Maxwell, NOW, Number Eleven - final
Kindliche Kaiserin, ich höre dein Lied. Du weißt wahrscheinlich gar nicht, dass es dir gehört. Das Lied mit der Nummer 11 steht für dich in diesen Stunden, da meine Gedanken bei dir sind. Gefühle zu dir in der Melancholie, die ich so oft spüre – irgendwie traurig, irgendwie froh. Sehe dich in tausend Bildern, die mir bleiben, auch wenn es heute nach nur vier Monaten schon Abschied heißt.
Lange vorher begegnet und gesehen, bis wir uns dann erkannt, als Freunde, Liebende und Seelenverwandte. Durfte dich erleben und genießen. Ob auf einem Parkplatz im Regen, beide nass und erregt, Lippen an Lippen im Rausch der ersten Berührungen. Ob in unserer ersten Nacht in einem kleinen Zimmer, als wir das Abenteuer suchten und dann soviel Geborgenheit, soviel gutes Gefühl fanden. Wie habe ich noch heute dein „Immer“ im Ohr – es war mir zu schwer, aber brachte dich meinem Herzen so nah. Schließlich auf einem Hotelbett in der zweiten Nacht, als ich nur noch dich spürte und die Welt vergaß.
Und ich durfte dich sehen wie du bist. So wie du wirklich bist, in ruhigen Stunden, wenn wir ganz allein und still, Arm in Arm zusammen lagen. In vielen Gesprächen über dich und mich und über das Leben habe ich so manches Mal gehört, gespürt, was das stärkste Gefühl in dir war. Erinnerst du dich noch an das Gedicht? Ich habe es dir nicht nur erzählt, weil ich es so liebe.
sein blick ist vom vorübergehn der stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
ihm ists, als ob es tausend stäbe gäbe
und hinter tausend stäben keine welt.
Und hinter tausend Stäben keine Welt. Oft hatte ich das Gefühl, dass nur du zwischen dir selbst und einem fröhlichen, glücklichen Leben stehst. Zu viele Dinge auf die du deine Traurigkeit zu richten vermagst. Achtzig Prozent der Zeit in den letzten Jahren warst du traurig, hast du einmal zu mir gesagt. In diesem Moment hätte ich dich am liebsten in den Arm genommen und nie wieder in deine Traurigkeit zurück gelassen.
der weiche gang geschmeidig starker schritte,
der sich im allerkleinsten kreise dreht,
ist wie ein tanz von kraft um eine mitte,
in der betäubt ein grosser wille steht.
Welch eine Frau du bist. Kraftvoll, willensstark, erotisch, intelligent. Du kennst mehr vom Leben, als so mancher, der sich längst erwachsen wähnt. Auch ich hätte es vorher nicht gedacht. Zu sehr geprägt vom Bild, das Mann immer mit sich trägt: Zu schön deine Lippen, deine Augen; zu tief mein Blick auf dich gerichtet, vor allem wenn du vor mir gingst. So oft hast du gelacht, geflirtet mit fast jedermann, wenn wir zu fünft, zu zehnt zusammen waren. Du selbst - so sanft und wild, so traurig und verletzlich - das bist du nur in Zweisamkeit. Schön, dass ich dich denn so erfahren durfte. Traurig nur, wie betäubt die Kraft in dir zu häufig bleibt.
nur manchmal schiebt der vorhang der pupille
sich lautlos auf - dann geht ein bild hinein,
geht durch der glieder angespannter stille-
und hört im herzen auf zu sein.
Hört auf zu sein. Schon als ich dir zum ersten Mal von „meinem“ Gedicht erzählte, dachte ich an dieser Stelle, wie es wohl sein wird, wenn sie zu Ende geht, aufhört zu sein – unsere kleine Welt. Wie schön wir sie immer gemalt haben. Farben vergehen schnell in der heutigen Zeit. Aber ich habe vor einigen Jahren beim Tod meines liebsten Menschen gelernt: Schöne Erinnerungen vermögen häufig ebenso zu leuchten wie die Wirklichkeit. Und dies ist auch der Grund für diese letzten Zeilen an dich.
Eigentlich ist nichts geschehen. Diskutiert über Distanz und Nähe haben wir. Nähe, die wir ein paar Tage nicht gefunden haben. Einmal harte Worte von mir, wie ich sie immer vortrefflich zu formulieren weiß, wenn ich mich nicht angenommen fühle. Du hast darauf geschwiegen und auch sonst nicht viel gesagt. Das ist zwar traurig aber vielleicht noch kein Grund.
Aber ja, es ist etwas geschehen. Es begann. Unsere Worte und Taten sprachen immer von tiefen Gefühlen, Romantik, Sehnsucht und Freude - ohne all dies Liebe zu nennen. Nicht nur wunder-voll und liebe-voll sondern vor allem auch wert-voll, so hab ich es gesehen und gespürt. Ich lasse nicht zu, dass unsere kleine Welt langsam und schleichend vergeht, wie bei so vielen anderen, und wie ich es jetzt auch bei uns spüre. Heute etwas weniger, morgen noch etwas weiter entfernt, dann noch ein Kuss hier und da, schließlich ist es soweit: ein Blick, der uns beiden die Gewissheit gibt: vorbei - all die Vertrautheit; dahin – die Nähe und Geborgenheit.
Falsche Worte, halbherzige Bekenntnisse bestimmen von Tag zu Tag mehr die Szenerie. Die Farben werden grau, wir uns fern. Keine Würde, keine Achtung liegt darin für unsere kleine Welt, die wirklich tief war, in dieser oberflächlichen Zeit. Nicht die Gleichgültigkeit soll unseren endgültigen Abschied prägen. Deshalb muss es jetzt ein Ende haben, jetzt da die Erinnerungen noch farbenfroh und klar sind – wie unser arc en ciel.
Du warst nicht die Liebe meines Lebens, dafür kamst du zu spät. Und doch erfüllt mich tiefe Traurigkeit bei den Gedanken an das Ende, bei Deinem Lied und bei diesen Zeilen. Du hast mir Zeit, Gefühle und Gedanken geschenkt, mir dich, einen wundervollen Menschen gezeigt. Ich danke dafür. Und für deine Musik, die so intensiv Einzug in mein Leben gefunden hat. Immer wenn ich die Nummer 11 auflege, werde ich zurückdenken an unsere kleine Welt, die Verwandtschaft unserer Seelen, an unser D.A.D.
Dein Leckerchen
Langsam falte ich das verknitterte, vergilbte Papier wieder zusammen, ziehe ein letztes Mal an meiner Zigarette und gehe ein paar Schritte auf das wilde, nächtliche Rauschen des Meeres zu. Ich halte einen Moment inne und zähle die Jahre. 30 Jahre muss es nun her sein. Bei ihrem Abschied von der Uni - einige Monate nach unserer Zeit - war der letzte Blick, den sie mir schenkte, etwas länger als bei den anderen. Heute haben meine Kinder schon ihr Studium begonnen. Wie die Zeit vergeht. Aber es war, wie ich es ihr in meinem Brief versprochen habe: D.A.D. – denke an dich. Bei deinem Lied, der Nummer 11. So wie heute Nacht. Auch wenn ich den Brief nicht abgeschickt hatte, wurden die Farben nie grau.
Mit herzlichem Dank an R.M. Rilke