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Mein Weg zu lieben
Meine Schönheit ist meine Waffe, die ich nicht einsetze.
Ich entscheide, ob er den Job, den er so dringend will und unbedingt braucht, bekommt oder nicht. Was er sieht ist eine Frau im Business-Outfit, komplett angstfrei und unendlich weit weg von dem ganzen Schlamassel, das ihn niederdrückt. Ich stelle mir vor, seinen Angstschweiß zu riechen, ich stelle mir vor, wie er mir mit der flachen Hand ins Gesicht schlagen will, während er mir so selbstbewusst wie möglich in die Augen schaut, wir wissen beide, dass er das nicht ist, die Demütigung steht im Raum, aber es steht uns frei, so zu tun, als sähen wir sie nicht. 30-jährige Frau taxiert 50-jährigen Mann, ob er denn noch eine Chance verdient hat. Ich blättere in seiner Mappe und schaue nicht gönnerhaft, nicht gelangweilt, nicht geschäftig, nicht vor Energie platzend, nicht so, als hätte ich brutal viel um die Ohren, ein Meeting hinter mir, eines vor mir, und zwischendrin dieses im Grunde nur lästige Vorstellungsgespräch, weil ich die Leute, die unter mir arbeiten, natürlich selbst einstellen muss, auch wenn es sich wie in diesem Fall nur um einen Idiotenjob handelt. Ich nehme alles raus, was die Situation aufladen könnte, lassen Sie uns einfach in Ruhe reden und schauen, ob der Job hier etwas für sie ist.
Mir wird nicht übel, wenn ich mir vorstelle, was er sieht, wenn er mich in den Blick nimmt (was er konstant tun muss, um sich nicht zu disqualifizieren), aber ich spüre einen Hass, der mich dazu verleiten kann, etwas zu tun, was ich nicht tun sollte. Machen Sie sich frei, denke ich, er denkt nur im Traum daran, mit mir zu flirten, er weiß, dass er nicht meine Liga ist, keine Chance, also versucht er es es erst gar nicht.
"In Ordnung, Herr Polter, mir gefällt, was ich hier sehe. Sehr sogar."
Er sieht mich an, als hätte ich einen Witz auf seine Kosten gemacht, was nicht der Fall ist. Ich will mit ihm schlafen, es ist nichts Sexuelles. Ich schlafe nur mit Männern, die nicht infrage kommen, Sex mit Jungspunden in meinem Alter ist etwas, was ich nicht ertragen kann, mich killen diese säuberlich gebräunten Oberkörper, die albernen Frisuren, die mit zu viel Bedacht ausgesuchten Anzüge, in denen sich die Typen so besonders wohlfühlen, sie lieben diese Anzüge, in denen sie so fabelhaft aussehen und die zu ihren Auftritten in den Meetings genauso gut passen wie später an der Bar mit dann gelockerter Krawatte. Im Bett bleiben sie dann entweder cool oder werden liebevoll-nett, was ihnen überhaupt nicht steht, oder sie zeigen Schwächen und zeigen mir den kleinen Jungen in ihnen, ihren Schatten, der so ganz anders ist als das, was man in Büro und Club von ihnen sieht, was natürlich eine einzige Lüge ist, an die sie aber komplett glauben. Wenn du ihnen sagst, dass das alles stimmt, dass ihr schneidiger Business-Auftritt auf dich tatsächlich nur hochgradig lächerlich und deprimierend unsympathisch wirkt, schauen sie dir böse ins Gesicht und verschwinden.
"Ich bin etwas knapp in der Zeit Herr Polter, das ist mir sehr unangenehm. Was halten Sie davon, wenn wir uns heute Abend noch einmal treffen, sagen wir um 20 Uhr bei mir?"
"Ich fürchte, ich verstehe nicht."
"Gehen Sie davon aus, dass Sie den Job haben. Aber wir müssen noch ein paar Dinge besprechen, das verstehen Sie ja sicher."
Bevor er kommt, mache ich mich hübsch. Ich öffne und schließe die Augen so oft, bis ich im Spiegel sehe, dass der Blick stimmt. Ich spreche zu mir, bis ich spüre, dass meine Stimme den beruhigenden Ton hat, der in einem irritierendem Widerspruch zu meinem Business-Outfit steht. Meine Methode ist die nicht auftrumpfende Schönheit, kein aufregender Augenaufschlag, keine Zunge, die meine Lippen befeuchtet, keine Bewegungen, die meinen Busen unter dem eng anliegenden Kaschmirpullover und meine high-heels-gestreckten Beine zur Geltung kommen lassen. Es funktioniert erst dann, wenn es kein Trick mehr ist, keine Attitüde.
Als Polter meine Wohnung betritt, bin ich es, die des Trostes und der Liebe bedürftig ist. Ich kann nicht gleich seine Hand nehmen und flach über mein Gesicht gleiten lassen, wir bekommen das, was wir wollen, nie einfach so, selbst wenn es das ist, was der andere auch will. Bevor man sich umarmt, muss man andere Dinge tun, die es einem erlauben, später das zu tun, was beide wollen. Ein Kuss gleich zu Beginn ist uns nicht vergönnt.
Polter ist unsicher, aber es steckt genug Kraft in ihm, sich mir nicht zu unterwerfen. Mein Vorteil ist: Ich bin 20 Jahre jünger, beruflich um Lichtjahre erfolgreicher und ich bin sexuell attraktiv. Das ist viel, aber das ist bei weitem nicht genug, um einem anderen Menschen überlegen zu sein. Ich bin glücklich, dass Polter das auch weiß, zumindest kommt es mir so vor.
Am nächsten Morgen, als er noch schläft, schaue ich mir Hajo Polter an. Er hat ein rundes Gesicht, eine kräftige Nase, muskulös wirkende Ohren, die vibrierend zurückschwingen, wenn man sie kippt. Ich denke darüber nach, ihm statt dem Job 20.000 Euro zu geben, was für mich keine große Sache wäre, das heißt, ich denke nicht darüber nach in dem Sinne, es womöglich tatsächlich zu tun, ich stelle es mir nur vor, und frage mich, ob Hajo verstehen würde, dass es keine zynische Geste wäre, sondern eine angemessene Bezahlung. In Wirklichkeit ist er schöner als man es sofort sieht, sein massiger Oberkörper wird dominiert von Muskeln, nicht von Fett, seine Knie sind nicht so grotesk verknorpelt wie meine eigenen, wenn sich unsere nackten Füße berühren gibt mir das ein Gefühl der Geborgenheit. Nachdem wir miteinander geschlafen hatten, unterhielten wir uns unaufgeregt über die Dinge des Lebens, alles war so, wie ich es mag. Nach dem Duschen und bevor er geht, fragen wir uns, wie es weitergeht.
"Es ist wahrscheinlich keine gute Idee, mir den Job zu geben."
"Willst du ihn denn?"
"Es ist eher so, dass ich ihn brauche."
"Nachdem du mir gegeben hast, was ich brauche, sollte ich jetzt wahrscheinlich das Gleiche für dich tun."
"Eine interessante Art, jemandem abzusagen."
Wir sahen uns betrübt an und wünschten uns beide, dass ohne unser Zutun eine Lösung auftauchte, die uns beide befreite. "Eigentlich", sagte ich schließlich, "bin ich zu allem bereit. Du musst mir nur sagen, was."
"Alles, bis auf den Job."
"Ja, ich fürchte. Alles, bis auf den Job."
Als Hajo sich nach einer Umarmung verabschiedete, hatte ich das Gefühl, er verlässt als Sieger den Raum. Ich sah mein schönes, melancholisches Gesicht im Spiegel, machte mich für die Arbeit zurecht, und alles war so, wie ich es mag.