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Maronenfrau

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05.11.2017
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Maronenfrau

„Es wird Herbst ─ die ersten Hunde tragen Mantel“, denkt er, während er am späten Nachmittag durch den Park in Richtung Klinik joggt. Er nickt einem Windhund im dezenten Karodress zu, der sich sicher beschämt wegducken würde, wenn das stramme Halsband dies zuließe. Frauchen hat es eilig. Der Kaugummi in seinem Mund löst sich auf ─ zu viel Spucke für das kleine Ding. Kurz bevor sein Pfad ihn nach links traben lässt, vorbei am Denkmal mit verlorengegangenem Zeigefinger, sieht er sie: normalgroß, normalschwer, braune Locken, die sich unter der Kapuze ihres weinroten Mantels hervorkämpfen. Ihr Körper balanciert in der Haltung eines Frosches, ihr Hintern hält sich nur wenige Zentimeter über dem, was das Wetter von der Wiese übrig gelassen hat, ihre Knie sind bereit für den nächsten Sprung. Ihr Blick ist nach unten gerichtet. Die Finger, die unter den zu langen Ärmeln hervorkommen, halten die Griffe einer Plastiktüte, die auf dem Boden in sich zusammensackt. Real - einmal hin, alles drin. Sie sammelt Maronen aus dem Gras. Die Kuppen von Daumen und Zeigefinger werden nass, der Rest bleibt verschont. Glänzend dunkelbraune Maronen, die ihre schützende Stachelhaut verlassen haben, um sie gegen nasses Erde-Wiese-Gemisch und schließlich gegen Plastik einzutauschen. Haben die Früchte es nicht alleine geschafft, hilft sie sanft nach. Ihre Finger leiten den Weg aus den Stacheln heraus, spielen Hebamme für die Schwächeren, begleiten den Übergang von der einen Welt in die andere. Sie begutachtet jede einzelne Marone als wäre sie eine Kostbarkeit, rollt sie durch die Handinnenfläche, bevor sie sie zu einem Teil der Sammlung werden lässt. Nicht jede schafft es in den Plastiksack. Für die Mangelhaften öffnet sich die Hand, sie kullern zwischen den Fingern durch, fallen zurück ins Nass. Umsonst geboren. „Die Guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen“, kommt es ihm in den Sinn. Er muss stehen und Aschenputtel zusehen. Sein Atem wird nur zögerlich gleichmäßiger, Schweiß läuft im Rinnsal die Schläfen entlang, versickert im Kragen aus Fleece. Sie ist wunderschön. Ihr Gesicht wie gemalt. Er möchte ihr die rote Kapuze von Kopf streichen, ihre Locken ganz frei lassen und ihre Wangen anfassen. Umfassen. Er schluckt den Kaugummibrei, geht einen Schritt auf sie zu, verharrt an seinem neuen Platz. Sein Blick bleibt an den Fingern der Prinzessin in spe hängen. Diese braunen, ungleichmäßig geformten Dinger, die ihre perfekte Hand schmutzig werden lassen. Hinterhältige kleine Fieslinge, kläglich versteckt hinter Stacheln, die glatte Haut von einem widerwärtigem Flaum überzogen, der an Schimmel erinnert. Jede der Früchte Behausung eines weißen Wurmes, der wächst, weil er frisst. Er schmeckt den nichtssagenden Geschmack auf seiner Zunge, fühlt die mehlige Konsistenz in seiner Mundhöhle, kann den sich windenden weichen Wurm an seinem Gaumen fühlen. Übelkeit steigt in ihm hoch, beschlagnahmt von der Magengegend ausgehend seinen gesamten schwitzenden Körper. Sein noch immer ungleichmäßiger Atem wird lauter. Kaugummispucke stößt ihm auf. Kleine Würmer, die nach Pfefferminz schmecken. Er macht einen Satz nach vorne und spuckt das Gewürm im Gehen aus. Sie sieht ihn, erkennt ihn. Will fliehen. Ihre Unaufmerksamkeit wird bestraft ─ der gebärende Igel sticht ihren Ringfinger, fünf braune Maronenkinder fallen ins Nass. Auf ihrem Finger bildet sich ein winziger roter Punkt. Der Punkt wird größer, ein kleiner Tropfen fällt nach unten. „Rucke di guck, rucke di guck! Blut ist im Schuck!“ Ihr Hintern springt nach oben, die Kapuze fällt nach hinten. Ihre Augen sind weit aufgerissen. Ihr Mund ist unfähig, zu arbeiten. Er steht direkt vor ihr, ihre Nase riecht den Pfefferminzatem, ihre Wangen fühlen seine feuchten Finger. Ihr Hals pocht gegen seine bohrenden Daumen. Ihre Finger lassen das Plastik los.

 

Hej Ranunkel und herzlich willkommen,

es geht sehr schnell, dass ich mich in der Szene zurechtfinde. Du zeigst unmittelbar mit deutlicher Sprache auf, wo ich mich befinde, wie es sich anfühlt und mit wem ich es zu tun habe. Lediglich fehlende Absätze erschweren den Genuss.

Dieser aufmerksame Jogger ist spannend zu beobachten und macht neugierig. Und gerade deswegen bemerke ich sehr bald die Ambivalenz des Protagonisten: das stramme Halsband des Hundes, das lästigwerdene Kaugummi, das beschädigte Denkmal, die Abschätzen der Äußerlichkeiten der Maronenfrau.

Dann folgt eine beinahe romantische Empfindung gegenüber dieser Fremden, er überanalysiert sowohl die Person als auch ihre Tat, verfängt sich in märchenhaften Vergleichen, wobei der Protagonist immer Verdächtiger erscheint.

Und tatsächlich entpuppt er sich von einer Sekunde zur anderen als ... Triebtäter? Mörder? Auf jeden Fall als gewalttätiger Psychopath. Dafür nutzt du weiterhin sehr clever die orale Komponent des Kaugummis und dann der Maronen.

Du schaffst ein sehr gutes Tempo und Aufbau. Ich bin am Ende nicht überrascht, aber eben auch nicht gelangweilt, weil es gekommen ist, wie es musste.

Ihr Mund ist unfähig, zu arbeiten.

das klingt eigenartig, weil das ja nicht die Aufgabe eines Mundes ist zu arbeiten.

Und nachdem ich die Geschichte ein zweites Mal gelesen habe, hätte ich mit gewünscht zu erfahren, worin bei diesem Mann der Auslöser bestand. Was ihn zu dem machte, was er ist. Jetzt gar nicht analytisch und langfristig, nur so als Idee, ein bildhafter Hinweis. (Oder gibt es den und ich habe ihn nicht erkannt?:shy:)

Vielen Dank für Einstellung der Geschichte.

Ein Leseeindruck und freundlicher Gruß, Kanji

 

Hallo Ranunkel und herzlich Willkommen hier.

Deine Geschichte lässt mich zwiegespalten zurück. Es gibt einige Beschreibungen, die mir gut gefallen. Du schreibst flüssig und bildhaft

Er nickt einem Windhund im dezenten Karodress zu, der sich sicher beschämt wegducken würde, wenn das stramme Halsband dies zuließe. Frauchen hat es eilig.
Für die Mangelhaften öffnet sich die Hand, sie kullern zwischen den Fingern durch, fallen zurück ins Nass. Umsonst geboren.
Diese Stellen mag ich. Man kann der Sprache leicht folgen, der Rhythmus mach Lust auf mehr.

Aber dann gibt es einige Dinge, die ich nicht verstehe.

Der Kaugummi in seinem Mund löst sich auf ─ zu viel Spucke für das kleine Ding.
Ein Kaugummi löst sich auf? Du meinst, er verliert den Geschmack?

Die Kuppen von Daumen und Zeigefinger werden nass, der Rest bleibt verschont. Glänzend dunkelbraune Maronen, die ihre schützende Stachelhaut verlassen haben, um sie gegen nasses Erde-Wiese-Gemisch und schließlich gegen Plastik einzutauschen.
Sein Blick bleibt an den Fingern der Prinzessin in spe hängen. Diese braunen, ungleichmäßig geformten Dinger, die ihre perfekte Hand schmutzig werden lassen. Hinterhältige kleine Fieslinge, kläglich versteckt hinter Stacheln, die glatte Haut von einem widerwärtigem Flaum überzogen, der an Schimmel erinnert.
An beiden Stellen beobachtet er ihre Finger und wie sie die Maronen damit einsammelt. Beim ersten Mal scheint es ihm zu gefallen, es folgt eine liebevolle Beschreibung des Maronensammelns. Beim zweiten Mal ekelt ihn der Anblick so sehr an, dass er sie angreift? Ich verstehe nicht was zu diesem plötzlichen Ausbruch von Ekel und Gewalt führt.

Sein Blick bleibt an den Fingern der Prinzessin in spe hängen. Diese braunen, ungleichmäßig geformten Dinger,
Hier stimmt der Bezug nicht ganz. Ich dachte erst die Finger wären braune, unregelmäßig geformte Dinger.

Sie sieht ihn, erkennt ihn. Will fliehen.
Sie kennt ihn? Man hatte bisher nicht den Eindruck, dass der Jogger die Maronenfrau kennt. Woher kennen die beiden sich? Warum hat sie Angst?

Ihr Hals pocht gegen seine bohrenden Daumen. Ihre Finger lassen das Plastik los
Was passiert hier? Bedroht er sie? Und warum?

Ich muss sagen, dass mich dieses Ende doch etwas unbefriedigt zurücklässt, weil man hier einfach zu wenig erfährt. Über die Hintergründe, das Motiv und sogar die eigentliche Tat bleibt unklar. Mich würde interessieren was hier dein Hintergedanke war.

Und ein paar Absätze würden tatsächlich nicht schaden. ;)

Viele Grüße,
Nichtgeburtstagskind

 

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