Zeichensetzung tustu Dich richtig schwer

Und ich bemerke[,] wie der Zweifel über mich hineinfällt und sich in meine schwachen Nerven beißt.
(Komma, weil die vergleichende Konjunktion „wie“ einen vollständigen Satz einleitet, ähnlich hier wieder)
Und wer weiß[,] wie viele Menschen mich verurteilen.

„Ha, habe ich es doch gesagt. Wie willst du dich selber lieben können[,] wenn du ehrlich in den Spiegel – [“]

Mittlerweile hat es sich die raue Stimme auf meinen Schultern sehr gemütlich gemacht und zieht mich runter.
Nee, da räkelt sich doch schon die Stimme (s. o.) Bei mir breiten sich immer wieder mal Schuppen auf den Schultern aus (oft wie Schnee … ernstlich, wenn auch alles andere als feucht und kalt …). Bin halt Fisch, wär ich Vogel, trüg ich Federn … Bei den Bildern musstu aufpassen. Schnell können die mit einem Witz weggefegt werden.

Wenn ich zurück schaue, dann sehe ich[,] wohin du mich geführt hast, in noch tiefere und leerere Orte meines Herzen, die gefüllt waren mit deinen Worten.
Du hast Recht, ich habe viel verpatzt in meinem Leben[,] aber soll ich deshalb nun, damit meine ich jetzt und hier, in diesem Moment, dir verfallen?
Nicht immer so weitschweifig ...
Ich möchte ein Fundament für mein Leben errichten und dabei soll mir meine Erfahrung die Stütze sein.
Aha, Existenzgründer …
Aber woher kommt auf einmal die Erfahrung?
Vor allem die Misserfolge sollen mich lehren[,] was ich beim Bau beachten muss[...] und auch du erinnerst mich daran, dass ich unbedingt Fenster in meinen dunklen Keller des Fundaments einsetzten muss, damit du immer mal wieder Sonnenschein abbekommst. Nun sind die Dinge so geschehen und wer weiß[,] wie viele Menschen dort draußen sind[,] denen ich Schaden zugefügt habe[,] genauso wie Menschen[,] die mich enttäuscht haben. ... Was für mich zählt[,] ist dieser Augenblick, in dem ich entscheide[,] ob ich mein Leben nun in Licht wandeln möchte oder in den alten Mustern des Selbstmitleides hängen bleiben will.“

Die unvollendete Stimme ist nun nicht mehr böse oder zornig[,] sondern eher ängstlich, verwundert.

Ich muss in mich vertrauen und ich werde ...
Was ist das für ein reflexiv-artistischer Akt – Du kannst in dich Vertrauen setzen, aber ich kann „mir“ vertrauen oder auch nicht

Jetzt, Hier, heute!“
Ist heute weniger als Hier? Das Jetzt hier ist ja nur wegen des Satzanfangs so groß geworden ...

„Jetzt wirst du aber ganz schön übermutig.“
übermütig, meinstu.
Und zuletzt gehört kein Punkt ans Ende der wörtl. Rede

„Ja, ein bisschen zu viel Mut ist besser als ein bisschen zu wenig[...]“, erwider ich mit strahlendem Gesicht.

Aber Du stürzest mich in einen Zwiespalt, jener umgekehrte Zweifel, der eine Möglichkeit spaltet - aus eins mach zwei, wie im Hexeneinmaleins aufm Brocken. Aber ich sag mal so, es wirkt auf mich wie Schülerpoesie, wie sie wahrscheinlich jeder durchgemacht hat, der zu schreiben anfängt (sofern er natürlich noch jung genug ist). Nix schlimmes also. Entwicklungspfad halt, der beschritten werden muss und durch den Du durchkommst. Tipp ich mal drauf.

Und es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Was hätte er auch von welcher Meisterschaft auch immer - mit einem gebrochenen Hals.

Wird schon werden, meint der

Friedel

 

Zunächst an Friedrichard: Dass du immer so pingelig sein musst, ist wohl der manierierten Eloquenz geschuldet, die dir eigen ist! Dieses "so" wird hier als reines verstärkendes Partikel verwendet und ist somit zunächst richtig. Allerdings ist "unvollendet" ein unvergleichbares Adjektiv, insofern passen verstärkende Partikel eigentlich nicht. Aber dient es doch immer noch der Betonung, bringt Verzweifelung rüber. Insofern für mich vollkommen legitim.

mitmirträumer, ob das nun eine richgige Geschichte ist, kann ich nicht eindeutig sagen, aber gefällt mir trotzdem. Ich kann mich sehr gut in den Erzähler einfühlen. Neige ja auch zum Grübeln und vielleicht schaffe ich es den Zweifel zukünftig wegzuscheuchen, indem ich ihn in so ein Zwiegepräch verwickel. Der Abbau von Selbstbezogenheit ist schon mal ein guter Ansatz. Wer sich selbst so behandeln kann, wie einen guten Freund, hat schon mal die halbe Miete gewonnen. Stilistisch ist der Text besser als deine Zeichensetzung, siehe Friedels Beitrag.

 

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