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Mein Vater

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14.03.2018
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Mein Vater

Ich schreibe von meiner winzigen Insel, die ich schon seit Kindheitstagen besitze. Weder meine Eltern noch meine Geschwister, die sie mit Fussbällen und Spott zerstört hätten, wussten damals von ihrer Existenz und sie entdeckten sie nicht einmal, als ich meine Plüschtiere auf die Insel brachte, wie Fifi, die Hündin mit den Kristallaugen und ihrem kleinen, strohgefüllten Körper. Treu folgte sie mir und nahm ihre Aufgabe, unser kleines Reich zu beschützen, sehr ernst. Näherte sich ein Störenfried der Brücke aus Eierschalen, die ich gebaut hatte, bellte sie laut. Manchmal betrat ich selbst diese Brücke, um Bücher, Papier und Stifte zu holen oder um zur Schule zu gehen.

Anfangs beschwerte sich Adam, der grosse, braune Bär, dass es keine Wälder gab, in denen er sich verstecken konnte. Also fing ich an, Bäume zu pflanzen, die bald bis in den Himmel wuchsen. Adam wälzte sich vor Vergnügen im Laub. Für Karolina, meine Holstein-Kuh, säte ich eine Kräuterwiese, in der die Kornblumen und der Klatschmohn das ganze Jahr über blühten. Ja, auch im Winter! Schon bald zogen die Wildblumen eine Vielfalt von Insekten an, und kurz darauf kamen die Vögel.

«Dieses Kind ist sehr seltsam, zu alleine», hörte ich, wie meine Mutter zu meinem Vater sagte, während sie die Wäsche in dem dunklen Innenhof aufhing, der auf der anderen Seite der Brücke lag. Es roch nach Seife, und die Brise trug den Duft auf mein Eiland.

«Lass ihn nur, er wird schon noch aufblühen, wenn er sich irgendwann einmal für Mädchen interessiert.»

Ich entschied, mich niemals für Mädchen zu interessieren und kletterte auf den einzigen Felsen meiner Insel. Von dort aus konnte ich gut mein kleines Stück dieser Welt überblicken, weit weg vom Gejohle meiner Geschwister und den Streitereien meiner Eltern um das Geld, das nie ausreichte.

Genau notierte ich alle Insekten und Vogelarten und versuchte, den Gesang eines Rotkehlchens zu imitieren. Es schaute mich verwundert an, legte sein Köpfchen schräg, ganz so, als ob es sagen wollte: «Du bist aber dumm.» Es wiederholte seinen Gesang, und ich probierte erneut mein Glück. Monate habe ich gebraucht, um seine Melodien zu erlernen.

«Wir müssen mit dem Jungen zum Arzt. Er singt, wie die Vögel, spricht aber kaum. Sein Stofftier Fifi lässt er bellen, und obendrein knurrt er manchmal wie ein Bär oder ruft nach Karoline, der Plüschkuh, weil er sie melken möchte. Jaja, die gleiche Kuh, die Tante Eva ihm schenkte, als er noch ein Baby war. Er ist schon viel zu gross für so etwas!»

Mein Vater schwieg und rauchte versteckt eine Pfeife, denn meine Mutter hätte sonst geschimpft. Sie schimpfte häufig, wohl weil sie uns das Leben verbessern wollte. Sie konnte tausend Dinge gleichzeitig machen und fand so kaum Zeit, uns zuzuhören.

Eines nachmittags bellte Fifi. Mit der Brise kam ein starker Geruch nach Tabak, der sich mit dem Duft meiner Wildblumen mischte. Eine seltsame Mischung, die ich nie vergessen würde. Mein Vater hatte die Brücke aus Eierschalen betreten. Sie knirschte unter seinen Schritten, zerbrach aber nicht. Fifi war drauf und dran, ihn in die Wade zu beissen. Er bückte sich zu ihr runter und streichelte sie.

«Was machst du, mein Sohn?» Der Blick meines Vaters hatte die gleiche Wärme wie die Sonne, die meine Insel umhüllte.

«Ich nasche Honig. Den haben die Bienen meiner Insel produziert», antwortete ich ihm, und ich weiss nicht warum, aber ich streckte meinen Zeigefinger aus, damit er probieren konnte. Mein Vater nahm meinen Finger und tat so, als ob er Honig lecken würde.

«Das ist der beste Honig, den ich je gegessen habe.» Er fuhr sich mit der Zunge über seine Lippen.

«Von Wildblumen. Sie wachsen hier überall. Die habe ich gesät! Man kann sie nur entdecken, wenn man über die Brücke aus Eierschalen kommt, wie Du es eben gemacht hast. Siehst du sie?»

«Klar, sehe ich sie, mein Sohn. Weisst du, vor vielen Jahren habe ich mir auch eine Brücke gebaut. Nicht aus Eierschalen, wie deine, sondern aus Holz. Eine Hängebrücke. Immer, wenn ich ein wenig alleine sein möchte, ziehe ich die Brücke hoch und dann bin ich weit weg von Streitereien, Sorgen, Nachrichten, Motorengeräuschen und dem Gefühl der Machtlosigkeit. Bewahr dir Deine Insel immer auf wie einen grossen Schatz!»

Noch nie hatte mein Vater so viel mit mir geredet. Ich schaute ihn an und legte meine Hand in seine und wir beide genossen den Sonnenuntergang auf meiner Insel, mit Fifi zu unseren Füssen.

Seit dieser Zeit sind viele Jahre vergangen. Ich habe geheirat, eine Familie und bin ein mittelmässiger Schriftsteller. Oft fliehe ich aus der Stadt und besuche meinen Vater. Zusammen überqueren wir dann die Brücke aus Eierschalen, um uns auf den grossen Felsen meiner Insel zu setzen. Er raucht Pfeife, und ich schreibe oder denke an Fifi, die ihr kleines Grab inmitten der Wildblumen fand. Genau wie Karoline. Adam lebt noch. Ab und zu hören wir sein Grunzen im Wald.

Manchmal kommt mit der Brise auch ein Duft von Seife und mein Vater und ich lächeln uns zu.

 

Hallo in die Runde!

Das ist mein erster Beitrag im Forum, und ich hoffe, dass ich mit Euch viel lernen kann! - Ich lebe seit vielen Jahren in Südspanien und manchmal fällt es mir schwer, deutsche Redewendungen richtig einzusetzen, weil mein Gehirn irgendwie auf spanisch programmiert ist. :) In Spanien habe ich drei Grundkurse von "Kreativem Schreiben" besucht, aber jetzt möchte ich meine Gefühle und Geschichten in meiner Muttersprache ausdrücken.

Seid herzlich grgrüsst

BirgitK

 
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Dobryj Den, BirgitK,

herzlichst hier, bei Wortkriegern!


Schon der erste Satz lässt in mir das Bild von Robinson Crusoe erscheinen, mit vielen Freitags um sich herum, auf einer "einsamen" tropischen Insel.

Er engagiert sich für seine Wegbegleiter, ist selbstvergessen, geht in seinen Lebensabschnittsbegleitern auf. Der zentrale Held dieser Geschichte ist aber nicht der Fifi oder einer der Freitage, sondern der Vater. Das hast Du klar und deutlich in deinem Titel angekündigt. Alles in allem eine nette Gutenachtgeschichte für verzweifelte Eltern in einer Kinder- und vielleicht Jugendberatungsstelle, mit dem Input, dass man die Kinder so lässt, wie sie "sind".

Ich mag den "Tabakgeruch" als Symbol für den Vater, auch die Erwähnung von "Seife" im letzten Absatz mit dem Lächeln als Antwort.

Im Großen und Ganzen ist die stilistische Seite der Story ziemlich überschaubar und einfach gestrickt. Also, da gibt es viel zu überarbeiten, wenn, wie gesagt, Interesse besteht.

Viele Grüße
Herr Schuster

PS Im Übrigen, wäre dein Name Anton Tschechov, wäre deine Story ganz anders zu verstehen. Dass der Vater quasi unter dem Druck der Lebensumstände nicht mehr stand halten kann und anfängt, diese Insel zu sehen und mitzugeniessen, mit der Finale, dass die beiden irgendwann viele Jahre später immer noch auf diese Insel von der "Seife" fluchten, bestehend aus Pluschtier-Friedhof und Pfeiferauchen. Hier kommt es auf die Perspektive/Betrachtungsweise an.

PSS Man versucht mit literarischen Texten allgemein bestimmte Geheimnisse anzusprechen und zu luften. In deinem Text haben wir mindestens 3 handelnde Personen. Die Mutter erscheint mir da am Geheimnisvollsten. Ich hätte diese GEschichte mit mehr Spannung erlebt, hättest Du hier und da ein paar Indizien über diese Person versteckt gehabt. Ich hätte da etwas mehr "Seife" gebraucht, die für mich als Leser mehr Halt/Bezug zu realen Welt rein gewaschen hätte. Ansonsten habe ich hier mit einer fiktiven Welt innerhalb einer fiktiven Welt - Verwirrung hoch zwei.

PSSS Bin gespannt auf deine weitere symbolträchtige Texte mit mehr "Seife" und "Tabakgeruch"!

 

Hallo Birgit,

und herzlich Willkommen hier bei den Wortkriegern.

Mir gefiel der Anfang der Geschichte ganz gut, die Idee mit der Insel, wie wer agiert und dass der Sohn etwas seltsam ist. Das las sich flüssig und ich hatte Interesse an dem etwas besonderen Kind.

Als dann der Vater dazukam, wurde die Geschichte etwas lehrhaft, so wie Herr Schuster auch bemerkte. Also das "driftete" dann in eine Anekdote ab, ich weiß es nicht besser zu beschreiben. Mir wurde es dann zu stereotyp, weil bestimmte Muster kamen, die man so durch viele anderen Geschichten kennt.
Vater erzählt, wie es ihm ging, Verständnis fürs Kind. Ein Zueinanderkommen.

Ein Break und dann:

Seit dieser Zeit sind viele Jahre vergangen. Ich habe geheirat, eine Familie und bin ein mittelmässiger Schriftsteller. Oft fliehe ich aus der Stadt und besuche meinen Vater. Zusammen überqueren wir dann die Brücke aus Eierschalen, um uns auf den grossen Felsen meiner Insel zu setzen. Er raucht Pfeife, und ich schreibe oder denke an Fifi, die ihr kleines Grab inmitten der Wildblumen fand. Genau wie Karoline. Adam lebt noch. Ab und zu hören wir sein Grunzen im Wald.

Manchmal kommt mit der Brise auch ein Duft von Seife und mein Vater und ich lächeln uns zu.

Das ist mir zu friedvoll-sentimental. Vielleicht was fürs Herz kurz vor dem Einschlafen, damit man nicht über einen Text nachdenken muss.

Ich persönlich fände viel spannender, wenn sich das nicht in Wohlgefallen auflöst. Sondern die Eltern eben kein Verständnis für die Insel haben und ihn gerne in Gesellschaft sehen würden, vielleicht Kinder einladen, die der Sohn gar nicht daheim haben will. Zum Fussball anmelden oder irgendwie sowas.
Dass sie vielleicht einen Teil der Insel beim Gartenaufräumen zerstören, ohne zu wissen, was sie tun. Dann wäre da Konfliktpotential und ein verletztes Kind, das wäre dann zwar nicht harmonisch zu lesen, aber allemal interessanter und spannender. Aber das wäre eine ganz andere Geschichte.

Und so, wie sie jetzt steht, finde ich den Titel zu plakativ.

Viele Grüße und viel Spaß hier bei uns
bernadette

 
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Hallo Herr Schuster,

herzlichen Dank für den Willkommensgruss.

Da habe ich aber Pech gehabt, nicht Tschechov zu heissen. :) Nunja, eine Gutenachtgeschichte wollte ich aber auch nicht schreiben. Die geheimnisvolle Mutter wird im Text immer wieder erwähnt. Mit grosser Kritik, wie ich meine. Aber wenn ich meine Geschichte erklären muss, will das sicherlich heissen, dass es mir absolut nicht gelungen ist, das zu transportieren, was ich sagen wollte.

Viele Grüsse

BirgitK


Hallo Bernadette,

herzlichen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast, meine Geschichte zu lesen. Anscheinend ist es mir nicht gelungen, die Geschichte in der Geschichte zu transportieren. :)

Das Grab von Fifi steht z.B. für begrabene Kindheitsträume. Adam lebt, also wurde ein Teil der Träume gerettet. Der Seifenduft bedeutet, dass sich am Verhalten der Mutter nichts geändert hat.

Beabsichtigt war eine emotive Geschichte, ohne sentimental zu sein. Nostalgisch, ohne Selbstmitleid des Protagonisten.

So denken und fühlen wir alle anders. :)

Viele Grüsse

Birgit

 
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Hi, Birgit,

Durch Zufall habe ich gesehen, dass Du mir geantwortet hast. Vielen Dank für deine Antwort!

Also, das Letzte, was ich hier mir von Dir wünsche, ist, dass Du beginnst, deine Story zu erklären.

Ich bin jetzt daran zu erklären, wie ich als Leser deine Story verstanden habe (10 Leser - 10 Erklärungen). Es ist ja allgemein bekannt, dass nicht alles, was der Erzähler sagt, so bei dem Zuhörer ankommt, wie beabsichtigt. Wenn Du "a" sagst und bei dem Leser ein "o" ankommt, dann könntest Du dir unter Umständen vielleicht in ungefähr vorstellen, woran es liegen könnte, dass deine Zuhörer "o" oder "s" oder "i" hören.

Deine Geschichte kann also an manchen Stellen "so(+)" oder "so(-)" interpretiert werden. Das ist ja das Interessante an deiner Geschichte. Du lässt vieles offen. Siehe Anton Tschechov.

Ich möchte hier aber nur kurz die zentralste Szene in deiner GEschichte besprechen. Als der Vater plötzlich diesen Satz abgibt (Weisst du, vor vielen Jahren habe ich mir auch eine Brücke gebaut. Nicht aus Eierschalen, wie deine, sondern aus Holz. Eine Hängebrücke. Immer, wenn ich ein wenig alleine sein möchte, ziehe ich die Brücke hoch und dann bin ich weit weg von Streitereien, Sorgen, Nachrichten, Motorengeräuschen und dem Gefühl der Machtlosigkeit. Bewahr dir Deine Insel immer auf wie einen grossen Schatz!), da werde ich plötzlich hellwach. Erstens, woher wusste der Vater von der Insel? Der Junge hat vorher kein einziges Wort darüber verloren. Zweitens staunte ich über die Genauigkeit, mit der der an Aphasie "leidende" autistische Junge diese Worte erlebt und als Erwachsene diesen Satz Jahre später wieder gibt. Der einsame kleine etwas "komische" Junge musste wohl ein kleiner Genie gewesen sein, dass er diesen Satz, der schon für mich als zu pathetisch, von der Philosophie geschwängert, hochschwanger mit Marshall Rosenberg (Gewaltfreie Kommunikation) vom kleinen Kind richtig verstanden und dann viele Jahre später wiederholt wird. Auf mich wirkt es mehr nach einem WUnschsatz/Traum, den man sich einbildet, wie Waisenkinder sich im Traum vorstellen, was sie sagen würden, wenn ihre echten Eltern kommen, um sie aus dem Heim abzuholen.

Also, in diesem Satz springt mir die hohe Konzentration eines nicht erfüllten Wunsches eines Erwachsenen ins Auge. Ich kann in diesem Satz beim besten Willen kein "komisches" Kind mit seinen "Tierchen" erkennen. Einfach zu viele Unstimmigkeiten. Ein bekannter Literaturprofessor erzählt mir öfters Geschichten über ausländische Studenten, die mündlich auf Deutsch keine zwei Sätze verbinden können, dafür aber geistesreiche Hausarbeiten (ab)schreiben, wie Sheckspier. Ich würde diesen Satz von Vater mehr an die Welt des Kindes "anpassen", zu ver"insel"n.

Zu deiner Antwort zu Bernadette: die begrabene oder noch lebende Tiere, als Symbole für Träume/Nicht-Träume, das kam irgendwie nicht rüber. Das war, ehrlich gesagt, auch nicht das Hauptthema in der Story. Aber allein die Tatsache, dass der Erzähler sie in deisem Text zum Schluss (als Erwachsener) so umständlich erwähnt (wie in einem Film "Nach einer wahren Geschichte" mit den Aufzählungen, was aus den handelnden Personen "danach" geworden ist), kann den Leser ins Erstaunen versetzen, besonders vor dem Hintergrund der zu einem SeifenGeruch degradierten Mutter, die wie der LEser annehmen darf, ihr Leben lang diesen Vater samt der Kinder als Putze bedient hat. Und so wird sie keines Blickes gewürdigt, sondern eines "Nasenrumpfens". Dein Kommentar über Mutters Unfähigkeit sich zu verändern schreit dem Leser zu: Hej, wer sich hier überhaupt nicht verändert hat, dann sind es dieser Junge und sein Vater, die zwar "neue Tapeten" haben (Familie, Job), dafür aber trotzdem auf ihren Inseln stecken geblieben sind.


Viele Grüße,
Herr Schuster

 

Hallo Herr Schuster,

herzlichen Dank, dass du mir deine Sichtweisen so klar vor Augen führst. Ja, Ihr habt recht, der Satz des Vaters ist wirklich sehr pathetisch. Ich neige dazu. :)

Die Rolle der Mutter ist in keinster Weise auf Putze degradiert. Sie ist wohl die Einzige, die mit beiden Füssen auf der Erde steht, weil sie sich kein Zeit für Phantasieinseln nimmt.

An Deinem Satz 10 Leser - 10 Meinungen ist wirklich was dran. Ist ja auch im literarischen Quartett nicht anders.

Na, wie auch immer, ich werde die Geschichte ein wenig überarbeiten, denn der Pathos stösst mir auch auf! :)

Beste Grüsse und dankesschön

Birgit

 

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