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Mehr als Mondlicht
Richard starrte angewidert auf das zusammengerollte Bündel, das die andere Hälfte des Bettes belegte. Der Brustkorb hob und senkte sich in regelmäßigen Abständen. Das Geräusch, das dabei entstand, erinnerte ihn entfernt an einen Rasenmäher. Richard hatte Rasenmäher noch nie leiden können. Sie erinnerten ihn an seine schlafende Frau.
Alles hatte man versucht, Medikamente, Akupunktur, Operationen – sie hatten ihr die Nasenwand durchbohrt -und zuletzt hatte sie sich dicke Wattebausche in die Nasenlöcher gestopft. Nichts von alldem hatte etwas bewirkt. Zum Schluss hatte sie ihm verzweifelt angeboten, in ein anderes Zimmer umzusiedeln, aber Richard hatte abgelehnt, er wollte ja kein Unmensch sein.
Wenn er jetzt nachts wach lag, konnte er die damalige Großzügigkeit beim besten Willen nicht mehr nachvollziehn. Es war schrecklich. Zum Glück hatte sie sich die Decke über den Kopf gezogen, so blieb ihm wenigstens ihr Anblick erspart. Er hatte sie für ihre Haut geliebt. Hatte ihren Hals gestreichelt, mit den Lippen geliebkost und gesagt: wie ein Rosenblatt. Nun war davon nichts übrig, er vermied jede Berührung mit ihrer Haut. Über die Jahre war sie ausgetrocknet, ledern geworden. Wie eine Schutzhülle, gegen die Welt, das Alter oder sogar gegen ihn.
Er hob die Decke von seinen Beinen und schlüpfte vorsichtig aus dem Bett und hinein in seine Hausschlappen. Das Fenster war einen Spalt geöffnet und die Gardinen daneben bewegten sich leicht im Wind. Richard wandte sich um und betrachtete seine schlafende Frau. Vielleicht würde er am Mittag einige Stunden Ruhe finden. Jawohl, genau das würde er tun. Er grunzte triumphierend. Gleich darauf schlurfte er zu dem kleinen Hocker in der Ecke und hob seinen Mantel auf. Er trat hinaus auf den Flur und zog die Tür hinter sich zu. Aufatmen.
Es war nicht so, dass er sie nicht liebte. Aber mit jeder Nacht fiel es ihm schwerer. Der Tag verwischt die Konturen, kaschiert und rückt ins rechte Licht. War der Tag schlecht, gingen sie sich aus dem Weg. Aus schlechten Nächten gab es keinen Ausweg.
Das Mondlicht verwob sich zu einem Teppich auf den Fliesen. Richard überlegte einen Moment, ob er sich später noch einmal hinlegen wolle, drehte dann aber ab und ging in die Küche, um Kaffee aufzusetzen. Er schaltete das Radio ein und tanzte tassenschwingend zwischen Küchenbrettern und Herdplatten umher. Im Hintergrund blubberte das Wasser im Wasserkocher.
Einer dieser Augenblicke: Seine Frau zwei Wände weiter und außerhalb seiner Gedanken, die Liebe galt den wärmenden Pantoffeln und der Blick aus dem Fenster gab ihm das Gefühl einer greifbaren Freiheit.
Das Klicken des Wasserkochers beschloss und konservierte den Augenblick. Richard schüttete das Kaffeepulver in die Tasse mit dem heißen Wasser und beobachtete, wie sich alles mischte. Er genoss den Moment, in dem der heiße Wasserdampf aufstieg und sein Gesicht mit den feinen Tröpfchen befeuchtete.
Im Wohnzimmer drehte er die Heizung auf. Er ging zu seinem Sessel und strich über das Leder. Auf der Sitzfläche war es schon ein wenig abgewetzt und schlaff, aber dadurch wurde ihm das Möbelstück nur noch lieber. Er nahm es als ein Zeichen der Treue. Die Scheinwerfer eines vorbeifahrenden Autos ließen kleine helle Flecken über die Wände wandern. Richard ließ sich seufzend in den Sessel gleiten.
Als das Zimmer wärmer zu werden begann, erhob er sich und ging zum Fenster. Mit einer Handbewegung schob er die Vorhänge beiseite, um das Fenster im nächsten Augenblick weit aufzustoßen. Der Wind blies ihm kühl ins Gesicht. Mit der Luft kamen eine ganze Menge der weißlichen Blüten hereingeweht, die bisher auf dem Fensterbrett gelegen hatten und von den Ästen der Kirsche im Garten stammten.
Als das Zimmer nach seinem Befinden genügend abgekühlt war, schloss er die beiden Fensterflügel und wandte sich um. Unter dem Gewicht ächzend rückte er den Sessel an die Heizung. Jetzt wieder einer dieser Augenblicke: Noch vor Kälte zitternd streifte er die Schuhe ab und legte die Füße auf die glühenden Röhren. Sofort durchflutete ihn die Wärme, es begann mit einem zärtlichen Kitzeln in den Fußspitzen, floss dann über die Beine in den Bauch und breitete sich zuletzt auf seinem Gesicht in einem zufriedenen Lächeln aus.
Als er die Arme gähnend von sich streckte, stieß er die Kaffeetasse von der Lehne. Sie flog einen halben Meter durch die Luft und zerschellte an der Wand. Das Lächeln verschwand von seinem Gesicht, als er aufstand, um den Schaden näher zu besehen. Der Kaffee tropfte von der Tapete, lief in schmalen Rinnsalen an der Wand hinunter und versickerte schlussendlich im Perserteppich.
Richard ging auf die Knie und fuhr mit dem Zipfel seines Mantels über den Teppich. Doch bald sah er ein, dass es so nichts brachte, zog den Mantel aus und breitete ihn über die feuchten Stellen. Er rieb und schrubbte bis er keuchte und sein Atem schneller ging, auf seiner Stirn stand schon der Schweiß.
Als er den Kopf hob, um eine Weile zu verschnaufen, bemerkte er seine Frau. Sie stand im Nachthemd auf der Türschwelle und blickte fragend zu ihm hin. Er hörte auf zu wischen und schaute ebenso ratlos zu ihr auf. Das Haar hing ihr lose über die Schulter und glänzte schwach im Mondlicht. Richard hatte sie noch nie so blass gesehn. Vielleicht das Mondlicht. Aber nein, das hier war was anderes. Mehr als Mondlicht.
Er wollte etwas sagen, brachte aber kein Wort heraus und starrte weiter schweigend auf die Frau in der Tür. Sie warf einen Blick auf den großen Kaffeeflecken an der Wand, Richard blickte errötend zu Boden. Dann sah sie ihn mit traurigen Augen an, die ihn in ihrer Blässe an zwei Monde denken ließen. Leise sagte sie: „Ich bin aufgewacht.“
„Ich auch“, flüsterte Richard.