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Inspiriert von den Xenomorph aus der Alien-Filmreihe
Mein Mitbewohner ist ein Alien
Der Anblick von Aliens ist mittlerweile für dich alltäglich. Du siehst sie über die Straße laufen, Bus fahren, ja, einer sitzt sogar am Supermarkt an der Kasse, wo du regelmäßig einkaufst. Nun gut, es setzt sich im Bus niemand neben sie und die Kasse dort ist ständig frei, außerdem riecht es in ihrer Nähe immer stark nach Blut und bis du verstanden hast, was er dir mit seinem Gekreische sagen will, wärst du an der anderen Kasse längst fertig. Was soll man machen. Wenn du genau drüber nachdenkst, hast du noch nie jemanden an dieser Kasse gesehen, wäre auch etwas gefährlich, da man dort auf der Blutpfütze auf dem Boden ausrutschen könnte.
Nur einem Alien kannst du nicht aus dem Weg gehen - dem, mit dem du dir eine Wohnung teilst: Fred. Zumindest glaubst du, dass er so heißt, weil die Blutspuren, die bei der Wohnungsbesichtigung die Fliesen im Bad bedeckten, diese Buchstaben formten. Irgendwie wollte sonst niemand die Wohnung haben und schnell wurde dir klar, wieso.
Na gut, manchmal hat er auch seine guten Seiten. Morgens findest du die mit klebrigem Speichel beschmierten und mit Zahnabdrücken versehenen Briefe auf deinem Platz. Um die Rechnungen kümmert er sich. Du weißt nicht, wie genau, du fragst auch nicht weiter nach.
Heute frühstückt ihr zusammen. Er sitzt vor einer Schüssel Cornflakes.
"Guten Appetit", sagst du gutgelaunt und tauchst deinen Löffeln in dein Müsli. Fred sitzt stumm da, ohne zu reagieren.
Langsam kauend überlegst du, dann schlägst du dir in einem Einfall die Hand vor dem Kopf. Kurz verschwindest du in der Küche und kommst mit einem Löffel zurück, den du ihm hinhälst.
Sein insektenartiger Kopf klappt blitzartig nach vorne, das kleine Maul, schlägt durch die Schüssel, durch den Tisch. Scherben, Cornflakes fliegen herum, Milch spritzt dir ins Gesicht. Dein Müsli wird vom Tisch hochgeschleudert und landet samt Schüssel auf seinem gepanzerten Kopf. Speichel läuft zwischen den Fängen aus seinem Maul, ein merkwürdiger Kontrast zur Schüssel, die er nun wie eine Mütze trägt. Was für ein lächerlicher Anblick.
"Du hast nicht mal probiert." Enttäuscht wirfst du dich auf deinen Platz. Diese Aliens sind manchmal so kindisch.
"Ähm, morgen kommen meine Eltern zu Besuch. Könntest du bitte keine menschen-unüblichen Sachen machen, während sie da sind? Dieses Sabbern, dieses Dinge zerstören, du weißt schon. Ich hab ihnen gesagt, dass du Jura studierst. Du kannst auch in deinem Zimmer bleiben, wenn du sie nicht treffen willst, ich sag dann, du wärst unterwegs."
Am Abend kommst du nach Hause und findest ein großes, schleimiges Ei in deinem Bett vor. Ekelhaft. Du schreibst Fred per Whatsapp, dass er es entfernen soll, bevor du einen Flammenwerfer holst. Natürlich antwortet er nicht, wie immer - du siehst ihn genau genommen niemals online, aber da gelegentlich eine Reaktion erfolgt, nimmst du an, dass er sie irgendwann liest.
Diesmal jedoch wirst du ungeduldig und beschließt, ihm das nochmal persönlich zu sagen.
Du öffnest die Tür zu seinem Zimmer - oh, er hat gerade Damenbesuch und es geht heiß zur Sache. Die Wände sind vollgespritzt. Er hebt seinen Kopf von dem wimmernden Körper unter sich und dreht dir dramatisch seine Gesichtsplatte zu, bevor er die Augen auseinander klappt. "Oh, tut mir leid", entschuldigst du dich und huschst wieder hinaus. "Häng doch nächstes Mal eine Hand an die Türklinke, damit ich Bescheid weiß."
Also beschließt du, dich erstmal ums Abendessen zu kümmern und machst dich auf den Weg in die Küche. Hoffentlich ist der Damenbesuch bis morgen weg, nicht dass deine Eltern sich daran stören.
Offensichtlich hat Fred vor dem Fernseher Mittag gegessen, denn als du das Wohnzimmer durchquerst, ist die Mattscheibe mit Blut bespritzt. Du rollst genervt die Augen und schreibst ihm eine weitere Whatsapp. "Wischst du den Fernseher bis heute Abend ab? Ich wollte einen Film schauen. Über ein paar Menschen, die eine Alienspezies entdecken und sie schlachten sich gegenseitig ab. Kannst mitschauen, wenn du willst, würde dir sicher gefallen." Was für ein lächerlicher Film. Als könnten wir unsere Konflikte nicht mit Worten beilegen. Du hörst als Antwort Freds Kreischen durch die Wohnung hallen, was du als Ja nimmst.
In der Küche ist es nicht besser. Der Mülleimer quillt über von Fleischresten. Sowas Rücksichtsloses. Erneut holst du dein Telefon hervor und schreibst ihm per Whatsapp. "Bring den Müll öfter raus, wenn du so viel Abfall produzierst." Mit all dem Schleim, der den überquillenden Mülleimer umgibt wie einen Kokon, hast du keine Lust, die Aufgabe zu übernehmen.
Jetzt kommt der Alien mit schnellen Schritten angelaufen, die langen, spitzen Beine klicken über den Boden. Blut und Speichel tropfen von seinen Zähnen auf die Fliesen. Er schnuppert am Mülleimer. Wendet den Kopf zur einen, dann zur anderen Seite als würde er irgendwas suchen. Dann verschwindet er wieder hinaus. "Was soll das heißen, das ist nicht deins? Sehe ich so aus, als würde ich rohes Fleisch essen?"
Wahrscheinlich hat er dich nicht gehört. Er hört nur, was er hören will.
Nach dem kleinen Snack zum Abendessen willst du erstmal duschen. Als du Sachen aus deinem Zimmer holst, ist das Ei verschwunden. Gerade fragst du dich auf dem Weg ins Badezimmer, wo er es hingetan hat, als du den Duschvorhang beiseite ziehst - da ist es. Du weichst zurück. "Fred, du hast das Ei in der Dusche vergessen." Hatte er es gewaschen und zum Abtrocknen dort gelagert? "Kannst du es nicht vor der Heizung trocknen? Bring es bitte weg, ich will duschen." Doch außer einem Kreischen geschieht nichts, wie rücksichtslos. Du beschränkst dich also auf Katzenwäsche am Waschbecken.
Danach willst du dir für den Film eine Cola holen und kehrst zurück in die Küche, doch als die Tür den Kühlschranks aufschwingt, fällt der Schatten des Eis zwischen dem gelben Licht auf die Fliesen. "Freeed! Hör bitte auf, deine Sachen überall liegen zu lassen. Stell dir vor, ich würde das machen."
Du weißt weder wie, noch wann er es macht. Er hat nur das eine Ei von dem du weißt und sobald du eine Minute den Raum verlässt, ist es verschwunden - so wie jetzt auch. Als du erneut den Kühlschrank öffnest, ist es fort. Wenigstens nimmt er deine Anfragen ernst. Du schaust dich misstrauisch um, wo er es diesmal versteckt hat, doch du findest es nicht.
"Der Film fängt gleich an, falls du mitschauen möchtest", rufst du und schaltest den Fernseher ein. Keine Antwort. Fred ist mehr der Denker, kein Freund vieler Worte.
Gerade ist es so spannend, dass du auf der Couch dem Bildschirm entgegen rutschst. Als du dich umwendest, steht das Ei neben dir auf der Couch.
"Freed!", rufst du. "Das geht doch nicht. Der Film ist ab 16. Das Ei ist zu jung dafür. Kennt deine Spezies keinen Jugendschutz?"
Wenigstens beginnt gerade die Werbepause und du schaltest auf eine Kindersendung um, um das Ei zu bespaßen, während du dir neue Chips holst. Zum Klang eines Kinderlieds reißt leise die schleimige Außenhülle des Eis auf.
In der Küche schüttest du gerade neue Chips in eine Schale und hörst das Tapsen kleiner, nackter Beinchen hinter dir auf den Fliesen.
Du drehst dich um. Nichts zu sehen. Vielleicht war es keine gute Idee, einen Horrorfilm einzuschalten, wenn man mit jemandem wie Fred zusammen wohnte. Er ist so sensibel und das Geschreie aus dem Fernsehen macht ihn leicht nervös. Vielleicht solltest du es für heute gut sein lassen. Du reißt die Schranktür auf, um die Chips wieder zu verstauen, als irgendwas im gleichen Moment gegen die Tür klatscht und du dir die Hand einklemmst.
"Autsch!", schreist du auf. Irgendwas huscht dir um die nackten Füße und verschwindet außerhalb des Lichtscheins. Gerade hockst du tief vor dem offenen Kühlschrank, als du es wieder Tapsen hörst, stellst die Cola weg und wirfst geschwind die Tür zu. Deine Nerven spielen dir einen Streich und du meinst, es aus dem geschlossenen Kühlschrank kreischen zu hören. Lächerlich, Fred passt nicht mal in den Kühlschrank. Du solltest weniger Horrorfilme schauen, die lassen dich den Realitätsbezug verlieren. Es ist wirklich Zeit zum Schlafen.
Am nächsten Morgen liegt eine kalte, madenartige Larve vor deinem Platz auf dem Esstisch. Du starrst darauf und dann erschrocken zu Fred, der regungslos vor seinen Cornflakes sitzt. Du bist dir nicht sicher, ob er dich mit seinen starren Augen anschaut oder sein Essen. Du interpretierst es als betretenes Schweigen. "Das tut mir so leid. Brauchst du jemanden zum Reden?" Der Arme. Es muss hart sein, seinen Nachwuchs in dem Alter zu verlieren. Wie konnte das nur geschehen? So kalt ist es in der Wohnung doch nicht. Vielleicht hat es sich zu lange in einem Luftzug aufgehalten.
Am Nachmittag kommen deine Eltern: Ihr sitzt gerade zusammen bei Kaffee und Kuchen. Deine Mutter redet viel, während sie ihren Kaffee umklammert. "Schön habt ihr es hier, mir gefällt diese Wanddekoration, ist das sowas wie dieser Tintenfleck-Test als Tapete? Sehr originell. Wie läuft dein Studium, Schatz, hast du schon einen Praktikumsplatz gefunden?"
Du hast dir gerade ein Stück Kuchen in den Mund geschoben und machst eine Geste, dass du nicht antworten kannst, also spricht sie einfach weiter. "Und Sie studieren Jura, hab ich gehört? Werden Sie Anwalt oder was kann man mit dem Abschluss noch machen?"
Fred sitzt still über seinem pechschwarzen Kaffee. Von seinen gebleckten Zähnen tropft ein einzelner, langer Faden runter in die Tasse.
"Oh, verstehe, Sie wollen nicht darüber reden", fährt deine Mutter fort und spielt nervös mit ihrem goldenen Handkettchen. "Wie indiskret von mir. Entschuldigen Sie die persönliche Frage. Die Situation ist noch recht neu für uns, die Anwesenheit von ... ähm, ist es Rassismus, wenn ich Sie einen Alien nenne?"
"Aliens heißen sie, wenn sie nicht von der Erde kommen", wirft dein Vater besserwisserisch ein. "Das ist wie das Wort Ausländer auf Länder bezogen. Sie sind Bürger der Erde und damit keine Aliens."
"Oh, tut mir leid." Mutter ist peinlich berührt und spielt intensiver mit dem Kettchen herum. "Wir sind keine Spezizisten oder sowas. Wir schätzen den kulturellen Zuwachs sehr, aber wir kennen nicht viele Ihrer Art. Unsere Nachbarin hat mal einen im Supermarkt kennen gelernt und ist mit ihm in Urlaub gefahren. Hm, das muss schon eine Weile her sein, wir haben seitdem nichts von ihr gehört. Sie hat bestimmt unglaublich viel Spaß mit ihrem neuen Freund. Ja, sie ist schon in Rente und kann einfach mal so drei Monate lang oder noch länger Urlaub machen. Unsereins kann das nicht."
"Wenn Sie mich fragen", wirft nun dein Vater ein, "stinkt die ganze Sache zum Himmel. Ich glaube, die Regierung verheimlicht uns was." Deine Mutter verdreht heimlich die Augen und formt tonlos Worte, die du nicht verstehst. "Sie stammen nicht von einem anderen Planeten, sondern aus einem Labor der Regierung, ist es nicht so? Ich glaube, dass Kinder durch die Aluminiumsalze in den Impfungen diesen langen Hals und die harte Außenpanzerung entwickeln. Es gibt Dokumente, die das belegen. Der Vorgang ist gut verstanden. Jetzt versucht die Regierung, die vielen Opfer zu vertuschen, indem sie sie zu einer neuen Spezies erklärt. Aber das ist natürlich nur meine Meinung."
Fred dreht deinem Vater langsam den Kopf zu und sagt nichts. Du fragst dich, was in ihm vorgeht. Doch er tut das einzig Richtige und schweigt.
Der Alien lässt sich dazu überreden, deine Eltern zum Abschied bis zur Tür zu begleiten. Deine Mutter lässt sich sogar zu einer Umarmung hinreißen, die Fred stumm über sich ergehen lässt.
"Es hat mich sehr gefreut, Sie kennen zu lernen." Deine Mutter lächelt ihn an. "Kommen Sie uns gerne mal besuchen, wenn Sie Zeit haben. Wir haben einen hübschen Garten auf dem Land, viele Wälder außenherum, würde Ihnen sicher gefallen, wenn Sie mal etwas Ruhe vor der hektischen Stadt suchen. Auf Wiedersehen."
Dein Vater nickt ihm freundlich zu und reicht ihm die Hand, während er in der anderen das Geschenk hält, das Fred ihm überreicht hat. Es sieht aus, wie ein in buntes Geschenkpapier verpacktes, übergroßes Osterei. "Vielen Dank für die Gastfreunschaft. Ich bin immer offen dafür, etwas über andere Kulturen zu lernen. Das hier", er hebt das Geschenk kurz an, "wird einen Ehrenplatz in unserem Wohnzimmer bekommen." Dann verschwinden beide zur Tür hinaus.
"Tut mir leid, ich hoffe, mein Vater hat dich nicht allzu sehr aufgeregt", entschuldigst du dich. "Er verbringt neuerdings zu viel Zeit im Internet, aber sonst ist er ganz nett."
Deine Stimmung ändert sich schlagartig, als sich ein Besuch von Freds Familie ankündigt. Eines Tages auf dem Weg nach Hause siehst du diese insektenartigen Gestalten über die Wege huschen, als würden sie Verstecken mit dem Licht spielen.
"Fred, du weißt, dass ich dich gut leiden kann", sagst du zu ihm, als du heftig atmend innen an eure Wohnungstür lehnst. "Aber ich hab keine Lust, deine Eltern kennen zu lernen. Wenn sie vorbeikommen, schließe ich mich in meinem Zimmer ein."
Mit dem nächsten Klingeln versteckst du dich und schließt deine Tür ab in der festen Überzeugung, die Sache auszusitzen. Er hat seine Familie seit Monaten nicht gesehen, aber das ist doch zu viel fremde Kultur auf einem Haufen für deinen Geschmack.
Du verbringst den Abend mit einem guten Buch im Bett und hoffst, dass ihre Partygeräusche bis zur Schlafenszeit nachlassen, doch früh am Morgen gegen halb zwei reißt dich ihr Gepolter aus dem Bett. Du bist drauf und dran, hinauszugehen und sie zu bitten, etwas leiser zu sein, doch als du die Blutlache siehst, die unter deiner Zimmertür in den Raum hineinfließt, überlegst du es dir anders. Dir die Sauerei draußen anzusehen würde dich nur noch mehr aufregen. Morgen früh wirst du Fred eine Whatsapp schreiben, dass er das Chaos bis zum Abend beseitigt und wenn du dein Zimmer verlässt, wirst du das Licht ausgeschaltet lassen, wenn du frühstückst. Manchmal ist er als Mitbewohner unerträglich, doch irgendwie kommt ihr schon miteinander aus. Am Ende ist doch alles nur halb so schlimm.