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Mein Freitag
Da lag ich nun, auf dem kalten Badezimmerboden im Haus meiner Eltern. Mit leeren Augen betrachtete ich die Unterseite des Waschbeckens und fragte mich: wie genau mein Leben an diese Stelle gekommen ist.
25 Jahre alt war ich jetzt, nach 13 Semestern kurz davor meinen Bachelor abzuschließen. Heute Morgen teilte mir mein Gynäkologe mit, dass ich Scheidenpilz hätte. Toll. Als ich das Rezept für die Creme einlösen wollte, funktionierte das Rezept-Lesegerät nicht. Toll. Jetzt durfte ich der Apothekerin erklären welche Art von Creme ich bräuchte und wofür. Umringt von anderen Kundinnen. Das störte mich gar nicht so sehr, schließlich bekommen 75 % der Frauen einmal Scheidenpilz. Jetzt war ich nun eben an der Reihe. Neben mir war eine Mutter mit ihrer jungen Tochter, vielleicht so 6 oder 7 Jahre alt. Sie strahlte die Apothekerin an als sie gefragt wurde, ob sie ein Traubenzucker haben wolle. Zuerst freute ich mich für die Kleine, dann kam mir ein Gedanke. Gefühlt war ich erst gestern dieses Mädchen, voller Unschuld und Freude über einen zukünftigen Zuckerschock. Jetzt aber stand ich hier, während mir die Apothekerin erklärte wie ich die Creme anzuwenden hatte.
Am Abend saß ich mit runter gelassenen Hosen auf der Toilette meiner Eltern und las mir den Beipackzettel durch: "Am besten im Liegen mit der Spritze applizieren". Toll. Also schmiss ich mich auf den Boden. Und da lag ich nun und wartete bis die Creme endlich diesen elenden Juckreiz verschwinden ließ. Nachdem mir die Waschbeckenunterseite auch keine Antwort auf meine existentiellen Fragen geben konnte, hielt ich kurz inne: "Hatte ich eigentlich den Vorhang zugezogen oder war der Blick in das Wohnzimmer des Pfarrers von nebenan frei?"
The End