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Marjory
Einst fragte mich Marjory, woran ich glaube, während sie mit ihren zarten Fingern an den Blütenblättern eines Gänseblümchens zupfte.
Ich betrachtete ihr nachdenkliches Gesichtchen und erkundigte mich, was sie damit meinte.
„Glaubst du an Gott? An das Schicksal? An Himmel und Hölle? An Engel, Teufel und alles dazwischen?“
Sanft lächelte ich und streckte meine Hand nach ihren zerzausten Haaren aus, die in der Abendsonne leuchteten, wie ein Heiligenschein. Gar lieblich wirkte sie, still auf der Gartenbank vor ihrem Elternhaus sitzend, ihre zarten, von Erde schmutzigen nackten Füße vor sich ausgestreckt. Man hätte sie mit einer Dryade verwechseln können.
„Nein, liebe Marjory. Ich glaube an das, was ich sehe, höre, fühle. Ich glaube an das Meer und die Wolken, an diesen Garten mit allen seinen Blumen und kleinen Tierchen...“
Ich schwieg und hielt mein Gesicht der Sonne entgegen. Die Wärme machte mich träge, langsam, legte sich schwer um mich, wie eine Wolldecke. Mir war, als würde ich meine eigene Stimme von weit weg hören, wie im Traume. Dieser ganze Sommer war ein einziger Traum und sie dessen Mittelpunkt.
„Also macht es dir nichts aus, dass wir nicht vor Gott getraut werden? So wie es sich gehört?“
Bei ihrer ernsthaften Nachdenklichkeit konnte ich nicht anders, als leise zu lachen. Nein, eine prächtige, kirchliche Zeremonie, wie Mütter sie sich immer für ihre Töchter wünschen, stand uns nicht zu, nicht, wenn wir vorhatten, diesen Ort unbemerkt und für immer zu verlassen. Ich würde sie mitnehmen, fort von den hasserfüllten Blicken ihrer Familie, die mich verachtete, fort von dieser schmutzigen Stadt und ihren verfaulten Einwohnern. Ich träumte von einer idyllischen Hafenstadt, einem Haus mit Ausblick auf das Meer, wo ich sie zeichnen würde, am Fenster sitzend, gehüllt in nur ein weißes Bettlaken...
„Nein. Ich brauche weder Priester, noch Altar, noch den Segen eines höheren Wesens, um der deine zu werden. Wenn du jedoch möchtest, werde ich dir einen Ring kaufen.“
Kurz sah ich wie Zweifel ihr Gesicht verzerrte und hielt den Atem an, brauchte sie doch nur ein Wort zu sagen, um meine Hoffnungen zunichte zu machen. Doch stattdessen lehnte sie sich zum Boden vor, pflückte einige weitere Blumen und drehte sich von mir weg. Ich unternahm den Versuch ihr über die Schulter zu schauen, doch sie befahl mir, dies zu unterlassen. Sie werkelte noch eine Weile an den Pflanzen rum, bis sie sich schließlich wieder mir zuwandte und lächelnd nach meiner Hand griff.
Ich betrachtete das Ergebnis ihrer Mühen, einen kleinen Ring aus miteinander verflochtenen Gänseblümchen. Vorsichtig steckte sie ihn mir an den Finger und wirkte zufrieden.
„Dann heiraten wir eben jetzt. Soll dieser Garten unsere Kirche und dies dein Ehering sein. Bis dass der Tod uns scheidet.“
Verzückt rief ich ihren Namen aus, zog sie an mich heran und vergrub mein Gesicht in ihren nach Sommer riechenden Haaren.
Ich dachte mir, was war mir Gott? Weit weg war er, verbarg sich zwischen den grauen, trüben Regenwolken, irgendwo im Ungewissen, nach dem ein Verzweifelter in seinem Leid den Arm ausstreckt, wohl wissend, dass ihn das Licht nie erreichen wird. Doch sie, wie sie in meinen Armen lag, sich an mich schmiegte mit ihrem zierlichen Nymphenkörper, scheu und doch liebend zugleich, dabei ihr Porzellangesichtchen in meiner Schulter versteckend. Wie ihre kleinen Hände am Stoff meiner Kleidung zogen, ihr Atem warm wie eine Frühlingsbrise über meinen Hals glitt und mein ganzes Wesen erzittern ließ, nicht nah genug konnte ich sie halten und doch fürchtete ich, sie würde zerbrechen, wäre meine Umarmung zu stark gewesen.
Was war mir irgendeine höhere Macht, was war diese Welt und das ganze Universum um sie herum, wenn sich genau hier, an meiner Seite, die wundervollste Gestalt befand, die dieses trübe Dasein, dass wir Leben nennen, mit ihrer Existenz beehrt und erleuchtet hat. Keine Psalmen, keine Predigten konnten mein Herz so berühren, wie der bloße Klang ihrer Stimme und kein Buch oder Gelehrter dieser Welt könnten mir Antworten geben, wie ein unschuldiger Blick ihrer Augen.
Und wenn ich für diese Worte der Hölle verdammt war, dann war ich bereit dafür, denn keine Pein wäre schlimmer für mich, als ihr fern zu bleiben.
Meine Marjory.