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Marias Offenbarung

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24.04.2003
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Marias Offenbarung

Gerade jetzt muss ich an Maria denken. Ich schreibe nieder was ich weiss und werde dann einen neuen Weg einschlagen.
Sie war ein sehr aufgeschlossenes Mädchen...damals.
Aber dann sind ihre Eltern verunglückt und sie hat kaum noch gesprochen. So lautete zumindest die offizielle Version.
Irgendwann habe ich mich trotzdem, oder auch gerade wegen ihrer schüchternen Art, mit ihr angefreundet. Anfangs war sie sehr ruhig und zurückhaltend. Unsere rein platonische Beziehung war wie ein stilles Übereinkommen.
Meistens trafen wir uns in dem kleinen Cafe an der Ecke, saßen dort und tranken unsere Cocktails, während wir uns gelegentlich kurz in die Augen blickten; niemand von uns beiden sprach dabei ein Wort. Eigentlich war das auch nicht nötig, denn wir mochten uns auch so.
Sie war schon immer sehr hübsch gewesen. Wenn sie nach dem Vorfall auch weniger Wert auf ihr Äußeres gelegt hatte, so war sie zu unseren Treffen immer sehr gepflegt und mit einer natürlichen Art der Eleganz erschienen. Sie lächelte zwar nur sehr selten, aber wenn, dann war es wie der schönste Sonnenaufgang im Morgenrot; Poesie in ihrer ursprünglichsten Form. Sogar jetzt bekomme ich noch eine Gänsehaut, wenn ich nur daran denke.
Nachdem wir ein paar Gläser geleert hatten beglichen wir die Rechnung - jeder für sich selbst, darauf hatte sie stets bestanden - und gingen spazieren. Zu dieser Zeit vertrug ich längst noch nicht so viel Alkohol wie heute und eine wohlige Wärme durchfuhr jedesmal meinen Körper, als sie meine Hand ergriff und wir einfach nur durch den Ort schlenderten.
Es gab keine Probleme die beredet werden mussten, nichts negatives.
Einfach nur sie und ich; Seite an Seite. Irgendwie miteinander vereint.
Dann, nachdem Monate wie Sekunden an mir vorübergezogen waren und ich jegliches Zeitgefühl für unsere tiefe Freundschaft verloren hatte, begann sie zu erzählen.
Es floss aus ihr heraus wie aus einem Wasserfall. All die Sorgen, die sie so lange Zeit im stillen aufgehoben hatte und die an ihrer Seele fraßen wie hungrige Parasiten. Die ungehörten Gedanken und vorallem die Ängste, die nachts Besitz von ihr ergriffen. Immer und immer wieder.
Sie schüttete mir ihre gesamte Seele aus; ließ mich als einzigen Menschen teilhaben an den grausamen Wirrungen ihres Verstandes, und ich nahm es bereitwillig in mich auf.
Ich hörte ihr zu, wie es vermutlich noch kein Mensch zuvor in ihrem Leben getan hatte und ich weinte mit ihr, fühlte mit ihr; und erst jetzt wurde mir schlagartig bewusst, wie sehr ich ihr bereits verbunden war, wie sehr ich sie liebte; wie unglaublich groß meine Abhängigkeit von ihr war.
Dann, als sie fertig war; nach unzähligen traurigen Minuten des Schmerzes und noch immer schluchzte, nahm ich sie in den Arm. Ganz fest. Ich wollte sie niemals wieder loslassen.
Ihre Eltern hatten keinen Unfall gehabt, sie waren auch nicht gestorben. Sie waren ganz einfach fortgegangen und hatten sie allein gelassen.
Eine Tante hatte Maria zu sich aufgenommen und ihre Lehrer darum gebeten, die Geschichte von dem Autounfall zu erzählen. Das Geschehene war ihr unglaublich peinlich.
"Damals, an jenem Tag, ist etwas furchtbares geschehen Markus! Deshalb sind sie gegangen. Ich kann es dir nicht erzählen...noch nicht."
Ich kann nicht genau sagen, was es war. Vielleicht lag es daran, wie sie den Satz ausgesprochen hatte, oder meine Instinkte waren unterschwellig auf irgendein Zeichen ihrer Mimik aufmerksam geworden und hatten Alarm geschlagen.
Jedenfalls hatte ich in diesem Augenblick das erste Mal Angst vor ihr. Nach all den vielen und heftigen Emotionen, die sie zuvor aus ihrem tiefsten Inneren hinausgeschleudert hatte, drang dieser letzte Satz zu unterkühlt zwischen ihren Lippen hervor. Fast schon mechanisch.
Aber...wie gesagt, unter Umständen bildete ich mir das zu dem damaligen Zeitpunkt auch bloß ein.
Eine zeitlang lief alles weiter wie gewohnt. Erneut hatte sie damit angefangen kaum zu sprechen und nach ein paar Wochen hatte ich ihre plötzliche Offenbarung beinahe schon vergessen.
Wir trafen uns niemals zu Hause. Weder bei mir, noch bei ihr; auch ihre Tante hatte ich nie zu Gesicht bekommen. Wahrscheinlich konnte ich mir einfach nicht eingestehen, dass ich mich unsterblich in sie verliebt hatte und so hegte ich nicht die geringsten Zweifel; dachte nicht darüber nach, wie seltsam diese ganze Situation eigentlich war. Mit meinen Freunden hatte ich zu diesem Zeitpunkt längst keinen Kontakt mehr. Ich hatte nur noch Augen für Maria; für dieses wunderschöne, von Mysterien umwitterte Geschöpf meiner bildgewaltigen Phantasien.
Ich wäre wohl auf ewig blind geblieben, wenn nicht dieses grausige Ereignis gewesen wäre. Der dreiundzwanzigste Dezember.
Oh mein Gott, niemals werde ich diesen Tag vergessen!
So viele Jahre sind seitdem vergangen und dennoch wache ich eine jede Nacht auf, das Bettlaken nassgeschwitzt, und flehe in die starre Finsternis meines Schlazimmers hinein nach Hilfe. Dieses Bild hat sich in meine Seele gebrannt und wird sie niemals wieder verlassen. Der dreiundzwanzigste Dezember 1986. Der düstere, vernebelte Nachmittag, an dem alles anders wurde. Sie hatte mich angerufen. Das tat sie sonst nie.
"Wir müssen uns im Park treffen. Es ist sehr wichtig. Ich sitze in einer halben Stunde bei der alten Eiche", hatte sie schwach in den Hörer gehaucht.
Ich hatte mich gleich auf den Weg gemacht; voller Sorge; voller Mitleid; voller Verlangen danach, ihre warme Haut erneut berühren zu dürfen; sie in den Arm zu nehmen, ihren süßen Atem auf meinem Gesicht zu spüren und einfach nur für sie da zu sein. Wie ich sie geliebt habe! So unglaublich naiv bin ich gewesen.
Ich erinnere mich an die unzähligen Weihnachtsdekorationen in den Schaufenstern der Hauptstraße unseres Dorfes. Auf meinem Weg zu der kleinen Grünanlage in Richtung des Waldes ist mir nicht ein Mensch begegnet...damals.
Ich weiss noch, dass es zum ersten Mal seit Jahren wieder intensiv geschneit hatte und alles in ein märchenhaftes Winterweiss gehüllt war. Dicke Flocken landeten leise auf meiner Jacke und bedeckten sie mit der romantischen Anmut klischeehafter, friedlicher Vorstellungen.
Heute weiss ich, dass das Ambiente nichtig ist. Das wahre Böse kann überall lauern. Es versteckt sich in den hintersten Ecken eines scheinbaren Idylls und zerstört dein Leben in Sekundenbruchteilen auf ewig.
Es muss kurz nach vier gewesen sein, als ich durch das rostige Tor hindurchgetreten bin. Es dämmerte bereits.
Ich lief wie ein neugieriges Kleinkind durch die endlose Allee, vorbei an den kahlen Bäumen, die von vereinzelten Grabsteinen längst vergangener Zeiten in ihren Abständen voneinander gefüllt waren. Seit mehr als achtzig Jahren wurde hier niemand mehr bestattet und alles was unter der Oberfläche im verborgenen lag, konnte nicht mehr als zerfallener Staub sein; und so sehr mich dieser Weg auch stets deprimiert hatte, so stellte er doch eine Abkürzung dar. Ich wollte so schnell wie möglich bei ihr sein; bei Maria; meinem schweigsamen Engel.
Ich beeilte mich so sehr ich nur konnte, solange bis ich die Parkbank an der alten Eiche erreicht hatte; und dann kam das Bild...
Der Ursprung meiner schlaflosen Nächte.
Zuerst dachte ich - hoffte und betete ich - es sei bloß Schnee. Nur gefrorenes Wasser. Aber das war kein Schnee!
"Maria", stotterte ich von Panik ergriffen, "was ist mit deinen Haaren? Sie sind...grau!"
Dunkle Schleier legten sich über meine Augen, wollten mich schützen vor dem, was ich sah und vor dem, was ich noch nicht bewusst wahrgenommen hatte. Der verblasste Schatten an ihrem Bein drang einfach nicht vor in die Realität, die ich bislang als normal hingenommen hatte und die drohte, in einen tiefen Abgrund zu stürzen.
Ich sah nur die grauen Haare, sonst nichts.
"Ich werde bald sterben. Ich werde ihn einfach nicht los, verstehst du?" - Sie weinte. So gerne hätte ich sie in den Arm genommen, aber da war noch etwas; noch jemand!
Es - oder möglicherweise er - klammerte sich an ihrem nackten, rechten Bein fest.
Haut, so blass wie der Winter.
Erst als ich das kehlige Geräusch hörte, konnte ich den Wahnsinn nicht länger unterdrücken.
Diese Gestalt, diese kleine Mumie, die so grässliche Formen hatte; mit furchtbar blau glühenden Augen in die meinen blickte, und die sich an Marias Bein festgekrallt hatte; sie schien mit ihrem Körper verwachsen zu sein.
"Ich möchte nie mehr weite Hosen tragen. Er ist ein Teil von mir, Bestandteil meiner dunklen Seele, du kannst ihn nicht töten! Ich werde es tun...ich liebe dich!"
Sie zog das Messer aus einer Seitentasche und alles was dann kam war blau - Oh du schöne Mitternacht! - und laut und voller Geschrei; bizzare Rufe in einer Sprache von der ich niemals mehr etwas hören möchte.
Alles war so blau und so abstoßend.
Maria lag zuckend auf dem kalten, weißen Boden und färbte ihn fast kunstvoll in ein widerwärtiges, buntes Gemälde.
Noch heute werde ich durch das Tal der vergessenen Seelen wandeln. Meine Haare sind grau und dieses ekelerregende Etwas wird mein Leben nicht länger beherrschen.
Zuerst ihn und dann mich.

 

Salam Cerberus,

deine Geschichte sagt mir überhaupt nicht zu. Weder finde ich sie spannend, noch empfinde ich sie als Horror. Das sich Maria am Ende umbringt ist vorhersehbar.

Nur diese blaue Mumie ist für mich neu. Hauptsächlich frage ich mich: Was ist das für ein Vieh? Und warum hat sich die Erzählerperson das Ding eingefangen?

XU jaXen

 

Oh Mann, was war denn das schon wieder? ;-)

Zuerst dachte ich, Cerberus aka David Lynch goes Mainstream und Maria ist ein Geist. Dies hat sich gottlob nicht bestätigt.

Aus der blauen Mumie (die anscheinend mit Maria verwachsen ist) werde ich aber auch nicht schlau. Nach dem ganzen Brimborium des Erzählers was denn da so schlimmes passiert ist, war ich schon gespannt. Dann aber: wieder mal eines deiner Mysterien.

Ich weiß nicht, ob das der richtige Weg ist, Cerberus, den du da gehst. Langsam beschleicht mich das Gefühl, daß du die fehlende Spannung in deinen Geschichten mit sonderbaren und (für den Leser) unerklärlichen Dingen zu kaschieren versuchst.

Lass es mich mal vereinfacht darstelllen: deine Storys fangen meist recht beschaulich und normal an, und plötzlich kommt das böse schleimige Monster und beisst dem Prot. den Kopf ab. Natürlich übertrieben, aber keine deiner Geschichten hat mich vollends "befriedigt". Damit meine ich, daß man sich immer die Hälfte zusammenreimen muss und zehnmal den Text durchgehen muss, um zwischen den Zeilen einen kleinen Hinweis zu entdecken.

Du _kannst_ durchgehend spannend erzählen, siehe "Die auf 5 Minuten...". Nur verstehe ich nicht, warum du es dem Leser immer besonders schwer machen willst. Bei der Fülle an Storys hier auf KG.de kann der Schuss nämlich auch nach hinten losgehen. Damit meine ich, dass sich irgendwann deine "Stammleser" verabschieden, weil sie sowieso nicht kapieren, was Sinn und Zweck deiner Storys ist.

Wobei die Elemente dieser Geschichte durchaus vielversprechend sind: ein stilles, schüchternes Mädchen, dass ein dunkles Geheimnis mit sich trägt. Bietet doch Stoff für eine spannende, ansprechende Story. Doch (wie so oft) hörst du genau dort auf, wo es anfängt spannend zu werden. Plötzlich kommt der Holzhammer und aus ist die Story.

Sorry für die Moralpredigt, aber du hast ja Talent, nur irgendwie lenkst du es in die falsche Richtung. Meiner Meinung nach.

Gruß
Mike

 

Hallo jaxen, hallo Mike!

Damit meine ich, dass sich irgendwann deine "Stammleser" verabschieden, weil sie sowieso nicht kapieren, was Sinn und Zweck deiner Storys ist.

Harte Worte.
Vermutlich hast du aber recht; in letzter Zeit will mir einfach nichts mehr gelingen. In der Vergangenheit wurde ich oft für meine abgedrehte Schreibe gelobt, was wohl dazu geführt hat, dass ich ein kleines bisschen überheblich geworden bin und jetzt denke, schreiben zu können wie ich will. Hauptsache bizzar.
Scheinbar habe ich es aber zu sehr übertrieben und bemühe mich mittlerweile krampfhaft um abgehobene Stories, denen allerdings jedweder Sinn abhanden gekommen ist. Ich verwechsle überraschend-knallig mit überraschend-dämlich, wenn ich meine Texte enden lasse und das darf nicht mehr vorkommen.
Wahrscheinlich bin ich zu sehr darauf fixiert, etwas außergewöhnliches zu Stande zu bringen, als noch gute Geschichten zu schreiben.
Auch habe ich mir noch vor ein paar Monaten deutlich mehr Zeit beim schreiben gelassen, jetzt tippe ich meist in ein bis zwei Stunden die komplette Story runter.
Da ich relysium in Folge unserer Auseinandersetzung ja bereits als Leser verloren habe (und wohl auch einige andere), schwöre ich hiermit, das meine nächste Story der absolute Kracher wird!
Ein echter Hammer - inklusive Sinn und verständlichem Ende; und nachdem ich jetzt so überschwinglich hier rumprotze, bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als mich an dieses Versprechen auch zu halten. Unter Druck arbeite ich ohnehin am besten.
Also Danke für die ehrlichen Stellungnahmen, Sorry für meine miesen Stories in letzter Zeit, und wenn ich mich jetzt zum schreiben zurückziehe, werde ich mit einem absolut genialen Teil wiederkehren.
Ihr könnt das jetzt als Drohung oder Versprechen verstehen :D

Viele Grüße von einem sich auf alte Tugenden besinnenden

Cerberus

 

Sorry für meine miesen Stories in letzter Zeit,

Hi nochmal!

Als mies würde ich deine letzten Storys nicht bezeichnen, sie waren durchaus originell ... nur leider wirkten sie irgendwie unfertig. Mag daran liegen (wie du selbst sagtest), daß du sie innerhalb ein paar Stunden runterfetzt.

Ich würde von dir gerne mal eine "richtige" Horrorstory lesen. Gut, darunter versteht jeder was anderes, aber ich denke du weisst was ich meine. Nur bitte keine Vamps oder Werwölfe :D

Viele Grüße
Mike

P.S. sagtest du mal nicht was von einer Zombiearmee? Her damit, SOWAS wäre mal interessant von dir zu lesen, ehrlich.

 

Hallo nochmal!

Genau diese Story ist auch in Arbeit.
Wenn sie allerdings auch etwas unkonventionell ausfallen wird; ich bin mir sicher, dass sie gefallen wird.

Begebe mich jetzt aber wieder ans schreiben.

Beste Grüße

Cerberus

 

Hi,

ist Selbsterkenntnis nicht der erste Schritt zur Besserung?

XU jaXen

 

Eine Art Vampirismus. Die Story hat mir gefallen. Auch, deshalb, weil das Böse nicht begründet ist. Es ist einfach da und befällt dich. Du mußt damit leben. Oder sterben.

 

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