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Maskentausch
"Die letzte Szene für heute! Noch einen Take, am Besten noch etwas ernster, als den Vorherigen, dann ist es perfekt."
Konzentration. Wechselbad der Gefühle. Einatmen, ausatmen. Das selbe Mantra, immer und immer wieder.
Ich räuspere mich, gebe dem Regisseur ein Zeichen, lasse die Zeilen in meinem Kopf sich hin und her bewegen. Gleichmäßig wie ein Pendel ohne Widerstand. Das ist es, was ich brauche. Blick über die Kamera, hinein in die abgedunkelte Unendlichkeit. Ich bin an der Reihe.
"Weißt du, Marten? Ich bin nicht bereit für all das. Für die Komplikationen dieses Seins. Für dich, für uns, für die Fotografie, die dem anderen zu Teil wird. Ich kann nicht. Ich bin nicht ganz, ich bin nicht komplett. Ich fühl mich alleine in der Menge und belagert in der Stille. Ich genieße die Einsamkeit in einem übervölkerten Raum und hasse den Lärm im Vakuum. Ich muss einen Menschen finden, der mich ohne, dass ich das Verlangen verspüre, in andere Aggregatzustände versetzt. Jemanden, der nicht fragt, sondern macht. Du kannst mir das nicht geben. Es tut mir leid."
"Cut!" Ich bin erleichtert. Endlich vorbei. "Das war überragend! Wo kam das denn her? Noch so einen Tag und es gibt einen Abend auf mich, das sag ich euch Leute! Und jetzt seht zu, dass ihr fort kommt. Ruht euch aus, geht etwas trinken. Scheißegal. Hauptsache, ihr seid morgen in der selben Form!"
Da lacht er mit seinem Hyänenlachen. Ich bin froh, dass ich hier endlich raus komme. Ich bin auf dem Weg zum meinem Spint, viele meiner Kollegen und Kolleginnen laufen lachend an mir vorbei, klopfen mir auf die Schulter und gehen ihres Weges. Mir wird schlecht. Endlich hab ich ihn erreicht, fische zitternd den Schlüssel aus meiner Hosentasche (ich besitze nur zwei Schlüssel) und führe ihn mit espenlaubähnlicher Akrobatik in das Schlüsselloch. Ich drehe nach rechts, aber bemerke, dass es sich nicht öffnet. Die Schweißdrüsen arbeiten, mein Gehirn erwacht, läuft auf Hochtouren und ich versuche mich normal zu benehmen. Was ist schon normal, by the way.
"Na, wieder Probleme mit dem Schloss? Ich sags dir nochmal, mein Freund. Nach links drehen, da bleibst du stehen. Du musst nach rechts. Du bist doch Rechtshänder oder? Einfach auf deine starke Seite. [...] So, jetzt ist offen. Ja, ja, ich schau schon nicht hin. Was auch immer du dort versteckt hältst; die Gage muss es wert sein!"
Er lacht.
"Kommst du noch mit auf ein Betriebsbier? Lina wird auch dort sein. Du weißt schon ... Die mit den großen ..."
Ich schaue ihm in die Augen, werfe ihm eine Entschuldigungsfloskel entgegen, welche er lächelnd betrachtet. Sie schießt in einem Halbkreis um ihn herum und trifft mich. Härter, als ihn. Er hat damit gerechnet. Warum auch nicht; warum traurig sein, wenn die Antwort auf eine Frage, die man aus Höflichkeit unumgänglich fragen musste, die gewünschten Früchte trägt.
Ich reihe mit ein in die Menschentraube, die aus dem Studio hinaus auf die Straße drückt, aber folge danach nicht dem Strom, sondern mache mich in die andere Richtung davon. Ich will nach Hause, will die Dunkelheit mich zudecken lassen, will nackt sein, will meine Maske ablegen. Die Maske, die ein jeder trägt, wenn man anderen Maskenträgern begegnen muss. Niemals Gesicht zeigen. Lieber Schein wahren, anderen Menschen aufblenden, wie ein wütendes Auto in der Nacht, dass sie für den einen Moment erblinden und ihnen die Chance genommen wird, einen jeden zu sehen wie er ist. Leer. Sabbernd darauf wartend, gefüllt zu werden.
Ich benutze den zweiten Schlüssel, streichle ihn ins Schloss, er gleitet hinein und ich bin in meiner Welt. Alles andere aussperren, sich erheben, über andere hinweg, Hochgefühl. Mein Blick hastet suchend durch die karge Wohnlandschaft, hängt sich auf an den bekannten Störsignalen und bremst behutsam vor der Badezimmertür. Ich setze mich in Bewegung. Nun ist kein Druck mehr da, längst von mir abgefallen, der erkaltete Schweiß stört nicht mehr. Leicht zischend, des Teppichs am Bodens wegen, schnellt die Tür auf und wird zärtlich von meiner Hand entschleunigt. Wie eine Schlange pelle ich meine Kleidung vom Leib und betrachte mich im Spiegel. Endlich. Die Maske wird behutsam verstaut, ich brauche sie heute nicht mehr und ich muss lächeln.
Das Licht durfte nicht aufwachen, ich mag es in der Dunkelheit. Da sind die Gedanken lauter und echter. Ich drehe den Wasserhahn auf und das kühle Nass strömt in die Badewanne, versucht mit seinen Klauen Halt zu fassen am glatten Wannenrand. Doch je mehr Wasser hineingeströmt ist, desto ruhiger wird die Masse. Keine Massenpanik. Meine Beine heben sich nacheinander, wie von selbst und nun sitze ich in meiner Ruhekammer. Ich lasse mich nach unten gleiten, merke wie mich der gierige Wassermantel umschlingt, umarmt. Meine Augen wandern nach oben, gen Decke und ich spüre das für mich befreiende Verlangen nach Sauerstoff. Ich lebe, meine Gehirn überschlägt sich, Weltkrieg der Endorphine, pure Lust. Ich tauche auf. Meine Lungen werden gefüllt.
Ich brauche keinen Schlaf. Habe schon lange nicht mehr geschlafen, denn die Maske würde mich ersticken. Ich lebe, das ist das, was mich am Leben hält.