Matt's House.
Matt’s House.
„Bin da-ha“ rief Juliet. Ihre Tasche mit der verschwitzten Arbeitskleidung schleuderte sie in die Ecke. „Wer noch?“
„Dein super-gutaussehender, wunderschöner Freund, vielleicht?“ erwiderte die vertraute Stimme eines Mannes.
„Oh okay...und, wer sind sie dann?“ neckte Juliet ihren Freund. Sie stürzte sich zu ihm aufs Sofa. Als sie auf ihm saß, wie ein Kavalier auf einem Ross, beugte sie sich zu ihm hinunter. Ihre langen, blonden Haare fielen ihm ins Gesicht. Sein hübsches Gesicht, das in ihr immer wieder das starke Verlangen auslöste, ihn zu küssen.. Trotz mittlerweile zwei Jahren, hatten die Küsse immer noch nicht an Feuchtigkeit eingebüßt. Und ihre Vagina zog an der grenzenlosen Bewässerung mit. Sie taten es überall, mit gleich viel Elan. Alleine der Gedanke an ihn ließ Regenwaldsstimmung zwischen ihren Beinen aufkommen. Alle Freunde und Bekannte, Societyexperten und verbitterte alte einsame Katzenladys lagen falsch. Beziehungen waren nicht die offene Packung Toast, die nach einem Tag trocken und hart und nach ein paar weiteren Tagen schimmelig und stinkig war. Ihre Beziehung war, so sagte ihr Freund, vergleichbar mit zwei international erfolgreichen Profifussballern. Beide waren Stümer. Der eine ein Meister auf dem rechten Flügel, der andere auf dem Linken. Spiel um Spiel verging, bis beide jeden Fußschritt des anderen kannten. Sie waren aufeinander eingespielt. Wagten mehr. Und siegten. Führten ihre Mannschaft in die Champions League. Und obwohl Juliet eine Frau war, und dazu eine sehr weibliche, fand sie gefallen an dieser Metapher. „Hat ja auch nichts mit Abseits zu tun, Baby.“ war sein Kommentar dazu.
„Nun“ sagte er jetzt, durch ihre Haare hinweg „Ich bin lediglich sein äusserst professioneller Butler, und ich verbitte mir diese sexuelle Belästigung, Madam. Mein Berufsstand verbittet mir Obszönitäten.“
„Ist das so?!..Nun dann...“ sagte Juliet und spitzte ihre Lippen. Sie wusste schon, wo ihr Freund sich versteckt hatte. Sie begann an seinem Ohr. Es vergingen nur wenige Sekunden, bis sich auch seine Atmung veränderte. Dann wanderte sie zu seinem Hals. Männer unterschieden sich in dieser Körperregion nur in zwei Kategorien. Die einen ließen ihren Mimiken freien Lauf, die anderen versuchten sie zu kontrollieren. Verrückt machte es sie alle.
„...Nun, Herr Buttler, oder Mister Buttler... wo versteckt sich mein wunderschöner Freund? Sagen sie es mir, denn ich habe da ein wichtiges Anliegen..“ flüsterte sie langsam.
„Oh, ich glaube...“ überlegte er spielerisch. Seine Mauer der Beherrschung bröckelte. Juliet rutschte immer tiefer.
Schlagartig packte er sie an den Haaren und zog sie an diesen hoch. Er ließ sie in seine eiskalten, hellblauen Augen blicken. Regungslos beobachteten sie Juliet. Seine Mundwinkel formten ein dreckiges Grinsen.
„Ich glaube, ich kann ihnen helfen...Madam.“ sagte er. Dann drückte er ihren Kopf mit brachialer Kraft herunter.
„...Und die Reise zu ihrem Freund sogar verkürzen. Höflich nicht wahr?“ „Arschloch“ flüsterte sie, seinen Gurt öffnend. „Du dreckiges Arschloch.“
Nachdem sie sich die Zähne geputzt hatte, kam für üblich der harmonische Teil des Abends. Juliet, oder meistens er, suchten sich einen Film aus. Schauten eine Serie weiter. Oder er besorgte es ihrem Arsch mit einer Gurke. Heute war ein Serientag.
„Willst du mich nicht fragen, wie’s auf der Arbeit war?“ fragte sie.
„Ich dachte immer, wir sind keins von diesen Paaren, die Interesse heucheln.“ Er pulte die vertrockneten Spermareste aus ihrem Haar.
„Nun..“ Von ihm in die ausweglose Wortlosigkeit getrieben zu werden, gefiel ihr.
„Nun dann, erzähl, wie wars? Bestimmt irre langweilig, oder?“
„Ein Officer war heute wieder da, im Büro. Wegen Frau Martinez. Unserer Putzfrau.“ „Ja, ja. Dein Lieblingsthema, ich weiß. Euer Stationskrimi.“ sagte er sarkastisch.
„Da gibts Neuigkeiten.“
„Lass mich raten!“ er sprang auf. „Es war Robert!“
„So weit sind sie noch nicht. Aber fest steht wohl, das nur Leute aus Lisas Bereich in Frage kommen. Das Miststück schließt ihr Büro nie ab.“ Lisas Büro führte vom Patientenbereich direkt in den großen Flur. Der Ort, an dem Frau Martinez verstümmelt in einer großen Blutlache gefunden wurde.
„Dann beten wir heute und wünschen dem Officer viel Glück bei seiner Suche.“ „Gucken wir Gossip Girl, Schatz?“
„Willst du ne Gurke Schatz?“ äffte er sie nach. Sie schwieg. „Du willst.“ beantwortete er sich die Frage selbst.
„Captain Juliet! Captain Juliet!“ schrie Robert und turnte in Juliets Flur herum. „CAPTAIN, JULIET!“
Juliet packte ihren rotbärtigem Patienten am Arm.
„Robert“ sprach sie ruhig und entschlossen. „Du weißt, was passiert, wenn du weiter so einen Lärm machst?“
„Wa-was denn, Capt-..ich meine Miss Juliet?“
„Dann werden wir dich fixieren, Robert.“
„Miss Juliet...Nich...bitte nich fixieren..“ Juliet musste unweigerlich auf seinen Bart achten, während er sie anflehte. Es verriet immer sein Frühstück. Es waren rohe Eier gewesen. Das Eigelb und Eiweiß waren gut in seinem Bart zu unterscheiden. „Dann gib jetzt Ruhe, Robert. Und geh dich waschen.“
„Aber Robert ha-hat doch nur eine Fra-ge...“ sagte ihr Patient traurig.
„Ich höre?“
„...sind sie ein Pirat? HUWEHE, HUWEHEH“
Juliet betätigte ihren Pieper, ein Segen in solchen schwierigen Fällen. Als Robert die weißen Kittel sah, die ihn umzwingelt hatten, begriff er. Und begann zu schluchzen. Juliet hatte mal Tierdokus auf National Geopraphic gesehen. Wenn große Elefanten umzwingelt waren, von Wilderern, gerieten sie ausser Kontrolle, heulten, schlugen um sich. Nur im Gegensatz zu Robert hatte sie Mitleid mit Elefanten. „Nich..BITTE...NICH fixieren... “ schrie er und schlug um sich. Aber der Elefant musste sich, genau wie in den Tierdokus, geschlagen geben.
Nach der üblichen Behandlung mit Spritzen und Fesseln, Tritten und Beleidigungen hatte Juliet vorerst Ruhe. Ab und zu musste man sich hier auf der Station Respekt verschaffen, sonst büßte man an Autorität ein. Sie verglich das mit einem Polizisten. Wer würde einen Officer respektieren, der sich von jugendlichen Randalieren regungslos mit Steinen abwerfen ließe? Nein, nein. Der Knüppel musste gezogen werden. Und Respekt musste sich verschafft werden. Mit allen Mitteln.
„Gibt es schon was neues vom Officer?“ fragte sie später ihre Kollegin Lisa, die sie auf dem Flur traf. Juliet war gespannt, wie lange man Lisa noch hier arbeiten lassen würde.
„Ja, mh, er meinte wir sollten uns die Patientenakten noch mal genauer ansehen..“ antwortete sie. „Hier“ sagte sie und reichte Juliet eine Kopie. „Hab für dich schon
welche besorgt..“
„Danke.“ Schleimerin, dachte sich Juliet.
„Juliet...“ fragte Lisa zögernd.
„Ja?“
„Klinikgesetzbuch, Paragraph 4, Absatz 8, was sagte der nochmal? Du bist doch so n Gesetzecrack“
„Lass mich kurz überlegen“ Sie hatte in ihrer Lehrzeit wirklich penibel gelernt. Und das Wissen nie wirklich benötigt.
„Das ist der Schutzbeauftragtenabsatz. Patienten und Pflegern ist es untersagt, miteinander sexuelle Handlungen und sowas in der Art miteinander zu haben“ sagte Juliet. „Warum? Bist du in Robert verliebt? Ich mein, rohe Eier sind verdammt attraktiv...nur ich hab sie bei den Männern lieber zwischen den Beinen“ witzelte Juliet und zwinkerte.
Lisa lachte nicht. Sie lächelte nicht einmal. Stattdessen blicke sie Juliet eindringlich in die Augen.
„Ach...nur so. July...wir... sehn uns. Bis dann.“
In der Pause fand Juliet Zeit. Sie studierte die Akte, die sich vorher nie angeguckt hatte. Einer ihrer felsenfesten Prinzipien war, sich von jedem Patienten selbst ein Bild zu machen. Jetzt, beim studieren der Akte, fiel ihr auf, was für ein gutes Auge sie die ganze Zeit über gehabt hatte. Die totalen hoffnungslosen Fälle hatte sie auch als Solche eingestuft. Seite für Seite verging. Sie genehmigte sich einige Tassen Kaffee und las, als hätte Stieg Larsson persönlich die Akte geführt. Auf einer Seite machte sie halt. Jemand hatte dort eine Notiz mit seinem Kugelschreiber hinterlassen.
Ich werde es niemandem verraten, weil wir alle ein Team sind. Du wirst selber wissen, was zu tun ist.
L.
Juliets Atmen stockte. Sie blätterte weiter, riss beinahe die Seite raus. Ein Mann lächelte sie an, dreckig und seine hellblauen, eiskalten Augen waren weit aufgeschlossen. Gestern Abend hatte dieser Mann ihr noch Spermien aus den Haaren gepult
Schwernarzisstisch, eine Gefahr für all seine Mitmenschen, Isolationsaufbewahrung
stand dort in rot. Einzelne Passagen seines Lebenslaufes waren mit einem blauen Kugelschreiber markiert worden. Heimaufenthalt mit 7. Suizidversuch mit 10. Mit 14 knebelte und verstümmelte er die Katzen der Heimleiterin. Und er galt mit aller Wahrscheinlichkeit als Hauptverdächtiger in der Sache mit der Putzfrau. Extrem hohe Fluchtgefahr. Juliet klappte die Akte zu. Sie blickte hinter sich, schaute nach, ob jemand ihre Reaktionen bemerkt hatte. Ihr Blick schweifte über das Telefon im Büro. Sie überlegte, was sie den Beamten sagen würde. Oder könnte.
Juliet betrat die Wohnung. Sie rannte sofort in die Küche und zog das größte Messer hervor, das sie finden konnte. Einen kurzen Moment überlegte sie, ob es nicht schlauer gewesen wäre, den Officer zu rufen. Aber nein. Sie musste sich selbst darum kümmern. Es war wie mit den Patienten. Man musste sich Respekt
verschaffen.
„Was ist los Baby? Hast du den Braten im Ofen vergessen?“ rief er, als er sie in der Küche gehört hatte.
Sie aber, fackelte nicht lange. Sie stürzte sich zu ihm aufs Sofa. Er hatte sie hintergangen, er war eine Gefahr. Für ihr Leben und ihren Job. „Du hast sie umgebracht...Du bist Irre..du..du bist ein verdammter Mörder!“ schrie sie ihn an. Doch er lag nur ruhig da, und seine beiden Hände ruhten weiter auf seinem Hinterkopf. Ihr Messer auf seinem Adamsapfel rückte nur ein schiefes Lächeln bei ihm hinaus.
„Ich gestehe Ma’am, ich gestehe. Und? Ändert das jetzt etwas?“
Langsam und ganz vorsichtig legte er ihr seinen Finger auf die Lippen. Er war eiskalt.„Ich mein, bis heute konntest du dich nie über uns beschweren oder?“ Juliets Spannung in ihrer Messerhand ließ zunehmend nach.„Jedenfalls..“ sagte er, als er ihr plötzlich das Messer aus der Hand riss und es in die Ecke schleuderte. „Jedenfalls hatte ich nie einen Brief von dir in der Beschwerdebox.“
„Nein, das ist wahr, aber...“
„Oh, nein. July....du hast doch nicht etwa Mitleid mit der armen Putzfrau Martinez und ihren zwei kleinen Söhnen? Oder warn’s Töchter?“
„Die ist mir scheiß egal.“ sagte July. „Es geht mir um meinen Job, wenn rauskommt das du...dann bin ich...“
„Es kommt nicht raus, Julez.“ sagte er und blickte sich suchend um. Dann fand er sie. Die Gurke. Und hob sie auf.
„July, weißt du nicht mehr? Du der linke Stürmer, ich der Rechte? He? Hast dus schon vergessen?.“ Seine Stimme war klar, hell und hätte selbst den stürmischsten Hengst in ein kleines, zartes Pony verwandelt. „Wir gegen den Rest der Welt Baby, die erfolgreiche Mannschaft gegen die Nutzlosen.“ sagte er und ließ die Gurke über ihr Gesicht schweifen. Hoch und runter. Juliet atmete lauter.
„Wir gegen den Rest der Welt?“ fragte sie mit zitternder Stimme. Ihre Tränen stauten sich in ihrem Auge.
„Immer.“ sicherte er ihr zu.
„Ich liebe dich.“
„Ich weiß“ sagte er. „Das tust du.“
„Wir gegen den Rest der Welt...“ flüsterte Juliet leise vor sich hin. Die Tränen kullerten über ihre Wangen. Und die Gurke hatte ihren Anteil am ganzen Dilemma. Dann sprang sie ruckartig auf, blickte ihren Freund an. Die Gurke in seiner Hand stand jetzt im Leeren. Er runzelte fragend die Stirn.
„Sind wir jetzt empfindlich geworden?“
Jetzt grinste Juliet dreckig. Ihr war eine Idee gekommen. „Wir könnten es Robert anhängen.“ sagte sie. Dann drehte sie ihrem Freund wieder den Arsch zu.
„Und um Lisa kümmere ich mich.“ sagte er nach einer Weile.
Sie waren ein perfektes Team. Der rechte und der linke Stürmer.
Auf dem Weg zur Champions League.
Mehr wagend.
Siegend.