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Mehr als Mondlicht

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15.02.2003
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Mehr als Mondlicht

Richard starrte angewidert auf das zusammengerollte Bündel, das die andere Hälfte des Bettes belegte. Der Brustkorb hob und senkte sich in regelmäßigen Abständen. Das Geräusch, das dabei entstand, erinnerte ihn entfernt an einen Rasenmäher. Richard hatte Rasenmäher noch nie leiden können. Sie erinnerten ihn an seine schlafende Frau.

Alles hatte man versucht, Medikamente, Akupunktur, Operationen – sie hatten ihr die Nasenwand durchbohrt -und zuletzt hatte sie sich dicke Wattebausche in die Nasenlöcher gestopft. Nichts von alldem hatte etwas bewirkt. Zum Schluss hatte sie ihm verzweifelt angeboten, in ein anderes Zimmer umzusiedeln, aber Richard hatte abgelehnt, er wollte ja kein Unmensch sein.

Wenn er jetzt nachts wach lag, konnte er die damalige Großzügigkeit beim besten Willen nicht mehr nachvollziehn. Es war schrecklich. Zum Glück hatte sie sich die Decke über den Kopf gezogen, so blieb ihm wenigstens ihr Anblick erspart. Er hatte sie für ihre Haut geliebt. Hatte ihren Hals gestreichelt, mit den Lippen geliebkost und gesagt: wie ein Rosenblatt. Nun war davon nichts übrig, er vermied jede Berührung mit ihrer Haut. Über die Jahre war sie ausgetrocknet, ledern geworden. Wie eine Schutzhülle, gegen die Welt, das Alter oder sogar gegen ihn.

Er hob die Decke von seinen Beinen und schlüpfte vorsichtig aus dem Bett und hinein in seine Hausschlappen. Das Fenster war einen Spalt geöffnet und die Gardinen daneben bewegten sich leicht im Wind. Richard wandte sich um und betrachtete seine schlafende Frau. Vielleicht würde er am Mittag einige Stunden Ruhe finden. Jawohl, genau das würde er tun. Er grunzte triumphierend. Gleich darauf schlurfte er zu dem kleinen Hocker in der Ecke und hob seinen Mantel auf. Er trat hinaus auf den Flur und zog die Tür hinter sich zu. Aufatmen.

Es war nicht so, dass er sie nicht liebte. Aber mit jeder Nacht fiel es ihm schwerer. Der Tag verwischt die Konturen, kaschiert und rückt ins rechte Licht. War der Tag schlecht, gingen sie sich aus dem Weg. Aus schlechten Nächten gab es keinen Ausweg.

Das Mondlicht verwob sich zu einem Teppich auf den Fliesen. Richard überlegte einen Moment, ob er sich später noch einmal hinlegen wolle, drehte dann aber ab und ging in die Küche, um Kaffee aufzusetzen. Er schaltete das Radio ein und tanzte tassenschwingend zwischen Küchenbrettern und Herdplatten umher. Im Hintergrund blubberte das Wasser im Wasserkocher.
Einer dieser Augenblicke: Seine Frau zwei Wände weiter und außerhalb seiner Gedanken, die Liebe galt den wärmenden Pantoffeln und der Blick aus dem Fenster gab ihm das Gefühl einer greifbaren Freiheit.

Das Klicken des Wasserkochers beschloss und konservierte den Augenblick. Richard schüttete das Kaffeepulver in die Tasse mit dem heißen Wasser und beobachtete, wie sich alles mischte. Er genoss den Moment, in dem der heiße Wasserdampf aufstieg und sein Gesicht mit den feinen Tröpfchen befeuchtete.

Im Wohnzimmer drehte er die Heizung auf. Er ging zu seinem Sessel und strich über das Leder. Auf der Sitzfläche war es schon ein wenig abgewetzt und schlaff, aber dadurch wurde ihm das Möbelstück nur noch lieber. Er nahm es als ein Zeichen der Treue. Die Scheinwerfer eines vorbeifahrenden Autos ließen kleine helle Flecken über die Wände wandern. Richard ließ sich seufzend in den Sessel gleiten.

Als das Zimmer wärmer zu werden begann, erhob er sich und ging zum Fenster. Mit einer Handbewegung schob er die Vorhänge beiseite, um das Fenster im nächsten Augenblick weit aufzustoßen. Der Wind blies ihm kühl ins Gesicht. Mit der Luft kamen eine ganze Menge der weißlichen Blüten hereingeweht, die bisher auf dem Fensterbrett gelegen hatten und von den Ästen der Kirsche im Garten stammten.

Als das Zimmer nach seinem Befinden genügend abgekühlt war, schloss er die beiden Fensterflügel und wandte sich um. Unter dem Gewicht ächzend rückte er den Sessel an die Heizung. Jetzt wieder einer dieser Augenblicke: Noch vor Kälte zitternd streifte er die Schuhe ab und legte die Füße auf die glühenden Röhren. Sofort durchflutete ihn die Wärme, es begann mit einem zärtlichen Kitzeln in den Fußspitzen, floss dann über die Beine in den Bauch und breitete sich zuletzt auf seinem Gesicht in einem zufriedenen Lächeln aus.

Als er die Arme gähnend von sich streckte, stieß er die Kaffeetasse von der Lehne. Sie flog einen halben Meter durch die Luft und zerschellte an der Wand. Das Lächeln verschwand von seinem Gesicht, als er aufstand, um den Schaden näher zu besehen. Der Kaffee tropfte von der Tapete, lief in schmalen Rinnsalen an der Wand hinunter und versickerte schlussendlich im Perserteppich.

Richard ging auf die Knie und fuhr mit dem Zipfel seines Mantels über den Teppich. Doch bald sah er ein, dass es so nichts brachte, zog den Mantel aus und breitete ihn über die feuchten Stellen. Er rieb und schrubbte bis er keuchte und sein Atem schneller ging, auf seiner Stirn stand schon der Schweiß.

Als er den Kopf hob, um eine Weile zu verschnaufen, bemerkte er seine Frau. Sie stand im Nachthemd auf der Türschwelle und blickte fragend zu ihm hin. Er hörte auf zu wischen und schaute ebenso ratlos zu ihr auf. Das Haar hing ihr lose über die Schulter und glänzte schwach im Mondlicht. Richard hatte sie noch nie so blass gesehn. Vielleicht das Mondlicht. Aber nein, das hier war was anderes. Mehr als Mondlicht.

Er wollte etwas sagen, brachte aber kein Wort heraus und starrte weiter schweigend auf die Frau in der Tür. Sie warf einen Blick auf den großen Kaffeeflecken an der Wand, Richard blickte errötend zu Boden. Dann sah sie ihn mit traurigen Augen an, die ihn in ihrer Blässe an zwei Monde denken ließen. Leise sagte sie: „Ich bin aufgewacht.“
„Ich auch“, flüsterte Richard.

 

Hallo Wolkenkind
Puh, ich fand deine Geschichte ziemlich traurig. wie sich die Gefühle des Mannes für seine Frau verändern, wie sich seine Liebe in Hass verwandelt...hinterlässt schon einen bitteren Nachgeschmack. Gerade den Anfang fand ich sehr erschütternd. Nach dem ersten Satz hab ich gedacht es geht um ein Tier.
Die Geschichte hat mich zum Nachdenken gebracht.

Gruß, drea

 

Hallo wolkenkind!
Ich finde deine Geschichte gut, aber traurig. Richard scheint sich ja mehr als entfremdet von seiner Frau zu haben... aber gibt es am Ende nicht einen Hoffnungsschimmer? Im Mondlicht sieht Richard seine Frau schließlich - wohl zum ersten Mal nach langer Zeit - wieder als Mensch, stellt fest, dass nicht nur er, sondern auch sie unter der momentanen Situation leidet. Für mich klingt das wie der erste Schritt zu einem Neuanfang - ob zur erneuten Liebe oder zur Trennung, ist dabei egal. Den Schluss sehe ich so, dass diese Nacht, dieser Augenblick etwas für die beiden verändert. Trifft das in etwa die Aussage, die hinter der Geschichte steckt? Oder betonst du mehr den Aspekt der Entfremdung?

Der Stil ist flüssig zu lesen, fehlerlos und sehr klar, ohne umständliche Satzkonstruktionen.
Zwei Anmerkungen habe ich aber:

Alles hatte man versucht, Medikamente, Akupunktur, Operationen
Akkupunktur

Mit der Luft kamen eine ganze Menge der weißlichen Blüten hereingeweht
"Menge" klingt ziemlich umgangssprachlich. Ich würde es durch "Fülle" oder einen poetischeren Ausdruck ersetzen.

Insgesamt eine tolle Geschichte. Weiter so!

 

Servus Wolkenkind!

Es ist seltsam wie unterschiedlich deine Geschichten manchmal aufgenommen werden. Es ist sehr selten, dass jemand mit seiner Art zu schreiben viele Seiten beim Leser anzusprechen versteht. Das zeugt von hoher Qualität.

Auf mich hat die Geschichte letztendlich nicht traurig, sondern ernüchternd gewirkt. Dadurch, und vor allem durch die abschließenden Bemerkungen des Aufwachens, birgt sie unendlich viel Möglichkeiten des Neubeginns, des Abschließen könnens und wirkt durch diesen Prozess des Herauslösens sehr positiv.

Wie auch immer hast du mich einmal mehr beeindruckt und ich freue mich schon auf das was noch kommt.

Lieben Gruß an dich - Eva

 

Hallo Wolkenkind!

Das Geräusch, das dabei entstand, erinnerte ihn entfernt an einen Rasenmäher. Richard hatte Rasenmäher noch nie leiden können. Sie erinnerten ihn an seine schlafende Frau
boah, der Umkehrschluss ist gemein. Oropax.

tolle Geschichte. Zuerst Liebe, dann Abneigung, immer stärker und dann eine gewisse Bestürzung und Trauer durch Erkenntnis? Der Schluss deutet Veränderungen an, in welche Richtung sie auch gehen...
Sehr gut geschrieben, angenehm zu lesen.Ein ruhiger, fleißender Text.

"Das Mondlicht verwob sich zu einem Teppich auf den Fliesen." - eine wunderschöne Formulierung.

"Der Wind bließ ihm kühl ins Gesicht" - blies.

ja, auch ich bin gespannt, was von Dir noch alles kommt :)

schöne Grüße
Anne

 

Hi Wolkenkind!
Deine Geschichte ist so traurig. Du hast es wahnsinnig gut geschrieben, es gefällt mir. Und zum Glück gibt es am Schluss - so jedenfalls glaube ich - einen Hoffnungsschimmer.

wundervoll!

Liebe Grüsse,
Marana

 

Hallo!

@drea
Nach dem ersten Satz hab ich gedacht es geht um ein Tier :eek:

@xkaxre
Wenn man Akupunktur in Google eingibt, kommt ne ganze Menge offizielles Zeugs

Danke für deinen Vorschlag, aber ich glaube, dass die Poesie erst hinter den Wörtern anfängt...

Schön, dass der Schluss die Wende deutlich macht. Ich wollte keine traurige Geschichte schreiben, vielleicht eine verzweifelte, die sich aber wehrt.

@Eva
Dein Lob freut mich besonders, man siehts zwar nicht, aber ich hab mich von deiner Orangegeschichte inspirieren lassen. Nur wollte ich eine dunkelblaue Geschichte schreiben, auch wenn das doof klingt :)

Ich bin auch gespannt, was von mir noch kommt. So langsam krieg ich die Haarnadelkurve in die Realität

Maus und Marana auch vielen Dank für euer Lob, das motiviert.

Liebe Grüße
wolkenkind

 

hi wolkenkind,

das ist natürlich etwas "doof". das erste, was ich von dir gelesen habe, war "regenzeiten", was ich persönlich für ein meisterwerk halte. so eine bewertung setzt natürlich meine erwartung in den autoren sehr hoch.
mit dieser hohen erwartung enttäuscht mich deine geschichte natürlich *seufz*. das bedeutet nicht, dass deine geschichte nicht gut ist - sie ist gut - aber eben nicht so gut wie "regenzeiten".

auch diese geschichte habe ich nun zwei mal gelesen.
richards liebe zu seiner frau ist verflogen. sie ging mit dem verwelken. er hatte sie für ihren körper geliebt, doch beide sind alt geworden. die zeit konnte er nicht anhalten, nicht die zeit und nicht seine empfindungen. so versucht er, sich selbst mit kleinigkeiten empfindungen zu geben.
richard kommt, wie von dir beabsichtigt, widerwärtig hier an. obwohl ganz menschlich.
in deiner geschichte sehe ich puren fatalismus.
vom erzählstil - ich muss sagen, du hast ein talent zu schreiben. der inhalt hingegen ist weniger aufregend und schon ziemlich abgegriffen.
das ende, und ich hoffe, dass ich nichts überlesen habe, ist etas unverständlich. ich sehe keinen grund für die blässe seiner frau. ich weiss nicht, wieso sie traurig ist. für die frau dürfte sich die situation so erklären, dass der mann schlaflos sich eine tasse kaffee gekocht hat. nicht wirklich traurig stimmend, oder? und der kaffeefleck an der wand ist doch auch nicht so tragisch. was also macht sie traurig?
also - das ende hat wohl noch erklärungsbedarf *smile*.

bis dann

barde

 

Ein schöner Text, wolkenkind,

für mich nicht mit einem traurigen Ende, sondern mit einem Umdenken bei Richard. Vielleicht zeigt ihm die Blässe seiner Frau, die nicht nur vom Mondlicht stammt, wieder die Liebe, die er zu ihr hat.
Ich denke mir den Schluß als solchen, weil ich ihn mir so wünsche, grins....
Insgesamt ist dein Text gelungen, jedoch nicht dein bester.

Liebe Grüße - Aqua

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Barde

Danke für deine ausführliche Kritik.
Dass du den Erzählstil gelungen findest, ist mir bei der Geschichte besonders viel wert.
Natürlich ist er ernüchternd und ohne die verspielten Metaphern von Regenzeiten. Aber diese Naivität würde dich auf Dauer auch nerven, denke ich ;) (Wenn du verspielte Geschichten magst, empfehle ich dir meine Traumphasen-Geschichte. Die ist so effektreich, dass sie keiner liest :D )

Mit dem Fatalismus triffst du ins Schwarze.

dass der mann schlaflos sich eine tasse kaffee gekocht hat. nicht wirklich traurig stimmend, oder? und der kaffeefleck an der wand ist doch auch nicht so tragisch. was also macht sie traurig?

Ich will keine Geschichten über Leute schreiben, die sich von Brücken stürzen oder über Väter, die ihre Kinder verprügeln bloß wegen ihrer eignen schweren Kindheit. Nur die Augenblicke sind mir wichtig.
Daher ist die Frau nicht traurig über den Kaffeefleck, sondern über die Gesamtsituation. Alles symbolisch zu verstehn, der Mann kriecht erstmals am Boden und sieht zu ihr auf...
Sicher ist der Schluss nicht perfekt, aber ich bin ja hier, ums irgendwann besser zu machen :)


Hi Aqua

Freut mich sehr, dass dir die Geschichte gefällt. Sicher nicht die beste, aber ein Fundament auf das sich bauen lässt.

Liebe Grüße
wolkenkind

 

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