Marktplatz, 12 Uhr mittags
Er steht da, ganz allein, allein unter seinen Feinden. Doch dieses eine Mal ist er stark.
Noch scheint es nicht so, noch steht er unscheinbar inmitten der bewegten Menge. Seine leeren Blicke schweifen nur über die Figuren, die ihn umgeben.
Alles verschwimmt zu einer einzigen, riesigen, bedrohlichen Masse Feind. Ein Schauer der Impressionen hagelt auf ihn nieder: Hässliche Fratzen, irrsinniger Hohn, todbringender Wahn. Hass entbrennt in ihm, vermischt sich mit der Masse und lässt die Trugbilder wachsen. Doch kurz vor dem apokalyptischen Höhepunkt wird er angestoßen.
"Oh, entschuldigen Sie." Eine Frau mit einem Kinderwagen, Einkaufstüten und einem Jungen am Arm erscheint im Fadenkreuz seiner Augen. Keine Fratze mehr weit und breit. Entgeistert starrt er ihr ins Gesicht. Ihre dunklen Augen blicken zu ihm hoch, durchbohren ihn. Wie ein kleines Kind steht er da, sprachlos, als ob er gerade beim Spielen mit dem Feuer erwischt worden wäre.
"Geht es Ihnen gut?" fragt die Frau, dieses Mal energischer, auf eine Antwort wartend. Hastig erwidert er. "Nein..nein, ich war nur in Gedanken. Es ist nichts geschehen." Sein Blick fällt auf den Jungen, der etwas ängstlich zu ihm hochschaut und anschließend auf das kleine Wesen, das vor ihm im Kinderwagen liegt. Die Zukunft der Menschen. Er denkt an seine beiden Kinder und an seine wunderschöne Frau, die nun so weit von ihm entfernt sind. "Passen sie gut auf die Kleinen auf. Man hört ja so viel Schreckliches aus dieser Umgebung." Etwas verblüfft über seine Worte erwidert sie, ihn leicht argwöhnisch betrachtend. "Ja, da haben sie wohl Recht." Scham steigt in ihm auf. Schnell senkt er seinen Kopf, als ob er den Boden nach etwas absuchen würde.
Der Kleine zerrt an dem Rock der Frau. "Ich muss los. Einen schönen Tag noch." Sie schiebt den Wagen an ihm vorbei, der Junge läuft neben ihr. Seine Blicke versuchen ihnen zu folgen, doch in der Menschenmenge gehen sie schnell verloren. Er wendet sich ab, versucht sich wieder auf sein Vorhaben zu konzentrieren.
Es dauert einige Zeit, da erscheinen wieder die Fratzen. Um ihn herum schwirren sie, betören ihn, stacheln ihn an, ihn, der dort im Meer der Menschen steht, wie ein Fels in der Brandung. Die Gewalt Gottes windet sich unter seiner Jacke wie eine Schlange kalt und erbarmungslos um seinen Körper. Er sei der Berufene, der Auserkorene. Der Retter der Nation.
Er denkt an die vielen leblosen Körper, die Bekannten und Verwandten. In tiefen Abgründen der Trauer und Verzweiflung wird Hass neu geboren. Größer, stärker denn je. Dann irgendwann verschwindet der Lärm der Feinde um ihn herum. Nur das Rauschen des Blutes in seinem Kopf ist leise zu vernehmen. Schweißperlen zieren die Stirn des Siegers.
Er wirft seinen Kopf zur Seite und sucht in der Menge die Frau und ihre Kinder, doch die Menge hat sie verschlungen. Er wartet einige Momente. "Jetzt sind sie bestimmt ganz weit weg", denkt er sich. Dann drückt er den Knopf.
[Beitrag editiert von: Frederik am 13.04.2002 um 18:04]