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Marias Amulett
Susanne war so sehr in ihre Hausaufgaben vertieft, dass sie furchtbar hochschreckte, als ihr Handy vibrierte. Eine SMS. „Komm in die Kirchstraße, ich brauch deine Hilfe!“, lautete der Text der Nachricht. Schon wieder. Das war jetzt die 18. SMS, die Susanne bekam, immer wieder der gleiche Text, und wieder kein Absender. Susanne konnte sich das nicht erklären, doch sie würde den Teufel tun und auf so eine SMS reagieren. Sie legte das Handy wieder an ihre Seite und fuhr mit ihren Hausaufgaben fort.
Bis Susanne sich am Abend in ihr Bett legte vibrierte das Handy noch neun Mal, immer wieder der Aufruf sie soll doch zur Kirchstraße kommen. Am nächsten Morgen als sie ihr Wecker weckte, hatte sie 39 neue Nachrichten, alle ohne Absender, alle mit dem selben Text. Susanne war am verzweifeln. Jedoch war sie noch nicht bereit auf so einen dummen Streich einzugehen.
Sie brachte die Schule hinter sich, spürte immer wieder ihr Handy vibrieren, bis sie zu Hause war, hatte sie 60 neue Nachrichten. Sie beschloß, dass sie doch reagieren musste. Dann geht sie eben in die Kirchstraße. Was soll passieren.
Sie aß schnell zu Hause ihr Mittagessen, machte ihre Hausaufgaben und verließ gegen 16 Uhr die Wohnung. Sie bog rechts in die Kirchstraße ein und ihr Handy vibrierte. Sie blickte auf das Display, eine neue SMS wieder kein Absender. Sie öffnete die SMS und las „Hausnummer sieben!“ Sie schaute sich die Nummern der Häuser an, an denen sie vorbeiging und näherte sich mit schrecklich werdender Gewissheit der Nummer sieben. Direkt neben dem Friedhof!
Sie stand vor dem Haus und betrachtete die Eingangstüre. Das Haus war schon sehr alt, die Fensterläden vor den Fenstern waren verschlossen. Farbe war abgeblättert und hing in Fetzen von der Fassade. Der Garten war durchzogen von Unkraut und Unrat. Gräser wuchsen wild, verwelktes und schimmelndes Laub lag am Boden. Die Haustür hatte statt einer Klingel einen altmodischen Löwenkopf aus Messing, mit dem man an der Tür klopfen konnte. Zögernd hob sie den Löwenkopf an und ließ ihn gegen die Tür knallen. Es klopfte laut, und die Tür sprang auf. Niemand hatte sie geöffnet. Susanne blickte in einen großen Flur, Staub lag Zentimeter dick auf dem Boden und Möbeln. Hier wohnt schon seit Ewigkeiten niemand mehr, dachte sie und trat ein. Vorsichtig, leise um die Ruhe des Hauses nicht zu stören. Plötzlich schoss die Tür dicht an ihrem Rücken vorbei und fiel Laut in das Schloss. Sie drehte sich ruckartig um, und rüttelte an der Tür, doch sie konnte sie nicht öffnen.
Sie drehte sich wieder um, und ging tiefer in das Haus. Rechts neben ihr lag die Küche, dort hatte sie vorhin zumindest Fenster gesehen, vielleicht konnte sie eines öffnen. Die Küche war auch über und über mit Staub bedeckt, auf der Arbeitsplatte lagen alte Teller, die auch unter Staub begraben waren. Susanne hatte Angst irgendetwas zu berühren, der Staub die Stille, es wirkte alles so gespenstisch.
Vorsichtig berührte sie den Fenstergriff und versuchte ihn zu drehen um das Fenster zu öffnen. Das Metall des Griffs war eiskalt unter ihren Fingern und eine Gänsehaut überkam sie. Der Staub fühlte sich weich an und rieselte in kleinen Wölkchen auf den Boden. Susanne zerrte an dem Griff so fest sie konnte doch er ließ sich nicht drehen.
„Was zum Henker ist hier los!“, rief sie laut in die Küche und versuchte so ihre Angst zu vertreiben. Da spürte sie es, ein leichter Wind der ihr von hinten durch das Haar strich. Sie sprang reflexartig einen Satz nach vorne und drehte sich sofort um, doch es war nichts zu sehen. Nur Gardinen, die sie im gegenüberliegenden Zimmer, wie geisterhafte Wesen wehen sah. Sie betrachtete die Gardinen weiter und fühlte sich von ihnen angezogen.
Zurück in den Flur und weiter in das Wohnzimmer. Ein Sofa stand da mit Blick auf einen sehr alten Kamin. Auch hier war alles verstaubt und es roch modrig nach feuchter alter Luft. Sie streifte mit der Hand über die Sofalehne und blieb abrupt stehen. Das konnte doch nicht sein, auf dem Sofa befand sich eine Stelle, die komplett von Staub befreit war, so als ob vor kurzem noch jemand dort gesessen hätte. „Ich bin nicht allein!“, dachte sie und rief: “Hallo, wer ist da! Ich bin wegen den SMS gekommen!“
Niemand antwortete, sie durchstreifte das Zimmer und stellte sich neben die Gardinen, die plötzlich aufhörten sich zu bewegen als sie neben ihnen stand. Da war doch etwas! Aus dem Augenwinkel heraus konnte sie einen Schemen erkennen, etwas Graues. Sie drehte sich nach links, doch der Raum war leer, keine weitere Person. Da war es schon wieder, diesmal im Flur. Sie rannte in den Flur, blickte in die Küche, nichts! Sie schaute auf die Treppe, die in den ersten Stock führte, da war es! Doch ehe sie es genau erkennen konnte war es schon wieder weg. Doch Susanne war sich sicher etwas gesehen zu haben.
Ängstlich doch ohne Ausweg beschloss sie die Treppe nach oben zu gehen. Die Stufen knarzten unter ihren Füßen. Wieder rief sie: „Hallo! Die SMS, deswegen bin ich hier! Zeig dich doch!“ Doch es blieb jede Reaktion aus.
Susanne ging Stufe für Stufe höher und hielt sich dabei am Geländer fest. Plötzlich tauchte direkt vor ihr, für ein bis zwei Sekunden, ein Gesicht in der Luft auf. Hätte sie sich nicht am Geländer festgehalten, wäre sie rückwärts die Treppe herunter gefallen so sehr hatte sie sich erschrocken. Ihr Herz raste, und bevor sie sich wieder beruhigt hatte, konnte sie am Ende der Treppe eine junge Frau stehen sehen. Sie blickte in Susannes Richtung ohne ein Wort zu sagen. Sie hob die rechte Hand und winkte Susanne zu sich. Dann war sie wieder verschwunden.
Susanne folgte der Erscheinung bis ans Ende der Treppe, schaute links dann rechts und da konnte sie das Wesen wieder stehen sehen. Rechts vor einer Tür. Sie winkte Susanne wieder zu und löste sich dann wieder in Luft auf. Susanne wusste was man von ihr erwartete. Sie betrat das Zimmer, und fühlte sich plötzlich in eine Andere Zeit zurück versetzt.
Hier gab es keinen Staub, das ganze Zimmer war ordentlich aufgeräumt. Es war das Zimmer eines Mädchen wie Susanne fest stellte. Im Regal standen unzählige Puppen, ein Abspielgerät für altmodische Schallplatten, ein Telefon mit Wählscheibe und einige Schallplatten. Es war als wäre die Zeit in diesem Zimmer stehen geblieben.
Mit einem lauten Donnern schlug die Türe zu und Susanne erschrak heftig. Sie drehte sich um, wollte die Tür öffnen, doch bevor sie den Knauf ergriff wich sie zurück, denn das Wesen, das sie hier rauf lockte kam durch die geschlossene Türe. Ohne Susanne zu beachten setzte sie sich auf einen Suhl, der vor einem Spiegel stand und machte Handbewegungen, wie man sie beim Haarkämmen macht. Dann griff sie in eine Schatulle, zog eine Kette mit einem blauen Stein heraus, zeigte sie Susanne und legte sie sich um den Hals. Dann endete die Bewegung und die Frau verschwand. Sofort begann das Schauspiel von vorne. Und immer wieder. Susanne begann zu verstehen.
Fieberhaft suchte Susanne die Kette in dem Zimmer und fand sie schließlich unter dem Bett. Sofort als sie die Kette in die Hand nahm, verließ die gesamte Ordnung das Zimmer und Staub legte sich über alles. Ihr Handy vibrierte. Eine neue SMS :„Maria Schneider“.
Susanne drehte sich um, öffnete die Tür, rannte die Treppe hinunter zur Haustüre, die sich jetzt ohne Schwierigkeiten öffnen ließ. Sie war zurück in der Welt und ging so schnell sie konnte weg von dem Haus auf den Friedhof. Nach einer halben Stunde suchen hatte sie das Grab von Maria Schneider gefunden. grub mit ihren Händen ein kleines Loch in die Erde und legte die Kette hinein. Gleich darauf vibrierte ihr Handy noch einmal. „Danke!“, stand in der letzten SMS die Susanne von Maria jemals empfing.