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Matroshka
Noemi Portu steht auf der Außenhaut der Vakuumprinzessin und trinkt die Leere mit ihren Augen, während das Schiff auf diplomatischer Mission Richtung NeoMykonos fällt. Ein Augenblick der Kontemplation auf halben Weg zwischen Jupiter und der Republik in den vorauseilenden Trojanischen Asteroiden.
Erstaunlich wie weit wir es als Spezies gebracht haben, denkt sie. Dann, mit einem Schauer: wir müssen unseren kollektiven Kopf aus der Schlinge ziehen.
Eine Warnung leuchtet auf. Nicht plötzlich. Sie wartet seit endlosen Stunden auf diese spezielle Warnung. Retrograder Schub in T minus fünfzehn. Es ist an der Zeit in das Schiff zurückzukehren. Auf einem relativistisch gesehen unbewegtem System herumzuspazieren ist das eine, unter Schub sieht die Sache anders aus. Mit Massenträgheit lässt sich nicht spaßen.
Portu ist wenig schockiert von ihrem Spiegelbild. Das kurze, wasserstoffblonde Haar fällt ihr in Augen mit dunklen Ringen, sie ist blasser und dünner als gesund ist und ihre ganze Körpersprache wirkt verkrampft, müde.
„Andockmanöver abgeschlossen“, meldet sich eine Stimme, „Seien sie willkommen auf Habitat Argo der freien Republik von NeoMykonos. Sie genießen diplomatische Immunität, ein Status, der Ihnen nur mit 24-stündiger Warnung entzogen werden kann, und nur, wenn Sie sich folgender Vergehen…“
Die Luftschleuse öffnet sich und Jonathan Raumöller, offizieller Botschafter des Trans-Jupiter Konsortiums begrüßt sie mit einem Politikerlächeln, das nicht einmal in die Nähe seiner stahlgrauen Augen kommt.
„Miss Portu, nehme ich an?“ Sie nickt. Aufgeblasener Kerl, so überzeugt von seiner eigenen Wichtigkeit, dass er den Stock in seinem Arsch gar nicht mehr bemerkt, denkt sie und streckt ihm die Hand entgegen, welche er widerwillig schüttelt.
„Ich muss zugeben ich bin verwirrt. Weswegen schickt mir das TJK einen neuen Attaché? Was ist so wichtig, dass es nicht per Laser übertragen werden könnte?“
„Priorität Alpha, Abteilung Neun.“ Raumöller erbleicht.
Im abhörsicheren Raum der Botschaft besteht Portu darauf, dass sie ihre Informationen nur über ein Fieberglaskabel zwischen sterilen Raumanzügen preisgibt. Raumöller scheint sich von seinem Schock erholt zu haben und rollt mit den Augen, bis die Leitung endlich steht.
„Setzen Sie sich lieber.“ Portu deutet auf die geschmackvolle Kunstledercouch. Der Diplomat zuckt mit den Schultern als wolle er sagen, „was auch immer!“ aber er platziert sein Hinterteil auf dem Möbelstück. Portu selbst bleibt stehen.
„Ihnen ist bekannt, dass wir ein Teleskop im L2 Punkt des Sonne-Jupiter Systems betreiben? Gut. Ich mache es kurz und schmerzlos: das Fermi-Paradox ist aufgelöst, wir haben Außerirdische Intelligenz gefunden.“
Raumöller schluckt. „Wie bitte?“
„Sie haben richtig gehört. Aus diesem Grund arrangieren Sie so schnell wie möglich ein Treffen zwischen mir und der höchsten Ebene von NeoMykonos.“
„Wollen Sie etwa diese Entdeckung mit…“
„Ja“, unterbricht sie ihn, „es ist von höchster Priorität für das Überleben unserer Spezies, dass sämtliche KI Forschung sofort eingestellt wird!“
Das Triumvirat ist kollektiv sprachlos. Schließlich ruft der Graubärtige zur Linken ungläubig: „Sie wollen, nein, Sie verlangen was?“
Portu seufzt und hebt beschwichtigend die Hände. „Ich wollte Ihnen nur von Anfang an klar machen um was es hier letztendlich geht. Wir haben gute Gründe…“
„Dann heraus mit diesen Gründen. Wir wissen, dass TransJu nicht mit uns mithalten kann auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz!“ meldet sich der weibliche Triumvir zu Wort.
„Sicher. Ich habe eine Präsentation für Sie mitgebracht.“ Portu greift in eine ihrer zahlreichen Taschen, produziert einen Hologramm Kubus und platziert ihn neben sich auf dem Boden.
„Wir unterhalten ein Array von Radioteleskopen.“ Die Triumviri nicken.
„Wir wissen davon, angeblich ein Erbe der SETI Ideologie, obwohl es wahrscheinlicher scheint, dass es für Systemweite Spionage von allem außerhalb Jupiters‘ Schatten eingesetzt wird.“
Portu erlaubt sich ein Lächeln. „Wie die Wahrheit auch aussieht, zumindest ein Teil des Arrays wird immer noch für die Suche nach kleinen grünen Männchen eingesetzt.“ Sie schweigt, wartet bis der Groschen fällt.
Nach langen Sekunden: „Wollen Sie uns weißmachen, dass Sie fündig geworden sind?“
Sie nickt. „Glauben Sie mir, ich bin nicht zwei Monate in einer Sardinenbüchse gesessen um Ihnen einen Bären aufzubinden. Ich wünschte, dass die These der privilegierten Position im Universum bestand hätte.“
Die Holographische Projektion aktiviert eine Sternenkarte. „Was Sie hier sehen ist ein Cluster von braunen Zwergen, einen Katzensprung von etwa dreihundert Lichtjahren entfernt. Mit einer Anomalie. Sie alle werden von einer scheinbar unsichtbaren Gravitationsquelle in ihrer Mitte beeinflusst.“
Die bisher statische Projektion setzt sich in Bewegung und zwei Vektoren werden angezeigt, der Erwartungswert und der reale Vektor.
„Unsere Berechnungen ergaben, dass ein sonnenähnlicher Stern fehlt.“ Die Projektion wechselt zu einem Falschfarbenbild.
„Das ist eine Abbildung der kosmischen Hintergrundstrahlung in diesem Bereich. Genau an der Stelle wo wir einen Stern vermissen ist eine geringfügige Abweichung, allerdings groß genug um Messfehler auszuschließen.“
Der Graubärtige beugt sich vor: „Und was hat das zu bedeuten?“
Bevor Portu antworten kann mischt sich der bisher schweigsame Triumvir, ein jugendlich wirkender, übergewichtiger Mann, Portu tauft ihn den Dicken, ein: „Mein Gott, ein Matroshka Gehirn!“
„Matroshka? Wie diese russischen Puppen, die meine Großmutter gesammelt hat?“ fragt die Frau.
„Ja“, sagt Portu schnell, bevor ihr die Initiative entgleiten kann. „Sie sind vertraut mit dem Prinzip der Dyson-Sphäre? Stellen sie sich mehrere Sphären vor, die konzentrisch um ihren Stern angeordnet ist. Jede dieser Sphären nutzt die Abwärme der nächstinneren als Energie bis zur äußersten Schale, die zu wenig Strahlung abgibt um noch genutzt werden zu können, was den Effekt hat den Stern dieser Maschine praktisch unsichtbar zu machen.“
„Was Sie sehen ist eine Zivilisation, nachdem sie eine technologische Singularität durchlaufen hat und damit auf der Kardaschow-Skala zum Typ II aufgestiegen ist.“
Portu macht eine Pause und holt tief Luft. „Das Problem ist folgendes: Aufnahmen dieses Sektors aus dem letzten Jahrhundert zeigen, dass dieser Bereich schon vor siebzig Jahren genauso aussah wie heute. Mehr als genug Zeit für eine Typ II Zivilisation um die drei bis sechs Lichtjahre zu ihren unmittelbaren Nachbarsternen zu überbrücken und zu kolonialisieren, was bedeuten würde, dass wir den Prozess der Umwandlung der Nachbarsterne zu weiteren Matroshka Gehirnen beobachten sollten.“
Der Graubärtige blinzelt verständnislos, der Dicke lehnt sich nachdenklich zurück, die Frau fragt leise: „Was also schließen Sie daraus?“
Das ist der Kern der Sache. Portu fährt sich nervös durch die Haare.
„Drei Dinge. Erstens: Künstliche Intelligenz ist möglich, was bisher die einzige fehlende Komponente unserer eigenen Singularität ist. Zweitens: Einmal gestartet verläuft der Umwandlungsprozess exponentiell. Drittens: Typ II ist eine evolutionäre Sackgasse.“
Jetzt beugt sich der Dicke wieder nach vorne: „Können Sie das näher ausführen?“
Portu beginnt vor dem Podium des Triumvirats auf und ab zu laufen. „Die erste Folgerung liegt auf der Hand, denke ich. Der zweite Schluss… wir sind der Meinung, dass sich eine künstliche Intelligenz entweder rapide selbstverbessert oder ebenso schnell eine neue KI Generation hervorbringt. Früher oder später wird sie in der Lage sein auszubrechen und unsere allgegenwärtige Nanotechnologie übernehmen und anfangen das Sonnensystem nach ihrem Bild neu zu ordnen.“
Der Dicke sieht aus als würde seine letzte Mahlzeit gleich hochkommen. Unerbittlich fährt Portu fort: „Wir können davon ausgehen, dass uns diese Intelligenz höchstens als Ameisen ansehen wird. Ameisen, die ihrer Suche nach mehr Rechenkapazität im Weg stehen. Wir sind uns nicht sicher wie schnell alle unmittelbar vorhandene Masse umgewandelt werden kann. Aber da Naniten sich durchaus exponentiell vermehren ist der einzige limitierende Faktor die Lichtgeschwindigkeit.“
„In der Tat können wir davon ausgehen, dass ein ganzes Sonnensystem verschlungen wird bevor die Künstliche Intelligenz auf die Idee kommt interstellar zu gehen.
Letztendlich wird sie alle leicht erreichbare Materie aufgebraucht haben und sitzt fest. An diesem Punkt bedeutet interstellare Expansion Rechenkapazität einzubüßen, nicht zu vergessen, dass eine Datentransferzeit von Lichtjahren für eine KI noch unerträglich langsamer erscheinen würde als für uns.“
Portu schließt ihren Vortrag ab. „Sie sehen also, dass es im Interesse der gesamten Menschheit ist diese Kiste der Pandora verschlossen zu lassen.“
Das Triumvirat von NeoMykonos fängt an sich in gedämpften Stimmen, doch hitzig zu beraten, der Dicke wird immer aufgeregter und fuchtelt wild mit den Armen. Müde, ungeduldig verschränkt Portu die Arme. Die Diskussion endet so abrupt wie sie begonnen hat.
Der Dicke wendet sich ihr zu und sagt, mit Schweißperlen auf der Stirn: „Ich fürchte wir hatten bereits einen Durchbruch.“