Mein Leben als Sieb
Mein Leben als Sieb
Mein Leben als Sieb war immer sehr traurig. Alles was man mir erzählte, anvertraute oder was ich auch nur irgendwie mitbekam, musste ich weitererzählen. Ich war einfach viel zu durchlässig.
Schon als Kind wurde ich gemieden. Ich wurde damals, im Alter von zwei Monaten, von einem Holzlöffel und einer Kuchenform adoptiert. Meine leiblichen Eltern verunglückten bei einer Geschäftsreise von Marktkauf nach Combi. Als ich etwa ein Jahr alt war, wurden meine Familie und ich im Kaufland zum Verkauf angeboten. Wir standen im Regal und warteten darauf, gekauft zu werden. Meine Eltern mussten nicht lange warten, sie fanden schnell ein neues Heim. Ich hatte leider kein Glück und die langweiligen Jahre vergingen. Von Tag zu Tag machte ich mir immer mehr Feinde. Vom Joghurt bis zur Enthaarungscreme, keiner konnte mich leiden. Eigentlich ist das noch untertrieben, sie hassten mich, weil bei mir jedes Geheimnis „durchsickerte“. Keiner redete mehr mit mir oder vertraute mir etwas an. Ich war so allein.
Eines Tages wurde im Kaufland umgebaut. Alles war sehr spannend und ich konnte es kaum abwarten einen neuen Platz zu bekommen. Die anderen Siebe hatten auch nichts für mich übrig und ich weiß bis heute nicht, warum. Also stellte mich der nette Verkäufer in das letzte noch freie Regal neben die Nudeln und den Reis. Ich war sehr optimistisch hier neue Freunde zu finden. Alle waren sehr nett zu mir. Egal ob Spaghetti oder Makkaroni, Uncle Ben‘s oder Parboiled Reis, ich verstand mich mit allen. Wie konnte das sein? Warum hatten der Reis und die Nudeln kein Problem mit mir? Ich fand keine Erklärung dafür. Ich hatte mich nicht geändert. Bei mir blieb nichts geheim. Ich entschloss mich, mir keine Gedanken mehr darüber zu machen, sondern mein Leben von nun an zu genießen.
Meine Freude hielt nur leider nicht sehr lange an. An einem Montag gegen 16: 15 Uhr passierte etwas Schreckliches: Ich wurde gekauft. Eine kleine alte Frau legte mich in Ihren Einkaufskorb und schob damit in Richtung Kasse. Der Korb war total voll und eng. Die ganzen Lebensmittel ließen mir kaum noch Luft zum Atmen. Nachdem sie uns alle an der Kasse bezahlt hatte, packte sie uns in den Kofferraum und fuhr nach Hause. Dort angekommen hatte ich auch gleich meine Pflicht zu tun. Mir gefiel das gar nicht, weil ich gerade erst von meinen besten und einzigen Freunden getrennt worden war, ich war wieder so traurig.
Dann kam die Wende: Ich traute meinen Augen nicht. Vor mir auf der Spüle stand ein riesiger Topf mit Nudeln. Meine Freunde, ich war so glücklich! Zu meiner Erschütterung ging es Ihnen nicht so gut. Nachdem ich Sie mir in aller Ruhe angeguckt hatte, wunderte mich das auch nicht mehr. Sie waren gekocht worden. Sie wimmerten und baten mich um Hilfe. Die Nudeln brauchten eine Abkühlung, aber ich war zu schwach um den schweren Topf alleine zu heben. Dann kam die kleine, alte Frau und nahm den Topf mit den Nudeln. Sie stellte mich in die Spüle und schüttete meine kleinen Freunde in mich hinein. Außer den Nudeln kamen noch mehrere Liter heißes Wasser, welches durch meine kleinen Löcher ablief. Dann stellte sie den Wasserhahn an und schreckte die Nudeln ab. Sie lachten und freuten sich, sprangen auf und ab. Fürs Erste waren Sie gerettet.
Mir fiel es wie Nudeln von den Löchern. Jetzt wusste ich, warum die Nudeln und der Reis mich so mochten. Ich rettete Sie jedes Mal vor dem qualvollen Tod durch Ertrinken und Verbrennen. Das war der schönste Tag in meinem Leben. Endlich hatte ich Freunde gefunden, die mich als Sieb schätzten. Die Nudeln erklärten mir, dass es für Sie dann letztendlich nicht schlimm sei gegessen zu werden. Dieser Tod sei viel angenehmer.
Einige Tage später traf ich in dem Küchenschrank auch meine Eltern wieder. Die Wiedersehensfreude war groß. Trotzdem mussten auch meine Eltern schnell erkennen, dass ich mich nicht geändert hatte. Mein Vater, der Holzlöffel, verzieh mir aber recht schnell, dass ich meiner Mutter, der Kuchenform, seine Affäre mit dem Mixer erzählt hatte. Sie sprachen sich aus und wir verlebten noch viele schöne Jahre in diesem Haushalt.
Diese Geschichte wurde geschrieben von Verena Hilckmann.