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Mein Tag

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15.10.2003
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Mein Tag

Mein Tag

Heute war der Tag gekommen, heute sollte er endgültig unsterblich werden, der ganzen Welt beweisen, dass mehr in ihm steckte als ein kleiner Versicherungsangestellter. Alles war perfekt organisiert, die Schuhe geputzt, das Hemd frisch gebügelt, die Manschettenknöpfe poliert. Es musste einfach klappen, es wäre sonst alles umsonst gewesen. Immer wieder ging er die Möglichkeiten, Wahrscheinlichkeiten und Notwendigkeiten durch, die diesen Tag bestimmten, lief unruhig in seinem kleinen Zimmer auf und ab, stoppte, stockte und setzte seinen Weg fort.
Schweissperlen bildeten sich am kaum noch vorhandenen Haaransatz seiner Stirn und gerade heute hatte er kein frisches Stofftaschentuch im Haus, heute, wo er es am dringensten gebraucht hätte. Er machte sich Vorwürfe, hoffte, dass es daran nicht scheitern würde, scheitern dürfte! Unruhig setzte er sich auf den blau lackierten Küchenstuhl und sah zum zehnten Mal auf die Uhr. Fünf Minuten hatte er noch, fünf elendig lange Minuten des Wartens, die einfach nicht vergehen wollten. Zum Zeitvertreib zog er das Fotoalbum zu sich rüber, das schon seit geraumer Zeit auf dem Tisch lag und er immer wieder vergessen hatte wegzuräumen.
Erste Seite, Thilo ist geboren. Fotos von ihm als Säugling, große blaue Augen, voller Hoffnung, voller Träume, voller Unwissenheit. Und jetzt? Jetzt saß er hier wie ein verweichlichter, neurotischer Trottel, der Hoffnung war Angst, den Träumen nackte Realität gewichen. Doch heute war der Tag des Umbruchs gekommen, heute sollte Thilo seine Hoffnungen und Träume wiederbekommen.
Er schlug das Fotoalbum zu und ging mit behäbigem Schritt zur Wohnungstür. Bereits vor einer Stunde hatte er verzweifelt seinen Wohnungsschlüssel gesucht, doch er war unauffindbar und auch jetzt, wo es endlich losging, war er noch immer wie vom Erdboden verschluckt. Aber spielte das jetzt noch eine Rolle?
Er entschloss sich ohne den Schlüssel aufzubrechen, es war bereits eine Minute später als geplant. Hätte er doch das verdammte Album, Album sein lassen! Dann wäre er noch im Zeitplan! Doch wie immer konnte er es nicht mehr ändern, nur das Beste aus der Situation machen und sich beeilen. Und das, obwohl sein Mantel so viel schwerer war als sonst.
Draussen angekommen bemerkte Thilo, dass es ein überaus sonniger Tag war, der Himmel war azurblau, jedoch mit einem leichten Rotstich versehen, völlig klar und rein, er musste einfach als gutes Vorzeichen gedeutet werden; heute war Thilos Tag.
Auf dem Weg zur Firma kam Thilo eine Grundschulklasse entgegen, etwa 25 Kinder vermutete er, die alle ihre prall gefüllten Schultüten fest in ihren kleinen Händen hielten. Jeder von ihnen strahlte, lachte und genoss augenscheinlich diesen perfekten Tag, der für sie den Anfang des wahren Lebens einläuten sollte. Er wusste es besser, doch hatte auch er an diesem heutigen Tag die Chance, das wahre Leben erneut einzuläuten. Noch ein paar hundert Meter, dann musste er den ersten Schritt in dieses neue Leben tun, zeigen, was wirklich in ihm steckte und, obwohl er für diesen Schritt bereit war, wurde sein eigener Gang immer langsamer. Hatte er etwa Angst? Wollte er einen Rückzieher machen? Wollte er wieder in sein altes Schema zurückfallen?
Selbst wenn er es wollte, nun war es zu spät, er war angekommen, umkehren konnte er nun nicht mehr. Ein letzter Blick in den azurblauen Himmel, der einen leichten Rotstich aufwies, ein letzter tiefer Atemzug der klar-modrigen Sommerluft und dann schritt Thilo durch den Firmeneingang, öffnete seinen Mantel und zündete die Bombe.

__

 

Hallo mitsurugi, herzlich willkommen! :)

Mit dem ersten Satz hast du, zumindest für mich, schon einen Großteil der Pointe vorweggenommen. Der Rest des textes war für mich mehr oder weniger eine Bestätigung meienr Vermutung, teils auch etwas langgestrekct. Zum Beispiel die Stelle mit dem Fotoalbum bringt eingentlich keine neuen Aspekte, ist nciht so ganz eingebunden. Insgesamt bin cih von der Geschcihte nicht so recht begeistert, sie nimmt mich nciht mit, wirkt recht eindimensional. ZUm Besispiel würde mcih interessieren, wrum genau er die Firma sprengen will, warum ihm sein Dasein so auf die Nerven geht, dass er keinen anderen Weg mehr sieht. er würde mich interessieren, wie er so als Mensch ist, wie seine Beziehung zu anderen ist. Dieser eine, geralde Aspekt ist mir zu wenig. Was Du ganz ganz ngut rüberbringst, ist, wie er, trotz allem reaktionären "Weltveränderer"- bombenlegen dennoch an seienr staqrren, kleinbürgerlichen Sicht festhält.

"klar-modrigen Sommerluft " - schießt sich für mcih irgendwie aus....

schöne Grüße
Anne

 

Schade, dass dir die Geschichte nicht gefällt, da ich bis jetzt nur positive Resonanz erhalten habe. Deine Kritik kann ich (Leider!) nicht ganz nachvollziehen, denn alle Aspekte die dir fehlen (bzgl. der zusätzlichen Infos) finde ich total uninteressant und unwichtig. Dann hätte ich meiner Ansicht nach einen Zeitungsartikel und keine KG geschrieben- aber das ist wohl geschmackssache.
Ach ja, zur klar-modrigen Sommerluft: ich habe bewusst dieses Oxymeron hier benutzt um die Katastrophe am Ende anzudeuten(genau wie der Rotstich im blauen Himmel).
trotzdem Dank für die Begrüssung und deine Meinung.

 
Zuletzt bearbeitet:

Mir gefällt die Geschichte gut.
Man merkt an den vielen Kleinigkeiten, das Du Dir viel Mühe gegeben hast dem Leser die Möglichkeit zu geben, sich den Mann vorzustellen.
Ich finde es nicht unbedingt vorhersehbar, daß er am Ende die Bombe zündet.
Mir gefällt gerade gut an der Geschichte, daß Du es geschafft hast mit wenigen Worten ein solches Charakterbild des Mannes zu zeichnen.
Habe ich es richtig verstanden, daß Du mit folgendem Zitat die Passivität des Mannes aufzeigen wolltest, eben das er es nie geschafft hat selbst zu handeln, sondern immer nur (wenn er dazu gezwungen wird)zu reagieren?


Doch wie immer konnte er es nicht mehr ändern, nur das Beste aus der Situation machen und sich beeilen.

Warum er die Firma in die Luft sprengen will und so weiter finde ich bei dieser Form der Geschichte auch unwichtig.
Ich denke es gibt immer viele Gründe und die können für jeden einzelnen ganz verschieden sein, dabei kommt es dann eben auf den Menschentyp an sich an, wie extrem er reagiert.
Das was Du schilderst ist aber die Darstellung des Denkens und des Fühlens eines Menschen kurz vor einer extremen Handlung, dabei finde ich die anderen Zusammenhänge (Was ist ihm wiederfahren? Wie alt ist er? etc.) für diese Geschichte unnötig.
(Obwohl sich bestimmt auf diese Art und Weise auch eine gute Geschichte schreiben lässt.)

Ja, das war es erst mal.

Gruß

Brantony
:)

Diese Stelle gefiel mir unter anderem richtig gut:

Auf dem Weg zur Firma kam Thilo eine Grundschulklasse entgegen, etwa 25 Kinder vermutete er, die alle ihre prall gefüllten Schultüten fest in ihren kleinen Händen hielten. Jeder von ihnen strahlte, lachte und genoss augenscheinlich diesen perfekten Tag, der für sie den Anfang des wahren Lebens einläuten sollte. Er wusste es besser, doch hatte auch er an diesem heutigen Tag die Chance, das wahre Leben erneut einzuläuten.

 

Du hast die Stelle genauso verstanden, wie ich sie gemeint hatte. Vielen Dank für dein Lob! Genauso wie du sie gelesen hast, war es von mir beabsichtigt worden! Balsam für die Schreiberseele!:D

 

Kritikerkreis

Hallo mitsurugi,

Deine Geschichte baut sich in Stufen auf:
Die intensive Vorbereitung des Protagonisten, fast schon kleinlich- detailversessen, also doch wie ein „kleiner Versicherungsangestellter“.
Dann folgen Unruhe und Zweifel.
Anschließend, ganz geschickt, bietet das `zufällig´ daliegende Fotoalbum die Möglichkeit einer Rückblende, ein Konzentrat seines Problems: Was ist aus den Möglichkeiten geworden, die potentiell allen Kindern zur Verfügung stehen? Hier ist ein Gedankensprung des Lesers vom Speziellen hin zum Allgemeinen durchaus angebracht.
Durch den verlegten Wohnungsschlüssel wird angedeutet, dass die Kleinigkeiten, auf die der Prot. Zu Beginn so viel Wert legt, tatsächlich unwichtig sind.
„Doch wie immer konnte er es nicht mehr ändern“ - dies zeigt eigentlich die Tragik des Prot.: Selbst an seinem `großen Tag´ kann er sich nicht aus seiner im Leben eingeübten Rolle lösen. Auch wenn er erfolgreich durchführt, was er tun will, ist ihm trotzdem das Wesentliche nicht gelungen, die tatsächliche Überwindung seiner Komplexe.
Sein irrationaler Gedankengang „ er (hatte am) ... heutigen Tage die Chance, das wahre Leben erneut einzuläuten“ steht durch den Gebrauch des Wortes „Leben“ im deutlichen Gegensatz zu seinem Vorhaben und ist ein gut gemachtes, indirektes Zitat von „unsterblich werden“ aus dem ersten Satz der Geschichte. Stilistisch gelungen ist auch der erneute Verweis auf den azurblauen Himmel, der einen leichten Rotstich aufwies“, der „Rotstich“ dient gewissermaßen als letzter `Beweis´, dass dieser „azurblaue Himmel“ ein „gutes Vorzeichen“ ist. So sollen wohl auch die eigenen Zweifel an den wirklich angestrebten Zweck seines Handelns (das Zeigen seiner wahren Größe), vertrieben werden. Immerhin befürchtet der Prot. „wieder in sein altes Schema zurückfallen“ zu können.

Diese Beispiele zeigen, dass die Geschichte gut aufgebaut ist, eine allgemeine Problematik (Minderwertigkeitskomplexe) wird aufgegriffen. Natürlich sind die Reaktionen auf diesen Gemütszustand nicht immer so dramatisch. Auch dieser Geschichte hätte eine originellere Lösung am Schluß gut getan, um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen.
Die unangenehme Selbstwahrnehmung des Prot. könnte im Vorfeld sicher noch deutlicher dargestellt werden, um seine extreme Reaktion überzeugend aufzuzeigen.
Das Oxymoron am Schluß wirkt etwas aufgesetzt, vielleicht weil es einen Gegensatz aus zwei Aspekten, die verschiedenen Sinnen angehören, konstruiert.


Anhang:

Einige Änderungen möchte ich doch vorschlagen, da Dein Text an manchen Stellen etwas ungenau ist:
Bei dem Satz: „Zum Zeitvertreib ...“ häufen sich die „Z“, nicht nur für eine Lesung ist dies ungünstig. Günstiger ist z.B.: Ablenkung (entspricht auch eher der geschilderten Situation) und ´nahm es in die Hände´.
„der Hoffnung war Angst ...“ - „gewichen“ ist hier das falsche Wort.
„nackte Realität“ - `grausame´ finde ich stimmiger.
„verdammte Album, Album sein lassen“ - kein Komma. Diese Konstruktion klingt wegen „mm“ plus „-bum“, „-bum“ schlecht.
„das wahre Leben erneut einzuläuten“ - „einzuläuten“ kommt mir ungünstig vor, vielleicht `zu ergreifen´.
„Jeder von ihnen“ - Jedes ( bezieht sich auf die Kinder).
25 - fünfundzwanzig.
„Er wußte es besser“ - doch dann paßt der folgende Satz nicht ( wegen „auch“). Außerdem häuft sich der Begriff „Tag“ in diesem Abschnitt.
„diesem heutigen Tage“ - ohne „diesem“ - welchem sonst?

Tschüß… Woltochinon

 

wow, ich weiß gar nicht was ich sagen soll... ich bin baff wie präzise du meine KG analysiert hast und dabei wirklich all die Gedanken, die ich mir selbst dazu gemacht hab, erkannt hast. Ich hab deine Analyse wirklich mit offenem Mund gelesen. Deine Verbesserungsvorschläge sind wirklich allesamt interessant und auch angebracht, man ist ja selten mit seiner Geschichte zu 100% zufrieden. Vielen Dank dafür aber auch für das Lob!
MfG
Mitsurugi

 
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Kritikerkreis

Hallo mitsurugi,

Danke für Deine Rückmeldung. Im Prinzip gehst Du als Autor von einer Idee aus, formulierst eine Geschichte, ich mache es als Kritiker umgekehrt, lasse den Film gewissermaßen rückwärts laufen, um die Feinheiten des Textes aufzuspüren. Bei Dir bin ich fündig geworden...

Tschüß... Woltochinon

 

Kritikerkreis

Einen Widerspruch scheint mir der Text noch zu enthalten. Er trägt den Titel "Mein Tag", erzählt jedoch in der dritten Person. Warum?

Die Geschichte setzt sofort erklärend ein. Das, noch bevor irgendetwas passiert ist. Erst im zweiten Satz nimmt der Text im weiteren Verlauf eine deskriptive Natur an, fällt aber u.a. anhand einiger eingestreuter, rhethorischer Fragesätzen hier und da immer wieder in (s)ein bestimmtes Erklärungsschemata zurück.

Mich persönlich stören solche Versuche einer Bevormundung des Lesers ("interpretiere so und so, weil ich es so beabsichtigt habe!") immer ein wenig. Ich glaube, man sollte als Autor einer Erzählung nicht so viel Angst haben, dass niemand seine Texte auch ohne diverse Hilfestellungen interpretationsgemäßer Art verstehen könnte. Es sei denn, man möchte ganz bewusst einen altmodischen, d.h. auktorialen Stil zur Anwendung bringen. Der sollte dann aber auch irgendeinen Sinn haben.

 
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Kritikerkreis

Hallo mitsurugi,

Philo hat da eine wichtige Anmerkung gemacht. Du als Autor müsstest klären, warum der Titel so lautet.
Ich nehme an, dass trotz der Überschrift in der dritten Person geschrieben wurde, weil sich der Erzähler selbst bei seinem Tun beobachtet. In Stresssituationen soll es dieses Phänomen geben (z.B. auch bei Verkehrsunfällen). Eine auktoriale Erzählweise ist zwar nicht unbedingt unmodern, aber nicht kurzgeschichtentypisch. In dem genannten Spezialfall würde der Erzähler trotz formaler Erzählferne doch nahe am Geschehen auftreten, so wäre die Erzählform für eine Kurzgeschichte akzeptabel. (Dies ist allerdings schon eine recht spitzfindige Interpretation- aber, manchmal ist das Einfache nicht die Lösung).
Die in der Geschichte verwendeten Fragen sind zwar rhetorisch, aber beschreiben den Grund für sein Verhalten, was ja durchaus zum psychologischen Hintergrund der Handlung beiträgt.

Man kann das so akzeptieren, doch generell gilt schon die von Philo aufgegriffene Problematik- wie viel soll dem Leser vorgegeben werden, aber auch: Wann ist der Leser von einen Text überfordert.

Tschüß… Woltochinon

 

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