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Mein kleiner Schönheitsfehler

Beitritt
01.05.2003
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Mein kleiner Schönheitsfehler

Mein kleiner Schönheitsfehler

Ich weiß nicht wie es Ihnen geht, ob Ihnen der Schweiß ausbricht, Sie ins stottern geraten oder ob Sie ungerührt bleiben, aber sobald ich eine Frau attraktiv finde, endet die Unterhaltung mit ihr abrupt.
Ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll. In solchen Situationen erkenne ich mich meist selber nicht wieder. Sonst sind meine Gedanken wie frisch geworfene Murmeln, die auf ein Ziel zusteuern, aber wie ich bereits schon sagte, eine attraktive Frau bringt meine Gedanken zum Stillstand.
Das schlimme daran ist: Ich kann nichts dagegen machen. Wenn ich sprechen möchte, hört sich meine Stimme wie eine alte verstimmte Geige an. Ich bin nicht einmal in der Lage, annähernd auszudrücken, was ich sagen möchte. Vielleicht liegt es daran, dass ich mit 32 Jahren immer noch Single bin und durch meine negativen Erfahrungen etwas verschrocken bin. Na und? Werden Sie sagen. Aber wissen Sie, ich hatte in meinem ganzen Leben noch keine Freundin. Ich bin kein schlecht aussehender Kerl mit rüpelhaften Manieren, kein Mann geringer Größe oder Pickeln und einer Nickelbrille im Gesicht. Ich bin ein Durchschnittsmensch - nur eben etwas ungeschickt.

Ich glaube, Sie werden mein Problem zu Frauen verstehen, wenn ich etwas weiter aushole und ein paar Stationen aus meinem Leben berichte.

Dass mit mir etwas nicht stimmte, merkte ich zum ersten Mal mit 6 Jahren, einige Tage nachdem ich eingeschult wurde. Bis dahin hatte ich keine Schwierigkeiten mit den Schülern aus meiner Klasse und doch merkte ich, wie sensibel mein Körper reagierte, sobald ein weibliches Wesen in meiner Nähe war. Natürlich war in diesem Alter noch keine Liebe im Spiel, höchstens ein starkes Gefühl der Beklemmtheit, ein Druck, der von meinem Körper ausging.
Meine erste Ohrfeige kassierte ich, als sich ein Mädchen in das Gespräch zwischen einem Mitschüler und mir einmischte. Ich spürte sofort, dass etwas in mir vorging. Warum? Ich weiß es nicht. Dieses Mädchen kam auf mich zu und blieb etwa 10 cm vor meinem Kopf stehen. Ihre Zöpfe baumelten vor meinen Augen wie ein Pendel hin und her und ich konnte nicht anders, als ihnen zuzusehen, wie sie von links nach rechts und wieder zurück pendelten. Wieder und wieder. Der Druck in mir stieg und als ich es nicht mehr aushielt, ging ich einen Schritt nach hinten. Das heißt, ich wollte zurückweichen, etwas auf Distanz gehen, aber leider vergaß ich das Geländer hinter mir und schlug mir den Fußknöchel an. Ich schrie auf, nahm meinen schmerzenden Fuß in die Hand und mit dem anderen Fuß hüpfte ich in die Luft. Als ich wieder auf den Boden aufkam, erwischte ich den Fuß des Mädchens. Klatsch. Schon hatte ich eine sitzen. Dafür musste sie vier Wochen einen Gips tragen. Sie hatte sich den Zeh gebrochen.
Egal was ich tat, sobald ein Mädchen da war, ging etwas schief.

Nach vielen unglücklichen Missgeschicken und einer Reihe von Frustrationen gegen die Frauenwelt kam ich schließlich in die Pubertät. Nun ja, meine Mitschüler waren mir um mindestens 2 Jahre voraus, aber immerhin merkte auch ich eine Veränderung in mir, nicht nur körperlich, sondern auch eine verschobene Sichtweise meines Verhaltens gegenüber Frauen. Zwei Bankreihen vor mir saß sie, Marie, mit ihren langen blonden Haaren. Ich brauchte ein halbes Jahr, bis ich sie ansprach. Meine Worte waren: „Hllo.“ Ich setzte erneut zu einem: „Ha“ an. Mehr bekam ich nicht heraus. Meine Stimme war so rau, als ob ich 3 Tage nichts getrunken hätte. So zog ich mich wieder zurück und versuchte die Situation, in die ich mich selber hineinkatapultiert hatte, zu verdauen. Mein letzter Therapeut meinte, ich hätte mir eine Phobie eingehandelt.
Es ist, wie ich bereits sagte, sobald ich eine Frau attraktiv oder nur reizend finde, verabschiedet sich meine Stimme. Aber wenn es nur das wäre. Zwar trage ich immer eine Packung Kräuterbonbons mit mir herum, die angeblich für eine klare, befreiende Stimme sorgen sollen, aber was die Werbung von ihnen verspricht, traf bei mir noch nicht zu.

Nachdem es in der Liebe nicht klappte, hatte ich einen recht guten Schulabschluss hinbekommen, mit dem mir die Welt zu Füßen stand. Und da ich mich nicht entscheiden konnte, welche Lehre die richtige für mich war – ich glaube, da standen einfach zu viele Türen offen – machte ich eine Ausbildung bei einer Firma in der Werkzeugschmiede. Mir machte die Arbeit wirklich Spaß, aber hätte ich gewusst, dass ich eine Frau als Vorgesetzte bekommen würde, hätte ich die Stelle nie angenommen. Schon damals scheute ich den Kontakt zu Frauen, nach den vielen Niederschlägen, die ich erlitten habe und als ich meine Chefin kennen lernte, die mir gelinde ausgedrückt, sehr nett erschien, war das Unglück vorprogrammiert. Jedes Mal, wenn Sie mir über die Schulter blickte, machte ich Fehler. Dann fuchtelte sie mit dem Zeigefinger in dem lauten Maschenraum wie wild hin und her, als verstünde ich die Zeichensprache. So dauerte es nicht lang, bis sie mich heraus warfen.

Als ich nach bereits 3 Monaten ohne Job dastand, habe ich Pizza für Jovannis Express ausgefahren. Der Verdienst war schlecht, aber ich musste ja etwas arbeiten. Und siehe da, es gelang mir, in kürzester Zeit alle Straßen innerhalb unserer Stadt auswendig zu kennen und mit Stolz kann ich behaupten, dass mir keine Pizza kalt vor die Türe kam. Auch Jovanni war mit mir sehr zufrieden gewesen, wenn ich bloß nie seine Tochter kennengelernt hätte. Jovanni schlug mir mit seinen rauen Händen auf die Schulter und meinte, dass ich zu seiner Hochzeit kommen sollte. Ich war erstaunt, was Italiener unter einer gewöhnlichen Hochzeit verstanden, denn es erschienen so viele Menschen, wie ich sie nur im Fernsehen auf Beerdigungen eines prominenten Rockstars her kannte. Nein, nicht dass Sie denken, ich habe an der Hochzeit als Gast teilgenommen und mich zu der Familie an den Esstisch gesetzt. Jovanni winkte mich in die Küche. Ich durfte kellnern. Und als ich gerade mit zwei wunderschönen großen Torten, die Treppen zum Festsaal hinunterging, sah ich sie vor mir – die schöne Braut Julietta. Wieder einmal war ich verwirrt, wusste nicht mehr, was ich machen sollte, welcher Fuß auf welchen folgte und vergaß vor lauter verworrener Gedanken, die letzte Treppenstufe vor mir. Mein Gesicht landete auf ihrem Dekolte, die Hochzeitstorten auf ihr Brautkleid. Das war das Ende meiner Pizzakarriere. Seit dem trage ich eine kleine Kuchenkerze mit mir herum, die mich daran erinnert, wachsam vor Stufen zu sein.

Nachdem ich ein paar Monate ohne Job verbracht hatte, hier und da bei unseren Nachbarn den Rasen mähte oder für alte Leute in unserer Gegend einkaufen ging, fing ich bei einer Zeitungsfirma an. Damals sagte man mir, ich würde ganz unten anfangen und wenn ich gut wäre, könnte ich irgendwann einmal, auf diesen Sessel sitzen, auf dem der Personalchef gerade bequem saß und mir tief in die Augen sah.
Das motivierte mich ungemein und nachdem ich wochenlang nur für Ablagen eingesetzt wurde und Freitags für die Entsorgung des Mülls verantwortlich war, wurde ich in eine andere Abteilung versetzt. Dort bin ich bis heute.
Ich kann mich noch daran erinnern, als ob es gestern gewesen wäre, denn es gab eine Situation, da dachte ich, jetzt ist alles aus. Heute bin ich ja fast schon stolz darauf, denn wegen mir, geschah am 17. Dezember 1957 etwas, dass es in der Geschichte der Presse nur nur einmal auf der ganzen Welt gab.
Ich stand an dem Sonntagabend bei der Druckpresse, als die Reporterin Sandra Fritsch in das Zimmer kam. Ich sah sie an und war wie so oft hin und weg, wenn ich sie sah. Ich wollte mich noch abstützen, ehe es mich schwindelte und erwischte dabei das Tintenfass, welches gerade ausgewechselt werden sollte. Sie brauchten lange, bis die Presse wieder sauber war, aber sie hatten mir schon bald verziehen. 365.000 Zeitungen wurden damals mit teils schwarzen, teils weißen Seiten gedruckt. Nur manche Seiten konnte man noch lesen.
Damals war ich sogar im Fernsehen. Für kurze Zeit kann man sagen, war ich ein richtiger Star.
Ich weiß, dass sie es für Aberglaube halten, aber seit dem trage ich eine verschlossene Schwarzpatrone mit mir herum, in der Hoffnung, dass sich dieser Vorfall nicht wiederholt.
Mit jedem Jahr habe ich trage ich Anzüge mit größeren Taschen, denn im Laufe der Zeit schleppe ich sicherheitshalber ein ganzes Arsenal an Artikeln aus meinen Lebensstationen mit mir herum. Nur für den Notfall. Kräuterbonbons, eine Kuchenkerze, eine Schwarzpatrone, Zirkel und Geodreieck, Oropax und ein kleiner Handventilator.

Mein Therapeut sagte mir einmal, dass ich ein Mensch wäre, der einen gesunden Charakter hätte und wenn es nur solche Menschen wie mich geben würde, wären viele Dinge auf der Welt überflüssig. Was er damit meinte, weiß ich bis heute nicht, aber er fand immer die nettesten Worte für mich. Allein dafür hatten sich die Therapiestunden gelohnt. Aber nicht nur dass; über die Jahre hinweg, hat er mich auch einiges gelehrt. Ihm habe ich zu verdanken, dass sich meine Meinung über die Menschen nicht veränderte. Denn es gab eine Zeit, da hatte auch ich an das Gute im Menschen gezweifelt. Es kam nicht selten vor, dass ich ausgelacht wurde oder man mich nachäffte und wenn man das mitbekommt, muss man es gut hinunterschlucken können. Er hat mir Wege gezeigt, wie ich die Schmerzen beim nächsten Stuhlgang – rein psychologisch betrachtet– aus meinem Körper ausscheiden kann, damit sie sich nicht in meinem Körper ausbreiteten und mich fertig machen.

Und trotz der Blamagen, den Beleidigungen und dem Hader mag ich den Großteil der Menschen, denn die meisten nehmen mich so wie ich bin. Sie akzeptieren mich und diejenigen die mich kennen, schenken mir oft ein lächeln. Das empfangene Lächeln gebe ich weiter, so, als müsste ich es loswerden, weil es mir nicht gehört. Aber manchmal mache ich mir meine Gedanken, ob ich vielleicht nicht doch etwas von diesem Lächeln für mich behalten sollte, denn vielleicht würde es mir ja doch eines Tages Glück bringen.
Was meinen Sie dazu?

Ich sah den Mann an und noch ehe er etwas gesagt hatte, wusste ich plötzlich, was mich die ganze Zeit an ihm gestört hatte. Es war das nervöse zucken am linken Auge…

 

Mir gefällt, wie du den Leser in diese Geschichte miteinbeziehst, dadurch erhält man wirklich den Eindruck, dass hier ein Mensch ein intimes Geständnis ablegt.

Besonders witzig fand ich die Idee, dass dein Protagonist für die Stiegenblamage immer eine Kerze mit sich trägt und eine Druckerpatrone für den kleinen Unfall bei der Presse. Meiner Meinung nach beiinhaltet dieser Text auch einige satirische Elemente, zumindest ist das bei mir so angekommen.

Schade, dass sonst noch niemand diesen Text kommentierte, bin gespannt was andere Kritiker davon halten. Mich hat dein Werk überzeugt.

 

Hallo Jingles,
vielen Dank für Deinen Beitrag. Freut mich immer wieder, was von Dir zu hören (lesen). Ich bin auch gespannt, wie die Geschichte bei anderen ankommt und hoffe mit jedem Tag auf Post. :-)

Grüße
Herbert

 

"Ich sah den Mann an und noch ehe er etwas gesagt hatte, wusste ich plötzlich, was mich die ganze Zeit an ihm gestört hatte. Es war das nervöse zucken am linken Auge…"

Ehrlich gesagt weiß ich nicht, was ich mit dem neuen Ende anfangen soll. Eine zweite Person kam doch bis zum Ende nicht in dieser Geschichte vor! Sicher die Idee an sich die Tatsache in den Vordergrund zu stellen, dass er doch nicht so gut mit seinen Problemen fertig wird wie er behauptet, ist ganz nett, nur mM hier nicht passend.

 
Zuletzt bearbeitet:

Haha!

Ich hatte den Text die ganze Zeit als inneren Monolog bzw. als Gespräch mit dem Leser mißverstanden. Der Protagonist führt hingegen tatsächlich ein Gespräch innerhalb des Handlungsstrangs! Falls das der Fall sein sollte, dann passt das Ende.

 

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