Matschis Welt
Matschi war grün, 5cm groß, zierlich in der Statur und am ganzen Körper mit Warzen bedeckt. Er hatte es in der Vergangenheit nicht so genau mit der Reinlichkeit und Körperpflege genommen, was sich an seinen nikotingelben Zähnen und seinem geradezu einmaligen, bestialischen Körpergeruch unschwer erkennen ließ.
Ob es nun sein unangenehmes Erscheinungsbild, seine nichtvorhandenen Manieren oder schlicht dämlicher Zufall gewesen war, der ihn in seine derzeitige Lage gebracht hatte, wusste der Gnom nicht zu sagen.
Matschi wälzte sich in den Linsen.
Eigentlich gab es wahrlich keinen Grund für ihn irgend eine Art von Beschwerde zu äußern, denn die Linsen schmeckten, er hatte es gleich nach dem Erwachen nachgeprüft, selbst kalt vorzüglich.
Warum war er hier? Gestern hatte er sich noch in seinem Rattenloch zur Ruhe gelegt, und plötzlich wachte er auf, sein Gesicht in einem Haufen Linsen widerfindend.
Wenigstens Luftlöcher hatte man in die Dose gemacht, große runde Öffnungen genau richtig um Luft herein zu lassen und ihm die Möglichkeit zu geben hinauszuspähen.
Bis jetzt hatte er diese Möglichkeit noch nicht genutzt, war er doch damit beschäftigt gewesen die großen runden Würstchenscheiben aus dem Eintopf zu picken , welche ohne Zweifel das köstlichste waren, was er je zu sich genommen hatte. Dies hatte viel Zeit in Anspruch genommen und war auch nicht ganz gefahrlos gewesen, hatte er doch zu diesem Zwecke manch anstrengenden Tauchgang auf sich nehmen müssen.
Nun ,sich eine Ruhepause gönnend stellte er fest, dass auch für seine Unterhaltung gesorgt worden war. Die fröhliche mexikanische Musik, sie drang gedämpft durch die Luftlöcher, unterhielt ihn nicht schlecht und gab ihm dazu noch einen Hinweis auf den Standort seiner Linsendose. Er hatte diese Musik schon oft gehört, drüben in Pablos Tackostube neben dem Bahnhof, wo man ab und zu den ein oder anderen Torrtiagrümmel finden konnte. Ein tiefes Stöhnen, so wie ein unerträglicher Alkoholgeruch ließ vermuten , dass sein neues Heim sich auf der Theke gleich neben Bruno der Schnapsdrossel Braun befand, welcher, wie man sich denken konnte gerade seinen fünften oder sechste Tequila zu sich nahm.
Matschi tauchte ab um an ein viel versprechendes Möhrenscheibchen heran zu kommen.
Was sollte er tun? Einfach weiter in der Dose bleiben und sich an Linsen und Würstchen verköstigen, abgeschottet vom Rest er Welt, ohne Ansprechpartner nur mit der kaum hörbaren Musik als Unterhaltung?
Nein, er musste raus, zurück in die Zivilisation, auch wenn diese mit Leuten wie Bruno voll gestopft war statt mit Linsen.
Matschi tauchte auf.
Das Loch war nicht weit über ihm, ein kräftiger Sprung musste genügen um sich am Rand des Gucklochs festhalten zu können. Er sprang, ... und platschte in die Linsen.
Springen funktionierte also nicht. Der Gnom, über und über mit Nahrung besudelt, schaute sich um.
Er konnte sich mit Linsen eine Treppe bauen, aber die Gefahr wieder abzurutschen und im Brei zu versinken war zu groß und sein Spaß darin herum zuschwimmen hatte sich mit dem Wusch hinaus zu gelangen verflüchtigt.
Die Dose hatte an manchen Stellen wellenartige Riffelungen. Mit etwas Geschick würde es ihm vielleicht gelingen an ihnen hoch zu klettern und so zur Öffnung zu gelangen.
Er machte sich an die Arbeit.
Es dauerte eine geraume Zeit, in welcher er immer und immer wieder abrutschte, aber mit einem enormen durch den innigen Wunsch die Freiheit zu erlangen entstandenen Ergeiz schaffte er es letztlich die Öffnung zu erreichen. Matschi jubelte, versuchte seinen Kopf hindurch zu schieben und stellte fest, dass er nicht durchpasste.
Vor lauter Schreck und Verzweiflung hätte er fast den Halt verloren , konnte sich aber gerade noch an dem Öffnungsrand festkrallen.
Er schaute hinaus und stellte selbstgefällig fest, dass er Recht gehabt hatte. Die Dose befand sich in Pablos Tackoschuppen, auf der Theke genau neben einer Gestallt die er nicht erkennen konnte, da im die Linsensuppe in seinen Augen die Sicht erschwerte. Auch die Geräusche waren kaum hörbar , denn die Linsen in seinem Ohr drückten auf das Trommelfell. Plötzlich erschien ihm alles völlig fremd, surreal, feindselig. Sein Wusch in die Zivilisation zurückzukehren, zurück zu den Menschen, zurück zu Bruno, versickerte langsam im Linseneintopf.
Früher hatte er die Welt anders wahrgenommen, aber der Blick aus der Dose verschmiert mit Linsenbrühe und betäubt durch Samen im Ohr stellte definitiv eine andere Perspektive da.
Oder? Wahr er je anders gewesen? Hatten ihm die Leute jemals mehr Beachtung geschenkt?
Waren sie ihm näher gewesen, als er noch unter ihnen gelebt hatte, als sie ihn noch alle sehen konnten, als er sie noch alle sehen konnte?
Verstanden hatte er sie nie, und sie ihn ebenfalls nicht.
Es war auch wirklich schwierig gewesen eine sinnvolle Kommunikationsbasis aufzubauen, hatte er doch mit jenen, die er jetzt nur noch als umherwirbelnde Schemen wahrnehmen konnte, absolut nichts gemein gehabt.
Ein kleiner ,hässlicher ,grübelnder Grünling in einer Welt voller riesiger, spaßsüchtiger Weißlinge.
Er hatte nicht hineingepasst, hatte sich immer nach einer kleinen Welt nur für ihn alleine gesehnt.
Matschi lächelte lies den Luftlochrand los und tauchte ab in seine Welt voller Linsen, Würstchen und Möhren, in die kein Licht, kein Geräusch und kein Weißling je gelangen konnte.
Aber vielleicht haben sie einen Dosenöffner...vielleicht benutzen sie ihn... wenn sie mögen...