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Martini, Frau Johanna
Frau Johanna hat nichts von alldem an sich, das zu den Handlungen verleiten könnte, die noch an diesem Vormittag geschehen sollten. Die hin und wieder geschahen. Und wenn sie geschahen, dann ohne ihr Zutun. Er hatte bis zum Morgen durchgemacht und seine Wut im Bauch kam vom verlorenen Kartenspiel, vom fehlenden Schlaf. Auch aus seiner Vergangenheit schaut die manches Mal vorbei. Aufgestaut und nie besprochen, wie die noch immer ist.
Frau Johanna putzt seine Wohnung nun schon über ein Jahr. Sie kommt einmal die Woche vorbei und singt alte Schlager, während sie die Böden schrubbt. Sie hat Kinder mit einem streitsüchtigen Mann, dem sie die Arbeit weggenommen haben und ist doch immer guter Laune. Manchmal genießt sie die Vormittage. Manchmal stellt sie das Fernsehgerät an. Manchmal vergisst sie, die Zimmerlinde im Schlafraum zu gießen. Heute denkt sie daran. Sie hat das Haar zu einem Knoten gebunden und sie hat ihre mitgebrachten Hausschuhe an. Sie hat den obersten Knopf ihrer Strickjacke offen. Es ist warm in seiner Wohnung. Es ist der oberste Knopf. Nur der oberste. Die Jacke hat hellgrüne Querstreifen, ist an den Ärmelenden abgetragen. Die Jacke gibt nichts her, nichts dafür her, was der Vormittag bringen würde. Sie hat kurze muskulöse Arme und hinter den wollenen Strümpfen, die sie trägt, schimmert das Haar auf ihren Beinen. Sie riecht nach Lauge und Arbeit. Das Fernsehgerät läuft und sie summt die Melodie der Waschmittelwerbung mit.
Er steht hinter ihr, ist lautlos ins Zimmer getreten. Sie summt die Melodie aus dem Fernsehgerät mit. Die Vorhänge sind an ihren Rändern mit Stickereien durchwoben. Dick und zäh sind die Goldfäden. Da durch kann das Licht noch schwer, bemüht sich jedoch und damit ab. Er denkt an seine Müdigkeit und an das Geld, das er verloren hat.
Frau Johanna trägt ihr Haar so, wie es seine Tante tat. Damals war Sommer. Sie wollten Bier für Onkel und Vater holen. Der Ladenbesitzer hatte Härchen, die ihm aus der Nase standen. Im Laden roch es nach eingelegten Gurken. Fast wie nach Lauge roch es.
Er denkt an einen Schotterweg, den er an der Hand seiner Tante entlang ging. Die Bewegung zwischen den Distelblüten sieht er und die Schreie seiner Tante gellen ihm im Ohr.
,Erschlag den Hamster, erschlag ihn!’
Der Stein war viel zu groß in seiner Hand. Er kam zur Schule in diesem Jahr. Von Schädlingen wusste er nichts, würde erst lernen müssen, wer und was damit gemeint war. Das Tier hatte sich aufgerichtet, wehrte sich. Er konnte es nicht tun. Er wusste auch nicht, warum er es hätte tun sollen. Die Tante schrie und schlug so lange zu, ließ den Stein immer wieder auf das Tier fallen, bis aus der Schnauze des Hamsters Blut sickerte. Sein Fell hatte braune Querstreifen. An den Ohren standen Haarbüschel ab. Das Getreide neben dem Schotterweg flüsterte eine Sprache, die der Hamster verstanden hätte. Die Glut darin raschelte eiskalt. Eine Seele begann ihre Wanderung und die Halme verneigten sich. Der Sommer trieb Fliegenschwärme herbei. Es blieb das Knöcherne, das Ausgebleichte. Er rannte ins Feld, verschwand mit seinen Tränen in dessen Wogen, kniete bei den Champions und dem Klee.
Frau Johanna, sagt er.
Er schlägt sie mit der Faust auf das rechte Ohr, mitten in ihr Summen. Mitten hinein in diesen Vormittag schlägt er, mit aller Kraft tut er dies. Sie fällt gegen den Fensterflügel. Dessen Glas bricht und zaubert ein Netz roter Linien auf ihrer Stirn, dem Schläfenbein, der Nase. Er schlägt wieder zu. Ihre Zahnbrücke zersplittert. Metallstücke liegen unter ihrer Zunge. Sie würgt. Aber sie sagt nichts. Sie schreit nicht. Sie ist auf diese Arbeit hier angewiesen. Er bezahlt sie auch dafür, dass sie nicht schreit, dass sie stillhält, mit ihm darauf wartet, dass es vergeht. Es hat mit dem Hamster von früher zu tun. Das weiß sie nicht, aber sie spürt, dass das, was er rauslässt, alt sein muss. Sie hält sich dem entgegen, hält sich aufrecht daran fest. Es kommt noch mehr. Sie weiß, dass es noch dauern würde. Sie hat nur noch die Fenster, dann würde sie fertig sein für heute, dann würde er ihr das Geld geben. Er stößt sie gegen den Couchtisch. Also das wieder, denkt sie. Er dringt tief in sie ein, kommt nicht. Kann nicht. Sie wartet auf seine Tränen. Jetzt kommen sie, denkt sie, jetzt. Er leckt das Blut auf ihrer Stirn, zeichnet mit den Fingerkuppen Muster auf ihren Wangen. Er ist wie ein Verlorener, denkt sie. Wenn er weint, liebe ich ihn. Er könnte mein Sohn sein.
Er lässt ab von ihr. Sie zieht stumm den Rock straff, sucht ihre Hausschuhe. Er geht zum Schrank, hantiert ungeschickt mit zwei Gläsern.
Martini, Frau Johanna, und zwei Eiswürfel, sagt er, reicht ihr eines der Gläser und erzählt von der Nacht und der Bar und den Sternen über der Stadt. Sie mag seine Stimme. Es ist der Augenblick, der alles davor Gewesene vergessen macht. Was er denkt, weiß sie nicht. Wenn sie es wüsste, würde sie seine Tränen verstehen. Das wäre nicht viel, aber es wäre etwas.
Er wird sie bezahlen dafür. Das weiß sie. Er hat ihr gesagt, dass es manchmal so kommt mit ihm. Gut, hat sie geantwortet, ich brauche das Geld.
Sie geht ins Bad, spült die Mundhöhle aus. Keramiksplitter liegen im Waschbecken, Metall.
Ich hab noch die Fenster zu machen, denkt sie.
Ihr Martini, Frau Johanna, sagt er leise, an die Tür des Bades gelehnt.