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Mein Schmerz
Meine Mutter und mein Vater haben mir die schlimmsten Vorstellungen über die Hölle in den Kopf gesetzt. In die Hölle kommen aber nur böse Menschen, sagten sie. Ich würde in den Himmel kommen. Der Himmel? Dann wünsche ich mir nichts sehnlicher, als die Hölle meiner Eltern herbei.
Ich bin eine Gefangene meines Körpers, unfähig, ihm zu entfliehen; unfähig, der Folter ein Ende zu bereiten, unfähig zu sterben. Seit Äonen schon befinde ich mich in einem vollkommen unbegreiflichen Zustand, zwischen dem gleißenden Strahlen einer erbarmungslosen Sonne und den lodernden Flammen, welche meinen stofflosen Körper umhüllen. Es kriecht den Rücken herab, versucht die gesamte Hemisphäre zu umschlingen, windet und schlängelt sich in lüsterner Vorfreude an meinen Beinen herab. Ein Gefühl tausender dornengesprenkelter Ranken, verätzend, vergiftend und brennende Hitze abstrahlend. Keine tatsächliche Empfindung, ich spüre die Pein und die Qualen, aber fassbar ist nichts davon. Jeder integrale Bestandteil meiner Existenz ist dumpf und betäubt, zeitgleich losgelöst von mir und doch so erfüllt von Leid. Eine glühende Klinge brennt sich ihren Weg durch meine Wade, die Haut löst sich, die Muskeln reißen. Die Klinge findet im Knochen ihr Ziel, der Gestank fauligen Fleisches durchdringt sämtliche meiner Nervenzellen. Ein gewaltiger Schrei entrinnt meiner Kehle, sämtlichen Schmerz will ich durch diese animalische Kraft nach draußen schleudern, um endlich Ruhe zu finden. Kein Geräusch. Ein mühseliges Ächzen dringt an die Oberfläche. Meine Kehle, mein Rachen, mein Mund, vollkommen ausgedörrt und vertrocknet. Unfähig, einen Laut zu bilden. Die Schleimhäute eingerissen und abblätternd, die Zunge, wie der staubbedeckte Leib einer vor Dekaden verblichenen Wüstenschlange auf dem vom Sand abgeschmirgeltem Boden. Verstörende Laute dringen an meine Ohren. Widerliche, brutale Klänge fremdartiger Wesen. Panik erfüllt mich, ein groteskes Ungeheuer versucht mich zu verschlingen. Das Monstrum packt mich, ich winde mich heraus, werde in Agonie immer wieder zur Seite geschleudert, wie ein stetiger Gezeitenwechsel, der in seiner gesamten Gewalt auf mich einwirkt. Ich bemühe mich zu schreien, doch nur Staub entrinnt meinem Mund, ein Wehklagen des Sandes, der meine Kehle bewohnt. Sie flüstern mir zu, das gesamte Universum ist erfüllt vom widerlichen Klang ihrer ketzerischen Versprechungen. Sie versuchen mich, sie bieten mir eine Erlösung von meinen Qualen, sie hauchen mir den blanken Wahnsinn entgegen. Ich bleibe Standhaft; gebe ich ihren Versuchungen nach, werde ich tatsächliches Leiden erfahren. Die Klinge aus meinem Schenkel wird rausgezogen, ein Vorbote der Erleichterung keimt in mir auf, eine Spur der Hoffnung, aus diesem Alptraum zu erwachen, regt sich. Ätzende Säure füllt die Wunde aus, meine kläglichen Versuche, die letzten Kraftreserven zu mobilisieren und zu entfliehen, scheitern. Hunderte winziger Zähne nagen sich durch jede Faser meiner Wade, sie leben von den Giften und dem verfaulten Fleisch darin, windende Würmer, dutzende glitschiger Leiber, die lautlos ineinander gleiten und sich an mir laben. Nun erkenne ich vor mir etwas. Schemenhafte abstrakte Gestalten, die immer näher kommen. Dämonen in blendend weißen Gewändern. Unmenschlich grinsende Fratzen des Grauens, die Zähne gebleckt, starren sie mich an. Und das immerwährende, schmutzige Geflüster. Sie versprechen ein Ende, ein Ende der Pein und der Qualen. Ich will ihnen antworten, sie sollen verschwinden, zurück in den Abgrund, dem sie entstammen. Meine Zunge streift über den Gaumen und Haut löst sich. Ich verspüre einen metallischen Geschmack, die Stimmen versichern, sie könnten das ändern. Sie würden alles zum Besseren wenden. Nun gebe ich nach. Ich kann nicht mehr. Meine Kraftquellen versiegt, meine Widerstände zusammengebrochen. Eine Flüssigkeit wird zu meinen Lippen geführt. Köstliches, kaltes, erfrischendes Gold. Begierig sauge ich am Gefäß.
Flüssige Magma, so heiß und tödlich, ergießt sich in meinen Mundraum, als würde sie sich einen Weg durch die Erdkruste bahnen. Sie fließt in meine Kehle, sämtliche Nervenenden kauterisierend. Nichts kann sie auf ihrem Kreuzzug in meine Lungen stoppen. Voller Grauen und Verzweiflung werfe ich mich herum, ich würde alles tun, um das Feuer aus meinem Atemsystem zu bannen. Mit einem tosenden Schwall versprühe ich die Lava über den Dämon. Angewidert und obszöne Flüche ausstoßend weicht er von mir zurück. Erleichtert sinke ich zurück. Endlich kann ich durchatmen. Der Dämon schwebt davon, wilde Flammen umspielen seinen grotesken Kopf. Ein Krach wie von einem Artillerie-Geschütz kündet von dessen Abgang. Ich schließe meine gepeinigten Augen und gebe mich wieder meinen Schmerzen hin. Die Dekaden ziehen vorbei. Ein metallisches Scheppern bringt mich wieder in die Wirklichkeit. Mühselig schlage ich meine Lider auf, ich erblicke rostiges Operationsbesteck. Ein stumpfes Skalpell bohrt sich in meinen Unterarm. Diesmal kann ich schreien. Ich schreie alles heraus, sämtlichen angestauten Schmerz, sämtliches verdrängte Leid. Die um mich versammelten Dämonen weichen zurück. An ihrem Gemetzel werden sie jedoch nicht gehindert und so sehe ich, wie man mir eine meterlange, widerliche, weiße Made in den Arm rammt. Ich spüre das Gift durch die Made pulsieren, sich in meinen Venen ergießen. Es fließt durch sämtliche Gefäße, keine Barrieren hindern das Gift daran, mein Herz zu erreichen. Ich kann nicht mehr. Meine Augen fallen zu und das Universum hört auf zu existieren.
Bekannte Stimmen trüben meinen Schlummer. Milde Sonnenreflektionen umspielen meine Züge. Die Stimmen sind angenehm und vertraut. Gelobet sei der Herr, meine Mutter und Papa sind gekommen, um mich aus meinem Albtraum zu befreien. Es ist alles vorbei und ein schöner Ferientag nimmt seinen Anfang. Ich lausche genauer da ich neugierig bin, was sich meine Eltern, da Schönes zu erzählen haben.
„… das und die multiplen Frakturen der Schulterpartie durch den Sturz, der Apoplex-bedingte linksseitige Ulcus Cruris, sowie dem bereits vorher bestehendem Demenzsyndrom. Was haben Sie bisher unternommen?“
„Also entlastende Lagerungen und vor einer Stunde eine 500ml Ringer-Lösung, da sie partout nichts trinken will und alles wieder ausspuckt. Ansonsten wollten wir Ihre Anweisungen abwarten.“
Nein.
Der Albtraum ist nicht vorbei.
Es ist niemals vorbei.