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Martin

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23.09.2001
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Martin

Eigentlich lief das mit dem Schreiben des Romans wie geschmiert. Ich war schon auf Seite 210, im zehnten von zwölf geplanten Kapiteln, Ute hatte soeben mit Karl Schluss gemacht, Brigitte wusste, dass Simon irgendwie in den Mord verstrickt war und Martin tauchte auf. Leider hatte ich keinen blassen Schimmer, wo dieser Charakter namens Martin eigentlich herkam und was er in meinem Buch zu suchen hatte.

Nun gut, als Autor weiß man ja nicht unbedingt immer so genau, wo eine Idee herkommt, und ist einfach zufrieden, wenn sie plötzlich da ist. Aber dieser Martin war eindeutig ein Fremdkörper. Ich hatte erste Angst, unwissentlich eine Figur aus einem anderen Werk übernommen zu haben, aber das war nicht der Fall. Martin war eindeutig eine unverbrauchte Idee. Und das aus gutem Grund, denn er war einfach nur langweilig. Aber leider begann er, den Plot langsam aber sicher an sich zu reißen.

Bald war ich auf Seite 300, und meine bisherigen Protagonisten spielten gerade noch mal Nebenrollen. Als ich Seite 380 erreichte, war ich mir nicht mehr sicher, wer denn jetzt eigentlich Brigittes Vater umgebracht hatte und als ich letzten Satz von Seite 411 schrieb, fragte ich mich, ob denn nun Ute mit Karl schlussgemacht hatte oder Simon mit Björn. Zudem widersetze sich Martin jedem Versuch meinerseits, ihn etwas wirklich Interessantes tun oder erleben zu lassen. Irgendetwas was einer Erzählung wert gewesen wäre. Nach knapp 500 Seiten begann ich zu erzählen, was Martin an roten Ampeln ganz besonders hasste und hatte meine ursprüngliche Vision vollkommen aus den Augen verloren.

Eigentlich hätte ich die Geschichte schon nach Martins erstem Auftritt in die Tonne treten sollen, aber Martins Persönlichkeit und seine Geschichte waren trotz ihrer Belanglosigkeit mit einer Art klebrigen Faszination behaftet, so dass ich einfach nicht anders konnte als weiterzumachen. Ich schämte mich schon dafür, einem so langweiligen und dummen Charakter mehr als einen Satz zu widmen.

Aber als ich Seite 613 in den Computer tippte, das Ende eines Kapitels in dem es hauptsächlich ums Einkaufen von Wurstwaren ging, entschied ich mich endlich dazu, dem Ganzen und diesem insbesondere diesem Martin ein Ende zu bereiten. Ich hatte einen schnellen, urplötzlichen Tod ins Auge gefasst. Am nächsten Tag setzte ich mich fast schon beschwingt an den Computer, um diesen Entschluss auch in die Tat umzusetzen.

Als ich dann auf Seite 1002 angekommen war, wurde mir klar, dass ich versagt hatte. Ich wusste nicht genau warum, aber irgendwie gelang es mir ebenso wenig ihn sterben zu lassen, wie ihn interessant oder wenigstens lächerlich zu machen. Ich versuchte das Alles des öfteren. Genauer gesagt bis Seite 2165, aber auf diese Weise konnte ich dem Typen nicht beikommen. Und mir dämmerte dann auch langsam warum.

Martin war kotzlangweilig. Uninteressant. Niemand würde eine Geschichte über so eine Schnarchnase lesen wollen. Ganz zu schweigen von einem Roman mit Tausenden von Seiten. Und zudem war Martin mit keiner der Methoden beizukommen, die sonst grundsätzlich jede unbeliebte, fiktive Person zuverlässig und effektiv aus der Welt schaffen. Methoden, die ich zuvor oft und gerne angewandt hatte. Das Alles lies nur einen Schluss zu: Martin war gar keine Romanfigur. Ich stellte ihn sofort zur Rede.

Er gab zu, eigentlich zwei Wohnungen über mir zu wohnen, und nur in meiner Geschichte Zuflucht gesucht zu haben, weil er sich furchtbar langweilte. Und weil er Brigitte, die nach Seite 197 nie wieder auftauchte, für eine unglaublich scharfe Schnitte hielt. Ich war stinksauer.

Den Ausdruck (2173 Seiten) pfefferte ich ihm zusammen mit einer Schadensersatzforderung vor die Füße. Auf die Frage hin, ob es sich sein guter Freund Jens bei entsprechender Bezahlung auch mal in einer meiner Erzählungen gemütlich machen dürfe, reagierte ich nicht. Nur mit einem Grunzen. Und einer eindeutigen Handbewegung.

Aber von jetzt an bin ich auf so etwas vorbereitet. Ich kenne da ein paar Typen, die verstehen weder Spaß noch das Autorenhandwerk. Und ob eine Person fiktiv oder real ist interessiert sie nicht. Ich kann sie jederzeit an die Tastatur lassen.

Wer sich von nun an in meine Geschichten einschleicht, der tut das auf eigene Gefahr. Und nicht sehr lange.

 

Hallo Yann!
Deine Geschichte fand ich lustig. Erst ist Martin totlangweilig, dann wohnt er über Dir. Brüllend komische Idee. Ist dir wirklich gut gelungen. Falls mir das passieren sollte, dass ich mal einen soo langen Roman schreibe, werde ich von vorneherein meine Nachbarn überprüfen lassen.
Hat mir gefallen-und gerne gelesen!

Ein paar Kleinigkeiten zum Schluß:

Nun gut, als Auto weiß man ja nicht unbedingt immer so genau, wo eine Idee herkommt,
(als Auto hehehe- Autor)

Als ich Seite 380 erreichte war ich mir nicht mehr sicher, wer den jetzt
(erreichte,) (wer denn)

Als ich dann Seite 1002 fertiggestellt hatte, war mir klar, dass versagt hatte.
(zweimal "hatte" ist in einem Satz-nicht so gut) (klar, dass ich ...)

LG Joker

 

Hi Joker!

Danke für die Kritik.
Die Fehler habe ich gleich mal beseitigt.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi,

nur zwei kurze Anmerkungen:

- "Brigitte wusste das Simon" -> wusste, dass

- die Idee, dass sich ein Mensch in einen Roman schleicht, ist zweifelsohne ziemlich gut. Aber ich glaube, dass man mehr daraus machen kann. Es geschieht zu wenig. Es gelingt dem Autor nicht, Martin sterben zu lassen - wie ist das zum Beispiel zu verstehen? (In diesem Zusammenhang ist übrigens auch die Drohung am Ende Deiner Geschichte leer)
Er war keine Romanfigur, ihn zur Rede stellen - wie? Das ist abstrakt. Du beschreibst das Geschehen nicht, dabei könnte man da ziemlich bizarre Dinge erzählen.
Als Running Gag die exorbitanten Seitenzahlen zu bemühen, finde ich etwas flach.

Fazit: Gute Idee, aber man kann mehr daraus machen. Sprachlich okay.

Uwe

 

Hallo Yann

mir hat Deine Geschichte ziemlich gut gefallen, ich mußte echt lachen bei der Vorstellung, wie sich ein Autor über 1000de von Seiten hinweg abmüht, eine Figur aus einem Roman wieder raus zu bringen. :D
Wie genau das vor sich gegangen ist, hat mich eigentlich nicht interessiert.

Uwe:

In diesem Zusammenhang ist übrigens auch die Drohung am Ende Deiner Geschichte leer

Finde ich nicht, denn Yann schreibt ja, er kann die fiesen Typen jederzeit an die Tastatur lassen. Die würden dann eben Sachen fertig bringen, die der Prot. nicht schafft.

Fazit: :thumbsup:

VG

Petra

 

Hi Yann,

ich kann mich meinen Vorrednern eigentlich nur anschließen; eine wirklich gut geschriebene und witzige Geschichte! Ich hab sie gern gelesen! :)

Grüßle,
stephy

 

Okay, nochmal etwas konkreter:

"Als ich dann auf Seite 1002 angekommen war, wurde mir klar, dass ich versagt hatte. Ich wusste nicht genau warum, aber irgendwie gelang es mir ebenso wenig ihn sterben zu lassen, wie ihn interessant oder wenigstens lächerlich zu machen. Ich versuchte das Alles des öfteren. Genauer gesagt bis Seite 2165, aber auf diese Weise konnte ich dem Typen nicht beikommen."

Das ist für mich der Knackpunkt, bzw. Schwachpunkt an der Geschichte. Der Autor will die Figur umbringen, aber er kann es nicht. Stattdessen schreibt er über 1000 Seiten. Das ist nicht mehr als eine Übertreibung. Wir erfahren weder, warum nicht ein Satz wie "Dann wurde Martin von einem Laster, dessen Fahrer die rote Ampel übersah, plattgefahren." genügt, um Martin zu entfernen. Kann ja sein, dass er plötzlich wieder auftaucht. 1000 Seiten sind eine Menge Holz. Was schreibt der Autor denn da? Was bedeutet es, Martin interessant oder lächerlich zu machen?

Nein, Blackwood, man muss nicht jede Idee "ins kleinste erläutern". Aber hier wird Kapital verspielt. Die Idee hat Potenzial. Es kann zu einer Auseinandersetzung mit der Figur kommen, die zu beschreiben nicht nur viel Spaß machen würde, sondern bei der man auch noch Seitenhiebe und von mir aus Sozialkritik reinstecken könnte. Stattdessen schreibt der Autor 1000 Seiten und wird die Figur nicht los. Ich würde nicht 1000 Seiten, sondern eine halbe schreiben, und ich würde sie Wort für Wort (kursiv) in die Geschichte setzen, und darin würde sich Martin *ganz konkret* als unloswerdbar erweisen.

Überlappung von Realitätsebenen haben ein großes Potenzial, weil man damit unterschiedliche subjektive Realitäten aufeinander prallen lassen kann. Diese Möglichkeit wurde in dieser Geschichte verschenkt, stattdessen dient die Idee nur der Umsetzung einer (wirklich nicht schlechten!) unterhaltenden Kurzgeschichte.

Um das klar zu sagen: Inhaltliche Tiefe ist kein Muss für eine Geschichte. Sondern eine Herausforderung. Ich rufe dazu auf, sie anzunehmen. Eine gleichzeitig unterhaltsame *und* "gehaltvolle" Geschichte zu schreiben, ist eine Kunst. Und um die zu erlernen, sind ja die meisten von uns hier, oder?

Uwe :cool:

 

Moin yann,

Ich mag Geschichten, denen skurrile, neue Ideen zugrunde liegen. Deine ist eine davon. Die Grundidee ist wirklich toll und das ganze ist recht locker und humorvoll geschrieben. Insofern hat mir deine Geschichte ziemlich gut gefallen.

Allerdings geht es mir ein wenig wie Uwe. Auf Dauer wirkt die Geschichte auf mich leider ein wenig eintönig, es passiert einfach zu webig. Martin kommt, übernimmt die Geschichte, ich schreibe hundert Seiten, Martin ist noch da, ich schreibe weitere tausend Seiten, Martin ist noch da etc...

Ich denke, du hättest aus dieser guten Idee eine Menge mehr herausholen können. Uwes Vorschlag, einen Teil des fiktiven Romans zu schreiben, um Martins Langweiligkeit zu beschreiben, fände ich interessant. Oder beschreibe detaillierter, wie Martin den Roman (dessen kurze Schilderungen ich übrigens sehr originell fand) langsam aber sich an sich reißt, indem er die anderen Figuren nach und nach in den Hintergrund stellt. Martin beim Wurstkaufen ist ein guter Anfang. In diese Richtung hätte ich mir vielleicht mehr gewünscht.

Naja, auf jeden Fall trotzdem eine gelungene Geschichte, in deren Idee aber mMn mehr Potential steckt, als du es hier abgerufen hast. Das Ende mit der Drohung an etwaige Martin-Nachfolger hat mir auch gut gefallen, weil es ziemlich schlüssig war.

 

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