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Mein Abend mit Doris
Ein Leben ohne Frau ist wie eine Vinylscheibe ohne Plattenspieler – was nutzt die schönste Musik, wenn der Tonabnehmer fehlt, um die Klänge aus den zerkratzten Rillen hervorzuzaubern? Die Platte gammelt in ihrer abgegriffenen Hülle vor sich hin und veraltet.
Nun war ich im Spätsommer des Jahres 2002 mit meinen 35 Jahren gewiß kein zartes Pflänzchen mehr, aber noch einigermaßen in Schuß. Was fehlte, war eine Frau, und das war echt bitter. Hätte die Krankenkasse ein Antragsformular zur Eingliederung in die hormonelle Pflegestufe 3 im Programm gehabt, ich hätte es ausgefüllt und im Feld Eigene Bemerkungen ergänzt:
„Intimhygiene vorzugsweise durch knackige Schwester mit zittrigen Händen.“
Natürlich war dieser Gedanke ungefähr so realistisch wie mein Kindheitswunsch, einmal Captain Future zu begegnen, und daher mußte ich mich irgendwie selbst aus dem Schlamassel befreien.
Dabei hatte ich schon so ziemlich alle denkbaren und undenkbaren Wege ausprobiert. Allenfalls zwei letzte Trampelpfade zum trauten Glück kamen mir damals noch in den Sinn. Da war einmal die Fleischtheke im Supermarkt, dieser ultimative Kontakthof für paarungswillige Singles. Kaum fischt man nämlich die plastikumhüllte Fleischwurst in Eigenhaut aus der Truhe, da schwappt auch schon eine Welle sexueller Energie auf die Umstehenden über und verwandelt das Einkaufsparadies in ein amouröses Tollhaus. Wildfremde Menschen laden sich zum Candle-Light-Dinner ein, stammeln Heiratsanträge und kopulieren hemmungslos vor der Pfeffersalami, im Preis reduziert. So jedenfalls wollen es einem die einschlägigen Fachmagazine wie das Journal für die Frau weismachen, die man hin und wieder mit spitzen Fingern durchblättern muß, um über die Offensivstrategien der Gegenseite auf dem Laufenden zu bleiben. Aber mal ehrlich: Wer glaubt schon einer Zeitschrift, die nicht einmal die aktuelle Bundesligatabelle abdruckt?
Eine zweite, noch verbliebene Möglichkeit war der Besuch ausgewiesener Baggerschuppen. Grundsätzlich sowas von gar nicht mein Ding, hatte ich mich tatsächlich einige Male in eine Duisburger Fummeldisco mit dem bezeichnenden Namen Tüüt-Ei verirrt. Dieses Etablissement hatte es im wahrsten Sinne des Wortes in sich. Konnte man bei normalen Ü30-Single-Parties noch liebevoll vom Resteficken sprechen, so war in dieser kunstnebelgeschwängerten Höhle Sperrmüllstoßen angesagt.
Auf der Tanzfläche flashdanceten und foxtrotteten die einsamen Herzen undefinierbaren Alters, daß ich mir im Geiste vom Weihnachtsmann eine vorgezogene Spontanerblindung wünschte. Begleitet wurde das Gehopse der unheiligen Tausendfaltigkeiten vom enervierenden Singsang des Ruhrpottbarden Wolfgang Petry – ich ergänzte meinen imaginären Wunschzettel:
Hallo, lieber Weihnachtsmann,
mach, daß ich nicht hören kann.
An der Theke schabrackten sonnenbankgebräunte Mädels und präsentierten ihre krokodilsledernen Dekolletes, während die letzten noch lebenden Dauerwellenmänner mit aufgeknöpftem Hemd und schlecht drapiertem Brusthaartoupet um sie herumschwänzelten.
Nein, das war absolut nichts für mich. Kein Material dabei, wie wir es in der goldenen Jugend formuliert hatten.
Ich war damals fast soweit, für die nahe Zukunft alle Hoffnung zu begraben, da zeichnete sich unvermittelt doch noch ein Silberstreif am Horizont ab. Es begann mit einem vielversprechenden Satz.
„Ich hätte da vielleicht ´ne Frau für Sie!“
Frau Schmidt lächelte mich hinter ihrem Schreibtisch an, als könnte sie die Lottozahlen des kommenden Wochenendes orakeln. Na ja, wenn es stimmte, was sie sagte, dann war das durchaus vergleichbar. Lässig nippte ich an meinem Kaffee und ließ mir nichts anmerken.
„Oh... ´ne Frau? Für mich?“
Die Schmidt war Inhaberin einer Partnervermittlung. Ich erstellte für ihr Unternehmen die Buchführung und den Jahresabschluß und war an diesem Tag zu ihr gefahren, um noch einige Fragen zu klären.
„Ja, eine Frau. Könnte passen. Hier, gucken Sie doch mal.“
Sie nahm ein Photo von der Tischplatte und drückte es mir in die Hand.
„Das ist die Doris aus Rheinberg, ´ne ganz Liebe. Blond, sexy Figur, 36 Jahre alt, geschieden, keine Kinder, gebildet, aus gutem Hause, der Vater ist Bankdirektor, und... wie groß sind Sie eigentlich?“
„Einsachtundsiebzig... wenn ich nicht geschrumpelt bin.“
„Paßt hervorragend... die Doris ist...“ Sie lünkerte auf eine Karteikarte. „...einszweiundsiebzig. Na? Wie gefällt sie Ihnen?“
„Och ja, ganz nett.“
Auf dem Tisch lagen noch andere Bilder.
„Wer ist denn diese Dame hier?“ fragte ich und zeigte auf eine Schwarzhaarige in legerer Kleidung, die melancholisch ins Objektiv blickte.
„Nene, die is nix für Sie. Die hat nur Hauptschule.“
„Das ist mir doch egal.“
„Außerdem hat sie zwei Kinder.“
„Aber ich mag Kinder...“
„Neeee... die Doris, die ist was für Sie. Glauben Sie mir, ich hab da jahrelange Erfahrung, wer zu wem passen könnte. Rufen Sie die doch einfach heute abend mal an.“
„Hmmm... na ja, anrufen kann ich ja mal.“
„Eben, Sie haben ja nichts zu verlieren. Und wer weiß...“
Sie zwinkerte mir vernügt zu. Ich blickte noch einmal auf das Photo der Schwarzhaarigen. Schade.
„Ok, Frau Schmidt, dann geben Sie mir mal die Nummer von der Doris.“
Abends fläzte ich mich auf meine Couch, zündete mir eine Fluppe an und betrachtete nachdenklich den Zettel mit der Telefonnummer. Was um alles in der Welt sollte ich denn sagen?
„Du, hör mal, du kennst mich nicht, aber ich hab dich im Katalog von Frau Schmidt gesehen und wollte mal fragen, ob du... ob wir... ich mein... zusammen... du weißt schon... hm?“
Nö, so ging das schon mal gar nicht. Das war weder Bruce Willis noch Robert De Niro, das war Fozzy-Bär. Auf diese Weise würde ich sicher keinen Blumentopf gewinnen. Alle Überlegung half nicht weiter, und so griff ich schließlich gänzlich konzeptionslos zum Hörer und wählte Doris´ Nummer, getreu dem alten Sprüchlein:
Hätt der Hund nicht geschissen, hätt er ´n Hasen gefangen.
Das Freizeichen erklang, kurz darauf nahm mein Hase ab.
„Doris hier, guten Tag.“
„Ähhh... ja, guten Tag, hier ist Rolf. Du kennst mich nicht, aber ich...“
„Ach, der Rolf“, rief sie, als wären wir mal zusammen zur Schule gegangen, „Frau Schmidt hat mich schon vorgewarnt, daß du anrufen würdest. Du, ich steh gerade unter der Dusche. Kannst du in fünf Minuten noch mal anrufen?“
„Ja, logi.“
„Das ist lieb von dir. Bis gleich.“
Es macht klick. Ich rauchte noch eine und rief nach exakt sieben Minuten erneut an.
„Huhu, hier ist die Doris.“
„Ich bin es wieder, der Rolf. Na?! Haste die Duscherei beendet?“
„Ja, ich hab aber noch nichts an.“
„Oh, dann melde ich mich gleich...“
„Nein, nein, kein Problem. Ich wohne so hoch, hier kann keiner durch das Fenster gucken.“
Wir plauderten ein wenig. Ich mußte feststellen, daß sie bereits 39 Lenze zählte, ihre sexy Figur in den vergangenen Jahren etwas an Spannkraft verloren hatte und ihr Vater gar nicht Bankdirektor, sondern pensionierter Polizeibeamter war. Sie wiederum zeigte sich erstaunt, daß ich gar keine 38 war und die von ihr gewünschte Mindestkörpergröße von Einsfünfundachtzig um schlappe sieben Zentimeter unterbot.
Wir einigten uns darauf, daß die von Frau Schmidt offensichtlich falsch übermittelten Parameter kein Hindernis für uns sein sollten.
Die Unterhaltung verlief zunächst normal und nett, mündete schließlich in ihr gehauchtes „Du hast eine Wahnsinnsstimme“, das ich mit einem neckischen „Du klingst aber auch echt gut“ parierte, und strebte dann auf einen Höhepunkt zu, den ich in dieser Form niemals erwartet hätte.
Im Verlaufe unserer noch jungen Konversation hatte sie mir nämlich bereits dreimal aufs Butterbrot geschmiert, daß sie splitterfasernackt mit mir telefonierte. Meine gutgemeinten Ratschläge, sie solle sich doch etwas überziehen, waren wirkungslos verpufft.
Als wir dann schließlich übereinkamen, uns in den nächsten Tagen in meiner Wohnung zu treffen, mußte sie zwecks Terminabgleich in die Küche zu ihrem Wandkalender.
„Ich nehm dich mal schnell mit“, scherzte sie wenig innovativ und schritt hörbar durch ihre Bude. „Hach, wenn mich jetzt jemand sehen würde, so ganz nackt, wie ich bin. Gut, daß ich so hoch wohne.“
Oh Mann, wie oft wollte sie mir das denn noch sagen? Hatte ich etwa eine 0190-Nummer gewählt?
Ich verkniff mir eine weitere Anregung zur Bedeckung ihrer Blöße und einigte mich stattdessen mit ihr auf den kommenden Dienstagabend. Kaum war das abgemacht, huschte sie ins Wohnzimmer zurück und fragte mich über meine Hobbies aus. Als ich ihr dabei von meinen bescheidenen Fertigkeiten auf dem Keyboard erzählte, unterbrach sie mich:
„Aber das ist ja ganz phantastisch. Dann können wir ja mal ein Duett spielen. Ich kann nämlich Klavier.“
„Wie, ohne Scheiß jetzt? Selbst beigebracht?“
„Nein, natürlich nicht. Jahrelanger Unterricht. Ich habe sogar ein E-Piano hier stehen. Soll ich dir mal was vorspielen?“
„Na klar!“ sagte ich, ohne nachzudenken.
„Dann wart mal kurz“.
Irgendetwas tat sich bei ihr. Es klang wie ein vom Gerichtsvollzieher angeführtes Räumkommando, das meiner lieben Doris die Bude auseinanderrupfte, und schon wollte sich ein Gefühl der Besorgnis einstellen, als ich ihre keuchende Stimme vernahm.
„So... ich mußte das Teil erst einmal zurechtrücken. Augenblick noch.“
Es klapperte und raschelte. Dann war sie wieder am Hörer.
„Uuuhuuhuuu“, machte sie unvermittelt.
„Was ist denn los?“ fragte ich ob dieser seltsamen Laute.
„Ich bin ganz nackt am Piano“, kiekste sie, „und der Sitz ist so kalt an meinem Popo. Soll ich dir jetzt was vorspielen?“
„Ich bitte darum.“
Sie legte den Hörer zu Seite. Einige Sekunden vergingen, in denen ich über die brisanten Informationen nachdachte. Leider wollte sich das erotische Bild einer Pianistin im Evakostüm partout nicht einstellen, stattdessen visualisierte mein Gehirn eine pummelige Enddreißigerin mit beginnendem Gefrierbrand am Arsch.
Und dann ging es los.
Düdüdüdüdüdüdü düdüdüdü düdüdü düdüdü...
Ach du Scheiße, das war ja For Elise.
Düdüdüdüdüdüdü düdüdüdü düdüdü düdüdüdü...
Doris spielte fünf Minuten. In dieser Zeit rauchte ich eine Zigarette, setzte einen Kaffee auf und puhlte mir mit Q-Tips in den Ohren herum. Konsequentes Zeitmanagement nennt man das wohl.
Am Dienstagabend kam sie dann zu mir. Ich öffnete die Tür, und ehe ich noch wußte, wie mir geschah, umarmte sie mich auch schon und rubbelte mir so intensiv über den Rücken, als quälte mich ein unerträglicher Juckreiz.
„Hallo, Rolf, schön, dich zu sehen.“
„Hallo, Doris. Ich freu mich auch.“
Sekundenlang standen wir doof im Flur herum.
„Soll ich dir mal die Wohnung zeigen?“ unterbrach ich das Schweigen.
„Klar.“
Da ich die letzten drei Abende wie ein Bekloppter gebügelt, gesaugt und geschrubbt hatte, konnte ich ihr die einzelnen Räume ruhigen Gewissens präsentieren. Nach der Tour setzten wir uns ins Wohnzimmer, sie auf die Couch, ich in den Sessel.
„Guck mal, was ich uns mitgebracht habe“, strahlte sie und zückte eine Flasche Sekt aus einem Stoffbeutel. „Den trinken wir gleich, das enthemmt.“
Ich nahm den Bölkstoff entgegen und setzte eine Pokermiene auf. Unabhängig davon, wie sich die Sache zwischen uns beiden Schnuckelchen entwickeln würde, meinen Wunsch nach Romantik konnte ich wohl auch bei dieser Frau in die Tonne kloppen. Doris hielt scheinbar Ausschau nach dem Turnvater Jahn des Matratzensportes, und der wollte ich zumindest in der ersten Übungsstunde ganz sicher nicht sein. Wahrscheinlich ist das der entscheidende Unterschied zwischen Bruce Willis und Fozzy-Bär.
„Na gut“, sagte ich, „ein Glas trinke ich mit. Mehr vertrag ich nicht.“
Herrgott, wenn sie doch einen Kasten Bitburger oder KöPi angeschleppt hätte – dann wäre ich zwar immer noch nicht mit ihr in die Kiste gestiegen, aber wir hätten wenigstens ordentlich Hoch die Tassen machen können. Dagegen stand Sekt bei mir auf der gleichen Geschmacksstufe wie der abscheuliche Brottrunk, den ich früher wegen meiner Jugendakne hatte trinken müssen.
Der Not gehorchend griff ich nach zwei Sektflöten und goß die perlende Brühe hinein. Wir prosteten uns zu, und während Abbas Greatest Hits unser Stelldichein musikalisch untermalten, erfuhr ich in der folgenden Stunde so ziemlich alles über Doris´ Ex-Mann und wie ach so gut sie sich doch noch mit ihm verstand.
Hin und wieder gelang es mir, ihren konstanten Redefluß durch sympathiebekundende Randnotizen wie „Is ja ´n Ding!“ oder „Ne, sag bloß!“ aufzupeppen. Ansonsten begnügte ich mich damit, an der Flöte zu nippen und bedächtig in meinem Kugelgelenksessel hin und her zu schwingen, sorgsam darauf bedacht, durch einen unschuldigen Gesichtsausdruck unmißverständlich klarzustellen, daß das bärenhafte Brummen unter meinem Allerwertesten vom mangelhaft geschmierten Polstermöbel kam und nicht etwa Ausdruck unzureichend getarnter Blähungen war.
Um ehrlich zu sein: die Puppe ging mir langsam auf den Keks.
Die Biographie ihres Verflossenen war kaum erzählt, da drohte auch schon neues Ungemach. Doris entdeckte meine Bücherregale. Sie tapperte hin und las mir vor, was ich schon seit Jahren wußte.
„Du hast aber viele Bücher, du. Karl May – Stephen King – Bram Stoker – Philipp K. Dick – Thomas Harris – Lovecraft – Poe – Bret Easton Ellis...“
„Ja, genau, das sind meine Bücher“, bestätigte ich unsinnigerweise und gesellte mich zu ihr. Ich bekämpfte den Drang, American Psycho aufzuschlagen und Doris vorzulesen, welch üble Dinge man mit Frauen im Schlafzimmer anstellen konnte – rein prophylaktisch, versteht sich.
Plötzlich sah ich aus den Augenwinkeln, wie sie sich mir mit einer gleitenden Seitwärtsfußbewegung näherte, die in vollendeter Perfektion dem entsprach, was Bruce Lee in seinem Jeet-Kune-Do-Grundtechniken-Buch als Shuffle bezeichnete.
Ich besann mich auf meine sportive Natur, shuffelte ebenfalls zur Seite und hielt die Distanz. Dabei fiel mir ein thematisch höchst bedenkliches Buch ins Auge: der Soft-Porno-Sammelband Und mein Verlangen ist grenzenlos.
Schnell stellte ich mich mit dem Rücken davor und deutete galant auf Couch und Sessel.
„Setzen wir uns doch wieder.“
Kaum hockten wir auf unseren Plätzen, lenkte sie das Gespräch auf ein Thema, vor dem ich aufgrund jahrelanger Erfahrungen eine fast schon hündische Angst hatte.
„Findest du mich eigentlich zu dick?“
Gut, daß ich kurz zuvor noch auf der Toilette gewesen war, sonst hätte sich in diesem Moment meine Blase unkontrolliert entleert. Egal, was man auf diese Frage auch antwortet, es ist falsch – es ist immer falsch!
„Quatsch, du bist doch nicht dick.“
„Ach komm, das sagst du doch jetzt nur so.“
„Nein, echt nicht.“
„Du willst doch wohl nicht behaupten, daß ich schlank bin.“
„Hmmm... also, ich würde sagen, du hast eine frauliche Figur.“
„Also doch zu dick!“
Herrjeh, war ja klar, daß das kommen mußte.
„Nein, ganz und gar nicht. Du bist halt nicht so mager wie die Models, aber das ist doch auch gut so.“
„Findest du?“
Ja, das fand ich tatsächlich. Aber natürlich gab sich Doris mit meiner Aussage nicht zufrieden.
„Mich stören aber meine Fettpölsterchen an den Hüften.“
„Hmmm...“
„Was heißt hier hmmm? Warum sagst du denn nichts?“
Himmel, Arsch und Zwirn. Die Frau hatte echt Nerven. Was hatte ich mit ihren blöden Fettpölsterchen zu schaffen? Mal ganz abgesehen davon, daß ich besagte Problemzone aufgrund ihres weiten Pullovers mit V-Ausschnitt gar nicht richtig erkennen konnte.
„Was soll ich denn sagen?“ fragte ich unwirsch.
„Ich wollte nur deine Meinung hören. Weißt du, eigentlich bin ich ja gar nicht so dick.“
Mir war danach, ihr ein erbostes „Bist du noch ganz bei Trost?“ an den Kopf zu werfen, doch beließ ich es bei einem zustimmenden:
„Ja, sag ich doch die ganze Zeit.“
„Das sieht nur so aus, weil ich soviel Holz vor der Hütte habe“, fuhr sie unbekümmert fort und umfaßte mit den Händen ihre Brüste. „Da wirkt meine Figur viel kompakter als sie tatsächlich ist.“
Doris schaukelte in aller Seelenruhe ihre Möpse hin und her. Ich mußte für einen Moment an die freundliche Melonenverkäuferin auf dem Wochenmarkt denken.
„Ähm... ja“, war alles was mir spontan einfiel.
„Wie, ja?“
„Ach, nur so. Erzähl weiter.“
Im Stillen fragte ich mich, was geschehen wäre, wenn ich mir einfach vor ihren Augen in den Schritt gefaßt und meinen kleinen Freund liebevoll geknufft hätte. Wahrscheinlich wäre es dann so abgelaufen:
Sie: „Sag mal, was machst du denn da?“
Ich: „Ach, weißt du, ich hab so ein schweres Gehänge, das zieht in der Mitte mächtig runter und drückt die Beine nach außen. Davon habe ich schlimme O-Beine bekommen.“
Sie: „Und deswegen mußt du vor meinen Augen an dir rumspielen?“
Ich: „Wollte es ja nur mal demonstrieren.“
Sie: „Ihr Männer seid doch alle gleich.“
Dann hätte sie mir wahrscheinlich eine gescheuert, irgendwas von „schwanzgesteuertem Machoschwein“ geschimpft und wäre auf Nimmerwiedersehen aus der Wohnung gestürmt.
Da sie es jedoch war, die sich ungeniert an die Weichteile griff, konnte ich nicht viel sagen. Was denn auch? „Nimm sofort die Hände da weg, mir wird übel, wenn sich Frauen an ihre Brüste greifen“?
Das hätte man ja nicht einmal Fozzy-Bär geglaubt.
Da ich nicht länger Lust hatte, einer weiteren Steigerung des bizarren Treibens zu harren, beendete ich den Abend langsam, aber sicher, indem ich eine sektbedingte Haltungsschwäche vortäuschte.
Sie war auch gleich ganz besorgt, legte aber ein lobenswertes Verständnis an den Tag und ließ sich von mir widerstandslos zur Tür geleiten.
„Wir telefonieren?“ fragte sie und drückte mich.
„Ja, ich ruf dich an“, nuschelte ich in ihren Haarschopf.
Dann war sie weg.
Am nächsten Abend rief ich sie an und ordnete die Verhältnisse.
„Ok, hör gut zu, Schnecke, das mit uns, das wird nichts. Du bist mir viel zu abgedreht. Und außerdem gehen mir Frauen tierisch auf den Sack, die dauernd von ihren Verflossenen schwärmen. Leb wohl.“
Das war es, was ich dachte. Ich brachte es allerdings nicht ungeschminkt über die Lippen, und so kam das lehrbuchmäßige:
„Hör zu, Doris, es war wirklich sehr nett gestern abend. Aber ich glaube... also, ich meine... na ja... ich denke, wir passen nicht so ganz zusammen. Ich wünsche dir auf jeden Fall noch viel Glück.“
Als sie aufgelegt hatte, atmete ich auf. Dann zog ich mir ein Trägershirt über, stöpselte mein Keyboard ein, klimperte stundenlang Somebody von Depeche Mode und dachte an eine schwarzhaarige Hauptschulabsolventin mit zwei Kindern.