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Mehr Schnee oder was?
Eigentlich will ich nur zum Edeka. Ich bin fremd in diesem Dorf im idyllischen Schwarzwald. Also stapfe ich durch den Schnee. Schnee ohne Ende. Sie kommen hier mit Baggern und laden das weiße Zeug auf Hänger. Hab sowas noch nie gesehen, komme ja aus sonnigeren Gefilden. Aber wohin damit? Ganz klar, es wird auf riesige Kühlhänger geladen und dann in wärmeren Gegenden wieder auf die Straßen gekippt. Schließlich muss der Winterdienst auch dort was zu tun haben.
Als ich so in Gedanken versunken mir den Weg durch die meterhohen Eismassen bahne, fällt mein Blick auf einen unscheinbaren Laden. Dort steht: „Geschenkideen und mehr“. Verdutzt bleibe ich stehen. Ich überquere die Straße und öffne die Tür. Ein Hauch von Magie durchflutet den Raum und der Duft von tausend und einer Nacht weht mir vom Duftkissenregal entgegen. Mit geöffnetem Mund entdecke ich Artikel um Artikel, von Batiktüchern über Eierbecher zu solchen angemalten Holzlokomotiven, für Kinder von anspruchsvollen Eltern. Lauter Zeugs, das kein Mensch wirklich braucht. Aber ich interessiere mich ja auch nicht dafür. Am Tresen steht ein in Wolle gepackter Mittdreißiger mit Bart.
„Hollöchen, wie kann ich dir helfen?“
„Ja äh, ich hätte gern mehr.“
„Mehr von was?“
„Einfach mehr!“
„Du willst mehr?“
„Steht doch an deinem Fenster…“
„Also gut, folge mir unauffällig!“
Wir gehen durch eine Tür hinter der Theke, die mit Holzketten verhangen ist. In dem Raum ist es düster und stickig. Wir nehmen Platz an einem Schreibtisch in der Ecke. Ein Wackelkopf-Yoda grinst mich an.
„Also, wieviel brauchst du?“
„Na ja, ich denke so an richtig viel.“
„Richtig viel mehr, Ok!“ Er notiert es sich. „Von was?“
„Kopfschmerzen und Schulden hab ich genug. Auch unnötige Gedanken und schlechte Laune. Ich dachte eher an so was wie Lust und Liebe? Zufriedenheit. In Frieden leben. Ein bisschen mehr Kohle und dann pack noch ne Kelle Leben drauf!“
Er rechnet und rechnet. Der Bleistift glüht. Macht mich irgendwie nervös, denn ich denke mir, es wird mit jedem Komma teurer für mich werden. Dann legt er den Stift hin, reißt den Zettel vom Block und schaut mich mit erhobenen Brauen an.
„Das mit der Kohle wird richtig teuer, das kann ich dir gleich sagen.“
„Streichen!“
„Dann macht’s Dreifuchzig. Brauchst du ne Tüte?“
„Yo!“
Ich gebe ihm das Geld und er packt alles ein. Wir reden noch über den Schnee und verabschieden uns.
Als ich den Laden verlasse, hält so ein Minischneepflug für Gehsteige auf mich zu. Ich versuche auszuweichen aber er gibt Gas! Im letzten Moment kann ich auf die Straße hechten. Leider hat es die Tüte nicht geschafft. Ich sehe zu, wie der Inhalt vom Fahrzeug zermalmt wird. Ich drohe dem Fahrer noch mit der Faust, aber es nützt nichts, die Dreifuchzig hätte ich mir sparen können! Beleidigt und fluchend mach ich mich weiter auf den Weg zum Edeka. Ja, und Kopfschmerzen hab ich jetzt auch.