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- 13.03.2002
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Mathematiker zählen Wörter
T.T. wollte wieder einmal allen zeigen, wie gut er die Mathematik verstanden hatte. Vor dem nun folgenden Gespräch waren noch alle der Meinung, daß Mathematik etwas absolutes und keineswegs etwas relatives ist, wie manche Stümper immer wieder behaupten.
,,Es ist doch gut, daß es eine Unterscheidung zwischen abzählbarer und nicht abzählbarer Unendlichkeit gibt.`` gab T.T. von sich.
Da war er, der Fehdehandschuh. Wer würde ihn aufgreifen? Es dauerte ein paar Sekunden, bevor sich jemand die Mühe machte und sich nach ihm bückte. G.L. hob ihn auf, betrachtete ihn ungläubig und wollte ihn, ob der Trivialität, die er ausstrahlte, wieder in den Sand des Vergessens fallen lassen, als er etwas interessantes an ihm entdeckte.
,,Hm, ist es nicht so, daß die natürlichen Zahlen abzählbar unendlich und die reellen Zahlen nicht abzählbar unendlich sind?`` fragte er, vor sich hin sinnierend.
,,Jaja.`` T.G. wußte nicht, worauf G.L. hinaus wollte.
,,Ich habe mich schon immer gefragt, wie es sich mit der Sprache verhält, ob es nämlich abzählbar oder nicht abzählbar unedlich viele Wörter gibt.``
Aha, das war es also.
,,Wie meinst Du das? Natürlich gibt es nur eine gewisse Anzahl, also sogar endlich viele.``
,,Nein, nein, ich meine natürlich theoretisch.``
G.L. hatte also vor, nicht locker zu lassen.
,,Du meinst also, wenn eine beliebig lange Folge von beliebigen Buchstaben ein Wort bilden soll, unabhängig von einem Sinn?`` versuchte T.G. sich Klarheit zu verschaffen.
,,Genau.``
Es entstand eine kreative Pause.
,,Ich würde sagen, das ist Ansichtssache.`` Das war T.G.
,,Was??? Mathematik eine Ansichtssache? Ich höre wohl nicht richtig!?!`` T.T. war empört. Jetzt ging es um die Ehre der Mathematik. Die wäre doch wohl noch zu verteidigen.
,,Also, ich würde dann sagen, daß es auf jeden Fall eine abzählbar unendliche Menge ist, diese Wörter.`` lenkte T.G. ein.
,,Ich bin da nicht so sicher.`` Man merkte, wie es G.L. spaß machte, Zweifel zu säen.
,,Nein, wir müssen da anders herangehen. Man kann sich doch eine bijektive Abbildung zwischen allen möglichen Wörtern und den reellen Zahlen vorstellen, womit klar ist, daß die Menge aller unserer Wörter eine nicht abzählbare unendliche Menge ist.`` T.T. ging am theoretischsten vor.
,,Aber wer sagt uns, daß diese Abbildung tatsächlich bijektiv ist?`` konterte T.G.
,,Naja, ganz einfach: wenn man zwei beliebige Wörter nimmt, paßt 'dazwischen' noch eins hinein bzw. sogar 26, da man einfach noch einen Buchstaben dranhängt.`` verteidigte T.T. seine Vorstellung.
,,Das würde dann aber bedeuten, daß man dies unendlich oft machen könnte.'' Man konnte das verschmitzte Lachen in G.L.s Gesicht aufblitzen sehen.
,,Dann muß man eben neue Buchstaben erfinden und sie nicht auf unsere 26 beschränken.`` T.T. wollte an seiner Vorstellung festhalten, koste es, was es wolle; es klang einfach am logischsten, für ihn.
,,Wenn allerdings die Anzahl unserer 'neuen' Buchstaben sowie die Anzahl der Buchstaben in einem Wort endlich ist, so bliebe die Gesamtzahl aller Worte immer noch abzählbar, oder nicht?`` T.G. konnte sich ein gewisses Feixen nicht verkneifen. Die Diskussion hatte den haarspalterischen Punkt längst überschritten.
,,Ja, aber warum nicht unendlich viele Buchstaben?``
,,Ja, dann müßten wir die ganze Zeit neue Buchstaben erfinden und wüßten noch nicht einmal, wie man diese ausspricht, ganz zu schweigen davon, daß es nur einen gewissen Frequenzbereich gibt, in dem man Laute von sich geben kann.``
,,Aber unsere Aussprache von Lauten ist doch ein analoger und kein digitaler Vorgang, also vergleichbar mit den reellen Zahlen, nämlich unendlich viele in einem noch so kleinen Bereich.``
,,Naja, die Laute und Worte sollen schon noch unterscheidbar sein.`` G.L. gab dieser Argumentation erst einmal den Todesstoß.
,,Na gut, dann unendlich lange Worte.`` T.T. hielt an seiner Hypothese eisern fest; sehr standfest, das mußte man zugeben.
,,Wenn ich ein Wort ausspreche, will ich aber auch irgendwann ans Ende kommen.``
,,Na, das ist Ansichtssache.``
,,Ha! Wer war denn am Anfang gegen Ansichtssachen in der Mathematik.`` War das ein gewisser Triumph in der Stimme von T.G. Doch er hatte sich zu früh gefreut. Denn er hatte die Rechnung ohne den Vermittlungsausschuß in Gestalt von G.L. gemacht.
,,Ich hab's! Ich meine, die Lösung für das Problem.``
,,Laß hören!`` Das waren T.T. und T.G. gleichzeitig.
,,Steht nicht in der Bibel am Anfang des Johannesevangeliums, daß Christus das Wort ist.``
,,Ja.`` Das war noch kein verstehendes Ja.
,,Und an anderer Stelle heißt es, daß Gott ohne Anfang und ohne Ende ist. Das ist doch die Lösung.`` G.L. freute sich einfach über die Lösung, denn er konnte sich jetzt wieder wichtigeren Dingen zuwenden. Doch zurück blieben die immer noch mit den Köpfen wiegenden und Zweifel im Gesicht habenden T.T. und T.G.
,,Wörter ohne Ende, das laß' ich mir noch zur Not gefallen, aber Wörter ohne Anfang, ich weiß nicht...``
,,Vor allem stellt sich die neue Frage, nämlich ob Gott abzählbar oder nicht abzählbar unendlich viele Geistkinder hat...``
,,Ja, und wenn er uns ruft, wie lange wird er dann wohl brauchen, um unsere Namen - immerhin Wörter - auszusprechen?``
,,Wahrscheinlich braucht man eine nicht abzählbar unendlich lange Zeit, um dieses Rätsel zu lösen.``
,,Eine abzählbar unendlich lange Zeit ist auch schon lang genug.``