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Mein ist die Rache.
Mein ist die Rache./Edit. vers. 09.04.04
Mein ist die Rache
Inspiriert von „Die Füße im Feuer“ von C.F. Mayer
Es war eine grausige Nacht.
Der eiskalte Novemberwind heulte um die fest gemauerten Türme des kleinen Schlößchens, trieb Schnee und Graupel in rasch wechselnder Folge fast waagerecht vor sich her, und bog die am Ufer stehenden Trauerweiden nach Norden.
Es schien, als hätten dunkle Mächte beschlossen die Menschheit unter Eis und Schnee zu begraben und alles was nicht standhaft war in seinen eisigen Klauen zu zerfetzen und in die ewige Düsternis zu treiben.
Graf Alphonse, Comte de Bethancourt saß in seinem geliebten Lehnstuhl, welcher dicht vor den gewaltigen Kamin gerückt worden war und starrte, einen Becher mit heißen Würzwein in der rechten Hand mit leeren Augen ins lodernde Feuer.
Zwei Windspiele lagen ihm zu Füßen und dösten, die grazilen Köpfe auf ihre ausgestreckten Vorderpfoten gebettet, friedlich vor sich hin. Nichts war zu hören, außer dem Heulen des Sturmes, der an den schweren, eichenen Fensterläden rüttelte, dem Knacken und Prasseln der Flammen im Kamin und dem zeitweiligen aufseufzen der beiden Hunde, wenn sie sich im Halbschlaf streckten.
Schatten wanderten gespenstisch an den Wänden entlang, trieben ihr Spiel mit den einstmals leuchtenden Farben der verblichenen, aber dennoch kostbaren Tapisserien an den klammen Wänden.
Feuriges Leuchten durchgeisterte das schlohweiße Haar des reglos Sitzenden, fast schien es, als habe dieses müde, ehrwürdige Haupt des Grafen Feuer gefangen. Flammen spiegelten sich in seinen abwesend vor sich hin starrenden Augen und die Furchen, die das Leben in sein Gesicht gegraben hatte, warfen tiefe Schatten.
Mit einem Male schreckten die Hunde auf, spitzten die Ohren und begannen tief und bedrohlich zu knurren.
Der Graf schreckte ebenfalls aus seiner Traumversunkenheit auf, besann sich des Bechers in seiner Hand, nahm einen letzten, tiefen Schluck, stellte dann den Becher auf das niedrige Tischchen seitlich des Sessels und erhob sich mit einem tiefen Seufzer.
Nun hatte er es ebenfalls gehört.
In das Sturmestosen, draußen, jenseits der dicken Mauern mischte sich ein neues, eiliges, gleichmäßiges Geräusch.
Pferdehufe klapperten auf den schwarzen, in der Nässe glitschigen Basalt, mit dem die Auffahrt zum Schloss gepflastert war. Eiserne Reifen von Kutschenrädern mahlten kalt und grell über das harte, schwarze Gestein, dazwischen klang Peitschenknall und das anfeuernde Rufen des Kutschers durch das Toben der Elemente.
Der Graf schritt mit bedächtigen Schritten die breite Treppe herab, welche in die große Halle führte, als sich die große, schwere Flügeltüre des Schlossportals hinter seinem treuen, stummen Diener Berengar und drei durchfrorenen Männern schloß.
„Seid willkommen in meinem Haus, ihr Herren. Was führt euch zu so später Stunde in unsere Gegend?“
Der größte von den dreien zog seinen Hut, verbeugte sich in geziemender Weise vor dem Grafen und antwortete, während seine zwei Begleiter es ihm gleich taten: „ Auguste Marie de Gaelasse, zu dienen Monseigneur, wir sind unterwegs nach Paris im Auftrage des Kardinals. Vier Meilen von hier brach uns ein Rad am Wagen, und bis wir es wieder repariert hatten, war der Sturm bereits losgebrochen. Der Tölpel von einem Kutscher hat sich im dunklen verfahren und nun sind wir hier.
Erweist mir die Ehre, Monseigneur, und sagt mir, wer uns hier so gastlich willkommen heißt, und wo wir uns befinden.“
Der Graf sah ihm mit reglosen Augen ins Gesicht und antwortete dann mit ruhiger Stimme: „ Graf Alphonse, Comte de Bethancourt ist mein Name und dieses ist der Sitz meines Geschlechtes. Kommt herein, mein Herr und wärmt euch am Feuer. Für eure Dienerschaft lässt sich in der Küche ein warmer Platz finden. Berengar...“ Der Graf machte eine kurze, herrische Handbewegung...“ zeige den Männern den Weg und sorge dafür, dass es ihnen an nichts fehlt, dann bringe uns Wein und Speise ins Turmzimmer, ich nehme an, ihr seid hungrig Monseigneur de Gaelasse. Folgt mir.“
Mit diesen Worten wandte sich der Graf der Treppe zu, und begann sie mit langsamen Schritten zu erklimmen.
Auguste Marie de Gaelasse folgte ihm in kurzem Abstand.
Es war spät geworden, wohl so um Mitternacht, als der Graf seinen Gast in eines der Zimmer geleitete, in welchem mittlerweile das Bett bereitet und ein Feuer im Kamin entfacht worden war.
Lange hatten die beiden im Turmzimmer des Comte gesessen, sich mit Wildpastete und Würzwein gestärkt und über die schwierige Lage innerhalb des Königreiches gesprochen.
De Gaelasse hatte dem Grafen erzählt, dass er noch vor kurzer Zeit für die Päpstliche Inquisition gearbeitet hatte, und nun, da das Problem mit den Hugenotten gelöst schien, einen Posten als direkter Untergebener des Päpstlichen Nuntius am Hofe des Königs gefunden hatte, als Belohnung für seine unschätzbar treuen Dienste im Auftrage des Herren und als unbeirrbarem Verfechter des wahren Glaubens der Christenheit für seinen König.
Alphonse hatte während dieser stolzgeschwellten Worte sein Gesicht in der Hand verborgen, so, als sei er müde, hatte seine Schläfen gerieben, als quäle ihn die Kopfpein, und vermieden, dem jungen, gutaussehenden de Gaelasse in sein blasiertes Gesicht zu schauen. Er fürchtete sich, in seine harten, blauen Augen zu sehen, in welchen keinerlei Milde, oder Wärme zu entdecken war... Er fürchtete das kalte Feuer des Fanatismus, welches ihm dort entgegen zu lodern schien, und jedesmal, wenn ihn der Blick des jungen Mannes traf, war es dem Comte, als führe ihm ein glühendes Eisen mitten ins Herz hinein.
Er verbarg sein Inneres wohl vor seinem Gast und bemühte sich, eine geistreiche Unterhaltung zu führen bis die Müdigkeit wie eine unsichtbare Hand nach ihnen griff und dem Gespräch ein Ende bereitete.
Warme Steine waren in das Bett des Gastes gelegt worden, um die klamme Kälte die sich wie eine allgegenwärtige Klaue innerhalb der Schlossmauern um alles lebendige legte, zu vertreiben.
Berengar, der stumme Diener des Comte entfernte die noch immer warmen Steine aus dem Bett des Gastes und legte sie achtsam vor den Rand des munter prasselnden Feuers im Kamin.
Mit einer gemessenen Bewegung verbeugte er sich darauf hin vor dem Gast seines Herren und zog sich, rückwärts gehend mit gesenkten Kopf zurück.
Auch der Comte neigte sein greises Haupt vor seinem Besucher; „Möge euch in meinem Hause eine ruhige Nacht von unserem Herren beschieden sein, Monseigneur de Gaelasse...“
Der junge Mann erwiderte beiläufig;“ Ebenso wie euch Monsieur de Comte...“ und wandte sich dem in einer Nische befindlichen Nachtgeschirr zu, um sich geräuschvoll zu erleichtern, ohne den alten Grafen noch eines weiteren Blickes zu würdigen.
Leise zog der Graf die Türe hinter sich ins Schloß. Das Gesicht eine Maske aus Stein.
Mit einem wohligen Aufseufzen bettete sich de Gaelasse nieder und schloß die Augen um in einen unruhigen Schlummer zu verfallen.
Draußen wütete der Sturm als seien sämtliche Teufel der Hölle auf einmal ausgefahren um die Welt ihrem letzten Gericht zuzuführen.
Der alte Graf kniete in der Kapelle vor dem Altar, das blanke Schwert seines Vaters vor sich auf dem Boden liegend, vertieft in inniges Gebet, reglos bis auf die leise Bewegung seiner Lippen, das Gesicht wie aus kaltem Marmor gemeißelt, die Augen auf den Erlöser gerichtet, als sähe er durch ihn hindurch in ein anderes, fernes Land.
Das toben des Sturmes verstärkte sich zu einer brüllenden Kakophonie aus undefinierbaren Lauten.
Auguste Marie de Gaelasse schrak aus seinem unruhigen Schlaf.
Etwas bedrohliches schien den Raum betreten zu haben.
Irr und ängstlich suchten seine Augen die dunklen Schatten des Zimmers ab, seine Hand zuckte zum Dolch.
Das Feuer zischte höhnisch.
Zwei Füße zuckten in der Glut.
Ein Wimmern drang in seine Ohren... war es der Wind, oder war es eine gemarterte Seele, die da so stöhnte?
Er rieb sich die Augen, und setzte sich auf. Sein herz schlug ihm bis zum Halse hinauf, kalter Schweiß brach sich Bahn, seine Nackenhaare stellten sich auf als habe ihn ein eisiger Schatten berührt.
Nein, keine Füße zu sehen... doch halt, nun ein Gesicht, den Mund verzerrt voll tiefster Pein, ...erneut hinfort... nur rötlich, boshaftes, unruhiges Flackern im Kamin...
Zischen und Knacken, Schatten huschten, gaukelten, verwischten... erneut zuckten zwei Füße im Feuer, verschwanden wie durch Zauberhand, dann ein flammender Haarschopf... Entsetzt starrte de Gaelasse in diesen Tanz.
Welch Teuflisches Trugbild narrte ihn dort?
Er begann zu zittern und wie ein glühendes Eisen durchfuhr ihn die Erkenntnis.
Rasch sprang er aus dem Bett, warf den Dolch auf das Bett, raffte seine Kleider zusammen, fuhr hinein, ergriff seinen Degen und zog blank, als sei er schon vom lauernden Feind eingekreist nahm auch den Dolch, der verräterisch glostend, schimmernd auf dem Bette lag in die linke Hand und drehte sich langsam um sich selber.
Irren Blickes starrte er ins Dunkel des großen Raumes.
Kein Mensch war indes zu sehen.
Er musste fort von hier. Alles war besser, als hier zu verweilen, sogar der höllische Sturm vor den Mauern barg nun keine Schrecken mehr für ihn, schon war er an der Türe... Schwer legte sich seine Hand auf den Türgriff und erstarrte mitten in der Bewegung.
Die Türe war fest verschlossen
Nun nahm das Grauen erst recht Besitz von Auguste Marie. Er schluchzte trocken auf, aus tiefster Seele rang sich ein Stöhnen aus seiner Brust, achtlos ließ er den Degen auf die kalten Fliesen fallen und wandte sich dem Feuer zu, als zöge ihn eine unsichtbare Hand dorthin.
Schatten umspielten das Wappen derer von Bethancourt, welches über der Feuerstelle in das Sims gemeißelt war.
Kraftlos sank er vor dem Kamin in die Knie, ohnmächtig starrte er in das lodernde Feuer, machtlos ließ er die grausigen Bilder über sich ergehen, die er darin schaute.
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Wieder und wieder stößt de Gaelasse die Füße der schönen Maurin in die Glut. Sie wimmert und windet sich, aber sie spricht kein Wort.
Er brennt sie mit glühenden Eisen, aber sie spricht kein Wort.
Er stößt ihren Kopf in die Flammen und sie heult wie eine verdammte Seele, aber sie spricht kein Wort...
„Gesteh!“
Ein kalter Wasserguss löscht das Feuer auf ihrem Kopf. Ihr Gesicht eine Maske aus Asche und Blut.
Stinkender Dampf steigt auf, ihre Augen glühen wie die Kohlen des Fegefeuers.
„Gesteh!“
Dumpfe Verachtung prallt ihm ins Gesicht.
„Gesteh! Halsstarrig Weib, wo ist er hin, er und die Seinen. Wohin? Gesteh!“
Erneut ein Feuerbrand in ihr Gesicht.
Sie lacht.
Sie lacht ihn aus, als sei sie eine Teufelin.
... aus der Hölle gesandt, um ihn zu prüfen, und zu verderben...
Er rast voll Wut... zwei Füße zucken in der Glut...
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Die Glut bröckelte in sich zusammen, als der Morgen graute.
Die Türe ging, der Diener Berengar erschien schweigend und fand den Gast zusammengesunken vor dem fast erloschenen Feuer kauern.
Das am Vorabend noch nussbraune Haar war über Nacht schlohweiß geworden.
De Gaelasse zuckte erschreckt zusammen, als der stumme Diener ihn mit der Hand an der Schulter berührte, um ihn zum Morgenmahl zu geleiten.
Beim Frühstück in der großen Halle saßen sie sich gegenüber. Schweigsam die Köpfe gesenkt, nur das Klappern des Bestecks war zu hören.
„Nun habt ihr mich endlich doch noch gefunden, Monseigneur de Gaelasse... oder ich euch, wie man es sehen will...“ sprach der alte Graf leise und hob langsam den Kopf.
Ruckartig erhob der so jäh Ergraute seinen Blick. Irre Angst flackerte darin als er mit tonloser Stimme fragte: „Ihr wußtet...? Und dennoch ließet ihr mich leben?“
Der alte Graf bedachte ihn mit einem tiefen, ernsten Blick bevor er mit einer kurzen Geste seinen Diener heran winkte...
„Berengar hat es mir gesagt“
„Aber... euer Diener, er ist stumm...“ stammelte de Gaelasse verwirrt...
Berengar trat noch ein Stück weiter nach vorne, hin zum Tisch, öffnete den Mund und wies mit einem Finger seiner rechten Hand auf die Stelle, an welcher sich früher einmal seine Zunge befunden hatte.
Dann wies er mit der selben Hand auf de Gaelasse und nickte.
Die entsetzliche Erkenntnis traf de Gaelasse wie ein Keulenschlag. Er hatte diesem Menschen mit höchst eigener Hand die Zunge aus dem Mund gerissen als er, seiner Herrin gleich, nicht reden wollte.
Erneut erklang die leise, Stimme des Grafen, und sie klang kalt wie brüchiges Eis.
„ Zehn Jahre hab ich euch verflucht. Zehn Jahre hab ich euch gesucht, und nun hat euch der Herr in mein Haus geführt. Hätte ich euch heute unter meinem Dach getötet, nachdem wir das Brot der Gastfreundschaft miteinander gebrochen hatten, es hätte mich entehrt und auch mein Weib brächte es mir nicht zurück, das ihr gemeuchelt habt in all eurer Verblendung.“
Dies gesagt, stand der Graf auf und maß sein Gegenüber mit einem kalten Blick.
„Es steht mir nicht zu, über euch zu richten. Mein ist die Rache, spricht der Herr, aber ich bin sicher, seinem Urteil werdet ihr nicht entgehen. Guten Tag, Monseigneur, mögen sich unsere Wege niemals wieder kreuzen.“
Krachend fiel die Türe des Saales hinter dem Grafen ins Schloß und wenig später verließ de Gaelasse in rasender Eile das Schloß de Bethancourt, gejagt von den Teufeln der nächtlichen Offenbarung.
Er würde sie sein Leben lang sehen... die Füße im Feuer, zischend in der Glut...