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Martens
Eure königliche Hoheit, Ich hoffe diese, meine Botschaft erreicht Euch bei bester Gesundheit und frei von Sorgen.
Man sagt, niemand kehrt jemals aus den Bergen zurück, wenn die Oger ihn entdecken.
Die Berge dienen uns Menschen nur um dort Ungewollte auszusetzen, bringen viele doch ihre Alten dorthin und missgestaltete Kinder, um sich ihrer zu entledigen. Die Oger jedoch leben dort, und zu dem Zeitpunkt da ich diese Nachricht an euch verfasse, lebe auch ich noch.
Ihr ehrtet mich mit eurem Vertrauen als Ihr mich mit dem Auftrag betrautet in die Berge zu gehen um Informationen über die wilden Stämme der Berg-Oger zu sammeln. Auch wenn Ihr nicht den Zweck erwähntet, weiß ich, dass die Suche nach solch Erkenntnis dazu dient Stärken und Schwächen eines Feindes zu ergründen.
Ich weiß auch, Ihr tragt Euch schon lange mit dem Gedanken die Oger auszurotten, da sie Euch minderwertig und dumm erscheinen und Ihr sie als Schandfleck eures Reiches betrachtet. Nur die Gerüchte und Legenden über die schreckliche Stärke und Zahl der Berg-Oger haben Euch bisher von diesem Vorhaben abgehalten.
Nun hört meinen Rat, oh König. Ich, der ich vor Euch in Ungnade gefallen bin, habe die Oger erforscht und ihre Gebräuche studiert, hoffend meine Schande wieder gutzumachen um eventuell die Erlaubnis zu erhalten an den Hof zurückzukehren. Doch wage ich nicht, Euch meine Erkenntnis von Angesicht zu Angesicht mitzuteilen, da ich Euren Zorn fürchte, denn ich muss Euch inständig raten von einem Angriff auf die Oger abzusehen. Ich habe ein Geheimnis der Oger erfahren, dass sie uns Menschen überlegen macht und versichert, dass eure Armeen große Verluste erleiden würden und gar einen Sieg gegen dieses Volk mehr als ungewiss erscheinen lässt.
Aber lest meinen Bericht. Mögt Ihr durch ihn erfahren wie ich zu dieser Ansicht kam und in eurer Weißheit und Erfahrenheit selbst entscheiden welch Taten euch angemessen erscheinen.
Drei Monate ist es nun her, dass ich auszog. Die Oger im Tal ließ ich unbeachtet, denn sie sind nur wenige und über diese wissen wir vieles. Sie schließen sich nie zu Gruppen größer als die eigene Familie zusammen und hausen in Löchern und Höhlen. Diese Oger kennen wir gut genug, kein Mysterium umgibt sie, nur der Unbill Eurer Bauern, da sie auf der Suche nach Essbarem auch vor deren Feldfrüchten und Tieren nicht halt machen.
Doch die Oger in den Bergen waren meine Aufgabe. So wanderte ich hinauf in das Hochland, wo die Wiesen steinig werden und die Gebirge ihre Ausläufer erstrecken.
Ich bewegte mich bedacht, immer wachend, ob nicht ein Oger in der Ferne erscheinen würde. Ungesehen wollte ich bleiben um ihr Treiben und Leben auszuspähen.
Nicht immer gelang mir das. Oftmals mussten mich die Oger erblickt haben, doch mag ihr Augenlicht dem der Menschen unterlegen sein, oder sie entschieden mich nicht zu beachten.
Die Berg-Oger unterscheiden sich von denen die wir im Tal kennen, die oft Fett und hässlich sind und laut schreiend Keulen schwingen, wenn sie aufgescheucht oder bedroht werden. Die Oger hier sind groß und muskulös. Sie gehen stolz und aufrechten Schrittes, in dem Bewusstsein ihrer Kraft. Ihre Waffen sind Messer und Speere und selbst auf der Jagd tragen sie weder Rüstung noch Kleidung.
Bereits zu diesem Zeitpunkt kann ich Euch sagen, dass die Oger stark sind. Ein Jeder von ihnen besitzt die Stärke von zweien eurer Soldaten und vermag einem Wildschwein das Genick mit bloßen Händen zu brechen, denn das ist ihre Art zu Jagen. Sie stellen keine Fallen, sondern suchen ihre Beute mit Geschick und roher Gewalt zu erlegen. So pirschen sie das Reh und fallen über den Eber her.
Man sagt, die Oger hätten die Berge ausgehöhlt und riesige Hallen darin gebaut, wo sie zu Tausenden Leben und ausziehen um Menschen zu fangen und sie zu fressen.
Von solchen Dingen konnte ich nichts entdecken. Anstatt dessen fand ich Siedlungen, wie kleine Dörfer, ähnlich denen der Menschen unten im Tal. Nur, dass die Menschen niemals aufhören weiterzubauen.
Die Dörfer der Oger haben alle in etwa dieselbe Größe. Etwa fünfzig an der Zahl leben darin zusammen. Sie bauen Höhlen in die Seiten von Hügeln und Felswänden. Aber auch Zelte aus Fell und manchmal derbe Holzhütten dienen ihnen als Behausung.
Die Dörfer leben in Frieden untereinander, sie fürchten keine Angriffe und stellen weder tagsüber noch nachts Wachen auf.
Mögen es zwanzig Tage gewesen sein in denen ich wanderte und viele dieser Dörfer sah, als ich mich entschloss, in der Nähe einer dieser Siedlungen zu bleiben und das Leben und Treiben dieser Oger zu betrachten.
Es schien mir geeignet, da ich den Hügel an dessen Steilwand es lag, von hinten erklettern konnte um ungesehen von oben darauf herabzublicken.
Einige Höhlen waren in die Wand des Hügels gegraben. Darin lebten die meisten der Oger, auch gab es Zelte in denen einzelne Familien zu leben schienen.
Ein großes Zelt aus Tierfellen jedoch erregte schon bald meine Neugier, denn ich konnte nicht ergründen was sich darin befand.
Es war nicht die Behausung des Stammesführers, denn ihn hatte ich bereits ausfindig gemacht, ein großer Oger, der seine stärksten Jäger noch um einen Kopf überragte. Er wohnte in einem Zelt nahe der Steilwand.
Erst glaubte ich, es wäre ihre Versammlungshalle, denn jeden Abend, wenn die Feuer angemacht wurden, gingen die erfolgreichen Jäger dorthinein, gefolgt von vielen ihrer Frauen und auch Kindern. Bald darauf hörte man seltsame Geräusche, Stampfen und Schreie aber auch Wimmern und allenthalben bewegte sich die Zeltwand, als ob jemand oder etwas dagegen geschleudert würde.
So kurios war dies, dass ich beschloss, diesem Zelt die größte Aufmerksamkeit zu widmen.
Morgens, wenn die großen Oger auszogen um auf die Jagd zu gehen begaben sich einige Frauen dorthinein, mit Nahrung und Wasser. Etwas lebendiges musste sich also darin befinden, oder waren es Opfergaben für einen Gott? Vielleicht war das Zelt ein Tempel? Zu diesem Zeitpunkt vermochte ich es nicht zu sagen. Tagsüber, als auch die meisten der Oger-Frauen das Dorf verließen, um Früchte und Kräuter zu sammeln, sah ich, wie immer wieder Kinder das Zelt aufsuchten um eine Weile darin zu bleiben. Oft vernahm ich etwas das mich an Lachen erinnerte, aber die Geräusche der Oger mögen viele Bedeutungen haben.
Ich begann die Oger zu zählen und fand heraus, dass die genaue Anzahl derer die sich in das Zelt begaben auch wieder daraus hervor kam.
Meine Neugier wuchs mit jedem Abend an dem ich das seltsame Schauspiel von außen betrachtete. Als eines Tages plötzlich die Geräusche verstummten. Kurz darauf wurde ein Oger aus dem Zelt getragen. Die Jäger nahmen Stöcke aus den Feuerstellen und schon bald nahm ein Fackelzug seinen Weg auf in eine nahe Schlucht. Ich folgte ihnen, wagte es aber nicht die Schlucht zu betreten. Stattdessen verbrachte ich die Nacht, verborgen hinter ein paar Bäumen, in der Nähe und schlich mich beim Morgengrauen hinein. Dort entdeckte ich die rauchenden Überreste eines Scheiterhaufens mit Knochen darin, der wohl am Abend zuvor angelegt worden war um den Oger zu bestatten.
Die Schlucht schien ihnen als Friedhof zu dienen. Woran der Oger jedoch verstorben war, vermochte ich nicht zu sagen.
Ich begab mich zurück zu dem Dorf um weiter zu beobachten, aber meine Neugier kannte bald keine Grenzen mehr. Ich musste wissen, was sich in dem Zelt befand, also entschloss ich mich zu einem tollkühnen Wagnis. Ich würde hinuntergehen um hineinzusehen. Diese Tat musste aber wohl überlegt sein. Keinesfalls konnte ich wagen am helllichten Tage mich anzuschleichen und spät nachts würde ich nichts darin erkennen können. Ich hatte nicht vor das Zelt zu betreten, nur ein kleines Loch wollte ich in die Haut schneiden, um hinein zu blicken.
Es musste während der allabendlichen Versammlung geschehen. Dann waren die Oger abgelenkt, entweder in ihren Hütten, um die Jagdbeute zu bearbeiten und zu kochen, oder in dem Zelt um zu tun was ich nicht sehen konnte.
Also versteckte ich mich kurz vor Einbruch der Dämmerung nahe des Dorfeinganges und wartete bis die Jäger zurückgekehrt waren. Nachdem sie das Zelt betreten hatten, kroch ich vorsichtig darauf zu und erreichte unentdeckt die Seite die dem Inneren des Dorfes abgewandt war.
Schon hörte ich Gemurmel und Gestampfe, was mich zuversichtlich werden ließ, dass niemand gewahren würde, wie ich die Zelthaut einritzte.
Was ich dort drinnen erblickte, oh mein König, lässt sich mit Worten nicht beschreiben, denn die Bilder trafen direkt in mein Herz.
Die Zeltwände im inneren waren bemalt mit Bildern von Tieren. Rehe und Eber, Hasen und Füchse streiften zwischen gemalten Bäumen umher, darüber die Sonne, der Mond und die Sterne.
Der Boden des Zeltes war mit weichen Fellen und Heu ausgelegt. Dort lagen Oger bequem gebettet, alte, die sich kaum noch bewegen konnten und junge, die verkrüppelt waren oder blind und vielleicht auch zurückgeblieben. Auch die Oger-Frauen und die gesunden Kinder saßen da, um zu sehen was die Jäger taten.
Sie tanzten für sie, die Jäger führten ihnen ihr Jagdglück vor. Bald hatte einer eine Maske mit Eberzähnen aufgesetzt und ein anderer rang ihn nieder, was mit viel Geschrei und Applaus bedacht wurde. Selbst der Stammesführer tat sein Bestes einen Oger zu fangen der wohl ein Reh darstellen wollte. So geschickt wich er ihm aus, dass sein Jäger nahe an meinem Guckloch gegen die Zeltwand stieß, und mir damit einen gehörigen Schrecken versetzte.
So also kümmerten sich die Oger um ihre Alten und Kranken und um die Verkrüppelten. Sie ließen sie Tag für Tag teilhaben an ihren Abenteuern außerhalb des Dorfes, indem sie vor ihnen aufführten was sie erlebt hatten. In all dem Trubel und dem Lachen aber sah ich etwas, was mein Herz fast zum Stillstand brachte. Zwischen all den Ogern saß ein Menschenkind. Seine Arme und Beine waren merkwürdig verdreht und eine Oger-Frau saß daneben und achtete, dass es nicht umkippte, da es sich nur mit Mühe aufrecht halten konnte um das Schauspiel zu betrachten. Er lachte und freute sich, genau wie alle anderen.
Die Oger mussten einen der Krüppel gefunden haben, wie sie die Menschen nach der Geburt in die Berge bringen, um ihre Schande zu bereinigen.
Nachdem ich in mein Versteck zurückgekehrt war, gingen mir viele Gedanken durch den Kopf. Ich musste an meinen eigenen Sohn denken, geboren ohne Arme, und an meine Frau, die bei seiner Geburt gestorben war. Die Amme sagte mir damals sie wüsste was zu tun wäre, und ich hielt sie nicht zurück, als sie ihn fortbrachte. Meine Schande aber, Vater eines Krüppels zu sein, wurde bekannt. Weshalb ich auch vor Euch, mein König, in Ungnade fiel.
All dies ließ mich nun einen Entschluss fassen. Die Schande meiner Vaterschaft habe ich abgelegt, dafür lastet nun die Schande auf mir, mein Kind ermordet zu haben. So entschied ich mich, denen zu helfen die meinen Sohn aufgenommen hätten, den Ogern.
Nachdem ich diese Botschaft an Euch dem Boten übergeben habe, werde ich zu ihnen zurückkehren. Ich bitte Euch hiermit mich aus Euren Diensten zu entlassen, denn, wenn Ihr dies lest werde ich mein Können anderen Herren zur Verfügung stellen.
Ich werde den Ogern von Euch und Euren Vorhaben berichten, und sie auf Eure Ankunft vorbereiten. Die Berg-Oger sind ein friedliches Volk. Leicht zu überraschen, hättet Ihr Dorf für Dorf im Handstreich nehmen können.
Mit meinem Wissen und Rat jedoch, werden sie Euch zu begegnen wissen, wenn Ihr es jemals wagen solltet dieses Volk zu bedrohen, das uns Menschen die Menschlichkeit zu lehren vermag.
Ich grüße Euch, oh mein König
Martens
Ehemaliger Stratege des Königs