Mein Wecker
Der Wecker klingelt, ich öffne ein Auge und schiele missmutig in seine Richtung. „Verdammte Scheisse! Du blödes Mist Ding von einem Wecker! Es kann doch nicht sein, dass schon Morgen ist!“ fluche ich leise vor mich hin. Mann, war das eine Nacht. Der Alkohol muss wahrscheinlich wieder mal in Strömen geflossen sein, ich weiss es zwar nicht mehr so genau, aber ich denke, dass die höllischen Kopfschmerzen nicht von ungefähr kommen…
Der Wecker klingelt immer noch, sehr penetrant und sehr laut (er steigert die Alarmlautstärke im 10 Sekunden Takt). „Verdammtes Mist Ding!“ schreie ich ihn an und haue auf die Snooze-Taste – zehn Minuten mehr Schlaf können nie schaden. „Ich hätte einen Wecker mit einem weniger aufdringlichen Klingelton kaufen sollen,“ denke ich.
Wecker kaufen ist für mich Routine. Erst vor zwei Wochen hat mein alter Wecker den Geist aufgegeben. Mein enormer Weckerverleiss ist wahrscheinlich darauf zurück zu führen, dass ich jedes Mal, wenn er es wagt zu klingeln, wie wild drauf herumhämmere. Aber wer weiss das schon so genau? Vielleicht hassen mich auch nur alle Wecker, kann ja sein, oder?
„Es ist genau sechs Uhr und fünfzehn Minuten.“ Ja spinn ich jetzt? Wer hat das eben gesagt? Ein One-Night-Stand, an den ich mich nach dieser durchzechten Nacht nicht mehr erinnern kann? Schnell drehe ich mich um, doch mein Bett ist leer. „Eigentlich schade“ den-ke ich beinahe enttäuscht. Aber wenn niemand ausser mir da ist, wer hat dann mit mir geredet? Na ja, vielleicht wirkt der Alkohol halt doch noch mehr, als ich gedacht hab. Was soll’s, vielleicht ist es ja auch die nur die Müdigkeit. Wie auch immer, fest steht, dass ich mir das sicher eingebildet habe.
Ich lege mich wieder hin und gerade als mir die Augenlider zufallen, sagt eine wütende Stimme: „Ich bin kein verdammtes Mist Ding!! Ohne mich würdest du jeden Morgen zu spät zur Arbeit kommen!“ Jetzt bin ich hellwach oder etwa doch nicht? War das etwa mein We-cker der da gerade mit mir geredet hat? Und wenn ja, wie spricht man so einen Wecker an? Herr Wecker oder etwa Wecki? Ich will ja nett zu ihm sein, denn
w e n n das eben wirklich mein Wecker war, muss ich freundlich zu ihm sein, schliesslich bin ich auf ihn angewiesen.
„Wecker, hast du eben mit mir gesprochen?“ frage ich zögernd.
„Was denkst du denn? Meinst du eigentlich, dass klingeln das einzige ist was ich kann oder was??“
„Oh Mann, mein Wecker redet mit mir! Ist ja voll krass!“
„Das ist überhaupt nicht krass! Uns kann man programmieren, wir wecken die Leute dann, wenn sie wollen und dazu gehört Intelligenz, du Dumpfbacke! Ich lass mir das jetzt seit zwei Wochen gefallen. Jeden Morgen hämmerst du wie eine wilde auf mir herum. Und wieso? Weil ich meine Arbeit mache und dich pünktlich wecke!“
„Ach komm schon, soooo schlimm bin ich nun auch wieder nicht. Und vergiss nicht, Samstag und Sonntag hast du ja frei.“
„Meinst wirklich, dass das ausreicht, um mich von deinen Schlägen zu erholen? Du solltest mal mein Innenleben sehen! Alle Kabel und Drähte sind durcheinander, man könnte meinen, in meinem Innern hätte ein Erdbeben der Stärke 10 auf der Richterskala stattgefunden. Und dazu kommen dann noch deine Beschimpfungen... Ich hab die Schnauze voll von dir. Ich wecke dich jeden Morgen zuverlässig und pünktlich und was tust du? Na komm, sag schon!“
„Ähm…, ja… was soll ich sagen? Kennst du den Begriff Morgenmuffel? Ich bin das absolute Paradebeispiel dafür. Ich kann den Morgen nicht ausstehen, jedenfalls nicht dann, wenn er mit früh aufstehen beginnt. Ehrlich, das hat nichts mit dir zu tun, ich hasse es einfach nur, früh aufzustehen, das ist alles.“
„Und was ist mit den Schlägen, die du mir jeden Morgen austeilst? Ich kann nichts dafür, dass du den Morgen nicht leiden kannst.“
„Ich habe ja bis jetzt immer gemeint, dass du nur eine Sache bist. Ich behandle Wecker schon so seit…“
Wecki beginnt mit seiner Digitalanzeige wie wild zu funkeln.
„Nein, nein, warte, so war das nicht gemeint. Eigentlich mag ich euch Wecker ja. Aber ihr habt die schlechte Angewohnheit, mich aus den schönsten Träumen zu reissen.“
„Waaaas? Bist eigentlich völlig durchgeknallt? Also erstens, nur weil ich nicht aus Fleisch und Blut bin, heisst das noch lange nicht, dass man mich nicht anständig behandeln soll! Und zweitens hast du mich ja so programmiert. Woher soll ich denn bitteschön wissen, ob du gerade etwas träumst hä?“
Die Anzeige blinkt jetzt immer heftiger, ich glaube, Wecki beginnt langsam zu hyperventilieren, sofern ein Wecker das überhaupt kann.
„Ja, ja, schon, gut beruhig dich wieder. Jetzt weiss ich ja, dass ich einen Fehler gemacht habe. Ich verspreche dir auch, dass ich dich in Zukunft besser behandle. Dich und natürlich auch alle anderen Wecker in meinem Umfeld.“
„Na siehst du, es geht doch!“
Die Digitalanzeige, oder besser Wecki, scheint sich wieder ein wenig beruhigt zu haben.
„Wecker?“
„Ja, was ist?“
„Solltest du nicht schon lange wieder klingeln? Es ist halb sieben, du solltest seit fünf Minuten wie wild am klingeln sein.“
„Nein, heute nicht“
„Was soll das heissen, heute nicht?“
„Rache ist süss meine Gute - heute ist Sonntag!“