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Marias Kreise

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30.12.2001
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Marias Kreise

Maria, was gibt es denn zu essen, fragt er beiläufig und knibbelt an seinen Fußnägeln. Er knibbelt immer vor dem Essen an seinen Füßen und dann dreht er die Krümmel rund, bevor er sie fliegen lässt. Ich habe Albträume von diesen Ausrutschern, sagt Maria zu ihrem Mann. Er brüllt: ich kann dich nicht verstehen, weil ich dich nicht hören kann,und kratzt sich an seiner haarigen Brust. Vor dem Fernseher brüllt er auch, denkt Maria, aber nach jedem Tor. Er liegt ständig auf der Couch und sucht die Batterien für sein Hörgerät. Es gibt gleich Wiener Schnitzel, sagt sie und geht in die Küche. Nach dem Essen geht sie mit einem Buch ins Bett und schläft darüber ein. Maria steht zeitig auf und duscht ausgiebig. Nachdem sie sich angezogen hat, ruft sie in das Wohnzimmer: ich gehe jetzt zur Arbeit, und schließt die Tür hinter sich zu.

Maria begrüßt Lehmann. Sie hält ihm die Tür weit auf und er geht mit seinen Gehstützen grußlos an ihr vorbei. Maria sieht ihm nach, bevor sie mit Eimer und Besen in das Büro huscht und Ordnung in ihre Gedanken bringt.

Kurz kommt herein und stellt sich neben Maria. Ich habe, sagt Maria mit leichtem Akzent zu ihm, ich habe noch viele Verwandte dort und besuche sie jedes Jahr, immer im Dezember. Dort war ich noch nie, sagt Kurz und knöpft ihre Bluse auf. Während Maria auf die Uhr schaut, wirft Kurz einen wilden Blick auf ihre Brüste. Maria ist zufrieden und legt sich auf den Tisch. Kurz schiebt ihren Rock hoch. Wenig später poliert sie den Schreibtisch. Seine glatte Oberfläche verführt zu Ausrutschern, deren Spuren sie immer sorgfältig verwischt. Sie wischt in gleichmäßigen Kreisen und registriert lächelnd das Rascheln in ihrer Rocktasche. Kurz hat auch gelächelt, als er vorhin das Büro verlassen hat.

Als der Hotelmanager sein Heiligtum betritt, leert sie gerade seinen glänzenden Papierkorb. Jablonski tut so als beachte er sie nicht und untersucht seinen Schreibtisch, dabei verschiebt er ein Foto im silbrigen Rahmen. Er verschmiert die Abdrücke mit fettigen Fingern und befiehlt ihr herzukommen. Als sie neben ihm steht, läßt er seufzend seinen Kopf hängen und faßt an ihren Rockzipfel. Maria deutet mit einem Kopfschütteln auf das Foto, das ihn mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen zeigt, sie sind alle blauäugig. Dann zeigt sie ihm die kalte Schulter und auf das Telefon.

Nach der Frühstückspause, in der Maria ihre belegten Brote auf Jablonskis Schoß gegessen hatte, greift Jablonski nach dem Telefonhörer und brüllt Meier hinein. Jablonski legt auf, Maria steht auf. Während er wartet, zeichnet er mit seinem Finger kleine Kreise auf die Schreibtischplatte. Sie hat schon viele Telefonhörer kommen und gehen sehen, denkt Maria, während sie den Papierkorb poliert und beobachtet im Chrom die Tür. Meier mit dem Leberfleck auf der Wange kommt herein. Jablonskis Stimme wird leise, eindringlich. Maria poliert weiter, Meier bleibt auch stumm. Vielleicht koche ich heute Abend mal wieder Leberkäs, denkt sie und geht zur Fensterfront. Dort sammelt sie vertrocknete Blätter von der Fensterbank und steckt sie in ihren Rock. Maria läßt die Blätter rascheln. Jablonski drückt Meier Papiere in die Hand. Sie stellt die Blumentöpfe auf den Teppich, um die Fensterbank abzuwischen. Jablonski hört Meier nicht stottern. Sie sieht Meier im Fenster gehen und öffnet es. Jablonski reibt sich grinsend die Faust in der Hand, sie hört es am Geräusch und bückt sich nach den Töpfen. Sie entscheidet sich für Frikadellen.

Am nächsten Morgen schleicht sich Schulze mit dem Schnurrbart ins Büro und drängt sich von hinten an Maria. Sie schaut auf die Uhr und sagt, sie habe die Fahrkarte, sie würde nächste Woche dorthin fahren. Was soll ich nur ohne dich machen, fragt Schulze und langt mit seiner Hand zwischen ihre Beine. Etwas später streicht Maria ihre Kleidung glatt und Schulze geht erleichtert raus. Maria poliert mit raschelndem Rock den Schreibtisch.

Als Jablonski hereinkommt, leert sie lächelnd seinen glänzenden Papierkorb. Er untersucht seinen Tisch, stößt dabei das Foto um und einen tiefen Seufzer aus. Verärgert wirft er das Bild in den Korb und greift dann nach dem Telefon. Er brüllt Kurz in den Hörer. Maria stellt den Papierkorb auf den Boden, bleibt auf dem Teppich und sieht abwartend zur Tür. Kurz kommt mit einem langen Gesicht herein. Während Jablonski leise mit ihm redet, verdrückt sich Maria in eine Ecke, nahe der Fensterfront. Vielleicht koche ich heute abend mal Hühnersuppe, überlegt Maria, als sie aus dem Fenster sieht. Jablonski wühlt in Papieren herum. Maria hört das Rascheln und greift in ihren Rock. Kurz fängt an zu brüllen und der Chef verstummt. Sie stellt die Blumentöpfe auf den Teppich, danach öffnet sie ein Fenster. Plötzlich geht die Tür auf und Lehmann müht sich mit seinen Krücken herein. Jablonski fängt an zu stottern, Maria dreht sich erschrocken herum. Kurz steht auf und nimmt einen Blumentopf. Lehmann stellt sich vor Jablonski und redet leise auf ihn ein. Maria hebt auch einen Blumentopf auf und entscheidet sich für Schwein. Jablonski brüllt: ich kann dich nicht hören. Maria zittert. Kurz holt aus und wirft den Topf auf den Schreibtisch, Tonscherben fliegen, Blumenerde verteilt sich. Lehmann macht einen gewaltigen Satz, geht auf Maria zu und holt mit seiner Krücke aus. Ein Ton fliegt durch die Luft und Maria sieht Kreise.

[Beitrag editiert von: Alessandra am 10.03.2002 um 01:55]

 

Sehr seltsamer Text.
In diese Geschichte könnte man ne Menge reininterpretieren. Aber das lasse ich dann doch lieber. ;)

Sie hat schon viele Telefonhörer kommen und gehen sehen

Telefonhörer hört sich unpassend an. Gegenstände kommen und gehen doch nicht.
Versuche ein anderes Wort zu finden, oder den Satz umzuformulieren.

Ist Lehmann eigentlich wütend auf Maria? Womöglich, weil er der einzige ist der nicht "an sie ran" darf?
Oder weshalb haut er ihr die Krücke über den Schädel?

Gruß

L.o.C.

 

Ich grüße dich auch ... und Danke - für deinen Kommentar.

Ja, seltsam - wie Träume nun mal so sind ;-)

"Sie hat schon viele Telefonhörer kommen und gehen sehen"

Die Formulierung bleibt, weil ich sie bewusst so gewählt habe...und gut und passend finde.

Zu deinen Fragen:
Ist Lehmann eigentlich wütend auf Maria? Oder weshalb haut er ihr die Krücke über den Schädel?

Es ist ein Traum...ein Hinweis findet sich am Anfang: "Ich habe Albträume...".


Ein Gruß von
Alessandra

 

Hallo Gérard,

Danke für deinen Kommentar.
Ja, gebe ich zu: die Geschichte ist nicht einfach zu lesen.

Für einen Traum ist das Ende nicht gewaltsam ;-) er schlägt sie doch nicht tot ...
Anders gesagt:
Das reale Leben ist viel brutaler, nicht wahr?

Ein freundlicher Gruß von
Alessandra

 

Ich finde die Geschichte extrem gut gelungen. Gerade weil nicht alles haarklein erklärt wird, der Leser aber auch nicht im Luftleeren Raum bleibt, ist genug Platz zum Spekulieren und weiterspinnen da. Hervorragend geschrieben, sprachlich sehr dicht. Ich will mehr von Dir lesen! :)
Lieben Gruß,

chaosqueen :queen:

 

Hallo Chaosqueen,

Dankeschön für dein Riesenlob :-)
hat mich sehr gefreut. Na, mehr von mir lesen...ich übe noch...

Wir wäre es solange mit der Geschichte unter "Humor", mit dem "Hammerfall"?

Lieber Gruß von
Alessandra

 

Psychologen Freud'scher Prägung dürften wohl ihre wahre Freud(e) (nein, dieser Doppelsinn! :D ) an diesem Traum haben. Erinnert mich auch sehr an Schnitzlers "Traumnovelle", nur freilich in zeitgemäßerer Form.

Apropos Form: Sogenannte "Direkte Reden" bitte immer in Anführungszeichen setzen! Und gönne ihnen möglichst einen extra Absatz. Das erleichtert das Lesen ungemein.

Und, da wir gerade dabei sind, noch ein paar stilistische Einwände:

[...]sagt Maria mit leichtem Akzent,[...]
Mit welchem Akzent? Ich meine, eine nähere Beschreibung wäre angebracht.
[...]sagt Kurz und knöpft ihre Bluse auf.
Das ist eindeutig zweideutig ;) . Beim Lesen dachte ich, warum auch immer, Kurz wäre eine Frau (oder ein Transvestit?), welche ihre eigene Bluse aufknöpft!
Daher war ich dann, verständlicherweise(?), etwas verwirrt, als sich Maria zu offenbar lesbischen Ambitionen outet (schließlich ist sie ja zufrieden!).
[...]sie sind alle blauäugig.
Auch das ist sehr missverständlich! Unter "blauäugig" sein meint man umgangssprachlich eigentlich so viel wie "naiv sein; unbedacht". Besser: "blaue Augen".


Übrigens habe ich deine Geschichte wegen des sehr schön und treffend gewählten Titels gelesen! Der Kreis ist einer der allerältesten Archetypen der Menschheit mit vielen Bedeutungen. In diesem Fall steht er für Marias Weiblichkeit. Frustriert von der Impotenz ihres Mannes (Krücken) träumt sie von sexueller Befriedigung durch wildfremde Männer. Da ihr Mann davon nicht unbedingt etwas erfahren sollte, wird immer alles schön sauber gehalten! Wer weiß, wie viele Frauen auf dieser Welt schon solche Träume hatten (aber keine diese auch niederschreibt)? ;)

Ich empfand deine Geschichte, ganz im Kontrast zu sehr vielen pessimistischen wie destruktiven Texten in diesem Forum, einmal als die reinste (Lese-)Erholung hier! :) Ich hoffe, du schreibst demnächst noch mehr!?

 

Hallo Alessandra.

Irgendwie bin ich faszinierd von deiner Geschichte und weiß doch nicht so genau warum. Sie hat mich schon mit einigen Fragezeichen in den Augen zurückgelassen, hast du ja aber wohl auch so geplant. Deshalb stelle ich auch weiter keine Fragen zum Inhalt, nur diese eine: Warum hat sich Maria trockene Blätter in den Rock gesteckt? Steht das für irgendetwas? Ich kann mir darunter nichts vorstellen, außer das sie wohl eine kleine, pardon, Macke hat.

So long

Signore Salami

[Beitrag editiert von: SignoreSalami am 10.03.2002 um 00:36]

 

Hallo philosophische Ratte,

ach...ich mag Psychologen, die müssen ja auch von irgendwas leben
:rolleyes:

Aber ich möchte schon klar stellen, dass ich das nicht geträumt habe ...

Direkte Reden in Anführungszeichen
... hab´s mir notiert.
Mit den Absätzen habe ich gehadert (mein Kampf mit Hades)... die ursprüngliche Version war in Einem runtergeschrieben - ich wollte erreichen, dass der Leser den Lesefluss nicht unterbricht...also in Kreisen liest. Habe mich ehrlich gesagt schwer getan - die richtigen Stellen für die Absätze zu finden...und habe mich dann nach dem zeitlichen Ablauf gerichtet.

...sagt Maria mit leichtem Akzent.
Mit welchem Akzent? Ich meine, eine nähere Beschreibung wäre angebracht.
Einspruch. Ich habe lange hin und her überlegt. Zuerst sollte Maria eine bestimmte Nationalität vertreten..., dann fand ich das diskriminierend (XXXXX = Putzfrau und Hobbyhure) und entschied dann: es war einfach nicht wichtig - für die story.
...sagt Kurz und knöpft ihre Bluse auf.
Das ist eindeutig zweideutig . Beim Lesen dachte ich, warum auch immer, Kurz wäre eine Frau
Hm...ein Herr vor dem "Kurz" tut nicht weh...hast recht, ich werde es gleich ändern. Am Ende des Absatzes heißt es aber Gott sei Dank: "Kurz hat auch gelächelt, als er vorhin das Büro verlassen hat.
...sie sind alle blauäugig.
Auch das ist sehr missverständlich! Unter "blauäugig" sein meint man umgangssprachlich eigentlich so viel wie "naiv sein; unbedacht". Besser: "blaue Augen".
Du...der ganze Text soll doppeldeutig sein, soviel es ging...ja...die Augen seiner Familie sind blau und sie sind alle blauäugig, weil naiv...weil keiner von ihnen weiß, was los ist.
Titel: In diesem Fall steht er für Marias Weiblichkeit.
Auch der Titel ist mehrdeutig gemeint... Er steht nicht nur für ihre Weiblichkeit, es wurde hier schon erwähnt - er steht auch für Marias Gesellschafts-Kreise und für die Auswirkungen...die ihr Verhalten hat und für den kurzen, knappen Schreibstil...(sollte jedenfalls so sein) und für ihren Putzstil - der auch mehrdeutig ist.
Frustriert von der Impotenz ihres Mannes (Krücken)...
Ihr Mann war der Schwerhörige, der immer brüllend auf der Couch liegt. Er kommt nur am Anfang der Geschichte vor.
...träumt sie von sexueller Befriedigung durch wildfremde Männer. Da ihr Mann davon nicht unbedingt etwas erfahren sollte, wird immer alles schön sauber gehalten! Wer weiß, wie viele Frauen auf dieser Welt schon solche Träume hatten (aber keine diese auch niederschreibt)?
Hm...auch der Leser hat ... Freiheiten :) Sieht das so aus, als ob es ihr um die Befriedigung geht?

Recht herzlichen Dank, dass du dich so intensiv mit Maria beschäftigt hast und für das Lob...

Ein Gruß von
Alessandra

[Beitrag editiert von: Alessandra am 10.03.2002 um 01:36]

 

@SignoreSalami

Achtung! Bahn frei für Philo-Rat's unübertreffliche Interpretationen! :D :cool:

Die Blätter stehen für Marias sexuelle Schamhaftigkeit (In Anlehnung an das biblische Feigenblatt Adam und Evas der Genesis).
Diese versucht sie immer wieder in ihren Rock zu stopfen (Symbol ihrer Vagina).
Angesichts ihrer praktizierten Promiskuität vertrocknen diese Blätter allerdings schneller als sie ihre sexuellen Begierden zu zügeln versteht. Ergebnis: Ein vergebliches Unterfangen!


Na?
Dann gut Nacht! :o

[Beitrag editiert von: Die philosophische Ratte am 10.03.2002 um 01:44]

 

Hallo Signore Salami,

auch dir ein liebes "Dankeschön" für deinen Kommentar.

Sie hat mich schon mit einigen Fragezeichen in den Augen zurückgelassen, hast du ja aber wohl auch so geplant.
Ja, weil mir auch bewusst ist/war, dass die Geschichte nicht durch "action" oder große Handlung besticht....
(War mal wieder ein Experiment von mir, ich kann´s nicht lassen.)
Warum hat sich Maria trockene Blätter in den Rock gesteckt? Steht das für irgendetwas? Ich kann mir darunter nichts vorstellen, außer das sie wohl eine kleine, pardon, Macke hat.
:D
Ja...ich wollte eine vage Verbindung herstellen...zwischen den Geldscheinen, den trockenen Pflanzenblättern und den Papieren - in denen der Chef wühlt...

Ein Gruß von
Alessandra

 

Oh Gott...ich lache immer noch...
und ich schreibe noch was mit "vage" ...
:rolleyes:

Ein "Herr" Kurz...tut doch weh, ich habe die Stelle in ein eindeutiges "ihm" verbessert:
"...sagt Maria mit leichtem Akzent zu ihm..."

[Beitrag editiert von: Alessandra am 10.03.2002 um 01:56]

 

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