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Mein Vater - 6 Jahre glückliche und traurige Tage (Teil 1)
"Im Dienst sehen wir uns wieder" versprach ich, denn so nennt sie das Leben, das nach dem Ausbildungslager kommt.
Dean Koontz, die Anbetung
„Mach Platz!“, forderte mein Bruder und versuchte mich von der Liege zu drängen.
„Nein, mach du!“, rief ich empört und drückte dagegen.
Benny und ich waren etwa zwei und in der Woche verbrachten wir unsere Tage bei Oma, da Mama und Papa arbeiten gingen. Ich war nicht gern bei Oma, dort war es immer so langweilig, meistens schauten wir Fernsehen und Opa fand ich unheimlich, was er doch krank und lag meistens im Bett.
„Auf, mach!“ Benny stieß mich mit aller Kraft von der Liege und ich schlug mit dem Kopf gegen die Heizung. Sofort schrie ich auf und fing an zu weinen. Oma kam aus der Küche gelaufen und sah was geschehen war.
„Was hast du gemacht?! Du bist ein ganz böser Junge!“, schimpfte sie mit Benny, der daraufhin ebenfalls anfing zu weinen und beteuerte das er das nicht gewollt hatte und wie leid es ihm tat …
Ich war an diesem Abend noch glücklicher als sonst, als Papa und Mama uns abholen kamen. Ich hatte immer noch entsetzliche Kopfschmerzen, mir war ein wenig schwindelig und auch schlecht.
Es klingelte endlich an der Tür, mein Bruder und ich sprangen jauchzend auf und liefen zur Tür. Mama und Papa umarmten uns und gaben jedem einen Kuss. Dabei fasste Papa auf die Wunde an meinem Kopf. Ich zuckte zusammen und wimmerte ein „Aua“.
„Was hast du denn, mein Schatz?“, fragte Papi und studierte die Stelle nun etwas genauer. „Mutter, das ganze Haar hinten ist ja Blutverkrustet!“
„Ja, ich weiß. Benny hat sie von der Liege geschupst!“, rechtfertigte sich Oma.
Papa nahm mich auf den Arm und sagte Mama er wolle mit mir ins Krankenhaus, sehen ob meine Verletzung genäht werden müsste. Zum Glück stellte sich später heraus das ich nur eine Gehirnerschütterung hatte, die Wunde aber von alleine heilen würde. Aber nach diesem Vorfall gab Mama ihre Arbeit auf und wir mussten nicht mehr zu Oma.
Das ist die erste Erinnerung, die ich an mein Leben habe. Heute trage ich an der Stelle auf dem Kopf eine Narbe …
„Jörg, pass bitte auf Nadine auf. Ich muss mit Benny zum Arzt. Es dauert nicht lange.“ Mama zog meinem Bruder die Schuhe an, der mit laufender Nase und Fieber auf dem Sofa saß.
„Na, was hältst du davon, wenn wir Drachensteigen gehen?“, bot mir Papa an.
Die Blätter fielen schon von den Bäumen und ich fand es schön das Laub umher zu schmeißen. Im nächsten Sommer würde ich fünf werden.
„Au ja! Drachensteigen lassen, das ist toll!“, rief ich ganz aufgeregt.
„Menno, ich will auch!“, beschwerte sich Benny.
„Wir gehen, wenn du wieder gesund bist. Nur wir zwei, okay Großer?“, tröstete Papi ihn und strich ihm durchs blonde Haar …
Es war ein sehr schöner Drache. Er sah aus wie ein Adler und sein Schwanz flatterte wundervoll im Wind. Ich fand, dass er im Himmel wunderschön aussah. Mit großen Augen sah ich zu ihm auf und lachte. „Papa, gib ihn mir auch mal!“, rief ich glücklich. Er bückte sich runter zu mir und gab mir die Drachenschnurr und hielt sie gemeinsam mit mir fest. Ich spürte wie der Wind an dem Drachen und der Schnurr riss aber Papa lies nicht zu, das ich die Schnurr in meiner kleinen Hand losließ. „Er fliegt, er fliegt!“, lachte ich überschwänglich.
„Ja, er fliegt. Ist er nicht schön, mein Schatz?!“ Papi strich mir über den Schopf und ich hörte seine raue Stimme an meinem Ohr lachen, roch die Mischung aus Zigaretten und Schweiß und für diesen Moment war dieser Augenblick der Glücklichste den ich je hatte.
Es wurde schon Dunkel, als wir uns auf den Heimweg machten.
„Ich würde auch gerne so fliegen können“, erzählte ich Papa, woraufhin er mich hoch nahm und umher schwang. Als er mich wieder absetzte war sein Gesicht ernst und er beugte sich zu mir runter. „Hör mal, wo wir jetzt hingehen, darfst du Mami niemals erzählen ok. Das ist dann ein Geheimnis zwischen uns beiden. Ok?“
Ich nickte eifrig. Ein Geheimnis mit Papi, das war bestimmt toll.
Er nahm mich an der Hand und gemeinsam gingen wir in ein Haus, in dem viele Leute saßen, die rauchten und Alkohol tranken und Musik hörten. Dort gab es nur sehr wenig Licht aber Papa fand den Mann zu dem er wollte anscheinend sofort und ging zielstrebig auf die Bar zu.
Der Mann war groß und sehr muskulös aus. Er trug eine Glatze und eine Lederjacke. Ich versteckte mich hinter Papa, als er mich finster betrachtete, denn er machte mir Angst.
„Was macht das Kind hier?!“ Die Stimme des Mannes war sehr tief und für mich furchteinflößend laut.
Beschützend legte Papa mir die Hand auf den Kopf. „Das ist meine Tochter. Ich musste sie mitnehmen.“
„Hast du das Geld?“, fragte der Fremde.
Papa nickte und gab ihm eine menge Scheine in die Hand. Ich sah, wie der Typ Papi ein kleines Tütchen in die Hand drückte. Den Inhalt konnte ich jedoch nicht sehen, da Papa es sofort in seine Jackentasche steckte.
„Komm Nadine, wir gehen hier raus. Aber du darfst Mami kein Wörtchen von erzählen, wo wir waren ok?“
„Ja, ok“, antwortete ich, nur froh wieder von dem unheimlichen Fremden weg zu kommen.
Obwohl ich nichts Mami verriet bekam sie noch am selben Abend raus, das Papi sich mit dem Mann getroffen hatte und mich mitgenommen hatte.
Beide standen im Wohnzimmer und Mama schrie ganz fürchterlich mit Papa.
Ich saß neben Benny auf dem Bett und versuchte mir die Ohren zuzuhalten. Mein Bruder legte behutsam den Arm um mich und ich merkte, wie er selbst zitterte.
„Meinst du, sie lassen trennen sich jetzt?“, fragte ich ängstlich.
Er zuckte die Schultern und ich sah Tränen in seinen Augen. Ich weiß nicht, wie lange wir da saßen und versuchten uns gegenseitig zu trösten bis Mama und Papa aufhörten zu streiten, aber es muss sehr lange gedauert haben, denn als Mama aufhörte zu schreien, war sie ganz heißer und schickte meinen Bruder und mich sofort ins Bett.
Am nächsten Morgen weckte uns Mami ganz früh. Sie trug uns auf, unsere liebsten Sachen zusammen zutragen, sie selbst packte Kleidung in einen großen Koffer. Anschließend fuhren wir ganz weit weg zu einem Bauernhof. Papi jedoch blieb daheim …