Marie gegen die Schwerkraft
Es ist absolut notwendig den Strick eng um Maries Schenkel zu legen, sie auf diese Art auf die Sitzfläche des Stuhls festzubinden. Der Strick schneidet etwas ein. Das tut mir leid. Aber die Alternative wäre weitaus schlimmer. Natürlich muss der Strick auch straff um die Stuhllehne und um Maries Brüste gespannt werden. Eine Schlinge sachte um ihren Hals, das Seil an ihren Schultern vorbei und wieder zurück zur Stuhllehne. Die Stuhlbeine müssen einzementiert werden.
Ich binde Marie nicht zum Spaß nackt auf den einzementierten Stuhl. Es ist zur ihrer Sicherheit. Marie trotzt der Schwerkraft. Würde der Strick um ihren zarten Körper reißen, würde Marie ins Weltall gesogen werden, von einer unsichtbaren Kraft nach oben gezogen. Ich sehe es noch vor mir, wie Marie zum ersten Male abhob. Ich sehe noch vor mir, wie sie einen halben Meter über ihrem Bett schwebt. Danach ging es nur noch aufwärts. Schließlich wurde sie entgegen der Schwerkraft gegen die Zimmerdecke unseres Schlafzimmers gedrückt. Marie, nackt und verschwitzt nach unserer letzten Liebesnacht, leicht in Panik die Zimmerdecke entlang kriechend und sich windend. Marie hat Angst. Schließlich strebt der Körper nicht jeden Tag dem Universum entgegen. Wann verliert man schon auf diese Art den Boden unter den Füßen?
Mir bleibt nicht viel Zeit um das Schlimmste zu verhindern. Das Schlimmste wäre, würde Marie mir entgleiten, weg von mir, irgendwo nach oben hin, wohin ich ihr nicht folgen kann, da ich zu träge bin. Ich wünschte, ich könnte so schwerelos sein wie Marie. Aber Marie empfindet es als Last so leicht und so abgehoben zu sein. Sie wäre gerne etwas bodenständiger.
Marie windet sich gefesselt auf dem Stuhl. Die Kraft die an ihrem Körper zerrt wird immer stärker. Das Seil schneidet ein. Marie weint und ich weine jetzt auch. Ich nehme ein Messer und schneide das Seil an den geröteten Körperstellen durch. Dort wo es zu schmerzen scheint. Das mindert Maries Schmerz. Aber mein Schmerz wird umso größer, da ich sie zu verlieren scheine. Schließlich halte ich Marie nur noch an einer Schlinge, die um eine ihrer Fußfesseln gelegt ist. Ich halte Marie wie einen Luftballon, der mir im Sturm wegzufliegen droht.
Wir befinden uns im ehemals verwilderten Garten hinter unserem Haus. Hier wollte ich ein Kinderzimmer zimmern, für den Fall der Fälle. Das Fundament ist schon gelegt. Jetzt ist ein Stuhl hier einzementiert, wo später Kinder herumtollen sollten. Wie konnte uns nur alles so entgleiten. Im Grunde entgleitet es nur mir.
Natürlich stehen auch schon die Nachbarn herum und sehen neugierig zu uns herüber. Getuschelt wurde schon genug. Jetzt kann man mir beim Scheitern zusehen. Trotzig ziehe ich am Seil, ziehe Marie zu mir herunter. Die Gegenkraft ist stark. Doch jetzt umarme ich Marie. Marie umarmt mich. Marie hält mich fest und so steigen wir gemeinsam auf - entgegen der Schwerkraft und gegen jede Logik. Wir lassen unsere neugierigen, neidischen Nachbarn auf dem Boden der banalen Tatsachen zurück, während wir abheben. Die Nachbarn werden ganz klein und unbedeutend, so wie auch der Rest der Welt unter uns.
Keine Ahnung wie und wo das enden wird. Aber es wird enden. Denn da oben ist das Weltall. Da gibt es keine Atmosphäre und keine Luft zum Atmen. Wir werden ersticken und bersten. Vielleicht in umgekehrter Reihenfolge. Aber es wird enden, unser beider Leben. Da wir beide verloren wären, wenn wir einander losließen, halten wir uns fest umklammert. Da wir nach oben auf unser Ende zustreben und wir beide nackt sind, entscheiden wir uns für einen letzten Liebesakt. Was anderes könnten wir jetzt sowieso nicht tun. Irgendwie scheint es auch angemessen. Unter allen letzten Dingen die man gemeinsam tun kann, erscheint ein Liebesakt gar nicht so unvernünftig.
Maries Küsse schmecken wie immer. Ihre Küsse schmecken bitter. Irgendwie war das schon immer so. Tränen fließen aufwärts. Ihr weicher Körper fühlt sich kalt an. Irgendwie habe ich es nie geschafft Marie zu wärmen. Aber jetzt frieren wir. Wenn man so aufwärts fällt, könnte der Sex akrobatisch sein. Wie Fallschirmspringen. Nur umgekehrt. Stattdessen halten wir uns gegenseitig fest umklammert. Denn wir könnten einander verloren gehen.
Ein warmer Wind treibt uns westwärts, während wir aufwärts stürzen, weht uns auf einen Kirchturm zu. Ich klammere mich an die Kirchturmspitze und kriege Maries Handgelenk zu fassen. Ich ziehe sie zu mir heran und halte sie ganz fest. Gemeinsam genießen wir einen Augenblick der Ruhe und des inneren Friedens. Der Sommerregen der jetzt einsetzt wäscht Maries Tränen fort. Regentropfen spucken Regenbogen aus. Für einen Moment scheint das Schicksal einen Eimer Farbe über uns auszukippen. Ich habe das Gefühl, dass Maries Körper etwas wärmer wird. Ein sonderbarer Duft geht jetzt von Maries glatter, weißer Haut aus. Ich bin wie betäubt. Sie lächelt geheimnisvoll. Das hier ist jetzt unsere geheime Hochzeit. Irgendwo zwischen Himmel und Erde.
Marie gesteht mir mal wieder ihren Kinderwunsch und ich verliere meinen Halt. Gemeinsam stürzen wir weiter aufwärts, fallen auf die Wolken zu und den Flugzeugen entgegen, die unseren Weg kreuzen.
Wir krallen uns einen Jumbojet und verweilen auf einer Tragfläche. Seltsamerweise geht das ohne große Anstrengung. Die Naturgesetze spielen sowieso verrückt. Wieso nicht mal zu unserem Vorteil? Und so können Marie und ich einfach mal auf dem Flügel dieses Flugzeugs sitzen und uns den Wind um die Nasen wehen lassen.
Wir sehen durch eines der Bullaugen in das Flugzeug hinein. Marie neckt einen Passagier mit ihren kindischen Scherzen für die ich sie so liebe. Sie drückt ihren Kussmund gegen das Glas des Fensters, zieht eine Schnute, drückt ihre linke Brust gegen das kalte Glas. Der Passagier, möglicherweise ein Geschäftsmann in den mittleren Jahren, ist eher entsetzt als amüsiert oder erregt. Die attraktive Begleiterin des Geschäftsmannes lächelt. Vielleicht sieht sie in Marie ihr jüngeres Ich. Madame erinnert sich im Moment sicher an die Zeit, als sie selbst himmelwärts fiel und ein junger Bursche sie auffing und zähmte und heiratete und ihr Bodenhaftung verlieh. Jetzt benötigt Madame ein Flugzeug um von A nach B zu kommen. Früher mal hatte Madame sicher selbst ein Paar große, wunderschöne Engelsflügel. Ich kann in meinem Kopfkino Madame um mich herum flattern sehen, nackt und engelsgleich, sehe vor mir, wie ihre drallen, runderneuerten Brüste lebhaft wackeln, während Madame nackt ihre Loopings fliegt.
Ich sehe an Madame vorbei in das Flugzeug, wo sich ein Flugkapitän vor Leidenschaft schon nicht mehr bremsen kann. Er und eine hübsche Flugbegleiterin fallen küssend übereinander her. Mann! Ich liebe Frauen in Uniformen. Das Stewardessen-Outfit dieser Fluggesellschaft ist besonders eng und scharf geschnitten. Der Pilot nimmt seine Stewardess gleich wie sie ist und fickt die sexy Uniform. Der Pilot legt seine Arbeitskleidung ab und sieht jetzt aus, wie Mister Universum. Das macht die anderen Flugbegleiterinnen so richtig scharf und gemeinsam fallen sie über "Captain Loveboat" her. Ich kriege meine Extraportion an heißen Supermodels in extravaganten Uniformen. Wahrscheinlich werden Bewerberinnen nach Körpermaßen ausgesucht, wenn sie für diese Fluglinie arbeiten wollen. Die Mädels schlüpfen in die supersexy Uniformen und wenn sie darin heiß aussehen, haben sie den Job. Ob das sexistisch ist? Ja, sicher. Aber so habe ich Marie kennen gelernt. Sie war Flugbegleiterin, ich war Kapitän. Als ich sie zum ersten Mal sah, hätte ich den Flieger beinahe gegen einen Vulkan gecrasht. Ihre endlos langen Beine, diese Taille, die perfekten Rundungen unter ihrer engen Uniformjacke. Das Mützchen schräg auf ihrer Audrey Hepburn Frisur und ihr kesses Lächeln - umrahmt vom Lippenstift in der Farbe des Logo der Fluggesellschaft. Mann, waren das Zeiten! Auf den Langstreckenflügen hatte der Autopilot viel zu tun, während Marie und ich uns im Cockpit liebten. Meine Co-Piloten - keine Ahnung, was die so trieben. Ich sah die immer nur mit verrutschter Uniform und verklärtem Lächeln ins Cockpit zurück taumeln, kurz vor der Landung. Pilot zu sein ist nicht nur ein Job. Es ist eine Berufung!
Die Orgie im Flugzeug nimmt nun Fahrt auf. Der Co-Pilot stößt nun dazu und küsst sich durch die Menge der heißen Stewardessen, küsst auch seinen Kollegen. Auch einige Passagiere reißen sich jetzt die Kleider vom Leib und stürzen sich ins pralle Leben und Lieben. Wer fliegt jetzt eigentlich die Maschine? Der Autopilot? Nein. Denn der kommt jetzt aus dem Bordcomputer geklettert. Fähnchenschwenkend und mit albernem Käppi sitzt der Autopilot auf einem Koffer und sieht der Orgie zu. Jetzt weiß ich endlich, wie ein Autopilot aussieht; Ein zwergwüchsiger Troll, das Pilotenkäppi verkehrt herum auf dem zu großen Kopf, ein Fähnchen schwenkend und eine Hand immer am Steuerknüppel. Alle haben Spaß. Auf dem Fähnchen des trolligen Autopiloten kann ich die Buchstaben H.I.V. lesen. Keine Ahnung ob das was zu bedeuten hat, oder ob ich es nur nicht sehen will.
Marie weckt mich aus meinem Traum. Sie sieht besorgt aus. Ihr trauriger Gesichtsausdruck entzieht mir den Boden unter meinen Füßen. Nee. Moment mal. Ich habe schon längst die Bodenhaftung verloren. Ich sitze mit Marie auf der Tragfläche eines Flugzeugs, weil für uns die physikalischen Gesetze nicht mehr gelten. Gemeinsam stürzen wir weiter aufwärts, fallen dem Weltall entgegen.
Wir fallen durch den Sternenhimmel, fallen an Sonnen, Monden, Planeten vorbei. Wir meiden schwarze Löcher während uns Meteoriten um die Ohren pfeifen und wundern uns ein wenig darüber, dass wir noch leben und atmen können. Aber so ist das eben, wenn für einen selbst keine Naturgesetze gelten. Wir wundern uns nicht all zu lange. Marie und ich. Wir kapern ein Raumschiff das so aussieht wie in Stanley Kubricks 2001 - Odyssee im Weltraum. Drinnen gäbe es künstliche Schwerkraft, durch Fliehkraft erzeugt. Mich hält das am Boden. Doch Marie interessiert das nicht. Jetzt wird mir klar, dass es keine unbekannte Kraft ist die Marie von mir weg zieht. Marie selbst verweigert sich jeglicher Gravitation. Marie selbst in eine Kraft und zieht mich mit sich. Aber wohin?
Das Raumschiff - ein Geisterschiff. Wer immer hier gelebt hat, hat sein Zuhause nach einem angefangenen Frühstück eilig verlassen. Zu hören sind nur piepende Bordcomputer und das Rauschen der Klimaanlage. Ich streune durch einst belebte Zimmer und ein Kinderzimmer, welches völlig unbenutzt wirkt. Zwar ist der Raum voll eingerichtet, doch hat nie ein Kind hier drin gespielt. Alles liebevoll arrangiert. Das Spielzeug noch in der Verpackung. Ein Kind war niemals hier. Es hätte Chaos hinterlassen. Man spürt hier nur die Präsenz dessen, was niemals war und niemals sein wird.
Ich will es jetzt genauer wissen. Ich sehe mir ein virtuelles Tagebuch des Paares an das einst hier lebte und liebte. Holografierte Heimvideos werden direkt in mein Hirn projiziert und so sichtbar, hörbar, fühlbar gemacht. Ich kann wie ein Gespenst durch die Erinnerungen fremder Menschen irren. Ich kann die Empfindungen des Paares miterleben, während ich deren digital gespeicherte Lebensfetzen durchlebe. Ein Paar, ähnlich Marie und mir. Ich sehe das Paar gemeinsam lachen und weinen, leben und lieben. Ich empfinde jede Emotion der beiden. Seit wann kann man Emotionen digitalisieren und dem Hirn auf diese Art zugänglich machen? Ich hätte mir das letzte P.M. Magazin kaufen sollen. Da stand es wahrscheinlich drin.
Ich habe keine Identitätskrise. Marie auch nicht, soviel ich weiß. Ich würde nicht mein Leben mit jemandem tauschen wollen. Nicht dass mein Dasein so aufregend wäre oder ich derart selbstgefällig bin. Ich bin nur einfach zu träge um ein anderer zu sein. Ich schlendere durch die digitalen, überlebensgroßen Tagebücher zweier fremder Menschen, die mir immer vertrauter werden. Aber tauschen möchte ich mit den beiden nicht. Obgleich alles perfekt erscheint. Seltsamerweise kann ich den beiden keine Namen zuordnen. Vielleicht hatten die Zwei keine Namen und brauchten auch keine. Offensichtlich brauchten die beiden nur sich. Vielleicht war da niemand der den beiden Namen geben konnte. Scheint so, als wären das die zwei ersten oder die letzten Menschen in diesem Raumschiff gewesen. Einsame Arche für ein kinderloses Paar.
Ich ziehe mir die digitalen Sextapes des Paares rein. Ich kann gleichzeitig die Empfindungen beider miterleben. Wie geht das? Wie kann ich ICH sein und gleichzeitig jemand anderer? Ich fühle ihre Berührungen auf seiner Haut. Ich schmecke seine Küsse in ihrem Mund. Er ist ein wahrer Gentleman im Bett. Und doch mag ich seine Körperlichkeit nicht in meiner Nähe haben. Mir wird schnell klar, dass das nicht meine Empfindungen sind, sondern die Emotionen dieser Frau. Die kleine Hexe zaubert im Bett, obwohl sie seinen Sex nicht mag, seinen Körper verabscheut und die Art, wie er in sie eindringt, sie berührt. Ich spüre ihr Erschaudern bei jedem seiner Atemstöße auf ihrer Haut, als sein Gesicht dem ihren ganz nahe ist. Mich überkommt ihr Ekel, als seine Zunge nass und spitz über ihre Nippel gleitet. Wieso opfert sich eine Frau so auf, für einen Kerl den sie physisch derart abstoßend findet? Ihm gefällt es. War ja klar.
Er weiß ganz genau, was er ihr antut und es ist ihm egal.
Wenig später zieht sich Marie das Sextape rein. Sie hat sichtlich Freude daran. An welcher Rolle hat sie Teil? Zu gerne würde ich spüren, was Marie jetzt fühlt. Ein Königreich für nur einen ihrer Gedanken. Marie hat mit dem virtuellen Paar einen Dreier. Oder fühlt sie gerade was ER fühlt? Liebt Marie diese unbekannte Frau so sehr, dass sie zum ersten Mal Spaß in ihrem Leben hat? Bei mir hatte Marie noch nie diesen verklärten Gesichtsaudruck, dieses Lächeln, eine derartige Körperhaltung, dieser Ausdruck optimalen Selbstbewusstseins bei gleichzeitiger völliger Losgelöstheit. Marie kriegt einen Orgasmus. Einen richtigen. Als ich sie aus meinem Versteck heraus beobachte wird mir klar, dass Marie die beste Schauspielerin der Welt ist, wenn sie mit mir zusammen ist, wenn sie mir einen Orgasmus vorspielt. Jetzt weiß ich, wie bei Marie ein echter Orgasmus aussieht und klingt. Er klingt überhaupt nicht. Weil ein echtes Gefühl bei Marie offensichtlich zu einer Implosion führt.
So sehr mich das Sextape abstößt, sosehr erregt mich eine andere Tagebuchaufzeichnung. Die unbekannte Frau spielt Cello. Sie hat sich selbst dabei gefilmt. Ich kann sie sehen, hören, fühlen, was sie fühlt, während sie dieses mir unbekannte Musikstück übt. Das ist für mich eine ganz neue Erfahrung, da ich doch so unmusikalisch bin. So fühlt es sich an, in einem Musikstück völlig aufzugehen. So ist es, wenn man ganz Musik ist. Die Cellistin ist Musik, während ich die Cellistin sein darf und die Musik und das Cello zwischen ihren Schenkeln und ich selbst, wie ich dieser Frau ganz nah sein kann. So nahe kam ihr nur das Cello. Ich spüre die Seiten unter ihren Fingern. Ich fühle das Instrument zwischen ihren Schenkeln. Gleichzeitig kann ich ganz ich selbst sein und diese wunderschöne Frau beobachten - beim Cellospiel. Sie trägt ein wunderschönes Kleid, ein Hauch von Nichts, was an dünnen Trägern an ihren zarten Schultern hängt. Ich sehe ihre Brüste unter dem durchsichtigen Stoff des Kleides bei den schnelleren Passagen des Musikstücks lustig hin und her wackeln. Für dieses Cellospiel hat es sich gelohnt zu Leben. Das war die beste Erfahrung meines Lebens. Jetzt bin ich neidisch. Für diese Frau war das ihr Leben. Mein Leben ist ein Witz dagegen. Keiner lacht. Und Marie? Würde sie in Musik Erfüllung finden? Eher nicht. Marie zerstört das reale Cello. Mit Fußtritten und Karate-Hieben prügelt Furie Marie auf das arme Cello ein. Gerissene Saiten schnalzen, Holz splittert, als Marie in dem Zerstörungsakt voll aufgeht. Sie trägt dabei das Kleid der Cellistin. An Marie sieht das Kleidungsstück wie ein billiger Fetzen aus. Kein Trost, dass das Kleid beinahe durchsichtig ist. Ich habe mich an Maries Körper längst satt gesehen. Ich kenne jede Faser ihrer muskulösen Waden, könnte die Linien ihrer Sprinterbeine aus der Erinnerung nachzeichnen, wäre ich so talentiert. Wären Maries Brüste Musik, würde ich das tiefe Wummern zweier Kesselpauken hören, wann immer sie beim Ausdruckstanz ein paar Freudensprünge mimt. Ihr fester Hintern erinnert mich eher an ein Bongo. Keine Ahnung warum. Wenn ich mich an Maries breiten Schultern festhalte, kann ich niemals abstürzen - dachte ich mal. Ihr Rücken hat den Schwung eines gespannten Bogens. Klingt alles super. Aber während Marie das Cello zertrümmert erinnert sie mich an eine kleine quirlige Preisboxerin.
Das arme Cello ist tot. Marie starrt auf das kaputte Instrument, als hätte sie im Wahn einen ganzen Korb junger Kätzchen ertränkt. Jetzt weint sie. Wie zum Trost schließe ich Marie in meine Arme. Ich spüre das Kleid der Cellospielerin. Ich kann den Geruch der anderen Frau wahrnehmen. Meine Erektion gilt nicht Marie. Doch das ist ihr egal. Sicher weiß sie was ich denke. Sie nimmt jetzt was sie kriegen kann, tut das nur für sich. Marie und die Masturbation. Ich bin heute nur ein Sexspielzeug. Marie liebt sich jetzt selbst. Es tut ihr gut. Also lasse ich es zu. Ich denke an die Cellistin. Ich spüre Maries warmen, festen Körper. Jeder ihrer Muskeln ist angespannt, wie zum Kampf. Maries Körper fühlt sich an wie eine Erektion. Marie will das Kleid der Cellistin ausziehen. Ich dränge ihr auf es anzubehalten. Marie fickt sich selbst. Ich ficke das Kleid der Cellistin. Das war unser bester Sex seit langem. Ich bin wirklich gut, wenn ich nicht ganz ich selbst bin. Marie ist nur gut, wenn sie sich selbst liebt. Gemeinsam sind wir ein unschlagbares Team.
Eine Schwangerschaft können wir vergessen. Bei mir wird das sowieso nichts. Aber auch Marie hat die Hoffnung aufgegeben. Stattdessen wird ein Monster geboren. Es fluppt einfach so aus Marie heraus. Jetzt ist es da; ihr neues Selbstbewusstsein, ihr alter aber neuer Körper, den sie per Gedankenkraft zur Waffe umfunktionieren kann. Sexuell gesehen ist sie jetzt ein schweizer Taschenmesser. Aber ich bin nur der Gewehrkolben in den sie ihre Kerben schnitzt, wenn die Schlacht geschlagen ist. Ich bin nur das ausgestopfte Einhorn auf dem sie von Orgasmus zu Orgasmus reitet. Mental ist Marie jetzt eine Bombe mit Berührungssensor. Wehe wenn sie mir um die Ohren fliegt. Marie hebt wieder ab, trotzt der Schwerkraft. Aber ich bin ganz der Alte. Ich bin zu träge. Das ist ein Problem. Ich kann ihr nicht folgen. Marie droht mir zu entgleiten.
Die Tagebücher der Cellistin stimulieren mich nicht mehr. Der Duft ihres durchsichtigen Kleides ist verflogen. Das Kleid hat Maries Geruch angenommen. Sie will es nicht mehr ausziehen. Marie spannt mich wie einen Bogen. Doch Amors Pfeile schießen ins Leere. Jetzt weiß ich was die Cellistin unter ihrem Lover erdulden musste, als sie ihn gewähren ließ. Was ich nicht weiß; wieso sie das ertragen hat. Ich weiß nicht weshalb ich es zulasse. Aber ich opfere mich für Marie.
Licht und Hitze einer Sonne knallen durch ein Bullauge des Raumschiffs. Marie fühlt sich davon magisch angezogen, sagt sie. Ist das das Ziel ihrer langen Reise? Sie macht es zu ihrem Ziel. Marie sieht mich an und lächelt und ich spüre, dass die Sonne ihr letztes Zuhause sein wird. Ich werde ihr nicht sagen müssen, dass sie sich verbrennen wird, ausbrennen wird bis nichts mehr von ihr bleibt.
Marie hebt ab. Ich halte sie an einem ihrer kleinen zierlichen, aber hässlichen Füße fest, packe ihr Bein und ziehe sie ein letztes Mal zu mir herunter. Ein vorletzter Kuss. Marie lächelt mich an, mit einem Gesicht das so anders ist als sonst. Marie ist mit sich selbst im reinen. Endlich. Sie hat auch mit mir ihren Frieden gemacht. Ein letzter Kuss begräbt alle Kriegsbeile. Ich berühre mit meinen Fingerspitzen die kahle Stelle an ihrem Rücken, zwischen dem Ansatz ihrer großen Engelsschwingen. Ich gebe sie frei. Marie fällt der Sonne entgegen. Ich sehe ihre Flügel in Flammen aufgehen. Marie lächelt. Dann taucht sie ein ins Feuer der Sonne und wird etwas anderes. Und ich?
Ein UFO hat das verlassene Raumschiff ins Schlepptau genommen. Die Außerirdischen sind nicht viel anders als wir. Wieso auch? Und sie haben auch hässliche Füße. So wie wir Menschen. Ich habe eine Außerirdische geheiratet. Sie ist nicht unbedingt meine sexuelle Obsession. Aber wir kommen gut klar. Trotz ihrer vier Arme kann sie ganz passabel Cello spielen. Ich schnuppere derweil an einem durchsichtigen Kleid. Es trägt noch ihren Duft, den Duft der anderen Frau.
ENDE