Der Artikel spricht indirekt genau das an, was mich an vielen modernen Büchern generell stört - ich habe bei der Lektüre aktueller Bücher nahezu immer den Eindruck, daß der Autor kein Verhältnis zur Sprache hat, das der Sprache gerecht wird, d.h., daß Sprache nicht mehr als Kunst an sich begriffen wird, sondern bloß noch als Mittel zur Kunst, als Mittel zum Zweck. Sprache scheint oftmals nur der Pinsel zu sein, nicht das Bild. Oder besser: Nur die Farbe auf der Palette, nur notwendiger Bestandteil des entstehenden Gemäldes.
Liest man ältere Literatur (oder umfassender gesagt, die Art von Literatur, die i.d.R. im Germanistik-Studium vermittelt wird), hat man viel eher den Eindruck, daß der Künstler Ehrfurcht vor der Sprache hat, daß er sie als Kunstwerk sieht, mit dem er behutsam umgehen muß, um den Eindruck nicht zu zerstören. Ein tolles Beispiel dafür ist Hesse, besonders die Märchen (die im übrigen auch für kg.de sehr relevant sind). Gegenbeispiele sind etwa Clancy, Grisham oder Dan Brown, um einige Bestseller-Autoren zu nennen, deren Bücher ich teilweise kenne. Diese sind handwerklich in Ordnung, aber die Sprache ist stinklangweilig. Sie berührt einen nicht, man nimmt sie noch nicht einmal wahr. Es ist nur Handlung. Hesse hingegen weiß inhaltliche Klasse mit sprachlicher Raffinesse zu verbinden. Und ebenso zahlreiche andere Klassiker von Goethe bis Mann.
Natürlich gilt das nicht für alle modernen Autoren, aber doch für einen sehr großen Teil - vor allem für die angelsächsichen Bestseller-Fabrikanten und deren unzählige Nachahmer.
Die Aussagen bekannter Autoren, die im Artikel zitiert werden, zeigen deutlich, wo der Unterschied liegt: Schreibe ich, die Handlung im Blick, alles in einem Rutsch runter oder überlege ich mir bei jedem Wort, wie es klingt, wie es paßt, wie es wirkt, wie es in die Satzmelodie paßt, welche Gefühle es auslöst, usw. (beides überspitzt formuliert)? In ersterem Falle kommt ein flüssig zu lesendes, spannendes Buch heraus, dem aber jedwede Poesie fehlt. Und das ist für mich der Anfang vom Ende - das öffnet stilistischen Mängeln Tür und Tor. Sicher, ein guter Autor-Handwerker kann solche Fehler und Schwächen trotzdem vermeiden, aber der potentiellen Fehler gibt es viele, der guten Autoren nur wenige. Wenn es sich im Literaturgeschäft einbürgert, die Sprache als sekundär zu behandeln - und das ist meiner Einsicht nach schon längst der Fall -, dann können einen doch solche Entwicklungen wie im Spiegel-Artikel angesprochen nicht wundern.
Ich für meinen Teil verwende jedenfalls locker 75% der Schreibzeit auf das Nachdenken und höchstens 25% auf das Schreiben. Meine ersten Geschichten - so man sie denn überhaupt so nennen will - waren nach umgekehrtem Verhältnis geschrieben - und sind dementsprechend schlecht.
Flüssiges Schreiben ist mir suspekt.